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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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als Element der Erziehung und als das durch sie ge-
staltete, immer neu zu gestaltende Werk
, in welches
zugleich die Errungenschaften der früheren Stufen sich ein-
fügen und darin ihre Vollendung finden. Ein höheres Ziel der
Willensbildung vermöchten wir nicht zu nennen, aber auch
bei keinem minder hohen uns zu beruhigen. Jedenfalls unser
Prinzip führt bis zu diesem Punkte und nicht weiter; auf
Begründung aber kam es an, nicht auf den Vortrag von
Einfällen und guten Wünschen. --

Der Gang der Willenserziehung ist hiermit im allgemeinen
Umriss beschrieben. Was zur Ausfüllung dieses Umrisses noch
fehlt, wird sich durchweg anschliessen lassen an die besondere
Erörterung des Anteils der Bildung des wissenschaftlichen
Verstandes, der ästhetischen Phantasie und des religiösen Ge-
fühls an der Erziehung des Willens, welcher Anteil zwar schon
fortwährend mitberücksichtigt worden ist, aber einer eigenen
Untersuchung, eben im Sinne einer genaueren Durchführung
der aufgestellten Grundsätze, nicht unbedürftig erscheint.

§ 29.
Anteil der Intellektbildung an der Willenserziehung.
Grundlagen und erste Stufe.

Die einflussreiche Lehre Herbarts vom "erziehenden
Unterricht", der Satz, dass durch die "Bildung des Gedanken-
kreises" auch zugleich "der Grund zur Charakterbildung ge-
legt" werde, verdient wohl eine genaue Prüfung *), um so mehr,
als ihm etwas Richtiges ohne Zweifel zu Grunde liegt. Eine
enge Beziehung zwischen Intellekt- und Willensbildung ergab
auch unsre Untersuchung. Den Stoff hat der Wille mit dem
Verstande gänzlich gemein; nichts, was dem Gesetze des Willens
unterliegt, steht etwa ausserhalb der Gesetzgebung des Ver-
standes, und umgekehrt. Und wenn beide nach der Form,
d. h. der Art der Gesetzlichkeit, sich unterscheiden, so ist
dennoch der letzte formale Grund für beide Arten von Gesetz-

*) Vgl. Herbart, Pestalozzi etc., 4. Vorl.

als Element der Erziehung und als das durch sie ge-
staltete, immer neu zu gestaltende Werk
, in welches
zugleich die Errungenschaften der früheren Stufen sich ein-
fügen und darin ihre Vollendung finden. Ein höheres Ziel der
Willensbildung vermöchten wir nicht zu nennen, aber auch
bei keinem minder hohen uns zu beruhigen. Jedenfalls unser
Prinzip führt bis zu diesem Punkte und nicht weiter; auf
Begründung aber kam es an, nicht auf den Vortrag von
Einfällen und guten Wünschen. —

Der Gang der Willenserziehung ist hiermit im allgemeinen
Umriss beschrieben. Was zur Ausfüllung dieses Umrisses noch
fehlt, wird sich durchweg anschliessen lassen an die besondere
Erörterung des Anteils der Bildung des wissenschaftlichen
Verstandes, der ästhetischen Phantasie und des religiösen Ge-
fühls an der Erziehung des Willens, welcher Anteil zwar schon
fortwährend mitberücksichtigt worden ist, aber einer eigenen
Untersuchung, eben im Sinne einer genaueren Durchführung
der aufgestellten Grundsätze, nicht unbedürftig erscheint.

§ 29.
Anteil der Intellektbildung an der Willenserziehung.
Grundlagen und erste Stufe.

Die einflussreiche Lehre Herbarts vom „erziehenden
Unterricht“, der Satz, dass durch die „Bildung des Gedanken-
kreises“ auch zugleich „der Grund zur Charakterbildung ge-
legt“ werde, verdient wohl eine genaue Prüfung *), um so mehr,
als ihm etwas Richtiges ohne Zweifel zu Grunde liegt. Eine
enge Beziehung zwischen Intellekt- und Willensbildung ergab
auch unsre Untersuchung. Den Stoff hat der Wille mit dem
Verstande gänzlich gemein; nichts, was dem Gesetze des Willens
unterliegt, steht etwa ausserhalb der Gesetzgebung des Ver-
standes, und umgekehrt. Und wenn beide nach der Form,
d. h. der Art der Gesetzlichkeit, sich unterscheiden, so ist
dennoch der letzte formale Grund für beide Arten von Gesetz-

*) Vgl. Herbart, Pestalozzi etc., 4. Vorl.
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[269/0285] als Element der Erziehung und als das durch sie ge- staltete, immer neu zu gestaltende Werk, in welches zugleich die Errungenschaften der früheren Stufen sich ein- fügen und darin ihre Vollendung finden. Ein höheres Ziel der Willensbildung vermöchten wir nicht zu nennen, aber auch bei keinem minder hohen uns zu beruhigen. Jedenfalls unser Prinzip führt bis zu diesem Punkte und nicht weiter; auf Begründung aber kam es an, nicht auf den Vortrag von Einfällen und guten Wünschen. — Der Gang der Willenserziehung ist hiermit im allgemeinen Umriss beschrieben. Was zur Ausfüllung dieses Umrisses noch fehlt, wird sich durchweg anschliessen lassen an die besondere Erörterung des Anteils der Bildung des wissenschaftlichen Verstandes, der ästhetischen Phantasie und des religiösen Ge- fühls an der Erziehung des Willens, welcher Anteil zwar schon fortwährend mitberücksichtigt worden ist, aber einer eigenen Untersuchung, eben im Sinne einer genaueren Durchführung der aufgestellten Grundsätze, nicht unbedürftig erscheint. § 29. Anteil der Intellektbildung an der Willenserziehung. Grundlagen und erste Stufe. Die einflussreiche Lehre Herbarts vom „erziehenden Unterricht“, der Satz, dass durch die „Bildung des Gedanken- kreises“ auch zugleich „der Grund zur Charakterbildung ge- legt“ werde, verdient wohl eine genaue Prüfung *), um so mehr, als ihm etwas Richtiges ohne Zweifel zu Grunde liegt. Eine enge Beziehung zwischen Intellekt- und Willensbildung ergab auch unsre Untersuchung. Den Stoff hat der Wille mit dem Verstande gänzlich gemein; nichts, was dem Gesetze des Willens unterliegt, steht etwa ausserhalb der Gesetzgebung des Ver- standes, und umgekehrt. Und wenn beide nach der Form, d. h. der Art der Gesetzlichkeit, sich unterscheiden, so ist dennoch der letzte formale Grund für beide Arten von Gesetz- *) Vgl. Herbart, Pestalozzi etc., 4. Vorl.

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/285>, abgerufen am 28.03.2024.