Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite
Von der Menschen-Klugheit.


Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare!

Der Abhang, wo der Blick hinunter stürzt und
die Hand hinauf greift. Da schwindelt dem Herzen
vor seinem doppelten Willen.

Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines
Herzens doppelten Willen?

Das, Das ist mein Abhang und meine Gefahr,
dass mein Blick in die Höhe stürzt, und dass meine
Hand sich halten und stützen möchte -- an der Tiefe!

An den Menschen klammert sich mein Wille, mit
Ketten binde ich mich an den Menschen, weil es mich
hinauf reisst zum Übermenschen: denn dahin will mein
andrer Wille.

Und dazu lebe ich blind unter den Menschen;
gleich als ob ich sie nicht kennte: dass meine Hand
ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere.

Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss
und Tröstung ist oft um mich gebreitet.

Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und
frage: wer will mich betrügen?

Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich
mich betrügen lasse, um nicht auf der Hut zu sein vor
Betrügern.

Von der Menschen-Klugheit.


Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare!

Der Abhang, wo der Blick hinunter stürzt und
die Hand hinauf greift. Da schwindelt dem Herzen
vor seinem doppelten Willen.

Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines
Herzens doppelten Willen?

Das, Das ist mein Abhang und meine Gefahr,
dass mein Blick in die Höhe stürzt, und dass meine
Hand sich halten und stützen möchte — an der Tiefe!

An den Menschen klammert sich mein Wille, mit
Ketten binde ich mich an den Menschen, weil es mich
hinauf reisst zum Übermenschen: denn dahin will mein
andrer Wille.

Und dazu lebe ich blind unter den Menschen;
gleich als ob ich sie nicht kennte: dass meine Hand
ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere.

Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss
und Tröstung ist oft um mich gebreitet.

Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und
frage: wer will mich betrügen?

Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich
mich betrügen lasse, um nicht auf der Hut zu sein vor
Betrügern.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0102" n="92"/>
      <div n="1">
        <head>Von der Menschen-Klugheit.<lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare!</p><lb/>
        <p>Der Abhang, wo der Blick <hi rendition="#g">hinunter</hi> stürzt und<lb/>
die Hand <hi rendition="#g">hinauf</hi> greift. Da schwindelt dem Herzen<lb/>
vor seinem doppelten Willen.</p><lb/>
        <p>Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines<lb/>
Herzens doppelten Willen?</p><lb/>
        <p>Das, Das ist <hi rendition="#g">mein</hi> Abhang und meine Gefahr,<lb/>
dass mein Blick in die Höhe stürzt, und dass meine<lb/>
Hand sich halten und stützen möchte &#x2014; an der Tiefe!</p><lb/>
        <p>An den Menschen klammert sich mein Wille, mit<lb/>
Ketten binde ich mich an den Menschen, weil es mich<lb/>
hinauf reisst zum Übermenschen: denn dahin will mein<lb/>
andrer Wille.</p><lb/>
        <p>Und <hi rendition="#g">dazu</hi> lebe ich blind unter den Menschen;<lb/>
gleich als ob ich sie nicht kennte: dass meine Hand<lb/>
ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere.</p><lb/>
        <p>Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss<lb/>
und Tröstung ist oft um mich gebreitet.</p><lb/>
        <p>Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und<lb/>
frage: wer will mich betrügen?</p><lb/>
        <p>Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich<lb/>
mich betrügen lasse, um nicht auf der Hut zu sein vor<lb/>
Betrügern.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0102] Von der Menschen-Klugheit. Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare! Der Abhang, wo der Blick hinunter stürzt und die Hand hinauf greift. Da schwindelt dem Herzen vor seinem doppelten Willen. Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen? Das, Das ist mein Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die Höhe stürzt, und dass meine Hand sich halten und stützen möchte — an der Tiefe! An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an den Menschen, weil es mich hinauf reisst zum Übermenschen: denn dahin will mein andrer Wille. Und dazu lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie nicht kennte: dass meine Hand ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere. Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Tröstung ist oft um mich gebreitet. Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und frage: wer will mich betrügen? Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betrügen lasse, um nicht auf der Hut zu sein vor Betrügern.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/102
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/102>, abgerufen am 29.03.2024.