[0157]
Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No. 32. Köln, Sonntag 2. Juli 1848.
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Die „Neue Rheinische Zeitung“ erscheint vom 1. Juni an täglich. Bestellungen für das nächste Quartal, Juli bis September, wolle man baldigst machen.
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Amtliche Nachrichten.
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Des Königs Maj. haben dem kaiserlich brasilianischen Brigade-General Paulo Barboza da Silva am 24. d. M. im Schloße Sanssouci eine Privat-Audienz ertheilt und aus dessen Händen das Schreiben seines Souveräns entgegengenommen, wodurch derselbe als kaiserlich brasilianischer außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister am hiesigen Hofe beglaubigt worden ist.
Dem Polizei-Präsidenten v. Minutoli ist der Rang eines Rathes erster Klasse verliehen worden.
Deutschland.
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[*] Köln, 1. Juli.
Der Bombardier Funck in der siebenten Artillerie-Brigade, wurde vor einigen Tagen zwangsweise nach Luxemburg versetzt, während es bisher immer Sitte war, bei nöthig werdenden Versetzungen Einzelne der Avancirten zur freiwilligen Meldung aufzufordern.
Damit nicht genug, hat man den Bombardier Funck, als er in Saarlouis ankam, sofort verhaftet „wegen hochverrätherischer Umtriebe.“
Der Bombardier Funck ist einer der ausgezeichnetsten Avancirten der ganzen Brigade, nach dem Zeugniß nicht nur seines Kompagnieführers sondern auch anderer Kompagniechefs. Seine Führung war, nach denselben Aussagen, durchaus untadelhaft im Dienst wie außer dem Dienst. Worin besteht aber das Verbrechen des Herrn Funck?
Darin, daß er seit längerer Zeit Mitglied des Comité's der Stollwerck'schen Versammlung war!
Wir wissen positiv, daß weiter durchaus nichts gegen Hrn. Funck vorliegt. Seine Verhaftung ist eine Maßregel unverfälschter altpreußischer Militärwillkühr.
Wir fordern die rheinischen Abgeordneten der linken Seite auf, den Kriegsminister unverzüglich wegen dieser Verhaftung zu interpelliren.
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@facs0157
Berlin, 29. Juni.
Hier hat ein jüngst-gebildeter Verein praktischer Aerzte an den Kultus- und Medizinal-Minister Rodbertus eine Adresse gerichtet, worin beantragt wird, daß „zur Erledigung der Medizinalreform ein allgemeiner Kongreß, hervorgehend aus direkten Wahlen aller Aerzte und Wundärzte des preußischen Staates baldmöglichst einberufen werde.“
[(B. Z.-H.)]
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[*]Posen, 26. Juni.
Held Ahlemann aus Samter wollte seinem ersten Feldzugsplane nach schon heute gegen Berlin rücken. Die wahrscheinliche Stärke seines Heeres gab er in seiner justiz-kommissarischen Bescheidenheit auf mindestens 22,000 Mann an. Leider hält dieser Ritter von der traurigen Gestalt sein Wort nicht in Ehren. Er hat in der heutigen Zeitung ein Bülletin erlassen, welches kund thut, daß heute der Feldzug noch nicht beginnen kann. Was werden die 20,000 Tapfern von ihrem General sagen, der ihnen die bereits verassekurirten Siegeslorbeeren auf unbestimmte Zeit entrückt.
„Lebt wohl Ihr tapfern Brüder,
In einer bessern Welt wieder!“
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Leipzig, 27. Juni.
Der bisherige Lektor der slavischen Sprachen, M. J. P. Jordan, ist in Folge der von ihm eingestandenen Theilnahme an dem Slavenkongresse in Prag durch Beschluß des Kultusministeriums seiner Stellung als Docent an unserer Universität enthoben worden. Der akademische Senat bringt diesen Ministerialbeschluß mittelst Anschlags am schwarzen Brett zur Kenntniß der Studirenden. ‒ Das ist die Lehrfreiheit der christlich-germanischen Musterkonstitutionen.
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[L]Hannover, 28. Juni.
Die Polizei entfaltet ihre Macht gegen die Demokraten. Am 26. wurde der vom demokratischen Kongreß zurückkehrende Deputirte des Arbeitervereins, Buchdrucker Steegen, wegen Hochverrath (!) verhaftet. Steegen ist Präsident des Arbeitervereins. Schon früher wurde er durch gemeinsamen Beschluß der hiesigen Buchdruckereibesitzer als gefährliches Subjekt in die Acht erklärt und lange Zeit außer Arbeit gesetzt; das Stadtgericht will nun streng untersuchen, woher Steegen die Subsistenzmittel zu seinen Lebensunterhalt hergenommen hat. Eben so hat das Postamt Befehl bekommen, alle an Steegen adressirten Briefe dem Stadtgericht auszuliefern. Wahrscheinlich wird die Regierung jetzt jedem Arbeiter Unterhalt geben, dem dte Bourgois Arbeit verweigern.
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Frankfurt a. d. O., 28. Juni.
Am heutigen Tage fand die neue Wahl eines Abgeordneten und Stellvertreters für die konstituirende Nationalversammlung in Berlin Statt. Der demokratische Verein hatte den Lehrer Lück als Kandidaten aufgestellt, während von der anderen Seite für den Minister-Präsidenten Auerswald geworben war. Von 55 Wahlmännern erhielt Auerswald 28 Stimmen, er siegte also mit einer Majorität von vier Stimmen. Hören Sie aber, auf welche Weise diese Majorität erlangt ist. Der Minister Herr Hansemann hatte mündlich zu einigen Vätern der Stadt den dringenden Wunsch geäußert, man möge doch dahin wirken, daß Herr Auerswald gewählt werde, weil es dem Ministerium eine größere Kraft verleihe. Der Herr Finanz-Minister soll auch die guten Väter der Stadt haben erkennen lassen, wie das Wohl der Stadt wesentlich von dieser Wahl abhänge. Frankfurt wünscht einen Wollmarkt, nun, es wird dafür gesorgt werden. Die Stadtherren haben redlich gewirkt, Sie haben Hrn. Hansemann's leutseliges Benehmen den guten Wahlmännern in Ihrem Sinne mitgetheilt, ihnen sogar erzählt, daß Herr Hansemann sich das Prädikat Exzellenz verbeten habe. Daher die Wahl des Herrn Minister Präsidenten mit vier Stimmen Majorität, gegen einen schlichten Volksschullehrer.
