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Die Bayerische Presse. Nr. 211. Würzburg, 3. September 1850.

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Die Bayerische Presse.

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Abonnement:
Ganzjährig 6 fl.
Halbjährig 3 fl.
Vierteljährig 1 fl. 30 kr.
Monatlich für die Stadt 30 kr.

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Eine constitutionell-monarchische Zeitung.

[Spaltenumbruch]

Expedition: Jm Schenkhofe 2. Distr.
Nr. 533.

Einrückungsgebühr: die gespaltene Pe-
titzeile oder deren Raum 3 kr. Briefe
und Gelder frei.

[Ende Spaltensatz]

Nr. 211.
Würzburg, Dinstag den 3. September. 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Amtliche Nachrichten.

München, 1. Sept. Se. Maj. der König
haben durch allerhöchste Entschließung dd. Hohen-
schwangau den 28. August den Generallieutenant
und Generalkapitän der Leibgarde der Hartschiere,
Christian Frhr. v. Zweybrücken, zum General der
Kavallerie, unter Belassung in seiner bisherigen
dienstlichen Stellung und seiner dermaligen Bezüge,
allergnädigst zu befördern geruht.



Allgemeines Wahlrecht und Chri-
stenthum.

Neuerdings hört man diese Zwei hänfig zu-
sammen nennen, und es wird sich von einem
Theile Derjenigen, in deren politischer Anschau-
ung das allgemeine Wahlrecht eine der obersten
Stellen einnimmt, auf die Verwandtschaft ihrer
Forderungen mit dem Christenthume, als einer
Religion der Freiheit, Gleichheit und Brüderlich-
keit bezogen. Zwar liegt es auf der Hand, daß
von Manchen diese Behauptung blos vorgebracht
wird, um damit ihre politischen Ansichten dem
christlichen Volke zu empfehlen und mundgerecht
zu machen; es sind dies Diejenigen, die sonst
und für sich selbst von Religion und Kirche gar
nichts oder wenig genug wollen, und sie nur eben
gelegentlich zu ihren Parteizwecken gebrauchen.
Jn diesem Falle gehört die Behauptung, daß das
allgemeine Wahlrecht eine Forderung des Chri-
stenthums sei, zu dem leichtfertigen Demagogen-
geschwätz, worüber man weiter kein Wort verlie-
ren darf. Jndessen gibt es auch Andere, denen
es damit ernst ist und die nun einmal das Chri-
stenthum gerade von der Seite her, daß es eine
Religion der Freiheit und Gleichberechtigung Aller
sei, schätzen; und um dieser Willen darf man
die Frage nicht so ohne Weiteres von sich weisen,
und um so weniger, als bei einer genauen Un-
tersuchung überhaupt die Berührungs= wie die
Abstoßungspunkte zwischen Religion und politi-
scher Freiheit sich ins Licht stellen müssen. Be-
trachten wir die Frage zuerst von der geschichtli-
chen Seite, so kann die Antwort schwerlich zu
Gunsten Derjenigen ausfallen, welche das allge-
meine Wahlrecht auf das Christenthum basiren
wollen. Will man, ganz abgesehen von der un-
abänderlich gegebenen monarchischen Verfassung
der katholischen Kirche, die Verfassungsformen der
aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen
in Betracht nehmen, so schließt in der lutheri-
schen Kirche das landesherrliche Episcopat und
die ganze Stellung der Geistlichen in den Ge-
meinden abermals jenes demokratische Princip
aus, und auch die reformirte Kirchenverfassung
kann nur bei oberflächlicher Betrachtung eine de-
mokratische genannt werden. Die Gesellschafts-
verfassungen der geschichtlichen Kirchen geben keine
oder nur eine scheinbare Analogie für die poli-
