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Mährisches Tagblatt. Nr. 30, Olmütz, 06.02.1884.

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Mährisches
Tagblatt.

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Exped., in Wien, I., Woll-
zeile Nr. 12, Haasenstein &
Vogler
in Wien, Prag. Buda-
pest, Berlin, Frankfurt a/M.,
Hamburg, Basel und Leipzig.
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in Wien, München u.
Berlin, G. L. Daube & Co.
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Adolf Steiner's Annoncen-
bureau in Hamburg, sowie
sämmtl. conc. Insertions-Bu-
reaus des In- u. Auslandes.




Manuscripte werden nicht
zurückgestellt.




Nr. 30. Olmütz, Mittwoch den 6 Februar. 1884 5 Jahrgang.



[Spaltenumbruch]
Das Winisterium Tißa vor
den Wahlen.


Das Schicksal zwingt den ungarischen Mi-
nisterpräsidenten, bis zur letzten Neige den Trank
zu leeren, welchen er aus den Händen seiner er-
bittertsten Gegner entgegen nehmen mußte. An-
statt daß die unglückselige Ehevorlage kurz und
rasch von der Tagesordnung abgesetzt wurde, wie
es nach einem verunglückten Feldzuge selbstver-
ständlich wäre, sieht sich Koloman Tißa noch in
der letzten Stunde herben und verletzenden An-
griffen ausgesetzt. Zu den zwei Niederlagen im
Oberhause gesellen sich der Spott und die Scha-
denfreude seiner Gegner im Unterhause. Aber
man darf nicht verkennen, daß der ungarische
Ministerpräsident theilweise an diesem seinem
Mißgeschicke mitschuldig ist. Er hat in der Ehe-
frage einen Standpunct eingenommen, den man
vielleicht bei seinem ultramontan angehauchten
Collegen von der Justiz, nicht aber bei ihm, dem
"calvinischen Papst", begreifen kann, er hat sich
über die Zwecke, welche er mit seiner Vorlage
verfolgte, nicht allein unklar, sondern geradezu
widersprechend geäußert. Im Unterhause erklärte
er die facultative christlich-jüdische Civilehe für
die natürliche Vorläuferin der obligatorischen
Civilehe, während er im Oberhause von
dem erstgenannten Institute sagte, es sei bestimmt,
die obligatorische Civilehe so lange als möglich
[Spaltenumbruch] hinauszuschieben. Daraus erwuchs, was in der
Regel die Folge solcher Zweideutigkeiten ist: die
Gegner der Vorlage im Oberhause wurden nicht
gewonnen, dafür aber die Anhänger der obliga-
torischen Civilehe, wie sie namentlich auf der äußer-
sten Linken sitzen, tief verletzt und mit neuerlichem
großen Mißtrauen erfüllt. Der bissige und ver-
letzende Ton, welchen die donnerstägige Debatte
stellenweise annahm, war die nächste Folge dieses
Widerspruchs und die weiteren werden sich schon
rechtzeitig einstellen, namentlich wenn -- etwa
nach der erfolgten Reform des Oberhauses --
die Mischehe wieder einmal auf die Tagesord-
nung gelangt.

