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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883.

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Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass
euer Muthmaassen begrenzt sei in der Denkbarkeit.

Könntet ihr einen Gott denken? -- Aber diess
bedeute euch Wille zur Wahrheit, dass Alles ver¬
wandelt werde in Menschen-Denkbares, Menschen-
Sichtbares, Menschen-Fühlbares! Eure eignen Sinne
sollt ihr zu Ende denken!

Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch
geschaffen werden: eure Vernunft, euer Bild, euer
Wille, eure Liebe soll es selber werden! Und wahrlich,
zu eurer Seligkeit, ihr Erkennenden!

Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne
diese Hoffnung, ihr Erkennenden? Weder in's Un¬
begreifliche dürftet ihr eingeboren sein, noch in's
Unvernünftige.

Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare,
ihr Freunde: wenn es Götter gäbe, wie hielte ich's
aus, kein Gott zu sein! Also giebt es keine Götter.

Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er
mich. --

Gott ist eine Muthmaassung: aber wer tränke alle
Qual dieser Muthmaassung, ohne zu sterben? Soll
dem Schaffenden sein Glaube genommen sein und
dem Adler sein Schweben in Adler-Fernen?

Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade
krumm und Alles, was steht, drehend. Wie? Die
Zeit wäre hinweg, und alles Vergängliche nur Lüge?

Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel mensch¬
lichen Gebeinen und noch dem Magen ein Erbrechen:
wahrlich, die drehende Krankheit heisse ich's, Solches
zu muthmaassen.

Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass
euer Muthmaassen begrenzt sei in der Denkbarkeit.

Könntet ihr einen Gott denken? — Aber diess
bedeute euch Wille zur Wahrheit, dass Alles ver¬
wandelt werde in Menschen-Denkbares, Menschen-
Sichtbares, Menschen-Fühlbares! Eure eignen Sinne
sollt ihr zu Ende denken!

Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch
geschaffen werden: eure Vernunft, euer Bild, euer
Wille, eure Liebe soll es selber werden! Und wahrlich,
zu eurer Seligkeit, ihr Erkennenden!

Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne
diese Hoffnung, ihr Erkennenden? Weder in's Un¬
begreifliche dürftet ihr eingeboren sein, noch in's
Unvernünftige.

Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare,
ihr Freunde: wenn es Götter gäbe, wie hielte ich's
aus, kein Gott zu sein! Also giebt es keine Götter.

Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er
mich. —

Gott ist eine Muthmaassung: aber wer tränke alle
Qual dieser Muthmaassung, ohne zu sterben? Soll
dem Schaffenden sein Glaube genommen sein und
dem Adler sein Schweben in Adler-Fernen?

Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade
krumm und Alles, was steht, drehend. Wie? Die
Zeit wäre hinweg, und alles Vergängliche nur Lüge?

Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel mensch¬
lichen Gebeinen und noch dem Magen ein Erbrechen:
wahrlich, die drehende Krankheit heisse ich's, Solches
zu muthmaassen.

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[6/0016] Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass euer Muthmaassen begrenzt sei in der Denkbarkeit. Könntet ihr einen Gott denken? — Aber diess bedeute euch Wille zur Wahrheit, dass Alles ver¬ wandelt werde in Menschen-Denkbares, Menschen- Sichtbares, Menschen-Fühlbares! Eure eignen Sinne sollt ihr zu Ende denken! Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch geschaffen werden: eure Vernunft, euer Bild, euer Wille, eure Liebe soll es selber werden! Und wahrlich, zu eurer Seligkeit, ihr Erkennenden! Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne diese Hoffnung, ihr Erkennenden? Weder in's Un¬ begreifliche dürftet ihr eingeboren sein, noch in's Unvernünftige. Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: wenn es Götter gäbe, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein! Also giebt es keine Götter. Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er mich. — Gott ist eine Muthmaassung: aber wer tränke alle Qual dieser Muthmaassung, ohne zu sterben? Soll dem Schaffenden sein Glaube genommen sein und dem Adler sein Schweben in Adler-Fernen? Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und Alles, was steht, drehend. Wie? Die Zeit wäre hinweg, und alles Vergängliche nur Lüge? Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel mensch¬ lichen Gebeinen und noch dem Magen ein Erbrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heisse ich's, Solches zu muthmaassen.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 2. Chemnitz, 1883, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra02_1883/16>, abgerufen am 29.03.2024.