tische Wahlreform des demokratischen Princips.
Dagegen allerdings die s. g. freien Gemeinden
und die Deutschkatholischen haben dieses Princip
sich zu eigen gemacht. Allein diese sind von so
neuem Datum und großentheils in sich selbst noch
so ungewiß, ob und wie viel Christenthum sie
sich aneignen wollen, und es ist noch so wenig
[Spaltenumbruch] möglich, einen Kern der Lehre bei ihnen zu fin-
den, an welchen man eine definitive Verfassungs-
form anschließen könnte, daß man von ihnen aus
keinen Schluß zu machen vermag. Sieht man
aber ferner bei der geschichtlichen Betrachtung auf
die Art und Weise, wie sich das Christenthum
zu den politischen Verfassungsformen der Völker,
bei welchen es Eingang fand, gestellt habe, so
muß man, wenn man unbefangen urtheilt, ge-
stehen, daß es unmittelbar dieselben nirgends be-
rührt oder geändert, sondern unter allen Formen
sich zurecht gefunden hat. Es gehört zu der Uni-
versalität des Christenthums, daß es, wie unter
jedem Klima, so unter jeder Verfassungsform be-
steht und gedeiht, und es ist ebenso ein Unrecht,
wenn dasselbe monarchisch und aristokratisch, als
wenn man es republikanisch und demokratisch nennt, um
irgend eine politische Verfassungsform damit zu decken.
Jndessen bleibt Denjenigen, welche nun ein-
mal die demokratischen Principien mit dem Chri-
stenthume in ausschließlicher Verwandtschaft ha-
ben wollen, allerdings die Jnstanz, daß sie von
den geschichtlichen Erscheinungen des Christenthums
weg und auf dessen Wesen und Grund verwei-
sen. Ja, ihre Klage ist eben die, daß das Chri-
stenthum bis jetzt noch nicht recht verstanden sei,
und ihre Forderung, daß es mit allen seinen
Consequenzen auch ins politische Leben eingeführt
werden müsse. Um hier nun recht zu sehen, muß
man nothwendig auf die Urkunden des Christen-
thumes zurückgehen. Jn diesen Urkunden wird
allerdings in gewissem Sinne Gleichheit aller
Menschen gepredigt. Es ist hier kein Unterschied,
ruft Paulus, sie sind allzumal Sünder. Gott
siehet die Person nicht an, bezeugt Petrus. Jn
Beziehung auf den Stand der Seelen vor Gott
kennt das Evangelium keinen Unterschied: alle
sind gleich hilfsbedürftig und gleich berufen zum
Heile. Ferner predigt das Evangelium auf's
Entschiedenste die Bruderliebe unter Christen,
vor welcher auch die schroffsten gesellschaftlichen
Unterschiede verschwinden sollen. Desgleichen ist
die Schrift weit entfernt, irgend wem in der
menschlichen Gesellschaft ein Recht zuzuerkennen,
daß er seine gewalt über Andere, zu deren
Nachtheil und Bedrückung ausübe. "Jhr Her-
ren, was recht und gleich ist, das beweist den
Knechten!" -- Aber von politischer und socialer
Gleichmacherei, von der modernen Nivellirung
weiß die Schrift nichts. Jm Gegentheile will
sie zwar den Unterschied durch die Liebe ausge-
glichen, nicht aber denselben gesetzlich ausgewischt
wissen. Berufsart und Begabung sind der Schrift
göttlich geordnete Unterscheidungen unter den
Menschen, und daher muß man ihr und dem
Christenthume Gewalt anthun, wenn man sie zu
Zeugen für eine politische Gleichberechtigung aller
Einzelnen pressen will. Jene mechanische Gleich-
heit und Brüderlichkeit, wie sie das demokratische
Prinzip unserer Tage in der Politik verlangt,
liegt entschieden nicht in den Grundanschauungen
und Forderungen des Christenthumes. Es will
zwar, daß Alle einander dienen mit der Gabe,
die sie empfangen haben, eingedenk, daß sie Got-
