Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

und es läßt sich nicht bezweifeln daß alle während der
Zeit, da die Annahme des Gesetzes unentschieden war, ge-
schlossenen Schuldcontracte gegen seine Wirkung verwahrt
worden sind. Allgemeine Privatverschuldung ist das Faß
der Danaiden. Daher wurden die Klagen über Armuth
und Zahlungsunfähigkeit in kurzer Zeit wieder laut und
dringend; besonders da das licinische Gesetz selbst noth-
wendig zur Folge haben mußte daß der Zinsfuß zu einer
ganz wucherischen Höhe stieg. In dem Wahn diesem
Elend abzuhelfen, ward, zehn Jahre nach jenem Gesetz,
der Unzialzinsfuß (foenus unciarium) verordnet 6).

Ueber den Unzialzinsfuß.

Tacitus sagt, dieser sey schon durch die zwölf Tafeln
festgesetzt 7). Das Talent des gleichzeitigen Geschicht-
schreibers ist aber so verschieden von der gelehrten Kennt-
niß alter Zeiten, daß die höchste Vortrefflichkeit in jener
Kunst das Urtheil und Zeugniß in dieser Gelehrsamkeit
noch nicht bewährt. Daß Tacitus, was er dennoch hätte
vereinigen können, nicht vereinigt hat, ist allenthalben
klar wo er in das Alterthum zurückgeht, und er ist wahr-
lich hier nicht die Autorität der wir das Unwahrschein-
lichste glauben können: daß eine Verordnung der Ta-
feln durch ein späteres Gesetz als neu wiederhohlt worden
wäre; und Livius redet von einer ganz neuen Gesetzge-
bung. Eben dahin deutet die so bald hernach eingetretene
Herabsetzung auf die Hälfte. Es ist auch schon angedeu-
tet daß zur Zeit der licinischen Gesetzgebung keine Wucher-

6) Livius VII. c. 16.
7) Tacitus Annal. VI. c. 16.

und es laͤßt ſich nicht bezweifeln daß alle waͤhrend der
Zeit, da die Annahme des Geſetzes unentſchieden war, ge-
ſchloſſenen Schuldcontracte gegen ſeine Wirkung verwahrt
worden ſind. Allgemeine Privatverſchuldung iſt das Faß
der Danaiden. Daher wurden die Klagen uͤber Armuth
und Zahlungsunfaͤhigkeit in kurzer Zeit wieder laut und
dringend; beſonders da das liciniſche Geſetz ſelbſt noth-
wendig zur Folge haben mußte daß der Zinsfuß zu einer
ganz wucheriſchen Hoͤhe ſtieg. In dem Wahn dieſem
Elend abzuhelfen, ward, zehn Jahre nach jenem Geſetz,
der Unzialzinsfuß (fœnus unciarium) verordnet 6).

Ueber den Unzialzinsfuß.

Tacitus ſagt, dieſer ſey ſchon durch die zwoͤlf Tafeln
feſtgeſetzt 7). Das Talent des gleichzeitigen Geſchicht-
ſchreibers iſt aber ſo verſchieden von der gelehrten Kennt-
niß alter Zeiten, daß die hoͤchſte Vortrefflichkeit in jener
Kunſt das Urtheil und Zeugniß in dieſer Gelehrſamkeit
noch nicht bewaͤhrt. Daß Tacitus, was er dennoch haͤtte
vereinigen koͤnnen, nicht vereinigt hat, iſt allenthalben
klar wo er in das Alterthum zuruͤckgeht, und er iſt wahr-
lich hier nicht die Autoritaͤt der wir das Unwahrſchein-
lichſte glauben koͤnnen: daß eine Verordnung der Ta-
feln durch ein ſpaͤteres Geſetz als neu wiederhohlt worden
waͤre; und Livius redet von einer ganz neuen Geſetzge-
bung. Eben dahin deutet die ſo bald hernach eingetretene
Herabſetzung auf die Haͤlfte. Es iſt auch ſchon angedeu-
tet daß zur Zeit der liciniſchen Geſetzgebung keine Wucher-