Einstweilen darf sich nun freilich Ungarns
Ministerpräsident einen solchen Luxus nicht ge-
statten, denn die Lage hat sich für ihn hinläng-
lich ernst gestellt, um ihn zur größten Vorsicht
zu mahnen. Immer näher rückt der Wahlkampf,
welcher für das Ministerium ein Kampf um dessen
Existenz sein wird. Die Gewißheit des uner-
schütterten königlichen Vertrauens, welche Tißa
von Wien mitgebracht hat, kann ihm noch lange
keine Bürgschaft für eine längere Dauer seines
ministeriellen Daseins bieten. Die Krone findet
sich nicht veranlaßt, einen Minister zu entlassen,
der im Unterhause mit großer Majorität gesiegt
hat und im Oberhause einer winzigen Majorität
erlegen ist -- das ist ganz selbstverständlich, das
ist aber auch Alles. Den eigentlichen Richter-
spruch wird das ungarische Volk bei den bevor-
stehenden Wahlen aussprechen. Die Lage des
[Spaltenumbruch] Ministerpräsidenten ist also nach dieser Seite eine
precäre, und was man aus den ungarischen Wahl-
kreisen erfährt, klingt nicht günstig genug, um sie
erfreulicher erscheinen zu lassen. Es wird kaum
in Ungarn, ganz gewiß aber nicht außerhalb des
Landes einen einzigen Menschen geben, welcher
im Stande wäre, mit voller Bestimmtheit das
Resultat der bevorstehenden Neuwahlen voraus-
zusagen. Der Antisemitismus wird bei denselben
eine bedeutende Rolle spielen, dieß läßt sich mit
Bestimmtheit aus allen Erscheinungen des öffent-
lichen Lebens entnehmen; zudem sind in der letz-
ten Zeit fast alle Ergänzungswahlen antisemitisch
ausgefallen. Aber fraglich ist es, welche Partei
sich als klug und mächtig genug erweisen
werde, diese populäre Strömung für ihre Dienste
nutzbar zu machen. Antisemitische Gruppen finden
wir heute in jeder ungarischen Partei; die ge-
mäßigte Opposition besitzt ihre Antisemiten, die
Unabhängigkeitspartei erfreut sich eines solchen
Fähnleins, und auch im Lager der Regirungs-
partei sitzt der Antisemitismus warm und fest
wenn er auch aus erklärlichen Gründen noch
nicht offen hervortritt. Selbst wenn die Neu-
wahlen eine beträchtliche Anzahl antisemitischer
Abgeordneter bringen, so ist damit noch lange
nicht entschieden, welche Partei den Hauptgewinn
aus dieser Acquisition wird ziehen können.

Mit gewohnter Umsicht und Entschlossenheit
wird der ungarische Ministerpräsident in den
Wahlkampf eintreten, aber er steht dabei vor dem
Unbekannten, Unberechenbaren. Von dem jetzigen




[Spaltenumbruch]
Fenilieton.



Wein erstes Debut.
Eine kleine Erzählung

Na, was nützt es Alles -- und wenn die
Pepi noch so viel Talent hätte, mit dem Gesichte,
mit der Figur kann man sie doch nicht zum
Theater geben -- diese Redensart hörte ich un-
zähligemale von meiner guten Mutter ... Wie
schlechte Folgen hat oft die Affenliebe der Eltern,
die in ihrem Kinde einen Engel an Schönheit
sehen, wenn auch keine Spur von Schönheit vor-
handen. Aber eben so schlimme Folgen bringt es
armen Kindern, wenn man ihnen immer und
immer vorwirft, daß sie häßlich sind -- ich war
nun wirklich "schiach" -- ich sehe dich lachen,
verehrter Leser, ich höre dich, verehrte Leserin,
spöttisch ausrufen: Na, das hätte sie nicht zu
schreiben brauchen, das sieht man ja noch ganz
deutlich -- aber beruhigt euch, ich sage euch nur,
ich bin jetzt eine beaute gegen früher -- also ist
obige Redensart meiner Mutter wohl zu ent-
schuldigen -- und doch hätte sie es nicht sagen
sollen, ich wurde dadurch verbittert und lernte
frühzeitig den abscheulichen Neid kennen, und ich
weinte oft bitterlich bei dem Gedanken, daß ich
wegen meines unscheinbaren Aeußeren mich nicht
der Bühne widmen sollte, der darstellenden Kunst,
an der ich mit allen Fasern meines Lebens hing.
Ein Theaterkind, sollte ich, 13 Jahre alt, für
den Beruf einer Gouvernante bestimmt sein, ich
war voll Verzweiflung. Glücklicherweise dauerte
diese Idee meiner Eltern nur einige Monate, so
[Spaltenumbruch] lange nämlich meine Mutter durch Gesangsstunden,
die sie gab, in der Lage war, mir Lehrer zu halten.
Diese wenigen Monate vergesse ich nie, in wel-
chen meine glühende reiche Phantasie durch Bü-
cherstaub in eine pädagogische Landstraße umge-
wandelt werden sollte; mein ganzes Naturell
sträubte sich gegen diese Gewaltthat und man
kann sich vorstellen, welche Seligkeit ich empfand,
als der Sommer kam, mit ihm die Schülerinnen
der Mama die Stadt gegen den Landaufenthalt
vertauschten, demzufolge das gemiethete Clavier
weggetragen, meinen Lehrern gekündigt wurde
und meine Mutter zur Erkenntniß kam, daß, um
mich zur Gouvernante auszubilden, nicht genug
Geld vorhanden sei. Allerdings war diese verän-
derte Anschauung meiner Eltern für mich von
geringem Vortheil, denn nun sollte ich kochen und
schneidern lernen, um mir die so beneidenswerthe
Carriere einer Kammerjungfer oder Wirthschaf-
terin zu eröffnen. Es war dies die bequemste
Art, mich zu beschäftigen, denn meine Eltern, die
zur Zeit dieser Erzählung in Graz domicilirten,
hatten Beide nicht die Geduld, mich selbst in
irgend einem Zweige der Wissenschacht zu unter-
richten. --

