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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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Gespräch mit den Königen.

1.

Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen
und Wäldern unterwegs, da sahe er mit Einem Male
einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den
er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit
Kronen und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie
Flamingo-Vögel: die trieben einen beladenen Esel vor
sich her. "Was wollen diese Könige in meinem Reiche?"
sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und
versteckte sich geschwind hinter einem Busche. Als
aber die Könige bis zu ihm herankamen, sagte er,
halblaut, wie Einer, der zu sich allein redet: "Seltsam!
Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Könige
sehe ich -- und nur Einen Esel!"

Da machten die beiden Könige Halt, lächelten,
sahen nach der Stelle hin, woher die Stimme kam
und sahen sich nachher selber in's Gesicht. "Solcherlei
denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur
Rechten, aber man spricht es nicht aus."

Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln
und antwortete: "Das mag wohl ein Ziegenhirt sein.
Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und
Bäumen lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich ver¬
dirbt auch die guten Sitten."

Gespräch mit den Königen.

1.

Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen
und Wäldern unterwegs, da sahe er mit Einem Male
einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den
er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit
Kronen und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie
Flamingo-Vögel: die trieben einen beladenen Esel vor
sich her. „Was wollen diese Könige in meinem Reiche?“
sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und
versteckte sich geschwind hinter einem Busche. Als
aber die Könige bis zu ihm herankamen, sagte er,
halblaut, wie Einer, der zu sich allein redet: „Seltsam!
Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Könige
sehe ich — und nur Einen Esel!“

Da machten die beiden Könige Halt, lächelten,
sahen nach der Stelle hin, woher die Stimme kam
und sahen sich nachher selber in's Gesicht. „Solcherlei
denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur
Rechten, aber man spricht es nicht aus.“

Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln
und antwortete: „Das mag wohl ein Ziegenhirt sein.
Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und
Bäumen lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich ver¬
dirbt auch die guten Sitten.“

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[15/0022] Gespräch mit den Königen. 1. Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Wäldern unterwegs, da sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit Kronen und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie Flamingo-Vögel: die trieben einen beladenen Esel vor sich her. „Was wollen diese Könige in meinem Reiche?“ sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und versteckte sich geschwind hinter einem Busche. Als aber die Könige bis zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu sich allein redet: „Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Könige sehe ich — und nur Einen Esel!“ Da machten die beiden Könige Halt, lächelten, sahen nach der Stelle hin, woher die Stimme kam und sahen sich nachher selber in's Gesicht. „Solcherlei denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur Rechten, aber man spricht es nicht aus.“ Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: „Das mag wohl ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und Bäumen lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich ver¬ dirbt auch die guten Sitten.“

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/22>, abgerufen am 28.03.2024.