[(B. Z.-H.)]
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Frankfurt, 28. Juni
Kapp hat folgenden Brief an seine Wähler erlassen. Sie ersehen aus nachfolgendem Briefe, daß ich aus der Nationalversammlung ausgetreten bin. Bei Ihnen werde ich mich wegen dieses Schrittes nicht rechtfertigen müssen, ich glaube vielmehr ganz in Ihrem Sinne gehandelt zu haben. Sie haben mich gewählt in eine Versammlung, deren Lebensgrund die Macht- und Rechtsvollkommenheit des Volkes, deren Kraft das lebendige Wort der Wahrheit, die Sprache der Thatsachen, deren Gesetz die Freiheit der Rede ist. Diese Versammlung existirt aber nicht mehr. Das Prinzip ihres Ursprungs, die Souveränetät des Volkes, hat sie aufgegeben und den Mund des Volkes verschlossen, indem sie seinen freisinnigsten Vertretern das Wort verkümmerte.
Ich habe das Vertrauen, daß die Stärke Ihres Unwillens über die Gründe meines Austritts jene großartige Ruhe auch bei Ihnen nicht stören wird, die das sicherste Zeichen siegender Kraft selbst in Tagen der Noth ist. Eigene Erfahrung hat Sie schon überzeugt, welche Macht in Ihrer Haltung, welche Thatkraft in Ihrer Einsicht liegt.
Frankfurt, den 28. Juni 1548.
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Frankfurt, 29. Juni.
In Folge der heute von der National-Versammlung vorgenommenen Wahl eines Reichsverwesers faßte die Bundesversammlung einstimmig den Beschluß, folgendes Schreiben an Seine Kaiserliche Hoheit den Erzherzog Johann von Oestreich zu richten:
Durchlauchtigster Erzherzog!
In würdigem, feierlichem Akte wurden so eben Eure Kaiserliche Hoheit von der deutschen National-Versammlung zum Reichsverweser unseres großen Vaterlandes erwählt.
Die Bundesversammlung theilt mit der ganzen Nation die Verehrung für Eure Kaiserliche Hoheit, und die erhebenden patriotischen Gefühle, die sich an dieses große Ereigniß knüpfen, so wie das feste Vertrauen, daß diese Wahl heilverkündend, und die beste Bürgschaft für die Einheit und Kraft, für die Ehre und Freiheit unseres Gesammt-Vaterlandes sei.
Sie beeilt sich, Eurer Kaiserlichen Hoheit diese Ueberzeugungen und Gesinnungen Glück wünschend, auszudrücken.
Ganz besonders aber gereicht es den in der Bundes-Versammlung vereinigten Bevollmächtigten der deutschen Regierungen zur höchsten Genugthuung, Eurer kaiserl. Hoheit die Versicherung ausdrücken zu dürfen, daß sie schon vor dem Schlusse der Berathungen über die Bildung einer provisorischen Centralgewalt von ihren Regierungen ermächt waren, für eine Wahl Eurer kaiserl. Hoheit zu so hohem Berufe sich zu erklären.
Die deutsche Bundes-Versammlung ist in dieser eben so großen als ernsten Zeit von dem wärmsten Wunsche belebt, Eurer kaiserl. Hoheit möge dem allseitigen Vertrauen und der Berufung zu der erhabenen Würde baldmöglichst entsprechen, und dadurch unsere Hoffnungen bestärken, die Vorsehung werde die deutsche Nation zu neuen Zeiten des Heils und der Größe hinführen.
Frankfurt, 29. Juni 1848.
Die deutsche Bundes-Versammlung, und in deren Namen: der Präsident: Ritter v. Schmerling.
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[pp]Frankfurt, 29. Juni.
Die Räume der Paulskirche waren bei der heutigen Sitzung der Nationalversammlung dergestalt mit Zuschauern belagert, daß es selbst den Deputirten mit Mühe gelang, ihre Plätze zu gewinnen. Sie kennen bereits das Resultat des Tages: Erzherzog Johann ist zum Verweser des heiligen römischen Reichs deutscher Nation, zum vorläufigen Kaiser erwählt worden. Die guten Bürger jauchzten und weinten vor Rührung bei dem erhebenden Gedanken, bald nun auch eine Hofhaltung in ihrer bürgerlichen Mitte zu haben; Kanonendonner und Glockengeläute verherrlichten den schönen, an die Romantik des Mittelalters mahnenden Moment. Das Ministerium, aus modernen Biedermännern, Wippermann, Dahlmann, Stedtmann zusammengesetzt, wird nun mit der baldigen Ankunft des „Unverantwortlichen“ erst bescheert werden; man spricht davon, daß der pensionirte Dulder Eisenmann als Finanzminister, und Herr Heckscher, der Reden über die deutsche Flotte gehalten, zum Marineminister bezeichnet ist.
Morgen wird über die Civilliste des zukünftigen Herrschers der deutschen Völker und Vereinbarers der Fürsten debattirt werden; die Großmuth der Versammlung, deren Beschlüsse schon viel aus den Händen des Volkes in die der Fürsten gegeben haben, läßt keinen Zweifel, daß die neue Gewalt mit Anstand aus dem Segen und Ueberfluß des Landes ausgestattet werden wird.
