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Badener Zeitung. Nr. 91, Baden (Niederösterreich), 14.11.1900.

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Nr 91. Mittwoch Badener Zeitung 14. November 1900

[Spaltenumbruch]

lebhaften Protest hervorgerufen. Die Herren Indu-
striellen lehnen nämlich diese Candidatur, die mit
einer gewissen Nonchalence, um kein härteres Wort
zu gebrauchen, von außen in den Bezirk getragen
wurde, einstimmig ab. Wie aus obigem hervorgeht,
ist es nicht unsere Schuld, dass die Notiz in dieser
Form erschien; wir waren nur eben loyal genug,
auch die unserem Manne entgegenstehende Candidatur
den Lesern unseres Blattes zur Kenntnis zu bringen,
ohne zu dieser Zeit noch zu wissen, dass damit ein
agitatorischer Zweck verfolgt wurde, darauf hinzielend,
die Wähler zu verwirren und vielleicht einerseits
gegen die Industriellen aufzubringen, andererseits
vielleicht doch für den genannten Herrn zu captivieren.
Es war aber vielleicht ganz gut, dass die Anpreisung
des Herrn Raunig in dieser plumpen Form, von
der man ja in eingeweihten Kreisen wissen musste,
dass sie sofort die schärfste Zurückweisung erfahren
werde, erfolgte. Wir kennen jetzt wenigstens den
sonderbaren Candidaten, ja noch mehr, wir wissen, wess'
Protege er ist. Das erhellte zu allererst aus einer
Anpreisung in der "Deutschen Zeitung", welche am
selben Tage erfolgte, als wir die Notiz über Herrn
Raunig brachten. Dieses Blatt ist bekanntlich das
Leiborgan des Herrn Dr. Lueger und damit ist
eigentlich schon alles gesagt. Die "Ostdeutsche Rund-
schau" schreibt in ihrer Abendausgabe desselben Tages
(10. November): "Die in christlichsocialen und jüdi-
schen Zeitungen mitgetheilte Bewerbung des Ingenieurs
Raunig aus Wien, der über Betreiben der Groß-
industriellen, besonders Krupp's, im Städtebezirke
Baden--Mödling--Bruck aufgestellt wurde, haben
die Industriellen Mödlings einstimmig abgelehnt;
dieselben erklärten, nur für Marchet einzutreten.
Die "Deutsche Zeitung", welche sich für Raunig so stark
begeisterte, hat diese einstimmige Ablehnung Raunig's
der übrigens von Dr. Lueger begünstigt worden sein
soll, auf ihrem Gewissen, denn ihre Lobeshymne auf
Raunig hat alle nicht christlichsocialen Elemente sofort
stutzig gemacht." Wir erfahren also, dass besonders
Herr Krupp aus Berndorf sich für Herrn Raunig
einsetzt, und nachdem dieser Herr bei seinen bisherigen
persönlichen Vorstellungen, welche stets unter der
treuen Begleitung eines in Baden wohl bekannten
Fabrikanten aus Hirtenberg erfolgen, mit einer
gewissen Absicht auf den ihm zur Verfügung stehenden
Agitationsfond hinweist, -- er scheut sich auch gar
nicht, die Höhe des Betrages zu nennen, der hinreichen
würde, um sich in Baden schon eine ganz annehm-
bare Villa zu kaufen, -- so haben wir keine Ursache,
daran zu zweifeln, dass Herr Krupp wirklich der
Protege dieses Herrn ist und die Wahl Raunig's so
gewissermaßen als eine Sportsache betrachtet, die man
einfach mit Geld abthun kann. Es ist recht eigen-
thümlich, dass da mit solchen Waffen gekämpft wird
und wir hätten nicht geglaubt, dass wir in einer
Zeit, wo alle Freunde der wirtschaftlichen Entwicklung
einig zusammenstehen sollten, auf ein solches Hinder-
[Spaltenumbruch] nis stoßen. Geld ist eine schöne Sache; aber es
ist denn doch nicht ganz egal, ob man sich ein Ab-
geordnetenmandat kaufen will oder ein Rennpferd
um 30.000 fl. Man wird sich auch bald überzeugen,
dass in diesem Falle der Wille des Volkes stärker
ist, als die Laune eines Einzelnen. Herr Raunig
dürfte sich heute der Hoffnung, gewählt zu werden,
vielleicht schon langsam zu entschlagen beginnen.




Local-Nachrichten.
-- Kirchengesang.

Donnerstag, den 15. d. M.,
am Feste des hl. Leopold, wird in der k. k. Hof-
kirche (Frauengasse) um 11 Uhr Fräulein Josesine
Matousek das Offertorium "O Deus, amo te" von
Heinrich Proch zum Vortrage bringen. Die Orgel spielt
Frau Ottilie Göllinger.

-- Besuch der Gräfin Lonyay.

Verflossenen
Sonntag ist hier Ihre königliche Hoheit Frau
Gräfin Lonyay mit dem Postzuge aus Wien vormittag
angekommen und stattete dem Herrn Erzherzog
Rainer und dessen Gemahlin einen Besuch ab. --
Nachmittag um 2 Uhr 40 Minuten fuhr Frau
Gräfin Lonyay mit dem Localzuge nach Wien zurück.

-- Hochherzige Spende.

Der Großindustrielle
Herr David Ritter von Gutmann hat anlässlich des
Ablebens seines einzigen hier verstorbenen Sohnes
Dr. Ludwig von Gutmann den Betrag von 30.000
Kronen zum Tempelbau der israelitischen Cultus-
gemeinde in Baden gespendet.

-- Personalnachricht.

Der Statthalterei-
Concepts-Praktikant Leo Gasch wurde der hiesigen
Bezirkshauptmannschaft zur Dienstleistung zugewiesen.

-- Neuregelung der Sperrstunde in
Weikersdorf.

Der Bezirkshauptmann Graf Lippe
hat auf Grund der Ermächtigung der n.-ö. Statt-
halterei vom 15. October l. J. die Sperrstunde
für die in die Kategorie der Gasthäuser fallenden
Gast- und Schankgewerbebetriebe im Gemeindegebiete
Weikersdorf mit 1 Uhr morgens für das ganze Jahr
festgesetzt. Die Verordnung tritt sofort in Kraft.

-- Wählerversammlung.

Die hiesige
social-demokratische Parteileitung beruft für Samstag,
den 17. November, in Kolbe's Hotel (Wassergasse 35)
eine öffentliche Wählerversammlung ein, auf deren
Tagesordnung die Besprechung der bevorstehenden Reich-
rathswahlen steht.