tes Haushalter und nicht eigenmächtige Selbst-
herren sind, aber es will nicht die Gaben gleich
vertheilt haben; es sieht das Christenthum die
[Spaltenumbruch] verschiedenen Aemter allerdings an als eingesetzt
zum allgemeinen Besten, aber daraus folgt nicht,
daß alles Amt und Gewalt von der Menge aus-
gehen, noch daß Jeder gleichberechtigt sein müßte.
Die Brüderlichkeit des Christenthumes ist mit
Einem Worte eine Pflicht, aber nicht ein Recht,
und es gehen in der christlichen Sittenlehre die
Pflichten über die Rechte hinaus. Darin besteht
eben die Unwahrheit einer christlich gefärbten De-
magogie, daß sie mit bewußter oder unbewußter
Sophistik Sätze, die dem Gebiete der Pflicht an-
gehören, ihrem natürlichen Boden entreißt und zu
Rechtssätzen umwandelt. Auf dem Boden des
Christenthumes aber wird man sich nicht anders
entschließen können, dem demokratischen Principe
und seinen Folgerungen recht zu geben, als bis
bewiesen ist, daß jenes Princip in seiner Durch-
führung wirklich eine solche politische Verfassung
erzeugt, bei welcher das sittliche und physische
Wohl des Volkes mehr als bei einer anderen
gefördert wird. Und hiermit ist die eigentlich
weit wichtigere Seite der vorliegenden Frage be-
zeichnet; es fragt sich nicht sowohl, ob das Chri-
stenthum der Demokratie, als vielmehr ob die
Demokratie dem Christenthume dient und hilft,
oder nicht? Diejenigen, welche dies bejahen,
gehen von dem Gedanken aus, daß die politische
Freiheit ein sittliches Bildungsmittel sei, die Un-
freiheit aber demoralifirend wirke. Es liegt eine
Wahrheit in diesem Satze, aber in seiner Allge-
meinheit hingestellt, ist er unrichtig und verwir-
rend. Jedenfalls muß man zugeben, daß es
Altersstufen und Lagen bei den Einzelnen gibt,
wo im Gegentheile Freiheit demoralifirt, Unfrei-
heit rettet. Kinder und Kindischgewordene ertra-
gen nicht die volle Freiheit der Mündigen; und
so gibt es auch Stufen und Lagen der Völker
nach Verstandesbildung, Gesittung und Natur-
kraft, wo ihnen eine ausgedehnte Freiheit sittlich
und ökonomisch schadet, eine angemessene Gebun-
denheit aber ihre Reife befördert. Die Frage,
welche wir oben aufgestellt haben, reducirt sich
bei einem richtigen Begriffe der Freiheit auf die
andere: ob das allgemeine Wahlrecht den sittli-
chen und intellectuellen Kräften des Volkes pro-
portionirt sei? Die Antwort hierauf kann nur die
Erfahrung und ein unbefangener Blick in die
Volkszustände geben. Wer diesen zu thun im
Stande ist, der muß nun bekennen, daß,
was die Sittlichkeit betrifft, hierin zwischen
höheren und niederen Ständen ein wesent-
licher Unterschied in der That nicht stattfindet. Es
findet zwischen den höheren und niederen Volks-
schichten gemeiniglich nur der Unterschied statt,
daß das Laster bei dem einen Theile roher, beim
anderen civilifirter und vorsichtiger sich benimmt,
wiewohl auch dies nur mit Einschränkung zu ver-
stehen ist, besonders seit die Geschichte der letzten
zwei Jahre gelehrt hat, wie gerade von Menschen
aus den sogenannten gebildeten Classen Rohheit
und Frivolität in hohem Maße an den Tag ge-
legt und durch sie unter der Menge verbreitet
worden ist. Will man daher blos die Sittlich-
keit als Privattugend in Betracht ziehen, so wird
man zugeben müßen, daß ein armer Taglöhner
zur Ausübung des politischen Wahlrechtes nicht
geringer befähigt und berechtigt sein kann, als ein

