Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Licht aufgegangen. Und also sprach er zu seinem
Herzen:

Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vier¬
zig Gedanken: aber ich glaube, dass er sich wohl auf
das Schlafen versteht.

Glücklich schon, wer in der Nähe dieses Weisen
wohnt! Solch ein Schlaf steckt an, noch durch eine
dicke Wand hindurch steckt er an.

Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle.
Und nicht vergebens sassen die Jünglinge vor dem
Prediger der Tugend.

Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen.
Und wahrlich, hätte das Leben keinen Sinn und müsste
ich Unsinn wählen, so wäre auch mir diess der wählens¬
würdigste Unsinn.

Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem
suchte, wenn man Lehrer der Tugend suchte. Guten
Schlaf suchte man sich und mohnblumige Tugenden
dazu!

Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstühle war
Weisheit der Schlaf ohne Träume: sie kannten keinen
bessern Sinn des Lebens.

Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen
Prediger der Tugend, und nicht immer so Ehrliche:
aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr lange stehen
sie noch: da liegen sie schon.

Selig sind diese Schläfrigen: denn sie sollen bald
einnicken. --

Also sprach Zarathustra.


Licht aufgegangen. Und also sprach er zu seinem
Herzen:

Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vier¬
zig Gedanken: aber ich glaube, dass er sich wohl auf
das Schlafen versteht.

Glücklich schon, wer in der Nähe dieses Weisen
wohnt! Solch ein Schlaf steckt an, noch durch eine
dicke Wand hindurch steckt er an.

Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle.
Und nicht vergebens sassen die Jünglinge vor dem
Prediger der Tugend.

Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen.
Und wahrlich, hätte das Leben keinen Sinn und müsste
ich Unsinn wählen, so wäre auch mir diess der wählens¬
würdigste Unsinn.

Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem
suchte, wenn man Lehrer der Tugend suchte. Guten
Schlaf suchte man sich und mohnblumige Tugenden
dazu!

Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstühle war
Weisheit der Schlaf ohne Träume: sie kannten keinen
bessern Sinn des Lebens.

Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen
Prediger der Tugend, und nicht immer so Ehrliche:
aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr lange stehen
sie noch: da liegen sie schon.

Selig sind diese Schläfrigen: denn sie sollen bald
einnicken. —

Also sprach Zarathustra.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="36"/>
Licht aufgegangen. Und also sprach er zu seinem<lb/>
Herzen:</p><lb/>
          <p>Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vier¬<lb/>
zig Gedanken: aber ich glaube, dass er sich wohl auf<lb/>
das Schlafen versteht.</p><lb/>
          <p>Glücklich schon, wer in der Nähe dieses Weisen<lb/>
wohnt! Solch ein Schlaf steckt an, noch durch eine<lb/>
dicke Wand hindurch steckt er an.</p><lb/>
          <p>Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle.<lb/>
Und nicht vergebens sassen die Jünglinge vor dem<lb/>
Prediger der Tugend.</p><lb/>
          <p>Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen.<lb/>
Und wahrlich, hätte das Leben keinen Sinn und müsste<lb/>
ich Unsinn wählen, so wäre auch mir diess der wählens¬<lb/>
würdigste Unsinn.</p><lb/>
          <p>Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem<lb/>
suchte, wenn man Lehrer der Tugend suchte. Guten<lb/>
Schlaf suchte man sich und mohnblumige Tugenden<lb/>
dazu!</p><lb/>
          <p>Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstühle war<lb/>
Weisheit der Schlaf ohne Träume: sie kannten keinen<lb/>
bessern Sinn des Lebens.</p><lb/>
          <p>Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen<lb/>
Prediger der Tugend, und nicht immer so Ehrliche:<lb/>
aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr lange stehen<lb/>
sie noch: da liegen sie schon.</p><lb/>
          <p>Selig sind diese Schläfrigen: denn sie sollen bald<lb/>
einnicken. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Also sprach Zarathustra.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0042] Licht aufgegangen. Und also sprach er zu seinem Herzen: Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vier¬ zig Gedanken: aber ich glaube, dass er sich wohl auf das Schlafen versteht. Glücklich schon, wer in der Nähe dieses Weisen wohnt! Solch ein Schlaf steckt an, noch durch eine dicke Wand hindurch steckt er an. Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle. Und nicht vergebens sassen die Jünglinge vor dem Prediger der Tugend. Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen. Und wahrlich, hätte das Leben keinen Sinn und müsste ich Unsinn wählen, so wäre auch mir diess der wählens¬ würdigste Unsinn. Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem suchte, wenn man Lehrer der Tugend suchte. Guten Schlaf suchte man sich und mohnblumige Tugenden dazu! Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstühle war Weisheit der Schlaf ohne Träume: sie kannten keinen bessern Sinn des Lebens. Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen Prediger der Tugend, und nicht immer so Ehrliche: aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr lange stehen sie noch: da liegen sie schon. Selig sind diese Schläfrigen: denn sie sollen bald einnicken. — Also sprach Zarathustra.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/42
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. [Bd. 1]. Chemnitz, 1883, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra01_1883/42>, abgerufen am 29.03.2024.