-- Vereinsversammlung.

Der deutsch-
fortschrittliche Verein für Baden und Umgebung hält
Freitag, den 16. d. M., 8 Uhr abends, in Brusatti's
"Hotel Nagel" eine Vereinsversammlung ab, in
welcher über die bisherige Vereinsthätigkeit Bericht
erstattet und die Stellungnahme zu den Reichsraths-
wahlen und zu den Candidaten überhaupt besprochen
wird.

-- Sechzigjähriges Jubiläum der Badener
Kinderbewahranstalt.

Anlässlich des heurigen
[Spaltenumbruch] 60 jährigen Gedenktages der Gründung der hiesigen
Kleinkinderbewahranstalt hatte vorige Woche Bürger-
meister Zöllner als Vorstand, Johann Schiestl als
Verwalter der Anstalt, die anlässlich des Jubiläums
herausgegebene Festschrift und Jahresbericht der
hohen Protectorin der Anstalt, der durchlauchtigsten
Frau Erzherzogin Maria Carolina, persönlich über-
reicht. Die hohe Frau, welche sich eingehend um die
Verhältnisse der Anstalt erkundigte, sprach darüber
ihre Freude aus, das Jubiläum dieser Anstalt als
Protectorin selbst mitfeiern zu können.

-- Unterhaltungs-Abend.

Für den
nächsten Samstag im Saale des Hotel Nagl-Brusatti
stattfindenden Unterhaltungs-Abend gibt sich bereits
das regste Interesse kund und dürfte der Abend recht
animiert verlaufen. Das Comite ersucht uns, bekannt
zu geben, dass specielle Einladungen nicht versandt
werden.

-- Fremdenbuch-Humor.

Es ist eine
bekannte Thatsache, dass der in den Fremdenbüchern
aufgestapelte Humor oft seine wunderlichsten Blüten
zeitigt. Wer hat sich nicht schon an den, wenn auch
oft derben, aber doch so trefflichen Knütelversen Zer-
streuung verschafft? Saß unlängst eine hiesige Gesell-
schaft in einem Alpen-Gasthof, in der unmittel-
baren Nähe der Bahnstation, und vertrieb sich die
Zeit bis zum Abgang des Zuges mit dem Durch-
blättern des Fremdenbuches. Meistens waren es poe-
tische Ergüsse, welche die landschaftliche Schönheit der
Gegend zum Gegenstand hatten. Aber auch einige
lustige fanden sich darin. Zwei Schestern, Clara und
Helene, finden es wunderschön ohne Bräutigam in
dieser reizenden Gegend, denn sie rufen:

"Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den lässt er durch die Welten reisen,
Doch -- ohne Bräutigam!"

Dazu bemerkte ein Spottvogel:

"O, liebe Clara und Helene,
Ihr reist blos, weil ihr müsst, alleene."

Der Mann dürfte vielleicht nicht so unrecht
gehabt haben. Ein anderer wieder jubelt:

"Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang,
Der bleibt ein Narr sein Leben lang."

Dies fordert einen geplagten Ehemann heraus;
er schrieb darunter:

"Hättest du meinen Äpfelwein gekannt,
Mein Weib auch dein Eigen genannt,
Wär' dir ihr Lied in's Ohr gedrungen,
Bei Gott, du hättest nicht so gesungen!"
-- Rath'sches allg. öffentl. Kranken-
haus in Baden.

Kranken-Rapport für den Monat
October 1900. Vom Vormonate verblieben 110,
seither zugewachsen 103, zusammen 213 Kranke.
Seither abgegangen 104, verbleiben Ende dieses
Monats 109 Kranke. Die in Abgang gebrachten
104 Kranken entfallen in folgende Gruppen: Geheilt
65, gebessert 28, ungeheilt 0, gestorben 11. In
unentgeltliche ambulatorische Behandlung kamen




[Spaltenumbruch]

Staatsanstellung nicht abwarten konnte. Ich gieng
nach Wien, um von der Feder zu leben. Für den
Journalismus mit seiner fieberhaften Hast zu pro-
ducieren, fehlte mir nicht weniger als alles, und ich
ernährte mich kümmerlich von literarischen Arbeiten.
Dabei schrieb ich die "Fredegundis" und reichte sie
Ihnen ein. Sie stellten mir in Aussicht, dass unge-
fähr innerhalb eines Jahres eine Aufführung erfolgen
könnte. So lange hoffte ich mich halten zu können.
Als aber ein zweites Jahr vergeblichen Harrens ver-
gangen war, nahm ich eine Stelle als Privatsecretär
und Reisebegleiter bei einem angeblichen amerikanischen
Nabob an, der eine Reise nach Italien und dem
Orient antreten wollte. In Brindisi, wo wir uns
nach Alexandrien einschiffen wollten, ließ mich der
Kerl sitzen. Ich nahm meine paar Sachen und meine
geringe Barschaft und fuhr nach Neapel. Hier lebte
ich von dem geringen Ertrage kärglich bezahlten
Privatunterrichtes, brachte es aber unter äußersten
Entbehrungen doch so weit, dass ich nach anderthalb
Jahren das Reisegeld nach Wien zusammen hatte.
Die Anstrengungen und Entbehrungen aber hatten
meine Gesundheit derart geschwächt, dass ich in
Graz am Typhus schwer erkrankte und acht
Wochen dort im Spitale liegen musste. Das hatte
meine Barschaft aufgezehrt. Auf meinen Wunsch
schaffte man mich darauf nach meiner Vaterstadt, wo
ich bei einem Bekannten meiner längst verstorbenen
Eltern ganz genesen wollte. Aber ich war unvor-
sichtig, erkältete mich und ein furchtbarer Katarrh
war die Folge -- es ist aber noch etwas zurück-
geblieben und hier", er legte die Hand auf die
Brust, "ist was caput. Als ich im Hause herum-
gehen durfte, suchte ich nach etwas Lesbarem und
fand unter alten Gartenlauben und früheren Nummern
[Spaltenumbruch] des Wochenblattes eine Zeitung mit Ihrem Aufruf,
den sich der Alte aufbewahrt hatte. Nun hielt mich
nichts mehr. Noch sehr schwach, ja noch ziemlich krank,
bat ich den Alten, mir sofort das Reisegeld nach
Wien zu leihen, denn ich selbst besaß ja keinen
Heller. Er gieng nach einigem Zögern darauf ein --
ich schrieb Ihnen die paar Zeilen, kaufte ein Billet
dritter Classe und fuhr los. In welcher Aufregung
ich mich befand, je näher ich der Reichshauptstadt
kam, kann ich nicht schildern. -- Da trat gestern
Abend vor Mödling ein Controlor in den Wagen
und ließ sich die Fahrkarten zeigen. Ich hatte die
meinige an meinen Hut gesteckt und diesen neben mich
auf die Bank gelegt. Als ich sie vorzeigen wollte,
war sie fort -- wohin sie gekommen, wird wohl nie
aufgeklärt werden. Ich war bei Beginn der Fahrt
ein wenig eingenickt und neben mir saß ein ver-
dächtiges Individuum. Ich wurde ausgesetzt und
musste Strafe zahlen. Dadurch schmolz das geliehene
Geld auf achtundvierzig Heller zusammen. Ich
kaufte mir ein Brötchen als Abendmahlzeit und
nächtigte auf einem Heuboden. Am andern Morgen
trat ich den Weg nach Wien zu Fuß an".