Meine Mutter war eine vorzügliche Sän-
gerin, sprach perfect Italienisch, da mein Groß-
vater ein geborener Italiener war (Giuseppe To-
maselli), und doch hatte sie mich gar nichts ge-
lehrt. Als ich schon bei der Bühne war, gab sie mir
eine Gesangsstunde; ich war total Naturalistin,
hatte sehr hübsche Coloratur, sehr hübschen Triller,
die Mutter wollte aber, daß ich "mit Schule"
trillire. Gleich bei der ersten Stunde sagte sie:
"Mach jetzt einen schönen Triller." Ich machte
ihn. "Spürst du zwei Hammerln in der Kehle,
[Spaltenumbruch] die aneinanderschlagen?" -- "Nein, liebe Mutter,
die spür' ich nicht." Schwups flop mir die Ge-
sangsschule an den Kopf. "Du bist ein dummes
Ding, aus dir wird nie etwas" -- und aus
war es mit dem Unterricht. Es war die erste
und letzte Lection, die mir meine Mutter gab.
Doch ich will wieder zurückkommen zu der Zeit,
da ich für den Kammerjungferdienst erzogen wurde.

Das Engagement meines Vaters in Graz
war abgelaufen, wir reisten nach Brünn, und
dort besuchte uns ein alter Freund und College
meiner Mutter, ein damals berühmter Tenorist,
Demmer. Ich werde den Mann nie vergessen;
es war der Erste, der zu meinen Eltern sagte:
"Aber ich weiß nicht, was ihr mit dem Mädel
habt, sie ist gar nicht so häßlich, sie hat ein Paar
ganz kluge Augen." Zu diesem Manne hatte ich
nun riesiges Zutrauen und gestand ihm, daß ich
sterben würde, wenn ich nicht zum Theater dürfte.

Da ich alle Partien meiner Mutter, alle
Lieder, welche sie ihren Schülerinnen einstudirte,
auswendig wußte, so sang ich ihm mit der Kin-
derstimme Alles vor -- der Arme mußte viel
ausstehen! -- aber es war für mich gut; die
Mutter erklärte, ihr Freund Fritz Demmer habe
gefunden, daß ich viel Talent für Gesang habe,
ich also in einigen Jahren zur Opernsängerin
ausgebildet würde. Soll ich meine Wonne schil-
dern, vermag ich es? Nein, sie wurde nicht ein-
mal getrübt durch den Widerspruch meines Vaters,
der die Ansicht hatte: "Wenn die Pepi überhaupt
für die Bühne bestimmt wird, so muß sie sich
für die Tragödie ausbilden." In Folge dessen
hielt er als geborner Hannoveraner darauf, daß
ich mich des reinlichsten Deutsch befleißigen sollte
was den Ansichten meiner Mutter streng zuwider


[Spaltenumbruch]

Das
„Mähriſche Tagblatt“
mit der illuſtr. Wochenbeilage
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Mähriſches
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peſt, Berlin, Frankfurt a/M.,
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Adolf Steiner’s Annoncen-
bureau in Hamburg, ſowie
ſämmtl. conc. Inſertions-Bu-
reaus des In- u. Auslandes.