Die Linke, welche sich bei den Debatten zum größten Theil über alle Maßen inkonsequent benommen hat, und für all' ihre versöhnungsbettelnden „Konzessionen“ jetzt nur den Hohn der Rechten davon trägt, die Linke hat gegen den Beschluß über den Unverantworlichen „protestirt.“ Jacobus Venedey, der mit der Rechten gestimmt hat, befindet sich nicht auf diesem Protest; es steht also zu erwarten, daß er seinem Beruf treu, einen eigenen Protest gegen diesen Protest erlassen wird. Der Abgeordnete Kapp aus Heidelberg ist aus der Versammlung ausgetreten. Er erklärt an seine Wähler, daß sie ihn in eine Versammlung, deren „Lebensgrund die Macht- und Rechtsvollkommenheit des Volkes, deren Gesetz die Freiheit der Rede wäre,“ gewählt haben, daß aber diese Versammlung nicht mehr existire, und seine Ehre und sein Gewissen ihm nicht erlaube, an einer ihren Ursprung verleugnenden Versammlung Theil zu nehmen. Als einen Beitrag zur Charakteristik des Präsidiums Ehren-Gagern theile ich Ihnen hier noch die Thatsache mit, daß der „edle Gagern“ dem Abgeordneten Kapp aus dem Grunde das Wort verweigerte: weil derselbe immer aufrege! Diese merkwürdige Sorge des Präsidenten für die Gesundheit der Versammlung wird ohne Zweifel die gebührende Anerkennung bei allen denjenigen Mitgliedern finden, deren niederschlagende Redseligkeit bei dieser Diktatur nichts zu fürchten hat.
Unter denjenigen, welche für das interessante Centralgewaltgesetz, für die Entäußerung der Volkssouveränetät an eine unverantwortliche Fürstendiktatur stimmten, befanden sich auch folgende Rheinländer und Westphalen: Beckerath, Bürgers aus Köln, Compes, Dahlmann, Deiters, Dham, Dieringer, Ebmeier, Evertsbusch, Flottwell, Höfken, Hülsmann, Junkmann, Ketteler, Knoodt, Marcks, Melchers, Mevissen, Bischof Müller aus Münster, Mylius, Pagenstecher, Reichensperger, Schlüter, Scholten, Schrakanx, Smets, Stedtmann, Versen, Venedey, Wiedenmann, Ziegert.
Heute Nachmittag hat auch die Nationalversammlung, die nach der heutigen Entscheidung demnächst sanft zu eine konstitutionelle Reichskammer entschlafen wird, die Deputation gewählt, welche einen Ausflug zu dem Erzherzog Johann nach Wien machen soll. Mitglieder derselben sind: Andrian aus Wien, Jucho („der Dulder“) aus Frankfurt, Fr. Raveaux, Heckscher, Saucken-Tarputschen, Franke von Rendsburg, Rotenhahn aus München.
‒ Die Namen der 26 Mitglieder der National-Versammlung, die nicht mitgestimmt haben (s. gestrige Nummer), sind: 1) Martiny; 2) Schüler von Zweibrücken; 3) Trützschler; 4) Neergard; 5) Reh von Darmstadt; 6) Reichard; 7) Mohr; 8) Simon aus Trier; 9) Thieme; 10) Berger; 11) Zitz; 12) Gritzner; 13) Kolaczek; 14) Günther; 15) Titus; 16) Zimmermann; 17) Rühl; 18) Dewes; 19) Schlöffel; 20) Dietz von Annaberg; 21) Gruber; 22 Wesendonk; 23) Wiesner; 24) Hartmann; 25) Ruge; 26) Jul. Theodor Schmidt.
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[51] Frankfurt, 29. Juni.
Das große Werk ist vollendet, die Errichtung einer provisorischen Centralgewalt ist heute zu Stande gekommen, die retrogade Partei unter der Maske des constitutionell-monarchischen Prinzips hat vollständig gesiegt und mit 450 gegen 100 Stimmen beschlossen, mit dieser Centralgewalt einen unverantwortlichen Reichsverweser mit verantwortlichen Ministern, der nicht einmal die Verpflichtung hat, die Beschlüsse der National-Versammlung zu vollziehen, zu bekleiden. Die neuntägige Verhandlung über diesen Gegenstand gibt aber ein zu treues Bild von dem, was das deutsche Volk von dieser Nationalversammlung zu erwarten hat, als daß sie nicht demselben auf jede Weise recht klar vor Augen gelegt werden sollte. Man kennt den berüchtigten, von „einem berühmten Redner“ herrührenden Bericht über diesen Gegenstand! Dazu eine kraus verwirrte Masse Anträge, Amendements, Unter und Sub-Unteramendements, deren Zahl nahe an 40 heransteigt, von deren eines gar die Centralgewalt von vornherein der Krone Preußen übertragen, ein andres die ganze Geschichte nicht vor eingeholter Genehmigung der Regierung unternehmen wollte, und von denen gar manches Vertrauen auf die Regierungen anräth.
Was kann man aber von einem Parlament erwarten, dessen Mehrzahl aus Ministern, hohen Militärbeamten, Bischöfen, Fürstendienern aller Art, Mitgliedern der hohen Aristokratie und einer unendlichen Masse hofräthlicher Universitätsberühmtheiten besteht?
Die drei ersten Tage der Verhandlung boten das gewöhnliche Bild einer parlamentarischen Verhandlung über einen wichtigen Gegenstand dar. Ein Redner nach dem andern bestieg die Tribüne, mit größerm oder geringerm Eifer, mit mehr oder weniger Geschick, in fesselnder oder in ermüdender, mitunter sehr langweiligen Redeweise, seine Ansicht darzulegen, zu begründen und die entgegenstehende zu widerlegen; doch war im Ganzen der tiefere Eindruck der Redner, welche gegen den Entwurf im volksthümlichen Sinne und für freiere Institutionen sprachen, unverkennbar. So ging es bis gegen Ende des vierten Tages, wo der Präsident bemerkte, daß von 189 angemeldeten Rednern erst 45 gesprochen hätten. Da wurde denn der Antrag gestellt, die Mitglieder der Versammlung sollten sich in Partheien gruppiren, und von jeder Parthei nur noch 2 oder 3 Redner, die die Partei selbst wählen sollte, sprechen. Nach langem Wirrwar, der diesem Vorschlag folgte, kam man überein, das Charakteristische in den gestellten Anträgen zu suchen, dieselben zur Unterstützung zu bringen, die nicht unterstützten zu beseitigen, um die unterstützten aber sich zu „gruppiren“ und nach diesen Gruppirungen die Redner zu wählen. Ein Parlamentsbeschluß, der wohl einzig in seiner Art ist. Sieben Anträge wurden unterstützt, von jedem zwei Redner zu hören beschlossen, also vierzehn, dazu noch zwei Redner für den Ausschuß-Antrag und zwei für ein von zwei Mitgliedern des Ausschusses (Blum und v. Trützschler) gestelltes Minoritätsvotum.