6) Livius VII. c. 16.
7) Tacitus Annal. VI. c. 16.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0447" n="431"/>
und es la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht bezweifeln daß alle wa&#x0364;hrend der<lb/>
Zeit, da die Annahme des Ge&#x017F;etzes unent&#x017F;chieden war, ge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Schuldcontracte gegen &#x017F;eine Wirkung verwahrt<lb/>
worden &#x017F;ind. Allgemeine Privatver&#x017F;chuldung i&#x017F;t das Faß<lb/>
der Danaiden. Daher wurden die Klagen u&#x0364;ber Armuth<lb/>
und Zahlungsunfa&#x0364;higkeit in kurzer Zeit wieder laut und<lb/>
dringend; be&#x017F;onders da das licini&#x017F;che Ge&#x017F;etz &#x017F;elb&#x017F;t noth-<lb/>
wendig zur Folge haben mußte daß der Zinsfuß zu einer<lb/>
ganz wucheri&#x017F;chen Ho&#x0364;he &#x017F;tieg. In dem Wahn die&#x017F;em<lb/>
Elend abzuhelfen, ward, zehn Jahre nach jenem Ge&#x017F;etz,<lb/>
der Unzialzinsfuß (<hi rendition="#aq">f&#x0153;nus unciarium</hi>) verordnet <note place="foot" n="6)">Livius <hi rendition="#aq">VII. c.</hi> 16.</note>.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#g">Ueber den Unzialzinsfuß</hi>.</head><lb/>
        <p>Tacitus &#x017F;agt, die&#x017F;er &#x017F;ey &#x017F;chon durch die zwo&#x0364;lf Tafeln<lb/>
fe&#x017F;tge&#x017F;etzt <note place="foot" n="7)">Tacitus <hi rendition="#aq">Annal. VI. c.</hi> 16.</note>. Das Talent des gleichzeitigen Ge&#x017F;chicht-<lb/>
&#x017F;chreibers i&#x017F;t aber &#x017F;o ver&#x017F;chieden von der gelehrten Kennt-<lb/>
niß alter Zeiten, daß die ho&#x0364;ch&#x017F;te Vortrefflichkeit in jener<lb/>
Kun&#x017F;t das Urtheil und Zeugniß in die&#x017F;er Gelehr&#x017F;amkeit<lb/>
noch nicht bewa&#x0364;hrt. Daß Tacitus, was er dennoch ha&#x0364;tte<lb/>
vereinigen ko&#x0364;nnen, nicht vereinigt hat, i&#x017F;t allenthalben<lb/>
klar wo er in das Alterthum zuru&#x0364;ckgeht, und er i&#x017F;t wahr-<lb/>
lich hier nicht die Autorita&#x0364;t der wir das Unwahr&#x017F;chein-<lb/>
lich&#x017F;te glauben ko&#x0364;nnen: daß eine Verordnung der Ta-<lb/>
feln durch ein &#x017F;pa&#x0364;teres Ge&#x017F;etz als neu wiederhohlt worden<lb/>
wa&#x0364;re; und Livius redet von einer ganz neuen Ge&#x017F;etzge-<lb/>
bung. Eben dahin deutet die &#x017F;o bald hernach eingetretene<lb/>
Herab&#x017F;etzung auf die Ha&#x0364;lfte. Es i&#x017F;t auch &#x017F;chon angedeu-<lb/>
tet daß zur Zeit der licini&#x017F;chen Ge&#x017F;etzgebung keine Wucher-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0447] und es laͤßt ſich nicht bezweifeln daß alle waͤhrend der Zeit, da die Annahme des Geſetzes unentſchieden war, ge- ſchloſſenen Schuldcontracte gegen ſeine Wirkung verwahrt worden ſind. Allgemeine Privatverſchuldung iſt das Faß der Danaiden. Daher wurden die Klagen uͤber Armuth und Zahlungsunfaͤhigkeit in kurzer Zeit wieder laut und dringend; beſonders da das liciniſche Geſetz ſelbſt noth- wendig zur Folge haben mußte daß der Zinsfuß zu einer ganz wucheriſchen Hoͤhe ſtieg. In dem Wahn dieſem Elend abzuhelfen, ward, zehn Jahre nach jenem Geſetz, der Unzialzinsfuß (fœnus unciarium) verordnet 6). Ueber den Unzialzinsfuß. Tacitus ſagt, dieſer ſey ſchon durch die zwoͤlf Tafeln feſtgeſetzt 7). Das Talent des gleichzeitigen Geſchicht- ſchreibers iſt aber ſo verſchieden von der gelehrten Kennt- niß alter Zeiten, daß die hoͤchſte Vortrefflichkeit in jener Kunſt das Urtheil und Zeugniß in dieſer Gelehrſamkeit noch nicht bewaͤhrt. Daß Tacitus, was er dennoch haͤtte vereinigen koͤnnen, nicht vereinigt hat, iſt allenthalben klar wo er in das Alterthum zuruͤckgeht, und er iſt wahr- lich hier nicht die Autoritaͤt der wir das Unwahrſchein- lichſte glauben koͤnnen: daß eine Verordnung der Ta- feln durch ein ſpaͤteres Geſetz als neu wiederhohlt worden waͤre; und Livius redet von einer ganz neuen Geſetzge- bung. Eben dahin deutet die ſo bald hernach eingetretene Herabſetzung auf die Haͤlfte. Es iſt auch ſchon angedeu- tet daß zur Zeit der liciniſchen Geſetzgebung keine Wucher- 6) Livius VII. c. 16. 7) Tacitus Annal. VI. c. 16.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/447
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/447>, abgerufen am 28.03.2024.