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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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auf kommen: denn noch warte ich der Zeichen, dass
es Zeit sei zu meinem Niedergange; noch gehe ich
selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen.

Dazu warte ich hier, listig und spöttisch auf
hohen Bergen, kein Ungeduldiger, kein Geduldiger,
vielmehr Einer, der auch die Geduld verlernt hat, --
weil er nicht mehr "duldet."

Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit: es vergass
mich wohl? Oder sitzt es hinter einem grossen Steine
im Schatten und fängt Fliegen?

Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem
ewigen Schicksale, dass es mich nicht hetzt und
drängt und mir Zeit zu Possen lässt und Bosheiten:
also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen
hohen Berg stieg.

Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen
Fische? Und wenn es auch eine Thorheit ist, was
ich hier oben will und treibe: besser noch Diess, als
dass ich da unten feierlich würde vor Warten und
grün und gelb --

-- ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein
heiliger Heule-Sturm aus Bergen, ein Ungeduldiger,
der in die Thäler hinab ruft: "Hört, oder ich peitsche
euch mit der Geissel Gottes!"

Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde:
zum Lachen sind sie mir gut genung! Ungeduldig
müssen sie schon sein, diese grossen Lärmtrommeln,
welche heute oder niemals zu Worte kommen!

Ich aber und mein Schicksal -- wir reden nicht
zum Heute, wir reden auch nicht zum Niemals: wir
haben zum Reden schon Geduld und Zeit und Über¬

auf kommen: denn noch warte ich der Zeichen, dass
es Zeit sei zu meinem Niedergange; noch gehe ich
selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen.

Dazu warte ich hier, listig und spöttisch auf
hohen Bergen, kein Ungeduldiger, kein Geduldiger,
vielmehr Einer, der auch die Geduld verlernt hat, —
weil er nicht mehr „duldet.“

Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit: es vergass
mich wohl? Oder sitzt es hinter einem grossen Steine
im Schatten und fängt Fliegen?

Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem
ewigen Schicksale, dass es mich nicht hetzt und
drängt und mir Zeit zu Possen lässt und Bosheiten:
also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen
hohen Berg stieg.

Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen
Fische? Und wenn es auch eine Thorheit ist, was
ich hier oben will und treibe: besser noch Diess, als
dass ich da unten feierlich würde vor Warten und
grün und gelb —

— ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein
heiliger Heule-Sturm aus Bergen, ein Ungeduldiger,
der in die Thäler hinab ruft: „Hört, oder ich peitsche
euch mit der Geissel Gottes!“

Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde:
zum Lachen sind sie mir gut genung! Ungeduldig
müssen sie schon sein, diese grossen Lärmtrommeln,
welche heute oder niemals zu Worte kommen!

Ich aber und mein Schicksal — wir reden nicht
zum Heute, wir reden auch nicht zum Niemals: wir
haben zum Reden schon Geduld und Zeit und Über¬

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[8/0015] auf kommen: denn noch warte ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange; noch gehe ich selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen. Dazu warte ich hier, listig und spöttisch auf hohen Bergen, kein Ungeduldiger, kein Geduldiger, vielmehr Einer, der auch die Geduld verlernt hat, — weil er nicht mehr „duldet.“ Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit: es vergass mich wohl? Oder sitzt es hinter einem grossen Steine im Schatten und fängt Fliegen? Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem ewigen Schicksale, dass es mich nicht hetzt und drängt und mir Zeit zu Possen lässt und Bosheiten: also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen hohen Berg stieg. Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen Fische? Und wenn es auch eine Thorheit ist, was ich hier oben will und treibe: besser noch Diess, als dass ich da unten feierlich würde vor Warten und grün und gelb — — ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein heiliger Heule-Sturm aus Bergen, ein Ungeduldiger, der in die Thäler hinab ruft: „Hört, oder ich peitsche euch mit der Geissel Gottes!“ Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde: zum Lachen sind sie mir gut genung! Ungeduldig müssen sie schon sein, diese grossen Lärmtrommeln, welche heute oder niemals zu Worte kommen! Ich aber und mein Schicksal — wir reden nicht zum Heute, wir reden auch nicht zum Niemals: wir haben zum Reden schon Geduld und Zeit und Über¬

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/15>, abgerufen am 29.03.2024.