Also noch 18. Redner. Am fünften Tag, als dieser Beschluß zur Ausführung kommen sollte, begann nun von Seite der Rechten, welche die Majorität hat ein System der Willkühr, der Intrigue in der Tyrannei, welches keine Mühe scheute der moralischen Eindruck, den die Redner der Linken gemacht, durch feingesponnene Pläne wieder zu vernichten. So wollte gleich von Anfang an Fürst Lichnowsky Blum nicht sprechen lassen, weil dieser schon einmal gesprochen, während man doch den „Gruppirungen“ die Wahl der Redner ganz unbeschränkt überlassen hatte. Freilich gelang dieser erste Versuch nicht, desto mehr aber die andern. Zunächst eine Menge Vorwürfe und Verdächtigungen gegen die Linke und Unterbrechungen ihrer Redner, womit man sich an diesem Tage noch begnügte. Anders am folgenden Tage, [0158] ‒ Sonnabend d. 24. Juni. ‒ wo von Gagern das Präsidium dem Vice - Präsidenten von Soiron übertrug, um selbst noch zu sprechen. Schon dies war eine Verletzung des Beschlusses der Versammlung, wonach sie festgesetzt hatte, nur noch achtzehn Redner mit Ausschluß aller andern zu Worte kommen zu lassen. Was gibt nun einem einzelnen Mitgliede, ‒ denn etwas anderes ist von Gagern nicht sobald er den Präsidentensitz verläßt ‒ das Recht als Neunzehnter zu sprechen? Weiter: Fürst Lichnowsky hätte nach der vom Vice-Präsidenten bezeichneten Reihenfolge zuerst sprechen sollen, dann Blum. Aber Se. Durchlaucht mochten fürchten, daß Blums Worte den Eindruck der Seinigen ganz und gar vernichten würden; und so ward willkührlich Blum zuerst auf die Tribüne gerufen. Man erwartete von ihm eine scharfe Zurechtweisung derer, die ihn gestern mit Verdächtigungen und Persönlichkeiten aller Art geschmäht hatten; er erklärte jedoch mit der ihm eignen gewichtigen Ruhe, daß er ewig verschmähen werde, dieses Feld zu betreten. Nun begann das Vorspiel der Intrigue. Ein Redner Stedmann von Coblenz erwähnt, er habe zwei Amendements zu stellen beabsichtigt, sei aber ungewiß ob dies nach den vorgestrigen Beschlüssen noch zulässig sei, und wolle es daher unterlassen.
Obgleich die Versammlung beschlossen hatte, nur noch über 9 Anträge 18 Redner zu hören, will Vicepräsident von Soiron einen dieser Anträge: der Reichsverweser habe die Verkündigung und Ausführung der von der Nationalversammlung beschlossenen Gesetze zu übernehmen, der schriftlich von mehreren Mitgliedern ihm überreicht worden, zur Unterstützung bringen. Darüber etwas tumultuarische Debatte. Die Vertheidiger des Amendements wollen es ‒ wie fein! wie schlau! ‒ nur zur Abstimmung, nicht zur Diskussion bringen. Der Vicepräsident macht einen Vermittelungsvorschlag, zwei Redner sollten dafür, zwei dagegen sprechen, erhält aber ein stürmisches Nein zur Antwort und läßt endlich abstimmen. Vergebens sträubt sich dagegen die Linke, weil es unzulässig sei, darüber abzustimmen, ob man an der erwähnten Uebereinkunft festhalten solle. Die Majorität hat diesmal so viel Gerechtigkeitssinn, sitzen zu bleiben, nichts destoweniger erklärt von Soiron die Frage für bejaht. Der beharrliche Andrang der Linken zwingt ihn, die Gegenprobe zu machen, und er muß zugestehen, daß die Mehrheit sich gegen den Antrag erhoben. Dennoch verlangt eine Stimme von der Rechten her Zählung der Stimmen, der Antrag wird aber mit ungeheurer Majorität verworfen und die Debatte geht weiter. Woher diese Zähigkeit, ein Amendement aufrecht zu erhalten, dessen Einbringung schon unzuläßig war? Man behauptet, die Sache verhalte sich folgendermaßen: Gagern habe den Antrag stellen wollen, das künftige Haupt solle aus den regierenden Fürstenhäusern gewählt werden. Da ein neuer Antrag aber der getroffenen Uebereinkunft nach, unzuläßig gewesen, und Gagern sich einer möglichen Zurückweisung nicht habe aussetzen wollen, so habe man mit dem Stedtmann'schen Antrag eine Bresche in die Uebereinkunft schießen und versuchen wollen, die Stellung von Amendements zur bloßen Abstimmung ‒ wohlgemerkt ‒ ohne Diskussion zu ermöglichen. Den Schluß der Redner machte der bekannte Staatsrath Mathy. Er ward durch lange dauernden Zuruf genöthigt, seinen Namen zweimal zu nennen, was ihm sehr unbequem schien. Man ließ ihn ruhig reden. Nach ihm betrat Gagern wirklich die Rednerbühne. Die Linke machte einen schwachen Versuch, durch Zuruf daran zu erinnern, daß der neunzehnte Redner nicht zum Sprechen berechtigt sei, ließ sich aber durch die Klingel des Vicepräsidenten zum Schweigen bringen. Persönliche captatio benevolentiae, Eingehen auf die verschiedenen Ansichten, mildeste Deutung des Ausschuß-Antrages, Erklärung gegen das Fortbestehen des Bundestages ‒ Alles in Gagern's bis zum kleinsten Worte sorglichst ausgearbeiteter Rede darauf berechnet, einen günstigen Eindruck zu machen. Ueber das Stedmann'sche Amendement erklärte er: man solle sich an Formalitäten nicht stoßen, sondern erlauben, Anträge so zu verbessern, wie sie für die allgemeine Wohlfahrt am schicklichsten dünkten. Die Frage, wer soll die Centralgewalt schaffen? beantwortete er: „Ich thue einen kühnen Griff und ich sage ihnen, wir müssen die provisorische Centralgewalt selbst