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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

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Und wer da ruft: "Siehe hier ein Brunnen für
viele Durstige, Ein Herz für viele Sehnsüchtige, Ein
Wille für viele Werkzeuge": -- um den sammelt sich
ein Volk, das ist: viel Versuchende.

Wer befehlen kann, wer gehorchen muss -- Das
wird da versucht
! Ach, mit welch langem Suchen
und Rathen und Missrathen und Lernen und Neu-
Versuchen!

Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch,
so lehre ich's, -- ein langes Suchen: sie sucht aber
den Befehlenden! --

-- ein Versuch, oh meine Brüder! Und kein
"Vertrag"! Zerbrecht, zerbrecht mir solch Wort der
Weich-Herzen und Halb- und Halben!


26.

Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die
grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht
bei den Guten und Gerechten? --

-- als bei Denen, die sprechen und im Herzen
fühlen: "wir wissen schon, was gut ist und gerecht,
wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch
suchen!"

Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen:
der Schaden der Guten ist der schädlichste Schaden!

Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder
thun mögen: der Schaden der Guten ist der schäd¬
lichste Schaden.

Und wer da ruft: „Siehe hier ein Brunnen für
viele Durstige, Ein Herz für viele Sehnsüchtige, Ein
Wille für viele Werkzeuge“: — um den sammelt sich
ein Volk, das ist: viel Versuchende.

Wer befehlen kann, wer gehorchen muss — Das
wird da versucht
! Ach, mit welch langem Suchen
und Rathen und Missrathen und Lernen und Neu-
Versuchen!

Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch,
so lehre ich's, — ein langes Suchen: sie sucht aber
den Befehlenden! —

— ein Versuch, oh meine Brüder! Und kein
„Vertrag“! Zerbrecht, zerbrecht mir solch Wort der
Weich-Herzen und Halb- und Halben!


26.

Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die
grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht
bei den Guten und Gerechten? —

— als bei Denen, die sprechen und im Herzen
fühlen: „wir wissen schon, was gut ist und gerecht,
wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch
suchen!“

Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen:
der Schaden der Guten ist der schädlichste Schaden!

Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder
thun mögen: der Schaden der Guten ist der schäd¬
lichste Schaden.

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[87/0097] Und wer da ruft: „Siehe hier ein Brunnen für viele Durstige, Ein Herz für viele Sehnsüchtige, Ein Wille für viele Werkzeuge“: — um den sammelt sich ein Volk, das ist: viel Versuchende. Wer befehlen kann, wer gehorchen muss — Das wird da versucht! Ach, mit welch langem Suchen und Rathen und Missrathen und Lernen und Neu- Versuchen! Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch, so lehre ich's, — ein langes Suchen: sie sucht aber den Befehlenden! — — ein Versuch, oh meine Brüder! Und kein „Vertrag“! Zerbrecht, zerbrecht mir solch Wort der Weich-Herzen und Halb- und Halben! 26. Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten? — — als bei Denen, die sprechen und im Herzen fühlen: „wir wissen schon, was gut ist und gerecht, wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch suchen!“ Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen: der Schaden der Guten ist der schädlichste Schaden! Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder thun mögen: der Schaden der Guten ist der schäd¬ lichste Schaden.

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/97>, abgerufen am 18.04.2024.