Die Bayerische Presse.

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Amtliche Nachrichten.

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haben durch allerhöchste Entschließung dd. Hohen-
schwangau den 28. August den Generallieutenant
und Generalkapitän der Leibgarde der Hartschiere,
Christian Frhr. v. Zweybrücken, zum General der
Kavallerie, unter Belassung in seiner bisherigen
dienstlichen Stellung und seiner dermaligen Bezüge,
allergnädigst zu befördern geruht.



Allgemeines Wahlrecht und Chri-
stenthum.

Neuerdings hört man diese Zwei hänfig zu-
sammen nennen, und es wird sich von einem
Theile Derjenigen, in deren politischer Anschau-
ung das allgemeine Wahlrecht eine der obersten
Stellen einnimmt, auf die Verwandtschaft ihrer
Forderungen mit dem Christenthume, als einer
Religion der Freiheit, Gleichheit und Brüderlich-
keit bezogen. Zwar liegt es auf der Hand, daß
von Manchen diese Behauptung blos vorgebracht
wird, um damit ihre politischen Ansichten dem
christlichen Volke zu empfehlen und mundgerecht
zu machen; es sind dies Diejenigen, die sonst
und für sich selbst von Religion und Kirche gar
nichts oder wenig genug wollen, und sie nur eben
gelegentlich zu ihren Parteizwecken gebrauchen.
Jn diesem Falle gehört die Behauptung, daß das
allgemeine Wahlrecht eine Forderung des Chri-
stenthums sei, zu dem leichtfertigen Demagogen-
geschwätz, worüber man weiter kein Wort verlie-
ren darf. Jndessen gibt es auch Andere, denen
es damit ernst ist und die nun einmal das Chri-
stenthum gerade von der Seite her, daß es eine
Religion der Freiheit und Gleichberechtigung Aller
sei, schätzen; und um dieser Willen darf man
die Frage nicht so ohne Weiteres von sich weisen,
und um so weniger, als bei einer genauen Un-
tersuchung überhaupt die Berührungs= wie die
Abstoßungspunkte zwischen Religion und politi-
scher Freiheit sich ins Licht stellen müssen. Be-
trachten wir die Frage zuerst von der geschichtli-
chen Seite, so kann die Antwort schwerlich zu
Gunsten Derjenigen ausfallen, welche das allge-
meine Wahlrecht auf das Christenthum basiren
wollen. Will man, ganz abgesehen von der un-
abänderlich gegebenen monarchischen Verfassung
der katholischen Kirche, die Verfassungsformen der
aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen
in Betracht nehmen, so schließt in der lutheri-
schen Kirche das landesherrliche Episcopat und
die ganze Stellung der Geistlichen in den Ge-
meinden abermals jenes demokratische Princip
aus, und auch die reformirte Kirchenverfassung
kann nur bei oberflächlicher Betrachtung eine de-
mokratische genannt werden. Die Gesellschafts-
verfassungen der geschichtlichen Kirchen geben keine
oder nur eine scheinbare Analogie für die poli-
tische Wahlreform des demokratischen Princips.
Dagegen allerdings die s. g. freien Gemeinden
und die Deutschkatholischen haben dieses Princip
sich zu eigen gemacht. Allein diese sind von so
neuem Datum und großentheils in sich selbst noch
so ungewiß, ob und wie viel Christenthum sie
sich aneignen wollen, und es ist noch so wenig
[Spaltenumbruch] möglich, einen Kern der Lehre bei ihnen zu fin-
den, an welchen man eine definitive Verfassungs-
form anschließen könnte, daß man von ihnen aus
keinen Schluß zu machen vermag. Sieht man
aber ferner bei der geschichtlichen Betrachtung auf
die Art und Weise, wie sich das Christenthum
zu den politischen Verfassungsformen der Völker,
bei welchen es Eingang fand, gestellt habe, so
muß man, wenn man unbefangen urtheilt, ge-
stehen, daß es unmittelbar dieselben nirgends be-
rührt oder geändert, sondern unter allen Formen
sich zurecht gefunden hat. Es gehört zu der Uni-
versalität des Christenthums, daß es, wie unter
jedem Klima, so unter jeder Verfassungsform be-
steht und gedeiht, und es ist ebenso ein Unrecht,
wenn dasselbe monarchisch und aristokratisch, als
wenn man es republikanisch und demokratisch nennt, um