schaffen,“ was natürlich einen großen Beifallssturm zur Folge hatte. Dann aber insinuirte der Redner in schlangenglatter Weise der Eine zu wählende Träger der Centralgewalt müsse ein Fürst sein. Um dieser Ansicht Geltung zu verschaffen, verschmähte er nicht, der Linken zuzurufen: sie könne ja einen Fürsten wählen nicht weil er ein Fürst sei, sondern obgleich er ein Fürst sei. Nach Gagern sprach Dahlmann zum Schluß. Es ist unbegreiflich, wie dieser Mann, der sich als Schriftsteller und als Katheder - Docent einen Ruf erworben, aller mangelnden Anlage zum Trotz, sich zum Redner schlägt. Sein Vortrag, fast ganz unverständlich, peinigte die Zuhörer über eine Stunde lang. Kein Zeichen der Ungeduld, kein Zwischenruf ringt ihm auch nur die Weglassung eines Satzes, eines Kolons ab. In der Hauptsache verkündigte er: die Majorität des Ausschusses habe ihre frühern Anträge verändert und stelle jetzt neue. An die Stelle des frühern Bundesdirektoriums von 3 Mitgliedern, schlage sie einen Reichsverweser vor. Der Vicepräsident wollte sogleich über diese neuen Anträge abstimmen lassen; Schaffrath, Jordan (von Berlin) u. Andere erklärten jedoch, daß die Stellung neuer Anträge nach Schluß der Debatte auch dem Ausschuß nicht mehr zustehe, daß wenigstens über diese neuen Anträge eine neue Debatte zu eröffnen sei. Es entstand ein furchtbarer Lärm; die Debatte wurde endlich unter großer Aufregung geschlossen; dee Vicepräsident schlug nun als Mittel zu einer recht ruhigen und gründlichen Abstimmung vor, es sollten sich nach der Sitzung von jeder der 9 Kategorien ein Abgesandter mit ihm vereinigen, und gemeinschaftlich ein Programm über die Abstimmung entwerfen, wobei es jeder Kategorie zu überlassen, erläuternde Amendements einzubringen. Angenommen. Dieses Programm, noch an demselben Abend bekannt, schien im Wesentlichen allen Parteien zu entsprechen, so, daß man sich in mehreren Kreisen schon der Hoffnung hingab, am Montag ohne bedeutende Diskussion über die Fragstellung selbst, die Abstimmung vor sich gehen zu sehen. Allein der dazwischen liegende Sonntag verdarb alles.
Er gab der Rechten Zeit zu einer Besprechung auf der Mainlust, und hier ward ein Plan verabredet, der ihr den Sieg erringen sollte, den sie nach dem Eindruck der Redner der Linken auf die Centren, und namentlich nach dem Gerüchte, alle Fraktionen der Linken und des linken Centrums hätten sich vereinigt, schon verloren gegeben hatte. Die Montagssitzung enthüllte diesen Plan. Vor der Sitzung wurden drei neue gedruckte Amendements vertheilt; von Mathy und v. Auerswald das, die Centralgewalt solle einem nicht regierenden Mitglied eines deutschen Regentenhauses als Reichsverweser übertragen werden; das von Heckscher, die provisorische Centralgewalt solle einem Reichsverweser übertragen werden, welchen die Nationalversammlung im Vertrauen auf die Zustimmung der deutschen Regierungen wähle; und eins von Heckscher und Rotenhahn, die Centralgewalt solle der National-Versammlung Vorlagen über Auflösung des Bundestags machen. Diese neuen Amendements, deren Unzulässigkeit sich von selbst verstand, riefen einen ungeheuren Sturm in der Versammlung hervor, das Prinzip, der Satz, daß man prinzipienmäßig einen Fürsten wählen solle, war noch gar nicht zur Sprache gekommen und sollte nur zu guter Letzt noch der Versammlung aufgedrungen werden, nachdem die Rechte außerhalb der Versammlung sich einer kompetenten Majorität versichert.
(Schluß morgen.)
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@facs0158
Frankfurt, 30. Juni.
In der heutigen Sitzung der National-Versammlung fand die neue Präsidentenwahl Statt. Als Vorschläge waren aufgelegt:
1) Vom Centrum die 3 schon früher Gewählten: Gagern, Soiron, Andrian.
2) Von der Linken zum Präsidenten H. Simon von Breslau, zum ersten Vicepräsidenten Robert Blum.
Kapp's Austritts-Erklärung wird gelesen und der Ausdruck „verdahlmannt“ erregt allgemeine Heiterkeit.
Es wird die Frage gestellt, ob die Entlassung angenommen oder an eine Kommission gewiesen werden solle.
Wernher von Nierstein schlägt die Tagesordnung vor. Es wurde die Frage gestellt:
1) Nimmt die Nationalversammlung die Austrittserklärung an?
2) Soll eine Einladung zu neuer Wahl ergehen?
Beide Fragen werden bejaht.
Kolb verlangt das Wort, um die Dringlichkeit eines Antrags, betreffend das östreichische Geldausfuhrverbot, zu begründen.
Kuranda betheuert Oestreichs Liebe zur Einheit, aber Noth kenne kein Gebot. Das Verbot werde nur noch einige Monate bestehen.
Die darauf hingestellte Frage, ob der Gegenstand an den Volkswirthschafts-Ausschuß zu verweisen sei, wurde bejaht. Darauf wurde zur Wahl geschritten.
Präsident: H. Gagern mit 399 Stimmen von 487.
H. Simon erhielt 68. Robert Blum 12. Dahlmann 1. Radowitz, Vincke, Lychnowski jeder 1.
Erster Vicepräsident: Soiron mit 359 Stimmen. Blum 104.
‒ Zweiter Vicepräsident: Andrian mit 277. Simon 132. Robert Blum 3.
Auf der morgigen Tagesordnung befindet sich auch die Wahlangelegenheit Heckers.
[(M. Z.)]
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@facs0158
Wien, 26. Juni.