"Entsetzlich! Bei diesem Hundewetter!"

"Aber ich habe es erreicht!" sagte der Dichter
tief athmend. "Wenn auch fast nackt und bloß, bin
ich doch ans Ufer gelangt -- freilich -- -- nichts
habe ich gerettet als die mehr als fragwürdige
Kleidung und -- das".

Er zog eine wachslederne Tasche aus seinem
Rocke und hielt sie dem Director entgegen.

"Das --?"

"Ja, es ist merkwürdig genug. Dafür hat sich
kein Liebhaber gefunden! Es enthielt meine Legiti-
mationspapiere, meine letzten Visitkarten und das
[Spaltenumbruch] Manuscript eines zweiten Dramas, das ich in den
Jahren der Noth und Kümmernisse in Wien und
Neapel schrieb".

"Was?" fuhr der Director auf, "ein zweites
Stück von Ihnen? Warum haben Sie es nirgends
eingereicht?"

Wieder jenes bittere Lächeln.

"Nach den Erfahrungen?" und Neumeister ent-
nahm ein blaues Heft der Ledertasche.

"Geben Sie, geben Sie!" sagte der Director
gierig, ihm das Manuscript fast aus der Hand
reißend. "Das lese ich noch diese Nacht. Sie sollen
nicht wieder auf einen Bescheid warten. Und nun
kommen Sie, vielleicht nehmen Sie ein warmes Bad
und suchen dann Ihr Lager auf. Selbstverständlich
sind Sie hier für längere Zeit mein Gast". --

Als Theobald Neumeister am anderen Morgen
aus bleiernem Schlafe erwachte, fand er vor seinem
Bette reine Leibwäsche, ein Paar Morgenschuhe und
einen zwar getragenen, aber noch immer eleganten
Anzug, vermuthlich aus dem Garderobeschrank des
Directors vor. Er kleidete sich an, klingelte, und
das Mädchen brachte ihm Kaffee und einen Pack
Zeitungen. Sie meldete, der Herr Director sei im
Theater, käme aber bald zurück.

Theobald setzte sich, um zu frühstücken. Kaum
hatte er einen Bissen zu sich genommen, als sich der
qualvolle Husten wieder einstellte. Er fühlte sich zum
Sterben elend. Die Glieder waren ihm bleischwer,
die Brust schmerzte, ein heftiger Kopfschmerz marterte
ihn. Er griff zu den Zeitungen. In jeder war unter
"Theater und Musik" ein Artikel von ungefähr
20 Zeilen blau angestrichen. Er begann zu lesen,
legte aber bald die Blätter hohnlachend beiseite. Der
Artikel enthielt die Mittheilung, dass der verschollene


Nr 91. Mittwoch Badener Zeitung 14. November 1900

[Spaltenumbruch]

lebhaften Proteſt hervorgerufen. Die Herren Indu-
ſtriellen lehnen nämlich dieſe Candidatur, die mit
einer gewiſſen Nonchalence, um kein härteres Wort
zu gebrauchen, von außen in den Bezirk getragen
wurde, einſtimmig ab. Wie aus obigem hervorgeht,
iſt es nicht unſere Schuld, daſs die Notiz in dieſer
Form erſchien; wir waren nur eben loyal genug,
auch die unſerem Manne entgegenſtehende Candidatur
den Leſern unſeres Blattes zur Kenntnis zu bringen,
ohne zu dieſer Zeit noch zu wiſſen, daſs damit ein
agitatoriſcher Zweck verfolgt wurde, darauf hinzielend,
die Wähler zu verwirren und vielleicht einerſeits
gegen die Induſtriellen aufzubringen, andererſeits
vielleicht doch für den genannten Herrn zu captivieren.
Es war aber vielleicht ganz gut, daſs die Anpreiſung
des Herrn Raunig in dieſer plumpen Form, von
der man ja in eingeweihten Kreiſen wiſſen muſste,
daſs ſie ſofort die ſchärfſte Zurückweiſung erfahren
werde, erfolgte. Wir kennen jetzt wenigſtens den
ſonderbaren Candidaten, ja noch mehr, wir wiſſen, weſs’
Protege er iſt. Das erhellte zu allererſt aus einer
Anpreiſung in der „Deutſchen Zeitung“, welche am
ſelben Tage erfolgte, als wir die Notiz über Herrn
Raunig brachten. Dieſes Blatt iſt bekanntlich das
Leiborgan des Herrn Dr. Lueger und damit iſt
eigentlich ſchon alles geſagt. Die „Oſtdeutſche Rund-
ſchau“ ſchreibt in ihrer Abendausgabe desſelben Tages
(10. November): „Die in chriſtlichſocialen und jüdi-
ſchen Zeitungen mitgetheilte Bewerbung des Ingenieurs
Raunig aus Wien, der über Betreiben der Groß-
induſtriellen, beſonders Krupp’s, im Städtebezirke
Baden—Mödling—Bruck aufgeſtellt wurde, haben
die Induſtriellen Mödlings einſtimmig abgelehnt;
dieſelben erklärten, nur für Marchet einzutreten.
Die „Deutſche Zeitung“, welche ſich für Raunig ſo ſtark
begeiſterte, hat dieſe einſtimmige Ablehnung Raunig’s
der übrigens von Dr. Lueger begünſtigt worden ſein
ſoll, auf ihrem Gewiſſen, denn ihre Lobeshymne auf
Raunig hat alle nicht chriſtlichſocialen Elemente ſofort
ſtutzig gemacht.“ Wir erfahren alſo, daſs beſonders
Herr Krupp aus Berndorf ſich für Herrn Raunig
einſetzt, und nachdem dieſer Herr bei ſeinen bisherigen
perſönlichen Vorſtellungen, welche ſtets unter der
treuen Begleitung eines in Baden wohl bekannten
Fabrikanten aus Hirtenberg erfolgen, mit einer
gewiſſen Abſicht auf den ihm zur Verfügung ſtehenden
Agitationsfond hinweist, — er ſcheut ſich auch gar
nicht, die Höhe des Betrages zu nennen, der hinreichen
würde, um ſich in Baden ſchon eine ganz annehm-
bare Villa zu kaufen, — ſo haben wir keine Urſache,
daran zu zweifeln, daſs Herr Krupp wirklich der
Protege dieſes Herrn iſt und die Wahl Raunig’s ſo
gewiſſermaßen als eine Sportſache betrachtet, die man
einfach mit Geld abthun kann. Es iſt recht eigen-
thümlich, daſs da mit ſolchen Waffen gekämpft wird
und wir hätten nicht geglaubt, daſs wir in einer
Zeit, wo alle Freunde der wirtſchaftlichen Entwicklung
einig zuſammenſtehen ſollten, auf ein ſolches Hinder-
[Spaltenumbruch] nis ſtoßen. Geld iſt eine ſchöne Sache; aber es
iſt denn doch nicht ganz egal, ob man ſich ein Ab-
geordnetenmandat kaufen will oder ein Rennpferd
um 30.000 fl. Man wird ſich auch bald überzeugen,
daſs in dieſem Falle der Wille des Volkes ſtärker
iſt, als die Laune eines Einzelnen. Herr Raunig
dürfte ſich heute der Hoffnung, gewählt zu werden,
vielleicht ſchon langſam zu entſchlagen beginnen.