irgend eine politische Verfassungsform damit zu decken.
Jndessen bleibt Denjenigen, welche nun ein-
mal die demokratischen Principien mit dem Chri-
stenthume in ausschließlicher Verwandtschaft ha-
ben wollen, allerdings die Jnstanz, daß sie von
den geschichtlichen Erscheinungen des Christenthums
weg und auf dessen Wesen und Grund verwei-
sen. Ja, ihre Klage ist eben die, daß das Chri-
stenthum bis jetzt noch nicht recht verstanden sei,
und ihre Forderung, daß es mit allen seinen
Consequenzen auch ins politische Leben eingeführt
werden müsse. Um hier nun recht zu sehen, muß
man nothwendig auf die Urkunden des Christen-
thumes zurückgehen. Jn diesen Urkunden wird
allerdings in gewissem Sinne Gleichheit aller
Menschen gepredigt. Es ist hier kein Unterschied,
ruft Paulus, sie sind allzumal Sünder. Gott
siehet die Person nicht an, bezeugt Petrus. Jn
Beziehung auf den Stand der Seelen vor Gott
kennt das Evangelium keinen Unterschied: alle
sind gleich hilfsbedürftig und gleich berufen zum
Heile. Ferner predigt das Evangelium auf's
Entschiedenste die Bruderliebe unter Christen,
vor welcher auch die schroffsten gesellschaftlichen
Unterschiede verschwinden sollen. Desgleichen ist
die Schrift weit entfernt, irgend wem in der
menschlichen Gesellschaft ein Recht zuzuerkennen,
daß er seine gewalt über Andere, zu deren
Nachtheil und Bedrückung ausübe. „Jhr Her-
ren, was recht und gleich ist, das beweist den
Knechten!“ -- Aber von politischer und socialer
Gleichmacherei, von der modernen Nivellirung
weiß die Schrift nichts. Jm Gegentheile will
sie zwar den Unterschied durch die Liebe ausge-
glichen, nicht aber denselben gesetzlich ausgewischt
wissen. Berufsart und Begabung sind der Schrift
göttlich geordnete Unterscheidungen unter den
Menschen, und daher muß man ihr und dem
Christenthume Gewalt anthun, wenn man sie zu
Zeugen für eine politische Gleichberechtigung aller
Einzelnen pressen will. Jene mechanische Gleich-
heit und Brüderlichkeit, wie sie das demokratische
Prinzip unserer Tage in der Politik verlangt,
liegt entschieden nicht in den Grundanschauungen
und Forderungen des Christenthumes. Es will
zwar, daß Alle einander dienen mit der Gabe,
die sie empfangen haben, eingedenk, daß sie Got-
tes Haushalter und nicht eigenmächtige Selbst-
herren sind, aber es will nicht die Gaben gleich
vertheilt haben; es sieht das Christenthum die
[Spaltenumbruch] verschiedenen Aemter allerdings an als eingesetzt
zum allgemeinen Besten, aber daraus folgt nicht,
daß alles Amt und Gewalt von der Menge aus-
gehen, noch daß Jeder gleichberechtigt sein müßte.
Die Brüderlichkeit des Christenthumes ist mit
Einem Worte eine Pflicht, aber nicht ein Recht,
und es gehen in der christlichen Sittenlehre die
Pflichten über die Rechte hinaus. Darin besteht
eben die Unwahrheit einer christlich gefärbten De-
magogie, daß sie mit bewußter oder unbewußter
Sophistik Sätze, die dem Gebiete der Pflicht an-
gehören, ihrem natürlichen Boden entreißt und zu
Rechtssätzen umwandelt. Auf dem Boden des
Christenthumes aber wird man sich nicht anders
entschließen können, dem demokratischen Principe
und seinen Folgerungen recht zu geben, als bis
bewiesen ist, daß jenes Princip in seiner Durch-
führung wirklich eine solche politische Verfassung
erzeugt, bei welcher das sittliche und physische
Wohl des Volkes mehr als bei einer anderen
gefördert wird. Und hiermit ist die eigentlich
weit wichtigere Seite der vorliegenden Frage be-
zeichnet; es fragt sich nicht sowohl, ob das Chri-
stenthum der Demokratie, als vielmehr ob die
Demokratie dem Christenthume dient und hilft,
oder nicht? Diejenigen, welche dies bejahen,
gehen von dem Gedanken aus, daß die politische
Freiheit ein sittliches Bildungsmittel sei, die Un-
freiheit aber demoralifirend wirke. Es liegt eine
Wahrheit in diesem Satze, aber in seiner Allge-
meinheit hingestellt, ist er unrichtig und verwir-