Die größte Besorgniß liegt gegenwärtig in unserer Finanznoth; der abgeflossene Mai ergiebt allein ein Deficit von 8,800,000 Fl. In unserem Italien sind alle Staatseinkünfte natürlich versiegt und Ungarn zahlt nichts zur Aufrechthaltung der Gesammtmonarchie.
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@facs0158
Wien, 27. Juni.
Durch telegraphische Depesche von Cilly geht die Meldung des Feldzeugmeisters Grafen Nugent ein, daß die Festung Palma nuova sich am 25. um 9 Uhr früh ergeben hat, wodurch nicht allein ein kostbares Kriegs-Material, nämlich der Belagerungspark der Armee in Italien, wieder in unseren Besitz gelangt, sondern auch die Kommunikationslinie des Heeres völlig frei wird.
[(W. Z.)]
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@facs0158
Prag, 25. Juni.
Nach dem vor mehreren Jahren erschienen Werke Schafarik's über die slavischen Stämme vertheilten sich die Slaven, deren Gesammtmasse in Europa 78,763,000 beträgt, nach den einzelnen Ländern in folgender Weise: Auf Rußland kommen 53,502,000 worunter 4,912,000 Polen; auf Oestreich 16,912,000, darunter 2,774,000 Kleinrussen in Galizien und dem nordöstlichen Theile Ungarns 2,473,000 Polen, 2,594,000 Serben und Illyrier, 4,414,000 Czechen und Mähren, 2,753,000 Slowaken in Ungarn, 1,151,000 Slowenzen (Kärnthner), 800,000 Kroaten, 7000 Bulgaren. In Preußen wohnen 2,180,000 Slaven, 1,982,000 Polen, 82,000 Lausitzer, in Sachsen 60,000 Lausitzer, in der Türkei endlich 6,100,000, davon 3,500,000 Bulgaren, 2,600,000 Serben.
Französische Republik.
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@facs0158
Edition: [Friedrich Engels: Die Junirevolution. In: MEGA2 I/7. S. 222.]
Die Junirevolution.
(Schluß.)
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Die erschrockene Nationalversammlung ernannte Cavaignac zum Diktator,
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[0159]
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@facs0159
[17] Paris, 29. Juni.
Die Hinrichtungen en masse sind richtig in Flor; in jeder Nacht erschießt die Linie und Mobile auf dem Marsfeld 50-100 Gefangene. Die Leichname werden theils an Ort und Stelle vergraben, theils auf die Kirchhöfe in große Gruben bei nächtlicher Weile spedirt. Die Zeitungsschreiber, welche über dieses sprechen würden, sitzen fest, und so kommt es, daß kein Wörtchen davon gelesen wird. Einige Tausende von Brigands (lies: Gefangenen) werden schleunigst nach Havre geführt werden, zur Deportation nach den paar transatlantischen Inselchen, welche der herrschenden Klasse Frankreichs von den Engländern noch übrig gelassen sind. Nichts wird versäumt, um das Proletariat jetzt in Verruf zu bringen; alle Augenblicke sieht man einen Gardemobile als „Märyrer“ durch die Straßen in die Apotheke führen, wo ihm, als wäre er vergiftet, allerlei Essenzen eingeflößt werden, und die Leute jammern und ballen die Fäuste und schreien: ah les canailles, il faut les fusiller tous. In den Schlachttagen kam es öfter vor, daß Soldaten, die nichts als Schnaps und Rachenputzerwein im Magen hatten (an Essen war gar nicht zu denken), und die durch Hitze, Regen, Schweiß und Angst in viertägiger Nervenüberreizung waren, von Kolik befallen wurden; einige sollen in Reih' und Glied todt niedergesunken sein, was wohl kein Wunder ist, namentlich bei dem ungemein zarten Lebensalter der meisten Mobilgarden, die ohnehin auf ihre eigenen Kameraden feuern mußten. Da hieß es denn, wie immer in solchen Fällen, Marketenderinnen (nicht die militärischen, sondern die sogenannten ambulirenden) hätten Arsenikbranntwein eingeschenkt, und mehrere derselben wurden auf dem Fleck erschossen; z.B. Ecke der Rue Planche Mibray; dienstgefällige Pharmaceuten entdeckten natürlich sofort das vorausgesetzte Gift im Likör. ‒ Gestern Abend noch wohnte ich dreimal vermeintlichen Vergiftungen Rue du Temple und Faubourg du Temple bei. Aehnliches erlebte man Place Maubert bei Weinmarchands. Daß Frauen in Milchtöpfen Brode und unter ihren Kleidern Kartuschen den Insurgenten zutrugen, hat namentlich sehr erbittert; einige Spaziergängerinnen in seidenen Kleidern, dem Anschein nach, schwanger, wurden im fashionablen Faubourg St. Germain arretirt, und man erleichterte sie um einige Dutzend Patronen. In den Reihen der Vertheidiger der sozialen Ordnung sah man weit weniger, fast gar keine Frauen; ich bemerkte eine einzige, fein angezogen und mit einem Säbel, die neben ihrem Mobilgarden eine Schanze gestürmt hatte, während sehr viele Proletarierinnen freiwillig mit ihren Säuglingen sich auf die Barrikaden setzten mit dem Ruf: „Lieber ein einziges mal durch eine Kugel sterben, als hundert mal im Elende verfaulen“ (mieux vaut crever une bonne fois par une balle que pourrir cent fois dans la misére). Andere scheinen freilich nur wider Willen sich dorthin begeben zu haben. ‒ Die Leichen der reichen Schlachtopfer werden jetzt mit Pomp begraben; heute z. B. der Major Masson, ein Avoué aus der 11. Legion; andere werden einbalsamirt in die Provinzen zu ihren Familien zurückgesandt. Noch immer strömen die Provinzialnationalgarden nach Paris; man quartirt sie ein, wo nur irgend noch Raum ist; Kirchen und Mairieen, Ballsäle, Schauspielhäuser (auch das des Herrn Alexander Dumas) sind Kasernen, Spitäler und Leichenhäuser geworden. Die Leute von Melun und Etampes kamen in Eilmärschen, wobei mehrere erkrankten, und brachten Wagen voll Brod und mehrere gekochte ganze Schweine mit, da es bei ihnen hieß, die „Räuber“ hätten in Paris bereits alles in Beschlag genommen. ‒ Nächstens wird eine großartige Todtenfeier bei den Champs Elyse's stattfinden, und ein Monument errichtet werden; man spricht von siebentausend auf dem Pflaster Gefallenen, abgerechnet die Insurgenten und die im Bett Gestorbenen. Diese Zahl will ich nicht verbürgen. Nächstens wird man auch die „Dokumente“ veröffentlichen, die man im Hauptquartier der „Räuber“, unweit der Station der Rothschildsbahn, erobert hat, wo die Chefs hinter fünffachen Barrikaden, aus Mauerblöcken, Zimmerbalken, Eisenstangen und Mörtel verfertigt, die Kommando's austheilten, gefunden hat. Sie sollen Proben d'une scélératesse inouïe et infernale sein, und es ist nur zu verwundern, warum die Verfasser derselben sich mit diesen verfänglichen Papieren herumschleppten, statt sie an einem sichern Orte zu verwahren. Vielleicht verhält es sich jedoch damit, wie mit den berüchtigten „Dokumenten“ die die Bourgeoisgarde im Hause Sobrier's am 15. Mai fischte, und mit Burgunderwein durchtränkt, im „Siècle“ abdruckte.