Local-Nachrichten.
Kirchengeſang.

Donnerstag, den 15. d. M.,
am Feſte des hl. Leopold, wird in der k. k. Hof-
kirche (Frauengaſſe) um 11 Uhr Fräulein Joſeſine
Matouſek das Offertorium „O Deus, amo te“ von
Heinrich Proch zum Vortrage bringen. Die Orgel ſpielt
Frau Ottilie Göllinger.

Beſuch der Gräfin Lonyay.

Verfloſſenen
Sonntag iſt hier Ihre königliche Hoheit Frau
Gräfin Lonyay mit dem Poſtzuge aus Wien vormittag
angekommen und ſtattete dem Herrn Erzherzog
Rainer und deſſen Gemahlin einen Beſuch ab. —
Nachmittag um 2 Uhr 40 Minuten fuhr Frau
Gräfin Lonyay mit dem Localzuge nach Wien zurück.

Hochherzige Spende.

Der Großinduſtrielle
Herr David Ritter von Gutmann hat anläſslich des
Ablebens ſeines einzigen hier verſtorbenen Sohnes
Dr. Ludwig von Gutmann den Betrag von 30.000
Kronen zum Tempelbau der israelitiſchen Cultus-
gemeinde in Baden geſpendet.

Perſonalnachricht.

Der Statthalterei-
Concepts-Praktikant Leo Gaſch wurde der hieſigen
Bezirkshauptmannſchaft zur Dienſtleiſtung zugewieſen.

Neuregelung der Sperrſtunde in
Weikersdorf.

Der Bezirkshauptmann Graf Lippe
hat auf Grund der Ermächtigung der n.-ö. Statt-
halterei vom 15. October l. J. die Sperrſtunde
für die in die Kategorie der Gaſthäuſer fallenden
Gaſt- und Schankgewerbebetriebe im Gemeindegebiete
Weikersdorf mit 1 Uhr morgens für das ganze Jahr
feſtgeſetzt. Die Verordnung tritt ſofort in Kraft.

Wählerverſammlung.

Die hieſige
ſocial-demokratiſche Parteileitung beruft für Samstag,
den 17. November, in Kolbe’s Hotel (Waſſergaſſe 35)
eine öffentliche Wählerverſammlung ein, auf deren
Tagesordnung die Beſprechung der bevorſtehenden Reich-
rathswahlen ſteht.

Vereinsverſammlung.

Der deutſch-
fortſchrittliche Verein für Baden und Umgebung hält
Freitag, den 16. d. M., 8 Uhr abends, in Bruſatti’s
„Hotel Nagel“ eine Vereinsverſammlung ab, in
welcher über die bisherige Vereinsthätigkeit Bericht
erſtattet und die Stellungnahme zu den Reichsraths-
wahlen und zu den Candidaten überhaupt beſprochen
wird.

Sechzigjähriges Jubiläum der Badener
Kinderbewahranſtalt.

Anläſslich des heurigen
[Spaltenumbruch] 60 jährigen Gedenktages der Gründung der hieſigen
Kleinkinderbewahranſtalt hatte vorige Woche Bürger-
meiſter Zöllner als Vorſtand, Johann Schieſtl als
Verwalter der Anſtalt, die anläſslich des Jubiläums
herausgegebene Feſtſchrift und Jahresbericht der
hohen Protectorin der Anſtalt, der durchlauchtigſten
Frau Erzherzogin Maria Carolina, perſönlich über-
reicht. Die hohe Frau, welche ſich eingehend um die
Verhältniſſe der Anſtalt erkundigte, ſprach darüber
ihre Freude aus, das Jubiläum dieſer Anſtalt als
Protectorin ſelbſt mitfeiern zu können.

Unterhaltungs-Abend.

Für den
nächſten Samstag im Saale des Hotel Nagl-Bruſatti
ſtattfindenden Unterhaltungs-Abend gibt ſich bereits
das regſte Intereſſe kund und dürfte der Abend recht
animiert verlaufen. Das Comité erſucht uns, bekannt
zu geben, daſs ſpecielle Einladungen nicht verſandt
werden.

Fremdenbuch-Humor.