rend. Jedenfalls muß man zugeben, daß es
Altersstufen und Lagen bei den Einzelnen gibt,
wo im Gegentheile Freiheit demoralifirt, Unfrei-
heit rettet. Kinder und Kindischgewordene ertra-
gen nicht die volle Freiheit der Mündigen; und
so gibt es auch Stufen und Lagen der Völker
nach Verstandesbildung, Gesittung und Natur-
kraft, wo ihnen eine ausgedehnte Freiheit sittlich
und ökonomisch schadet, eine angemessene Gebun-
denheit aber ihre Reife befördert. Die Frage,
welche wir oben aufgestellt haben, reducirt sich
bei einem richtigen Begriffe der Freiheit auf die
andere: ob das allgemeine Wahlrecht den sittli-
chen und intellectuellen Kräften des Volkes pro-
portionirt sei? Die Antwort hierauf kann nur die
Erfahrung und ein unbefangener Blick in die
Volkszustände geben. Wer diesen zu thun im
Stande ist, der muß nun bekennen, daß,
was die Sittlichkeit betrifft, hierin zwischen
höheren und niederen Ständen ein wesent-
licher Unterschied in der That nicht stattfindet. Es
findet zwischen den höheren und niederen Volks-
schichten gemeiniglich nur der Unterschied statt,
daß das Laster bei dem einen Theile roher, beim
anderen civilifirter und vorsichtiger sich benimmt,
wiewohl auch dies nur mit Einschränkung zu ver-
stehen ist, besonders seit die Geschichte der letzten
zwei Jahre gelehrt hat, wie gerade von Menschen
aus den sogenannten gebildeten Classen Rohheit
und Frivolität in hohem Maße an den Tag ge-
legt und durch sie unter der Menge verbreitet
worden ist. Will man daher blos die Sittlich-
keit als Privattugend in Betracht ziehen, so wird
man zugeben müßen, daß ein armer Taglöhner
zur Ausübung des politischen Wahlrechtes nicht
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[0001] Die Bayerische Presse. Abonnement: Ganzjährig 6 fl. Halbjährig 3 fl. Vierteljährig 1 fl. 30 kr. Monatlich für die Stadt 30 kr. Eine constitutionell-monarchische Zeitung. Expedition: Jm Schenkhofe 2. Distr. Nr. 533. Einrückungsgebühr: die gespaltene Pe- titzeile oder deren Raum 3 kr. Briefe und Gelder frei. Nr. 211. Würzburg, Dinstag den 3. September. 1850. Amtliche Nachrichten. München, 1. Sept. Se. Maj. der König haben durch allerhöchste Entschließung dd. Hohen- schwangau den 28. August den Generallieutenant und Generalkapitän der Leibgarde der Hartschiere, Christian Frhr. v. Zweybrücken, zum General der Kavallerie, unter Belassung in seiner bisherigen dienstlichen Stellung und seiner dermaligen Bezüge, allergnädigst zu befördern geruht. Allgemeines Wahlrecht und Chri- stenthum. Neuerdings hört man diese Zwei hänfig zu- sammen nennen, und es wird sich von einem Theile Derjenigen, in deren politischer Anschau- ung das allgemeine Wahlrecht eine der obersten Stellen einnimmt, auf die Verwandtschaft ihrer Forderungen mit dem Christenthume, als einer Religion der Freiheit, Gleichheit und Brüderlich- keit bezogen. Zwar liegt es auf der Hand, daß von Manchen diese Behauptung blos vorgebracht wird, um damit ihre politischen Ansichten dem christlichen Volke zu empfehlen und mundgerecht zu machen; es sind dies Diejenigen, die sonst und für sich selbst von Religion und Kirche gar nichts oder wenig genug wollen, und sie nur eben gelegentlich zu ihren Parteizwecken gebrauchen. Jn diesem Falle gehört die Behauptung, daß das allgemeine Wahlrecht eine Forderung des Chri- stenthums sei, zu dem leichtfertigen Demagogen- geschwätz, worüber man weiter kein Wort verlie- ren darf. Jndessen gibt es auch Andere, denen es damit ernst ist und die nun einmal das Chri- stenthum gerade von der Seite her, daß es eine Religion der Freiheit und Gleichberechtigung Aller sei, schätzen; und um dieser Willen darf man die Frage nicht so ohne Weiteres von sich weisen, und um so weniger, als bei einer genauen Un- tersuchung überhaupt die Berührungs= wie die Abstoßungspunkte zwischen Religion und politi- scher Freiheit sich ins Licht stellen müssen. Be- trachten