So eben heißt es, im Faubourg St. Marcel, wo der Maire als Insurgent verhaftet worden, brächen bei Gelegenheit der allgemeinen Entwaffnung der 12. Legion, deren Oberst einst Barbès war, Unruhen aus; man hört einige Schüsse, und sieht Truppenmassen dorthin ziehen. Diese ganze Legion hat, mit Ausnahme von etwa einem Hunderttheil, auf Seiten der Insurrektion gestanden.
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Paris, 29. Juni.
Das Ministerium ist definitiv zusammengesetzt, wie folgt:
1. Senard, Inneres; 2. Bastide, Auswärtiges; 3. Goudchaux, Finanzen; 4. Bethmont, Justiz; 5. Lamoricière, Krieg; 6. Carnot, Unterricht; 7. Tourret, Ackerbau und Handel; 8. Recurt, Staatsbauten; 9. Leblanc, Admiral, Marine.
‒ Der Moniteur enthält folgendes Amtliche: 1. Dekret, das erklärt, daß Senard, Präsident der Nationalversammlung, sich wohl um das Vaterland verdient gemacht.
2. Dekret, das dem General Cavaignac dieselbe Ehre ausspricht.
3. Dekret, in welchem die Nationalversammlung ihre Trauer um den Tod des Erzbischofs ausspricht.
4. Dekret, das den Generälen, Ober- und Unterlieutenants und Soldaten der städtischen und auswärtigen Bürgerwehren, der Armee, der Mobilgarde, der republikanischen Garde, den Zöglingen der Hochschule etc. den wärmsten Dank für die gegen die Insurgenten bewiesene Tapferkeit zollt.
5. Dekret, das die neuen Minister bekannt macht.
‒ Der heutige Moniteur benachrichtigt diejenigen 2500 Fremden, die seit länger als fünf Jahren Frankreich bewohnen und bei der provisorischen Regierung um Verleihung des Bürgerrechts eingekommen waren, daß die ihnen von der provisorischen Regiegierung gestattete provisorische Ausübung des Wahlrechts bis auf weiteres wieder entzogen ist.
‒ Derselbe Moniteur widerlegt heute erst eine Menge Gerüchte über vom Volke verübte Gräuel, z. B. Abschneiden der Ohren und Köpfe der Bürgerwehrmänner und der Mobilgarden, Zersägen der gefangenen Offiziere u. s. w., mit welchem sich die abonnentensüchtigen Bourgeoispresse so erbaulich ausstaffirt hatte.
Diesen Vormittag hat eine Frauen-Revolution begonnen. Etwa fünfhundert Arbeiterinnen der Nationalwerkstätten hielten im Garten des Palais-Exroyal eine vorläufige Versammlung in welcher es sehr stürmisch herging. Es sind dies meist nur Delegirte, die sich über die einzuschlagenden Wege einigen sollen. In der That schlägt sich unser weibliches Proletariat nicht minder tapfer als das männliche.
‒ Die Reforme bringt folgende offizielle Note: Einige Journale hatten angekündigt, daß man mehrere Frauen verhaftet, die vergifteten Wein und Branntwein den Soldaten verkauften. Verhaftungen von Markedenterinnen haben allerdings stattgefunden; aber es hat sich in Folge der chemischen Analyse, welche Herr Pelouze vorgenommen, auf die klarste Weise herausgestellt, daß auch nicht die Spur von einer giftigen Substanz in den so-
Der berühmte Chemiker Pelouze ist derselbe, der zuerst die explodirende Kraft der in Salpetersäure getränkten Pflanzenfahne gleich in Beschlag genommenen Getränken sich vorgefunden haben entdeckt hat.
Man hatte ebenfalls angezeigt, daß am 27. Juni eine Markedenterin arretirt worden sei, unter der Beschuldigung, vergifteten Branntwein im Quartier vom Gros-Caillon verkauft zu haben. Es wurde hinzugefügt, diese Markedenterin habe sich lebhaft widersetzt, als man sie arretiren wolle; man habe ihr nicht die Zeit gelassen, von einer Pistole Gebrauch zu machen etc.
Die Frau, die im Quartier vom Gros-Caillon arretirt worden, ist keine Markedenterin; sie verkaufte keinen Branntwein, sondern sie war vom Branntwein berauscht.
Die Maurer von Toulon haben folgenden Zettel in der ganzen Stadt anschlagen lassen:
An die Eigenthümer Toulons!
Bürger, wenn die Arbeit stillsteht, wenn der Arbeiter mit übereinandergeschlagenen Armen dasteht und gezwungen ist, nichts zu thun, und zwar in einer so beträchtlichen Stadt wie Toulon, dann leidet er: es mangeln ihm die beiden ersten und unumgänglichsten Bedingungen des Lebens:
Arbeit und Brod.
In dieser Lage sind gegenwärtig die Maurerarbeiter dieser Stadt.
Es schmerzt sie, diese verzweifelte Lage kund thun zu müssen.