Es iſt eine
bekannte Thatſache, daſs der in den Fremdenbüchern
aufgeſtapelte Humor oft ſeine wunderlichſten Blüten
zeitigt. Wer hat ſich nicht ſchon an den, wenn auch
oft derben, aber doch ſo trefflichen Knütelverſen Zer-
ſtreuung verſchafft? Saß unlängſt eine hieſige Geſell-
ſchaft in einem Alpen-Gaſthof, in der unmittel-
baren Nähe der Bahnſtation, und vertrieb ſich die
Zeit bis zum Abgang des Zuges mit dem Durch-
blättern des Fremdenbuches. Meiſtens waren es poe-
tiſche Ergüſſe, welche die landſchaftliche Schönheit der
Gegend zum Gegenſtand hatten. Aber auch einige
luſtige fanden ſich darin. Zwei Scheſtern, Clara und
Helene, finden es wunderſchön ohne Bräutigam in
dieſer reizenden Gegend, denn ſie rufen:

„Wem Gott will rechte Gunſt erweiſen,
Den läſst er durch die Welten reiſen,
Doch — ohne Bräutigam!“

Dazu bemerkte ein Spottvogel:

„O, liebe Clara und Helene,
Ihr reist blos, weil ihr müſst, alleene.“

Der Mann dürfte vielleicht nicht ſo unrecht
gehabt haben. Ein anderer wieder jubelt:

„Wer nicht liebt Wein, Weib und Geſang,
Der bleibt ein Narr ſein Leben lang.“

Dies fordert einen geplagten Ehemann heraus;
er ſchrieb darunter:

„Hätteſt du meinen Äpfelwein gekannt,
Mein Weib auch dein Eigen genannt,
Wär’ dir ihr Lied in’s Ohr gedrungen,
Bei Gott, du hätteſt nicht ſo geſungen!“
Rath’ſches allg. öffentl. Kranken-
haus in Baden.

Kranken-Rapport für den Monat
October 1900. Vom Vormonate verblieben 110,
ſeither zugewachſen 103, zuſammen 213 Kranke.
Seither abgegangen 104, verbleiben Ende dieſes
Monats 109 Kranke. Die in Abgang gebrachten
104 Kranken entfallen in folgende Gruppen: Geheilt
65, gebeſſert 28, ungeheilt 0, geſtorben 11. In
unentgeltliche ambulatoriſche Behandlung kamen




[Spaltenumbruch]

Staatsanſtellung nicht abwarten konnte. Ich gieng
nach Wien, um von der Feder zu leben. Für den
Journalismus mit ſeiner fieberhaften Haſt zu pro-
ducieren, fehlte mir nicht weniger als alles, und ich
ernährte mich kümmerlich von literariſchen Arbeiten.
Dabei ſchrieb ich die „Fredegundis“ und reichte ſie
Ihnen ein. Sie ſtellten mir in Ausſicht, daſs unge-
fähr innerhalb eines Jahres eine Aufführung erfolgen
könnte. So lange hoffte ich mich halten zu können.
Als aber ein zweites Jahr vergeblichen Harrens ver-
gangen war, nahm ich eine Stelle als Privatſecretär
und Reiſebegleiter bei einem angeblichen amerikaniſchen
Nabob an, der eine Reiſe nach Italien und dem
Orient antreten wollte. In Brindiſi, wo wir uns
nach Alexandrien einſchiffen wollten, ließ mich der
Kerl ſitzen. Ich nahm meine paar Sachen und meine
geringe Barſchaft und fuhr nach Neapel. Hier lebte
ich von dem geringen Ertrage kärglich bezahlten
Privatunterrichtes, brachte es aber unter äußerſten
Entbehrungen doch ſo weit, daſs ich nach anderthalb
Jahren das Reiſegeld nach Wien zuſammen hatte.
Die Anſtrengungen und Entbehrungen aber hatten
meine Geſundheit derart geſchwächt, daſs ich in
Graz am Typhus ſchwer erkrankte und acht
Wochen dort im Spitale liegen muſste. Das hatte
meine Barſchaft aufgezehrt. Auf meinen Wunſch
ſchaffte man mich darauf nach meiner Vaterſtadt, wo
ich bei einem Bekannten meiner längſt verſtorbenen
Eltern ganz geneſen wollte. Aber ich war unvor-
ſichtig, erkältete mich und ein furchtbarer Katarrh
war die Folge — es iſt aber noch etwas zurück-
geblieben und hier“, er legte die Hand auf die
Bruſt, „iſt was caput. Als ich im Hauſe herum-
gehen durfte, ſuchte ich nach etwas Lesbarem und
fand unter alten Gartenlauben und früheren Nummern
[Spaltenumbruch] des Wochenblattes eine Zeitung mit Ihrem Aufruf,
den ſich der Alte aufbewahrt hatte. Nun hielt mich
nichts mehr. Noch ſehr ſchwach, ja noch ziemlich krank,
bat ich den Alten, mir ſofort das Reiſegeld nach
Wien zu leihen, denn ich ſelbſt beſaß ja keinen
Heller. Er gieng nach einigem Zögern darauf ein —
ich ſchrieb Ihnen die paar Zeilen, kaufte ein Billet
dritter Claſſe und fuhr los. In welcher Aufregung
ich mich befand, je näher ich der Reichshauptſtadt
kam, kann ich nicht ſchildern. — Da trat geſtern
Abend vor Mödling ein Controlor in den Wagen
und ließ ſich die Fahrkarten zeigen. Ich hatte die
meinige an meinen Hut geſteckt und dieſen neben mich
auf die Bank gelegt. Als ich ſie vorzeigen wollte,
war ſie fort — wohin ſie gekommen, wird wohl nie
aufgeklärt werden. Ich war bei Beginn der Fahrt
ein wenig eingenickt und neben mir ſaß ein ver-
dächtiges Individuum. Ich wurde ausgeſetzt und
muſste Strafe zahlen. Dadurch ſchmolz das geliehene
Geld auf achtundvierzig Heller zuſammen. Ich
kaufte mir ein Brötchen als Abendmahlzeit und
nächtigte auf einem Heuboden. Am andern Morgen
trat ich den Weg nach Wien zu Fuß an“.

„Entſetzlich! Bei dieſem Hundewetter!“

„Aber ich habe es erreicht!“ ſagte der Dichter
tief athmend. „Wenn auch faſt nackt und bloß, bin
ich doch ans Ufer gelangt — freilich — — nichts
habe ich gerettet als die mehr als fragwürdige
Kleidung und — das“.

Er zog eine wachslederne Taſche aus ſeinem
Rocke und hielt ſie dem Director entgegen.