wir die Frage zuerst von der geschichtli- chen Seite, so kann die Antwort schwerlich zu Gunsten Derjenigen ausfallen, welche das allge- meine Wahlrecht auf das Christenthum basiren wollen. Will man, ganz abgesehen von der un- abänderlich gegebenen monarchischen Verfassung der katholischen Kirche, die Verfassungsformen der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen in Betracht nehmen, so schließt in der lutheri- schen Kirche das landesherrliche Episcopat und die ganze Stellung der Geistlichen in den Ge- meinden abermals jenes demokratische Princip aus, und auch die reformirte Kirchenverfassung kann nur bei oberflächlicher Betrachtung eine de- mokratische genannt werden. Die Gesellschafts- verfassungen der geschichtlichen Kirchen geben keine oder nur eine scheinbare Analogie für die poli- tische Wahlreform des demokratischen Princips. Dagegen allerdings die s. g. freien Gemeinden und die Deutschkatholischen haben dieses Princip sich zu eigen gemacht. Allein diese sind von so neuem Datum und großentheils in sich selbst noch so ungewiß, ob und wie viel Christenthum sie sich aneignen wollen, und es ist noch so wenig möglich, einen Kern der Lehre bei ihnen zu fin- den, an welchen man eine definitive Verfassungs- form anschließen könnte, daß man von ihnen aus keinen Schluß zu machen vermag. Sieht man aber ferner bei der geschichtlichen Betrachtung auf die Art und Weise, wie sich das Christenthum zu den politischen Verfassungsformen der Völker, bei welchen es Eingang fand, gestellt habe, so muß man, wenn man unbefangen urtheilt, ge- stehen, daß es unmittelbar dieselben nirgends be- rührt oder geändert, sondern unter allen Formen sich zurecht gefunden hat. Es gehört zu der Uni- versalität des Christenthums, daß es, wie unter jedem Klima, so unter jeder Verfassungsform be- steht und gedeiht, und es ist ebenso ein Unrecht, wenn dasselbe monarchisch und aristokratisch, als wenn man es republikanisch und demokratisch nennt, um irgend eine politische Verfassungsform damit zu decken. Jndessen bleibt Denjenigen, welche nun ein- mal die demokratischen Principien mit dem Chri- stenthume in ausschließlicher Verwandtschaft ha- ben wollen, allerdings die Jnstanz, daß sie von den geschichtlichen Erscheinungen des Christenthums weg und auf dessen Wesen und Grund verwei- sen. Ja, ihre Klage ist eben die, daß das Chri- stenthum bis jetzt noch nicht recht verstanden sei, und ihre Forderung, daß es mit allen seinen Consequenzen auch ins politische Leben eingeführt werden müsse. Um hier nun recht zu sehen, muß man nothwendig auf die Urkunden des Christen- thumes zurückgehen. Jn diesen Urkunden wird allerdings in gewissem Sinne Gleichheit aller Menschen gepredigt. Es ist hier kein Unterschied, ruft Paulus, sie sind allzumal Sünder. Gott siehet die Person nicht an, bezeugt Petrus. Jn Beziehung auf den Stand der Seelen vor Gott kennt das Evangelium keinen Unterschied: alle sind gleich hilfsbedürftig und gleich berufen zum Heile. Ferner predigt das Evangelium auf's Entschiedenste die Bruderliebe unter Christen, vor welcher auch die schroffsten gesellschaftlichen Unterschiede verschwinden sollen. Desgleichen ist die Schrift weit entfernt, irgend wem in der menschlichen Gesellschaft ein Recht zuzuerkennen, daß er seine gewalt über Andere, zu deren Nachtheil und Bedrückung ausübe. „Jhr Her- ren, was recht und gleich ist, das beweist den Knechten!