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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

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Solche brüsten sich damit, dass sie nicht lügen:
aber Ohnmacht zur Lüge ist lange noch nicht Liebe
zur Wahrheit. Hütet euch!

Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkennt¬
niss! Ausgekälteten Geistern glaube ich nicht. Wer
nicht lügen kann, weiss nicht, was Wahrheit ist.


10.

Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine!
Lasst euch nicht empor tragen, setzt euch nicht auf
fremde Rücken und Köpfe!

Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig
hinauf zu deinem Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber
dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu Pferde!

Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem
Pferde springst: auf deiner Höhe gerade, du höherer
Mensch, -- wirst du stolpern!


11.

Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Man ist nur
für das eigne Kind schwanger.

Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist
denn euer Nächster? Und handelt ihr auch "für den
Nächsten", -- ihr schafft doch nicht für ihn!

Verlernt mir doch diess "Für", ihr Schaffenden: eure
Tugend gerade will es, dass ihr kein Ding mit "für"
und "um" und "weil" thut. Gegen diese falschen kleinen
Worte sollt ihr euer Ohr zukleben.

Das "für den Nächsten" ist die Tugend nur der

Solche brüsten sich damit, dass sie nicht lügen:
aber Ohnmacht zur Lüge ist lange noch nicht Liebe
zur Wahrheit. Hütet euch!

Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkennt¬
niss! Ausgekälteten Geistern glaube ich nicht. Wer
nicht lügen kann, weiss nicht, was Wahrheit ist.


10.

Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine!
Lasst euch nicht empor tragen, setzt euch nicht auf
fremde Rücken und Köpfe!

Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig
hinauf zu deinem Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber
dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu Pferde!

Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem
Pferde springst: auf deiner Höhe gerade, du höherer
Mensch, — wirst du stolpern!


11.

Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Man ist nur
für das eigne Kind schwanger.

Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist
denn euer Nächster? Und handelt ihr auch „für den
Nächsten“, — ihr schafft doch nicht für ihn!

Verlernt mir doch diess „Für“, ihr Schaffenden: eure
Tugend gerade will es, dass ihr kein Ding mit „für“
und „um“ und „weil“ thut. Gegen diese falschen kleinen
Worte sollt ihr euer Ohr zukleben.

Das „für den Nächsten“ ist die Tugend nur der

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[82/0089] Solche brüsten sich damit, dass sie nicht lügen: aber Ohnmacht zur Lüge ist lange noch nicht Liebe zur Wahrheit. Hütet euch! Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkennt¬ niss! Ausgekälteten Geistern glaube ich nicht. Wer nicht lügen kann, weiss nicht, was Wahrheit ist. 10. Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine! Lasst euch nicht empor tragen, setzt euch nicht auf fremde Rücken und Köpfe! Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu Pferde! Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf deiner Höhe gerade, du höherer Mensch, — wirst du stolpern! 11. Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Man ist nur für das eigne Kind schwanger. Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist denn euer Nächster? Und handelt ihr auch „für den Nächsten“, — ihr schafft doch nicht für ihn! Verlernt mir doch diess „Für“, ihr Schaffenden: eure Tugend gerade will es, dass ihr kein Ding mit „für“ und „um“ und „weil“ thut. Gegen diese falschen kleinen Worte sollt ihr euer Ohr zukleben. Das „für den Nächsten“ ist die Tugend nur der

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/89>, abgerufen am 28.03.2024.