„Das —?“

„Ja, es iſt merkwürdig genug. Dafür hat ſich
kein Liebhaber gefunden! Es enthielt meine Legiti-
mationspapiere, meine letzten Viſitkarten und das
[Spaltenumbruch] Manuſcript eines zweiten Dramas, das ich in den
Jahren der Noth und Kümmerniſſe in Wien und
Neapel ſchrieb“.

„Was?“ fuhr der Director auf, „ein zweites
Stück von Ihnen? Warum haben Sie es nirgends
eingereicht?“

Wieder jenes bittere Lächeln.

„Nach den Erfahrungen?“ und Neumeiſter ent-
nahm ein blaues Heft der Ledertaſche.

„Geben Sie, geben Sie!“ ſagte der Director
gierig, ihm das Manuſcript faſt aus der Hand
reißend. „Das leſe ich noch dieſe Nacht. Sie ſollen
nicht wieder auf einen Beſcheid warten. Und nun
kommen Sie, vielleicht nehmen Sie ein warmes Bad
und ſuchen dann Ihr Lager auf. Selbſtverſtändlich
ſind Sie hier für längere Zeit mein Gaſt“. —

Als Theobald Neumeiſter am anderen Morgen
aus bleiernem Schlafe erwachte, fand er vor ſeinem
Bette reine Leibwäſche, ein Paar Morgenſchuhe und
einen zwar getragenen, aber noch immer eleganten
Anzug, vermuthlich aus dem Garderobeſchrank des
Directors vor. Er kleidete ſich an, klingelte, und
das Mädchen brachte ihm Kaffee und einen Pack
Zeitungen. Sie meldete, der Herr Director ſei im
Theater, käme aber bald zurück.

Theobald ſetzte ſich, um zu frühſtücken. Kaum
hatte er einen Biſſen zu ſich genommen, als ſich der
qualvolle Huſten wieder einſtellte. Er fühlte ſich zum
Sterben elend. Die Glieder waren ihm bleiſchwer,
die Bruſt ſchmerzte, ein heftiger Kopfſchmerz marterte
ihn. Er griff zu den Zeitungen. In jeder war unter
„Theater und Muſik“ ein Artikel von ungefähr
20 Zeilen blau angeſtrichen. Er begann zu leſen,
legte aber bald die Blätter hohnlachend beiſeite. Der
Artikel enthielt die Mittheilung, daſs der verſchollene