Manuſcripte werden nicht
zurückgeſtellt.




Nr. 30. Olmütz, Mittwoch den 6 Februar. 1884 5 Jahrgang.



[Spaltenumbruch]
Das Winiſterium Tißa vor
den Wahlen.


Das Schickſal zwingt den ungariſchen Mi-
niſterpräſidenten, bis zur letzten Neige den Trank
zu leeren, welchen er aus den Händen ſeiner er-
bittertſten Gegner entgegen nehmen mußte. An-
ſtatt daß die unglückſelige Ehevorlage kurz und
raſch von der Tagesordnung abgeſetzt wurde, wie
es nach einem verunglückten Feldzuge ſelbſtver-
ſtändlich wäre, ſieht ſich Koloman Tißa noch in
der letzten Stunde herben und verletzenden An-
griffen ausgeſetzt. Zu den zwei Niederlagen im
Oberhauſe geſellen ſich der Spott und die Scha-
denfreude ſeiner Gegner im Unterhauſe. Aber
man darf nicht verkennen, daß der ungariſche
Miniſterpräſident theilweiſe an dieſem ſeinem
Mißgeſchicke mitſchuldig iſt. Er hat in der Ehe-
frage einen Standpunct eingenommen, den man
vielleicht bei ſeinem ultramontan angehauchten
Collegen von der Juſtiz, nicht aber bei ihm, dem
„calviniſchen Papſt“, begreifen kann, er hat ſich
über die Zwecke, welche er mit ſeiner Vorlage
verfolgte, nicht allein unklar, ſondern geradezu
widerſprechend geäußert. Im Unterhauſe erklärte
er die facultative chriſtlich-jüdiſche Civilehe für
die natürliche Vorläuferin der obligatoriſchen
Civilehe, während er im Oberhauſe von
dem erſtgenannten Inſtitute ſagte, es ſei beſtimmt,
die obligatoriſche Civilehe ſo lange als möglich
[Spaltenumbruch] hinauszuſchieben. Daraus erwuchs, was in der
Regel die Folge ſolcher Zweideutigkeiten iſt: die
Gegner der Vorlage im Oberhauſe wurden nicht
gewonnen, dafür aber die Anhänger der obliga-
toriſchen Civilehe, wie ſie namentlich auf der äußer-
ſten Linken ſitzen, tief verletzt und mit neuerlichem
großen Mißtrauen erfüllt. Der biſſige und ver-
letzende Ton, welchen die donnerſtägige Debatte
ſtellenweiſe annahm, war die nächſte Folge dieſes
Widerſpruchs und die weiteren werden ſich ſchon
rechtzeitig einſtellen, namentlich wenn — etwa
nach der erfolgten Reform des Oberhauſes —
die Miſchehe wieder einmal auf die Tagesord-
nung gelangt.

