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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

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Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst
suchst du noch des Nachts nach Wahrheit, und deine
Seele blieb hungrig.

Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter
sein: sonst stört dich der Magen in der Nacht, dieser
Vater der Trübsal.

Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden
haben, um gut zu schlafen. Werde ich falsch Zeug¬
niss reden? Werde ich ehebrechen?

Werde ich mich gelüsten lassen meines Nächsten
Magd? Das Alles vertrüge sich schlecht mit gutem
Schlafe.

Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss
man sich noch auf Eins verstehn: selber die Tugenden
zur rechten Zeit schlafen schicken.

Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen
Weiblein! Und über dich, du Unglückseliger!

Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der
gute Schlaf. Und Friede auch noch mit des Nach¬
bars Teufel! Sonst geht er bei dir des Nachts um.

Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der
krummen Obrigkeit! So will es der gute Schlaf. Was
kann ich dafür, dass die Macht gerne auf krummen
Beinen wandelt?

Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der
sein Schaf auf die grünste Aue führt: so verträgt es
sich mit gutem Schlafe.

Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schätze:
das entzündet die Milz. Aber schlecht schläft es sich
ohne einen guten Namen und einen kleinen Schatz.

Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst
suchst du noch des Nachts nach Wahrheit, und deine
Seele blieb hungrig.

Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter
sein: sonst stört dich der Magen in der Nacht, dieser
Vater der Trübsal.

Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden
haben, um gut zu schlafen. Werde ich falsch Zeug¬
niss reden? Werde ich ehebrechen?

Werde ich mich gelüsten lassen meines Nächsten
Magd? Das Alles vertrüge sich schlecht mit gutem
Schlafe.

Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss
man sich noch auf Eins verstehn: selber die Tugenden
zur rechten Zeit schlafen schicken.

Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen
Weiblein! Und über dich, du Unglückseliger!

Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der
gute Schlaf. Und Friede auch noch mit des Nach¬
bars Teufel! Sonst geht er bei dir des Nachts um.

Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der
krummen Obrigkeit! So will es der gute Schlaf. Was
kann ich dafür, dass die Macht gerne auf krummen
Beinen wandelt?

Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der
sein Schaf auf die grünste Aue führt: so verträgt es
sich mit gutem Schlafe.

Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schätze:
das entzündet die Milz. Aber schlecht schläft es sich
ohne einen guten Namen und einen kleinen Schatz.

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[34/0040] Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst suchst du noch des Nachts nach Wahrheit, und deine Seele blieb hungrig. Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter sein: sonst stört dich der Magen in der Nacht, dieser Vater der Trübsal. Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden haben, um gut zu schlafen. Werde ich falsch Zeug¬ niss reden? Werde ich ehebrechen? Werde ich mich gelüsten lassen meines Nächsten Magd? Das Alles vertrüge sich schlecht mit gutem Schlafe. Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss man sich noch auf Eins verstehn: selber die Tugenden zur rechten Zeit schlafen schicken. Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen Weiblein! Und über dich, du Unglückseliger! Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der gute Schlaf. Und Friede auch noch mit des Nach¬ bars Teufel! Sonst geht er bei dir des Nachts um. Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der krummen Obrigkeit! So will es der gute Schlaf. Was kann ich dafür, dass die Macht gerne auf krummen Beinen wandelt? Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der sein Schaf auf die grünste Aue führt: so verträgt es sich mit gutem Schlafe. Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schätze: das entzündet die Milz. Aber schlecht schläft es sich ohne einen guten Namen und einen kleinen Schatz.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/40>, abgerufen am 28.03.2024.