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[3/0003] Nr 91. Mittwoch Badener Zeitung 14. November 1900 lebhaften Proteſt hervorgerufen. Die Herren Indu- ſtriellen lehnen nämlich dieſe Candidatur, die mit einer gewiſſen Nonchalence, um kein härteres Wort zu gebrauchen, von außen in den Bezirk getragen wurde, einſtimmig ab. Wie aus obigem hervorgeht, iſt es nicht unſere Schuld, daſs die Notiz in dieſer Form erſchien; wir waren nur eben loyal genug, auch die unſerem Manne entgegenſtehende Candidatur den Leſern unſeres Blattes zur Kenntnis zu bringen, ohne zu dieſer Zeit noch zu wiſſen, daſs damit ein agitatoriſcher Zweck verfolgt wurde, darauf hinzielend, die Wähler zu verwirren und vielleicht einerſeits gegen die Induſtriellen aufzubringen, andererſeits vielleicht doch für den genannten Herrn zu captivieren. Es war aber vielleicht ganz gut, daſs die Anpreiſung des Herrn Raunig in dieſer plumpen Form, von der man ja in eingeweihten Kreiſen wiſſen muſste, daſs ſie ſofort die ſchärfſte Zurückweiſung erfahren werde, erfolgte. Wir kennen jetzt wenigſtens den ſonderbaren Candidaten, ja noch mehr, wir wiſſen, weſs’ Protege er iſt. Das erhellte zu allererſt aus einer Anpreiſung in der „Deutſchen Zeitung“, welche am ſelben Tage erfolgte, als wir die Notiz über Herrn Raunig brachten. Dieſes Blatt iſt bekanntlich das Leiborgan des Herrn Dr. Lueger und damit iſt eigentlich ſchon alles geſagt. Die „Oſtdeutſche Rund- ſchau“ ſchreibt in ihrer Abendausgabe desſelben Tages (10. November): „Die in chriſtlichſocialen und jüdi- ſchen Zeitungen mitgetheilte Bewerbung des Ingenieurs Raunig aus Wien, der über Betreiben der Groß- induſtriellen, beſonders Krupp’s, im Städtebezirke Baden—Mödling—Bruck aufgeſtellt wurde, haben die Induſtriellen Mödlings einſtimmig abgelehnt; dieſelben erklärten, nur für Marchet einzutreten. Die „Deutſche Zeitung“, welche ſich für Raunig ſo ſtark begeiſterte, hat dieſe einſtimmige Ablehnung Raunig’s der übrigens von Dr. Lueger begünſtigt worden ſein ſoll, auf ihrem Gewiſſen, denn ihre Lobeshymne auf Raunig hat alle nicht chriſtlichſocialen Elemente ſofort ſtutzig gemacht.“ Wir erfahren alſo, daſs beſonders Herr Krupp aus Berndorf ſich für Herrn Raunig einſetzt, und nachdem dieſer Herr bei ſeinen bisherigen perſönlichen Vorſtellungen, welche ſtets unter der treuen Begleitung eines in Baden wohl bekannten Fabrikanten aus Hirtenberg erfolgen, mit einer gewiſſen Abſicht auf den ihm zur Verfügung ſtehenden Agitationsfond hinweist, — er ſcheut ſich auch gar nicht, die Höhe des Betrages zu nennen, der hinreichen würde, um ſich in Baden ſchon eine ganz annehm- bare Villa zu kaufen, — ſo haben wir keine Urſache, daran zu zweifeln, daſs Herr Krupp wirklich der Protege dieſes Herrn iſt und die Wahl Raunig’s ſo gewiſſermaßen als eine Sportſache betrachtet, die man einfach mit Geld abthun kann. Es iſt recht eigen- thümlich, daſs da mit ſolchen Waffen gekämpft wird und wir hätten nicht geglaubt, daſs wir in einer Zeit, wo alle Freunde der wirtſchaftlichen Entwicklung einig zuſammenſtehen ſollten, auf ein ſolches Hinder- nis ſtoßen. Geld iſt eine ſchöne Sache; aber es iſt denn doch nicht ganz egal, ob man ſich ein Ab- geordnetenmandat kaufen will oder ein Rennpferd um 30.000 fl. Man wird ſich auch bald überzeugen, daſs in dieſem Falle der Wille des Volkes ſtärker iſt, als die Laune eines Einzelnen. Herr Raunig dürfte ſich heute der Hoffnung, gewählt zu werden, vielleicht ſchon langſam zu entſchlagen beginnen. Local-Nachrichten. — Kirchengeſang. Donnerstag, den 15. d. M., am Feſte des hl. Leopold, wird in der k. k. Hof- kirche (Frauengaſſe) um 11 Uhr Fräulein Joſeſine Matouſek das Offertorium „O Deus, amo te“ von Heinrich Proch zum Vortrage bringen. Die Orgel ſpielt Frau Ottilie Göllinger. — Beſuch der Gräfin Lonyay. Verfloſſenen Sonntag iſt hier Ihre königliche Hoheit Frau Gräfin Lonyay mit dem Poſtzuge aus Wien vormittag angekommen und ſtattete dem Herrn Erzherzog Rainer und deſſen Gemahlin einen Beſuch ab. — Nachmittag um 2 Uhr 40 Minuten fuhr Frau Gräfin Lonyay mit dem Localzuge nach Wien zurück. — Hochherzige Spende. Der Großinduſtrielle Herr David Ritter von Gutmann hat anläſslich des Ablebens ſeines einzigen hier verſtorbenen Sohnes Dr. Ludwig von Gutmann den Betrag von 30.000 Kronen zum Tempelbau der israelitiſchen Cultus- gemeinde in Baden geſpendet. — Perſonalnachricht. Der Statthalterei- Concepts-Praktikant Leo Gaſch wurde der hieſigen Bezirkshauptmannſchaft zur Dienſtleiſtung zugewieſen. — Neuregelung der Sperrſtunde in Weikersdorf. Der Bezirkshauptmann Graf Lippe hat auf Grund der Ermächtigung der n.-ö. Statt- halterei vom 15. October l. J. die Sperrſtunde für die in die Kategorie der Gaſthäuſer fallenden Gaſt- und Schankgewerbebetriebe im Gemeindegebiete Weikersdorf mit 1 Uhr morgens für das ganze Jahr feſtgeſetzt. Die Verordnung tritt ſofort in Kraft. — Wählerverſammlung. Die hieſige ſocial-demokratiſche Parteileitung beruft für Samstag, den 17. November, in Kolbe’s Hotel (Waſſergaſſe 35) eine öffentliche Wählerverſammlung ein, auf deren Tagesordnung die Beſprechung der bevorſtehenden Reich- rathswahlen ſteht. — Vereinsverſammlung. Der deutſch- fortſchrittliche Verein für Baden und Umgebung hält Freitag, den 16. d. M., 8 Uhr abends, in Bruſatti’s „Hotel Nagel“ eine Vereinsverſammlung ab, in welcher über die bisherige Vereinsthätigkeit Bericht erſtattet und die Stellungnahme zu den Reichsraths- wahlen und zu den Candidaten überhaupt beſprochen wird. — Sechzigjähriges Jubiläum der Badener Kinderbewahranſtalt. Anläſslich des heurigen 60 jährigen Gedenktages der Gründung der hieſigen Kleinkinderbewahranſtalt hatte vorige Woche Bürger- meiſter Zöllner als Vorſtand, Johann Schieſtl als Verwalter der Anſtalt, die anläſslich des Jubiläums herausgegebene Feſtſchrift und Jahresbericht der hohen Protectorin der Anſtalt, der durchlauchtigſten Frau Erzherzogin Maria Carolina, perſönlich über- reicht. Die hohe Frau, welche ſich eingehend um die Verhältniſſe der Anſtalt erkundigte, ſprach darüber ihre Freude aus, das Jubiläum dieſer Anſtalt als Protectorin ſelbſt mitfeiern zu können. — Unterhaltungs-Abend. Für den nächſten Samstag im Saale des Hotel Nagl-Bruſatti ſtattfindenden Unterhaltungs-Abend gibt ſich bereits das regſte Intereſſe kund und dürfte der Abend recht animiert verlaufen. Das Comité erſucht uns, bekannt zu geben, daſs ſpecielle Einladungen nicht verſandt werden. — Fremdenbuch-Humor. Es iſt eine bekannte Thatſache, daſs der in den Fremdenbüchern aufgeſtapelte Humor oft ſeine wunderlichſten Blüten zeitigt. Wer hat ſich nicht ſchon an den, wenn auch oft derben, aber doch ſo trefflichen Knütelverſen Zer- ſtreuung verſchafft? Saß unlängſt eine hieſige Geſell- ſchaft in einem Alpen-Gaſthof, in der unmittel- baren Nähe der Bahnſtation, und vertrieb ſich die Zeit bis zum Abgang des Zuges mit dem Durch- blättern des Fremdenbuches. Meiſtens waren es poe- tiſche Ergüſſe, welche die landſchaftliche Schönheit der Gegend zum Gegenſtand hatten. Aber auch einige luſtige fanden ſich darin. Zwei Scheſtern, Clara und Helene, finden es wunderſchön ohne Bräutigam in dieſer reizenden Gegend, denn ſie rufen: „Wem Gott will rechte Gunſt erweiſen, Den läſst er durch die Welten reiſen, Doch — ohne Bräutigam!