Einſtweilen darf ſich nun freilich Ungarns
Miniſterpräſident einen ſolchen Luxus nicht ge-
ſtatten, denn die Lage hat ſich für ihn hinläng-
lich ernſt geſtellt, um ihn zur größten Vorſicht
zu mahnen. Immer näher rückt der Wahlkampf,
welcher für das Miniſterium ein Kampf um deſſen
Exiſtenz ſein wird. Die Gewißheit des uner-
ſchütterten königlichen Vertrauens, welche Tißa
von Wien mitgebracht hat, kann ihm noch lange
keine Bürgſchaft für eine längere Dauer ſeines
miniſteriellen Daſeins bieten. Die Krone findet
ſich nicht veranlaßt, einen Miniſter zu entlaſſen,
der im Unterhauſe mit großer Majorität geſiegt
hat und im Oberhauſe einer winzigen Majorität
erlegen iſt — das iſt ganz ſelbſtverſtändlich, das
iſt aber auch Alles. Den eigentlichen Richter-
ſpruch wird das ungariſche Volk bei den bevor-
ſtehenden Wahlen ausſprechen. Die Lage des
[Spaltenumbruch] Miniſterpräſidenten iſt alſo nach dieſer Seite eine
precäre, und was man aus den ungariſchen Wahl-
kreiſen erfährt, klingt nicht günſtig genug, um ſie
erfreulicher erſcheinen zu laſſen. Es wird kaum
in Ungarn, ganz gewiß aber nicht außerhalb des
Landes einen einzigen Menſchen geben, welcher
im Stande wäre, mit voller Beſtimmtheit das
Reſultat der bevorſtehenden Neuwahlen voraus-
zuſagen. Der Antiſemitismus wird bei denſelben
eine bedeutende Rolle ſpielen, dieß läßt ſich mit
Beſtimmtheit aus allen Erſcheinungen des öffent-
lichen Lebens entnehmen; zudem ſind in der letz-
ten Zeit faſt alle Ergänzungswahlen antiſemitiſch
ausgefallen. Aber fraglich iſt es, welche Partei
ſich als klug und mächtig genug erweiſen
werde, dieſe populäre Strömung für ihre Dienſte
nutzbar zu machen. Antiſemitiſche Gruppen finden
wir heute in jeder ungariſchen Partei; die ge-
mäßigte Oppoſition beſitzt ihre Antiſemiten, die
Unabhängigkeitspartei erfreut ſich eines ſolchen
Fähnleins, und auch im Lager der Regirungs-
partei ſitzt der Antiſemitismus warm und feſt
wenn er auch aus erklärlichen Gründen noch
nicht offen hervortritt. Selbſt wenn die Neu-
wahlen eine beträchtliche Anzahl antiſemitiſcher
Abgeordneter bringen, ſo iſt damit noch lange
nicht entſchieden, welche Partei den Hauptgewinn
aus dieſer Acquiſition wird ziehen können.

Mit gewohnter Umſicht und Entſchloſſenheit
wird der ungariſche Miniſterpräſident in den
Wahlkampf eintreten, aber er ſteht dabei vor dem
Unbekannten, Unberechenbaren. Von dem jetzigen




[Spaltenumbruch]
Fenilieton.



Wein erſtes Debut.
Eine kleine Erzählung

Na, was nützt es Alles — und wenn die
Pepi noch ſo viel Talent hätte, mit dem Geſichte,
mit der Figur kann man ſie doch nicht zum
Theater geben — dieſe Redensart hörte ich un-
zähligemale von meiner guten Mutter ... Wie
ſchlechte Folgen hat oft die Affenliebe der Eltern,
die in ihrem Kinde einen Engel an Schönheit
ſehen, wenn auch keine Spur von Schönheit vor-
handen. Aber eben ſo ſchlimme Folgen bringt es
armen Kindern, wenn man ihnen immer und
immer vorwirft, daß ſie häßlich ſind — ich war
nun wirklich „ſchiach“ — ich ſehe dich lachen,
verehrter Leſer, ich höre dich, verehrte Leſerin,
ſpöttiſch ausrufen: Na, das hätte ſie nicht zu
ſchreiben brauchen, das ſieht man ja noch ganz
deutlich — aber beruhigt euch, ich ſage euch nur,
ich bin jetzt eine beautè gegen früher — alſo iſt
obige Redensart meiner Mutter wohl zu ent-
ſchuldigen — und doch hätte ſie es nicht ſagen
ſollen, ich wurde dadurch verbittert und lernte
frühzeitig den abſcheulichen Neid kennen, und ich
weinte oft bitterlich bei dem Gedanken, daß ich
wegen meines unſcheinbaren Aeußeren mich nicht
der Bühne widmen ſollte, der darſtellenden Kunſt,
an der ich mit allen Faſern meines Lebens hing.
Ein Theaterkind, ſollte ich, 13 Jahre alt, für
den Beruf einer Gouvernante beſtimmt ſein, ich
war voll Verzweiflung. Glücklicherweiſe dauerte
dieſe Idee meiner Eltern nur einige Monate, ſo
[Spaltenumbruch] lange nämlich meine Mutter durch Geſangsſtunden,
die ſie gab, in der Lage war, mir Lehrer zu halten.
Dieſe wenigen Monate vergeſſe ich nie, in wel-
chen meine glühende reiche Phantaſie durch Bü-
cherſtaub in eine pädagogiſche Landſtraße umge-
wandelt werden ſollte; mein ganzes Naturell
ſträubte ſich gegen dieſe Gewaltthat und man
kann ſich vorſtellen, welche Seligkeit ich empfand,
als der Sommer kam, mit ihm die Schülerinnen
der Mama die Stadt gegen den Landaufenthalt
vertauſchten, demzufolge das gemiethete Clavier
weggetragen, meinen Lehrern gekündigt wurde
und meine Mutter zur Erkenntniß kam, daß, um
mich zur Gouvernante auszubilden, nicht genug
Geld vorhanden ſei. Allerdings war dieſe verän-
derte Anſchauung meiner Eltern für mich von
geringem Vortheil, denn nun ſollte ich kochen und
ſchneidern lernen, um mir die ſo beneidenswerthe
Carriere einer Kammerjungfer oder Wirthſchaf-
terin zu eröffnen. Es war dies die bequemſte
Art, mich zu beſchäftigen, denn meine Eltern, die
zur Zeit dieſer Erzählung in Graz domicilirten,
hatten Beide nicht die Geduld, mich ſelbſt in
irgend einem Zweige der Wiſſenſchacht zu unter-
richten. —

