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[Kohlrausch, Henriette]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1828]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

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than sind. Sie selbst vergleichen sich in ihren Gedichten einem Wolkenzuge, der
an den Bergen lagert, um jeder neuen Richtung des Windes zu folgen.

Um die Araber kurz zu charakterisiren, so kann man sie im Allge-
meinen unwissend nennen, aber nicht roh. Einzelne unter ihnen zeichnen
sich aus durch eine große Liebe zur Natur, die sie gründlicher zu untersuchen
anfangen, und man möchte die Art unserer heutigen Naturbeobachtung von
den Arabern datiren. Früh schon, vor Mohamed hatten griechische Aerzte
aus der Schule von Edessa und Athen wissenschaftliche Kenntnisse unter ihnen
verbreitet, und die Dichtkunst hatte selbst eine schöne Blüthe erreicht. Zu
Mecca und Okkadh waren im 5ten Jahrhundert lyrische Kampfspiele ange-
ordnet, die nicht unähnlich den olympischen, zu gewissen bestimmten Zeiten ge-
halten wurden. Die Gedichte denen man den Preis zuerkannte, wurden
mit goldnen Buchstaben auf Byssus geschrieben, und in der Caaba zu Mecca auf-
gehängt. (Von Antara ist eine der 7 Moallakah, und Hamaza Heldenlieder
sind kürzlich von Prof. Freitag in Bonn edirt worden.)

Den höchsten Flor des Reichs kann man unter den Hascheniden und Abbas-
siden
annehmen. Al-Manzur, ein Chalif der letzteren Dynastie erbaute
Bagdad (762) zur Residenz, wo unter dem großen Harun-al-Raschid, gelehr-
te Schulen gestiftet wurden, so wie auch zu Mosul. Diese erhielten ihren er-
sten Glanz durch griechische Flüchtlinge, die wegen orthodoxer Verfolgungen ihr
Vaterland aufzugeben, sich gezwungen sahen. So muß es denn dankbar er-
kannt werden, daß Griechenland, die alte Wiege abendländischer Kultur, von
jeher, selbst im Stande der tiefsten Versunkenheit, Strahlen der Civilisation nach

allen

than sind. Sie selbst vergleichen sich in ihren Gedichten einem Wolkenzuge, der
an den Bergen lagert, um jeder neuen Richtung des Windes zu folgen.

Um die Araber kurz zu charakterisiren, so kann man sie im Allge-
meinen unwissend nennen, aber nicht roh. Einzelne unter ihnen zeichnen
sich aus durch eine große Liebe zur Natur, die sie gründlicher zu untersuchen
anfangen, und man möchte die Art unserer heutigen Naturbeobachtung von
den Arabern datiren. Früh schon, vor Mohamed hatten griechische Aerzte
aus der Schule von Edessa und Athen wissenschaftliche Kenntnisse unter ihnen
verbreitet, und die Dichtkunst hatte selbst eine schöne Blüthe erreicht. Zu
Mecca und Okkadh waren im 5ten Jahrhundert lyrische Kampfspiele ange-
ordnet, die nicht unähnlich den olympischen, zu gewissen bestimmten Zeiten ge-
halten wurden. Die Gedichte denen man den Preis zuerkannte, wurden
mit goldnen Buchstaben auf Byssus geschrieben, und in der Caaba zu Mecca auf-
gehängt. (Von Antara ist eine der 7 Moallakah, und Hamaza Heldenlieder
sind kürzlich von Prof. Freitag in Bonn edirt worden.)

Den höchsten Flor des Reichs kann man unter den Hascheniden und Abbas-
siden
annehmen. Al-Manzur, ein Chalif der letzteren Dynastie erbaute
Bagdad (762) zur Residenz, wo unter dem großen Harun-al-Raschid, gelehr-
te Schulen gestiftet wurden, so wie auch zu Mosul. Diese erhielten ihren er-
sten Glanz durch griechische Flüchtlinge, die wegen orthodoxer Verfolgungen ihr
Vaterland aufzugeben, sich gezwungen sahen. So muß es denn dankbar er-
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jeher, selbst im Stande der tiefsten Versunkenheit, Strahlen der Civilisation nach

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellen der Digitalisierungsvorlage; Bilddigitalisierung

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription in Hamel, Jürgen u. Klaus Harro Tiemann (Hg.) (1993): Alexander von Humboldt: Über das Universum. Die Kosmosvorträge 1827/28 in der Berliner Singakademie. Frankfurt a. M.: Insel. anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

Abweichungen dieser Druckedition von der Manuskriptvorlage werden im Text an der entsprechenden Stelle in editorischen Kommentaren ausgewiesen.

Abweichungen von den DTA-Richtlinien:

  • I/J: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert



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Zitationshilfe: [Kohlrausch, Henriette]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1828]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 57v. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2124_1827/0118>, abgerufen am 28.03.2024.