“ Dazu bemerkte ein Spottvogel: „O, liebe Clara und Helene, Ihr reist blos, weil ihr müſst, alleene.“ Der Mann dürfte vielleicht nicht ſo unrecht gehabt haben. Ein anderer wieder jubelt: „Wer nicht liebt Wein, Weib und Geſang, Der bleibt ein Narr ſein Leben lang.“ Dies fordert einen geplagten Ehemann heraus; er ſchrieb darunter: „Hätteſt du meinen Äpfelwein gekannt, Mein Weib auch dein Eigen genannt, Wär’ dir ihr Lied in’s Ohr gedrungen, Bei Gott, du hätteſt nicht ſo geſungen!“ — Rath’ſches allg. öffentl. Kranken- haus in Baden. Kranken-Rapport für den Monat October 1900. Vom Vormonate verblieben 110, ſeither zugewachſen 103, zuſammen 213 Kranke. Seither abgegangen 104, verbleiben Ende dieſes Monats 109 Kranke. Die in Abgang gebrachten 104 Kranken entfallen in folgende Gruppen: Geheilt 65, gebeſſert 28, ungeheilt 0, geſtorben 11. In unentgeltliche ambulatoriſche Behandlung kamen Staatsanſtellung nicht abwarten konnte. Ich gieng nach Wien, um von der Feder zu leben. Für den Journalismus mit ſeiner fieberhaften Haſt zu pro- ducieren, fehlte mir nicht weniger als alles, und ich ernährte mich kümmerlich von literariſchen Arbeiten. Dabei ſchrieb ich die „Fredegundis“ und reichte ſie Ihnen ein. Sie ſtellten mir in Ausſicht, daſs unge- fähr innerhalb eines Jahres eine Aufführung erfolgen könnte. So lange hoffte ich mich halten zu können. Als aber ein zweites Jahr vergeblichen Harrens ver- gangen war, nahm ich eine Stelle als Privatſecretär und Reiſebegleiter bei einem angeblichen amerikaniſchen Nabob an, der eine Reiſe nach Italien und dem Orient antreten wollte. In Brindiſi, wo wir uns nach Alexandrien einſchiffen wollten, ließ mich der Kerl ſitzen. Ich nahm meine paar Sachen und meine geringe Barſchaft und fuhr nach Neapel. Hier lebte ich von dem geringen Ertrage kärglich bezahlten Privatunterrichtes, brachte es aber unter äußerſten Entbehrungen doch ſo weit, daſs ich nach anderthalb Jahren das Reiſegeld nach Wien zuſammen hatte. Die Anſtrengungen und Entbehrungen aber hatten meine Geſundheit derart geſchwächt, daſs ich in Graz am Typhus ſchwer erkrankte und acht Wochen dort im Spitale liegen muſste. Das hatte meine Barſchaft aufgezehrt. Auf meinen Wunſch ſchaffte man mich darauf nach meiner Vaterſtadt, wo ich bei einem Bekannten meiner längſt verſtorbenen Eltern ganz geneſen wollte. Aber ich war unvor- ſichtig, erkältete mich und ein furchtbarer Katarrh war die Folge — es iſt aber noch etwas zurück- geblieben und hier“, er legte die Hand auf die Bruſt, „iſt was caput. Als ich im Hauſe herum- gehen durfte, ſuchte ich nach etwas Lesbarem und fand unter alten Gartenlauben und früheren Nummern des Wochenblattes eine Zeitung mit Ihrem Aufruf, den ſich der Alte aufbewahrt hatte. Nun hielt mich nichts mehr. Noch ſehr ſchwach, ja noch ziemlich krank, bat ich den Alten, mir ſofort das Reiſegeld nach Wien zu leihen, denn ich ſelbſt beſaß ja keinen Heller. Er gieng nach einigem Zögern darauf ein — ich ſchrieb Ihnen die paar Zeilen, kaufte ein Billet dritter Claſſe und fuhr los. In welcher Aufregung ich mich befand, je näher ich der Reichshauptſtadt kam, kann ich nicht ſchildern. — Da trat geſtern Abend vor Mödling ein Controlor in den Wagen und ließ ſich die Fahrkarten zeigen. Ich hatte die meinige an meinen Hut geſteckt und dieſen neben mich auf die Bank gelegt. Als ich ſie vorzeigen wollte, war ſie fort — wohin ſie gekommen, wird wohl nie aufgeklärt werden. Ich war bei Beginn der Fahrt ein wenig eingenickt und neben mir ſaß ein ver- dächtiges Individuum. Ich wurde ausgeſetzt und muſste Strafe zahlen. Dadurch ſchmolz das geliehene Geld auf achtundvierzig Heller zuſammen. Ich kaufte mir ein Brötchen als Abendmahlzeit und nächtigte auf einem Heuboden. Am andern Morgen trat ich den Weg nach Wien zu Fuß an“. „Entſetzlich! Bei dieſem Hundewetter!“ „Aber ich habe es erreicht!“ ſagte der Dichter tief athmend. „Wenn auch faſt nackt und bloß, bin ich doch ans Ufer gelangt — freilich — — nichts habe ich gerettet als die mehr als fragwürdige Kleidung und — das“. Er zog eine wachslederne Taſche aus ſeinem Rocke und hielt ſie dem Director entgegen. „Das —?“ „Ja, es iſt merkwürdig genug. Dafür hat ſich kein Liebhaber gefunden! Es enthielt meine Legiti- mationspapiere, meine letzten Viſitkarten und das Manuſcript eines zweiten Dramas, das ich in den Jahren der Noth und Kümmerniſſe in Wien und Neapel ſchrieb“. „Was?“ fuhr der Director auf, „ein zweites Stück von Ihnen? Warum haben Sie es nirgends eingereicht?“ Wieder jenes bittere Lächeln. „Nach den Erfahrungen?“ und Neumeiſter ent- nahm ein blaues Heft der Ledertaſche. „Geben Sie, geben Sie!“ ſagte der Director gierig, ihm das Manuſcript faſt aus der Hand reißend. „Das leſe ich noch dieſe Nacht. Sie ſollen nicht wieder auf einen Beſcheid warten. Und nun kommen Sie, vielleicht nehmen Sie ein warmes Bad und ſuchen dann Ihr Lager auf. Selbſtverſtändlich ſind Sie hier für längere Zeit mein Gaſt“. — Als Theobald Neumeiſter am anderen Morgen aus bleiernem Schlafe erwachte, fand er vor ſeinem Bette reine Leibwäſche, ein Paar Morgenſchuhe und einen zwar getragenen, aber noch immer eleganten Anzug, vermuthlich aus dem Garderobeſchrank des Directors vor. Er kleidete ſich an, klingelte, und das Mädchen brachte ihm Kaffee und einen Pack Zeitungen. Sie meldete, der Herr Director ſei im Theater, käme aber bald zurück. Theobald ſetzte ſich, um zu frühſtücken. Kaum hatte er einen Biſſen zu ſich genommen, als ſich der qualvolle Huſten wieder einſtellte. Er fühlte ſich zum Sterben elend. Die Glieder waren ihm bleiſchwer, die Bruſt ſchmerzte, ein heftiger Kopfſchmerz marterte ihn. Er griff zu den Zeitungen. In jeder war unter „Theater und Muſik“ ein Artikel von ungefähr 20 Zeilen blau angeſtrichen. Er begann zu leſen, legte aber bald die Blätter hohnlachend beiſeite. Der Artikel enthielt die Mittheilung, daſs der verſchollene

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 91, Baden (Niederösterreich), 14.11.1900, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener091_1900/3>, abgerufen am 28.03.2024.