Meine Mutter war eine vorzügliche Sän-
gerin, ſprach perfect Italieniſch, da mein Groß-
vater ein geborener Italiener war (Giuſeppe To-
maſelli), und doch hatte ſie mich gar nichts ge-
lehrt. Als ich ſchon bei der Bühne war, gab ſie mir
eine Geſangsſtunde; ich war total Naturaliſtin,
hatte ſehr hübſche Coloratur, ſehr hübſchen Triller,
die Mutter wollte aber, daß ich „mit Schule“
trillire. Gleich bei der erſten Stunde ſagte ſie:
„Mach jetzt einen ſchönen Triller.“ Ich machte
ihn. „Spürſt du zwei Hammerln in der Kehle,
[Spaltenumbruch] die aneinanderſchlagen?“ — „Nein, liebe Mutter,
die ſpür’ ich nicht.“ Schwups flop mir die Ge-
ſangsſchule an den Kopf. „Du biſt ein dummes
Ding, aus dir wird nie etwas“ — und aus
war es mit dem Unterricht. Es war die erſte
und letzte Lection, die mir meine Mutter gab.
Doch ich will wieder zurückkommen zu der Zeit,
da ich für den Kammerjungferdienſt erzogen wurde.

Das Engagement meines Vaters in Graz
war abgelaufen, wir reiſten nach Brünn, und
dort beſuchte uns ein alter Freund und College
meiner Mutter, ein damals berühmter Tenoriſt,
Demmer. Ich werde den Mann nie vergeſſen;
es war der Erſte, der zu meinen Eltern ſagte:
„Aber ich weiß nicht, was ihr mit dem Mädel
habt, ſie iſt gar nicht ſo häßlich, ſie hat ein Paar
ganz kluge Augen.“ Zu dieſem Manne hatte ich
nun rieſiges Zutrauen und geſtand ihm, daß ich
ſterben würde, wenn ich nicht zum Theater dürfte.

Da ich alle Partien meiner Mutter, alle
Lieder, welche ſie ihren Schülerinnen einſtudirte,
auswendig wußte, ſo ſang ich ihm mit der Kin-
derſtimme Alles vor — der Arme mußte viel
ausſtehen! — aber es war für mich gut; die
Mutter erklärte, ihr Freund Fritz Demmer habe
gefunden, daß ich viel Talent für Geſang habe,
ich alſo in einigen Jahren zur Opernſängerin
ausgebildet würde. Soll ich meine Wonne ſchil-
dern, vermag ich es? Nein, ſie wurde nicht ein-
mal getrübt durch den Widerſpruch meines Vaters,
der die Anſicht hatte: „Wenn die Pepi überhaupt
für die Bühne beſtimmt wird, ſo muß ſie ſich
für die Tragödie ausbilden.“ In Folge deſſen
hielt er als geborner Hannoveraner darauf, daß
ich mich des reinlichſten Deutſch befleißigen ſollte
was den Anſichten meiner Mutter ſtreng zuwider


