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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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steht, so fragen sie sich wohl: wohin will der
Dieb?

Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde!
Gehe lieber noch zu den Thieren! Warum willst du
nicht sein, wie ich, -- ein Bär unter Bären, ein Vogel
unter Vögeln?

"Und was macht der Heilige im Walde?" fragte
Zarathustra.

Der Heilige antwortete: Ich mache Lieder und
singe sie, und wenn ich Lieder mache, lache, weine
und brumme ich: also lobe ich Gott.

Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe
ich den Gott, der mein Gott ist. Doch was bringst
du uns zum Geschenke?

Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüsste
er den Heiligen und sprach: "Was hätte ich euch zu
geben! Aber lasst mich schnell davon, dass ich euch
Nichts nehme!" -- Und so trennten sie sich von ein¬
ander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie
zwei Knaben lachen.

Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu
seinem Herzen: "Sollte es denn möglich sein! Dieser
alte Heilige hat in seinem Walde noch Nichts davon
gehört, dass Gott todt ist!" --


3.

Als Zarathustra in die nächste Stadt kam, die an
den Wäldern liegt, fand er daselbst viel Volk ver¬
sammelt auf dem Markte: denn es war verheissen

steht, so fragen sie sich wohl: wohin will der
Dieb?

Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde!
Gehe lieber noch zu den Thieren! Warum willst du
nicht sein, wie ich, — ein Bär unter Bären, ein Vogel
unter Vögeln?

„Und was macht der Heilige im Walde?“ fragte
Zarathustra.

Der Heilige antwortete: Ich mache Lieder und
singe sie, und wenn ich Lieder mache, lache, weine
und brumme ich: also lobe ich Gott.

Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe
ich den Gott, der mein Gott ist. Doch was bringst
du uns zum Geschenke?

Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüsste
er den Heiligen und sprach: „Was hätte ich euch zu
geben! Aber lasst mich schnell davon, dass ich euch
Nichts nehme!“ — Und so trennten sie sich von ein¬
ander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie
zwei Knaben lachen.

Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu
seinem Herzen: „Sollte es denn möglich sein! Dieser
alte Heilige hat in seinem Walde noch Nichts davon
gehört, dass Gott todt ist!“ —


3.

Als Zarathustra in die nächste Stadt kam, die an
den Wäldern liegt, fand er daselbst viel Volk ver¬
sammelt auf dem Markte: denn es war verheissen

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[8/0014] steht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb? Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den Thieren! Warum willst du nicht sein, wie ich, — ein Bär unter Bären, ein Vogel unter Vögeln? „Und was macht der Heilige im Walde?“ fragte Zarathustra. Der Heilige antwortete: Ich mache Lieder und singe sie, und wenn ich Lieder mache, lache, weine und brumme ich: also lobe ich Gott. Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich den Gott, der mein Gott ist. Doch was bringst du uns zum Geschenke? Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüsste er den Heiligen und sprach: „Was hätte ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, dass ich euch Nichts nehme!“ — Und so trennten sie sich von ein¬ ander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei Knaben lachen. Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: „Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch Nichts davon gehört, dass Gott todt ist!“ — 3. Als Zarathustra in die nächste Stadt kam, die an den Wäldern liegt, fand er daselbst viel Volk ver¬ sammelt auf dem Markte: denn es war verheissen

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/14>, abgerufen am 28.03.2024.