“ -- Aber von politischer und socialer Gleichmacherei, von der modernen Nivellirung weiß die Schrift nichts. Jm Gegentheile will sie zwar den Unterschied durch die Liebe ausge- glichen, nicht aber denselben gesetzlich ausgewischt wissen. Berufsart und Begabung sind der Schrift göttlich geordnete Unterscheidungen unter den Menschen, und daher muß man ihr und dem Christenthume Gewalt anthun, wenn man sie zu Zeugen für eine politische Gleichberechtigung aller Einzelnen pressen will. Jene mechanische Gleich- heit und Brüderlichkeit, wie sie das demokratische Prinzip unserer Tage in der Politik verlangt, liegt entschieden nicht in den Grundanschauungen und Forderungen des Christenthumes. Es will zwar, daß Alle einander dienen mit der Gabe, die sie empfangen haben, eingedenk, daß sie Got- tes Haushalter und nicht eigenmächtige Selbst- herren sind, aber es will nicht die Gaben gleich vertheilt haben; es sieht das Christenthum die verschiedenen Aemter allerdings an als eingesetzt zum allgemeinen Besten, aber daraus folgt nicht, daß alles Amt und Gewalt von der Menge aus- gehen, noch daß Jeder gleichberechtigt sein müßte. Die Brüderlichkeit des Christenthumes ist mit Einem Worte eine Pflicht, aber nicht ein Recht, und es gehen in der christlichen Sittenlehre die Pflichten über die Rechte hinaus. Darin besteht eben die Unwahrheit einer christlich gefärbten De- magogie, daß sie mit bewußter oder unbewußter Sophistik Sätze, die dem Gebiete der Pflicht an- gehören, ihrem natürlichen Boden entreißt und zu Rechtssätzen umwandelt. Auf dem Boden des Christenthumes aber wird man sich nicht anders entschließen können, dem demokratischen Principe und seinen Folgerungen recht zu geben, als bis bewiesen ist, daß jenes Princip in seiner Durch- führung wirklich eine solche politische Verfassung erzeugt, bei welcher das sittliche und physische Wohl des Volkes mehr als bei einer anderen gefördert wird. Und hiermit ist die eigentlich weit wichtigere Seite der vorliegenden Frage be- zeichnet; es fragt sich nicht sowohl, ob das Chri- stenthum der Demokratie, als vielmehr ob die Demokratie dem Christenthume dient und hilft, oder nicht? Diejenigen, welche dies bejahen, gehen von dem Gedanken aus, daß die politische Freiheit ein sittliches Bildungsmittel sei, die Un- freiheit aber demoralifirend wirke. Es liegt eine Wahrheit in diesem Satze, aber in seiner Allge- meinheit hingestellt, ist er unrichtig und verwir- rend. Jedenfalls muß man zugeben, daß es Altersstufen und Lagen bei den Einzelnen gibt, wo im Gegentheile Freiheit demoralifirt, Unfrei- heit rettet. Kinder und Kindischgewordene ertra- gen nicht die volle Freiheit der Mündigen; und so gibt es auch Stufen und Lagen der Völker nach Verstandesbildung, Gesittung und Natur- kraft, wo ihnen eine ausgedehnte Freiheit sittlich und ökonomisch schadet, eine angemessene Gebun- denheit aber ihre Reife befördert. Die Frage, welche wir oben aufgestellt haben, reducirt sich bei einem richtigen Begriffe der Freiheit auf die andere: ob das allgemeine Wahlrecht den sittli- chen und intellectuellen Kräften des Volkes pro- portionirt sei? Die Antwort hierauf kann nur die Erfahrung und ein unbefangener Blick in die Volkszustände geben. Wer diesen zu thun im Stande ist, der muß nun bekennen, daß, was die Sittlichkeit betrifft, hierin zwischen höheren und niederen Ständen ein wesent- licher Unterschied in der That nicht stattfindet. Es findet zwischen den höheren und niederen Volks- schichten gemeiniglich nur der Unterschied statt, daß das Laster bei dem einen Theile roher, beim anderen civilifirter und vorsichtiger sich benimmt, wiewohl auch dies nur mit Einschränkung zu ver- stehen ist, besonders seit die Geschichte der letzten zwei Jahre gelehrt hat, wie gerade von Menschen aus den sogenannten gebildeten Classen Rohheit und Frivolität in hohem Maße an den Tag ge- legt und durch sie unter der Menge verbreitet worden ist. Will man daher blos die Sittlich- keit als Privattugend in Betracht ziehen, so wird man zugeben müßen, daß ein armer Taglöhner zur Ausübung des politischen Wahlrechtes nicht geringer befähigt und berechtigt sein kann, als ein

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Zitationshilfe: Die Bayerische Presse. Nr. 211. Würzburg, 3. September 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_bayerische211_1850/1>, abgerufen am 29.03.2024.