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[[1]/0001] Das „Mähriſche Tagblatt“ mit der illuſtr. Wochenbeilage „Illuſtrirt. Sonntagsblatt“ erſcheint mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täglich Ausgabe 2 Uhr Nachmittags im Adminiſtrations-Lokale: Riederring Nr. 41 neu ober den Fleiſchbänken. Abonnement für Olmütz: Ganzjährig fl. 10.— Halbjährig „ 5.— Vierteljährig „ 2.50 Monatlich „ —.90 Zuſtellung ins Haus monat- lich 10 Kreuzer. Auswärts durch die Poſt: Ganzjährig fl. 14.— Halbjährig „ 7.— Vierteljährig „ 3.50 Einzelne Nummer 5 Kreuzer. Mähriſches Tagblatt. Inſertionsgebühren die 4mal geſpaltene Petitzeile oder deren Raum 6 Kreuzer. Außerhalb Olmütz überneh- men Inſertions-Auſträge: Heinr. Schalek, Annoncen- Exped., in Wien, I., Woll- zeile Nr. 12, Haasenstein & Vogler in Wien, Prag. Buda- peſt, Berlin, Frankfurt a/M., Hamburg, Baſel und Leipzig. Alois Opellik, in Wien, Rud. Mosse in Wien, München u. Berlin, G. L. Daube & Co. (lg. Knoll) Wien, I., Singer- ſtraße 11 a, Frankfurt a/M., Adolf Steiner’s Annoncen- bureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertions-Bu- reaus des In- u. Auslandes. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Nr. 30. Olmütz, Mittwoch den 6 Februar. 1884 5 Jahrgang. Das Winiſterium Tißa vor den Wahlen. Olmütz, 6. Februar. Das Schickſal zwingt den ungariſchen Mi- niſterpräſidenten, bis zur letzten Neige den Trank zu leeren, welchen er aus den Händen ſeiner er- bittertſten Gegner entgegen nehmen mußte. An- ſtatt daß die unglückſelige Ehevorlage kurz und raſch von der Tagesordnung abgeſetzt wurde, wie es nach einem verunglückten Feldzuge ſelbſtver- ſtändlich wäre, ſieht ſich Koloman Tißa noch in der letzten Stunde herben und verletzenden An- griffen ausgeſetzt. Zu den zwei Niederlagen im Oberhauſe geſellen ſich der Spott und die Scha- denfreude ſeiner Gegner im Unterhauſe. Aber man darf nicht verkennen, daß der ungariſche Miniſterpräſident theilweiſe an dieſem ſeinem Mißgeſchicke mitſchuldig iſt. Er hat in der Ehe- frage einen Standpunct eingenommen, den man vielleicht bei ſeinem ultramontan angehauchten Collegen von der Juſtiz, nicht aber bei ihm, dem „calviniſchen Papſt“, begreifen kann, er hat ſich über die Zwecke, welche er mit ſeiner Vorlage verfolgte, nicht allein unklar, ſondern geradezu widerſprechend geäußert. Im Unterhauſe erklärte er die facultative chriſtlich-jüdiſche Civilehe für die natürliche Vorläuferin der obligatoriſchen Civilehe, während er im Oberhauſe von dem erſtgenannten Inſtitute ſagte, es ſei beſtimmt, die obligatoriſche Civilehe ſo lange als möglich hinauszuſchieben. 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Aber eben ſo ſchlimme Folgen bringt es armen Kindern, wenn man ihnen immer und immer vorwirft, daß ſie häßlich ſind — ich war nun wirklich „ſchiach“ — ich ſehe dich lachen, verehrter Leſer, ich höre dich, verehrte Leſerin, ſpöttiſch ausrufen: Na, das hätte ſie nicht zu ſchreiben brauchen, das ſieht man ja noch ganz deutlich — aber beruhigt euch, ich ſage euch nur, ich bin jetzt eine beautè gegen früher — alſo iſt obige Redensart meiner Mutter wohl zu ent- ſchuldigen — und doch hätte ſie es nicht ſagen ſollen, ich wurde dadurch verbittert und lernte frühzeitig den abſcheulichen Neid kennen, und ich weinte oft bitterlich bei dem Gedanken, daß ich wegen meines unſcheinbaren Aeußeren mich nicht der Bühne widmen ſollte, der darſtellenden Kunſt, an der ich mit allen Faſern meines Lebens hing. Ein Theaterkind, ſollte ich, 13 Jahre alt, für den Beruf einer Gouvernante beſtimmt ſein, ich war voll Verzweiflung. 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Es war dies die bequemſte Art, mich zu beſchäftigen, denn meine Eltern, die zur Zeit dieſer Erzählung in Graz domicilirten, hatten Beide nicht die Geduld, mich ſelbſt in irgend einem Zweige der Wiſſenſchacht zu unter- richten. — Meine Mutter war eine vorzügliche Sän- gerin, ſprach perfect Italieniſch, da mein Groß- vater ein geborener Italiener war (Giuſeppe To- maſelli), und doch hatte ſie mich gar nichts ge- lehrt. Als ich ſchon bei der Bühne war, gab ſie mir eine Geſangsſtunde; ich war total Naturaliſtin, hatte ſehr hübſche Coloratur, ſehr hübſchen Triller, die Mutter wollte aber, daß ich „mit Schule“ trillire. Gleich bei der erſten Stunde ſagte ſie: „Mach jetzt einen ſchönen Triller.“ Ich machte ihn. „Spürſt du zwei Hammerln in der Kehle, die aneinanderſchlagen?“ — „Nein, liebe Mutter, die ſpür’ ich nicht.“ Schwups flop mir die Ge- ſangsſchule an den Kopf. „Du biſt ein dummes Ding, aus dir wird nie etwas“ — und aus war es mit dem Unterricht. Es war die erſte und letzte Lection, die mir meine Mutter gab. Doch ich will wieder zurückkommen zu der Zeit, da ich für den Kammerjungferdienſt erzogen wurde. Das Engagement meines Vaters in Graz war abgelaufen, wir reiſten nach Brünn, und dort beſuchte uns ein alter Freund und College meiner Mutter, ein damals berühmter Tenoriſt, Demmer. Ich werde den Mann nie vergeſſen; es war der Erſte, der zu meinen Eltern ſagte: „Aber ich weiß nicht, was ihr mit dem Mädel habt, ſie iſt gar nicht ſo häßlich, ſie hat ein Paar ganz kluge Augen.“ Zu dieſem Manne hatte ich nun rieſiges Zutrauen und geſtand ihm, daß ich ſterben würde, wenn ich nicht zum Theater dürfte. Da ich alle Partien meiner Mutter, alle Lieder, welche ſie ihren Schülerinnen einſtudirte, auswendig wußte, ſo ſang ich ihm mit der Kin- derſtimme Alles vor — der Arme mußte viel ausſtehen! — aber es war für mich gut; die Mutter erklärte, ihr Freund Fritz Demmer habe gefunden, daß ich viel Talent für Geſang habe, ich alſo in einigen Jahren zur Opernſängerin ausgebildet würde. Soll ich meine Wonne ſchil- dern, vermag ich es? Nein, ſie wurde nicht ein- mal getrübt durch den Widerſpruch meines Vaters, der die Anſicht hatte: „Wenn die Pepi überhaupt für die Bühne beſtimmt wird, ſo muß ſie ſich für die Tragödie ausbilden.“ In Folge deſſen hielt er als geborner Hannoveraner darauf, daß ich mich des reinlichſten Deutſch befleißigen ſollte was den Anſichten meiner Mutter ſtreng zuwider

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 30, Olmütz, 06.02.1884, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches30_1884/1>, abgerufen am 29.03.2024.