Bürger, es steht in Eueer Gewalt, diesem beklagenswerthen Stande der Dinge Einhalt zu thun. Wartet nicht, bis der Arbeiter die gerechte Klage zu Euch gelangen läßt:
Keine Arbeit.
Ihr könnt diese Klage verstummen machen; die traurigen Umstände, welche die Arbeit gelähmt haben, verschwinden täglich mehr und mehr; aber unsere Hülfsquellen und unser Muth werden täglich minder, und die Entbehrungen, unter denen unsere Weiber und Kinder schmachten, täglich größer, schrecklicher.
Der Arbeiter bedarf des Eigenthümers, der Eigenthümer des Arbeiters: sie sind gegenseitig nothwendig.
Unsere Bedürfnisse sind immer dieselben; wir handeln immer unter derselben Nothwendigkeit. Noch ein Wort, Bürger, das letzte! den Arbeiter länger ohne Arbeit zu lassen, das hieße auf ihn alle Leiden ankommen lassen, die Euch ein Leichtes wären abzuwenden. Wir hegen die Ueberzeugung, daß Ihr sie abwenden werdet, weil wir überzeugt sind, daß Ihr unsere Brüder seid, wie wir die Eurigen.
Im Namen der dreifach erhabenen Devise: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Wir bitten Euch, die Augen um Euch aufzuschlagen.
Brüderlichen Gruß.
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Toulon, den 19. Juni 1848.
(Die Maurer von Toulon.)
Die meisten Plätze von Paris, wie der Platz vom Pantheon, Saint Michel, Petit-Pont, der Blumenmarkt und der Platz vor dem Rathhause sind in völlige Lager umgewandelt und mit Truppen aller Waffengattungen besetzt.
Die Straße Pourtour St. Gervais hat namentlich viel gelitten. Die alten Häuser sind durchlöchett von Kugelschüssen, dicht nebeneinander. Die Häuser im Anfange der Rue St. Antoine, nahe bei der Straße Cloche Perche sind theilweise in den Grund geschossen, theilweise von Kanonenkugeln und schwerem Geschütze durchbohrt.
Alle Acacienbäume, nahe bei der Bastille, sind von Kanonenkugeln wie abgesägt.
Der Eingang des Faubourg St. Antoine und namentlich die Straße Charenton bieten einen schauderhaften Anblick dar. Alle Häuser sind wie durchstöbert von Kanonenkugeln; ganze Flügel sind umgeworfen; ganze Mauertheile sind niedergerissen.
Die Thurmspitze der Kirche St. Etienne du Mont ist von einer Kanonenkugel fortgeschleudert worden.
‒ Die Redakteure der „Republique Rouge“ und des „Journal de la Canaille“ sind auf den Barrikaden des Foubourg du Temple gefallen. Cavaigne ehemaliger Redakteur der „Comune de Paris“ und Freund Sobriers ist arretirt.
‒ Vier Generale sind gefallen, darunter ein Generallieutenant (Negrier) und 3 Brigadegenerale. Siebenzehn Generale sind verwundet, darunter fünf Generallieutenants, Bedeau, Duvivier, Regnault, la Fontaine und Clement Thomas. 31 höhere Offiziere sind getödtet, sowohl von der Linie, als von der Nationalgarde; über 112 höhere Offiziere sollen verwundet sein. Außerdem sind von der Nationalgarde 72 Offiziere getödtet und 218 verwundet. Die Linie soll ungefähr dieselbe Zahl verloren haben. Man zählt 5700 in den Spitälern und Feldlazarethen aufgenommene Verwundeten und 2000, die direkt in ihre eigne Wohnung gebracht worden sind.
‒ Verflossene Nacht hat man sich im Gehölz von Boulogne geschlagen; ungefähr 600 Insurgenten hatten sich dorthin geflüchtet, General Lamoricière hat sie mit einer Eskadron Kavallerie gesprengt. Sie sind größtentheils gefangen genommen und denen hinzugefügt worden, die nach dem eben erlassenen Dekret der N.-V. zur Deportation verurtheilt sind. Dies Dekret muß bald möglichst in Vollzug gesetzt werden, denn die Lage der Gefangenen in Paris ist unerträglich; sie sind größtentheils in die weiten Gewölbe der Tuilerien gesperrt, die unter dem Schlosse her bis zum Konkordiaplatz sich erstrecken. Es sind das dieselben Souterrains, durch welche Louis Philipp entflohen ist. Dort sind sie ohne Luft, ohne Licht, und schlagen sich unter einander in der Dunkelheit. ‒ Wie Frankreich vor dem Bürgerkrieg und dem drohenden Bankerutt gerettet werden soll, es ist nicht abzusehen. Die Geschäfte stehen still, alle Welt ist ruinirt, Bald wird Niemand mehr beim besten Willen Steuern zahlen können. Der Bürgerkrieg dürfte nur für einen Augenblick ausgesetzt sein. Der Sieg hat die Frage nicht gelöst; es ist nur ein Waffenstillstand und bald wird die Zahl der Unzufriedenen groß genug sein, um den Wiederausbruch des Kampfes befürchten zu lassen.
[(Independ. Belge).]
Lamennais sagt in seinem „Peuple constituant“: Was man auch von den Absichten der Insurgenten sagen möge, überall wo Repräsentanten zu ihnen kamen um sie anzureden, haben sie gesagt: Gesteht nur daß wir keine Plünderer sind. ‒ In dem Proudhonschen Représentant du Peuple lesen wir: Wir beklagen, wir bewundern sie aufrichtig, diese Nationalgarden, diese Liniensoldaten, diese Mobilgarden, die ihr Leben muthvoll für die Sache der Ordnung und der Familie hingegeben haben. Aber sind sie nicht ebenso bemitleidenswerth, diese unglücklichen Arbeiter, die für das Recht zu kämpfen und zu sterben glaubten, das jeder Mensch hat, von den Früchten seine Arbeit unter dem Himmel des Vaterlandes zu leben. Ach es ist das Elend, das ihnen die Flinte in die Hand gedrückt hat.“
Wir fügen hier die Bemerkung eines Korrespondenten der belgischen „Indépendance bei, die also lautet: „Nicht ein einziges Journal hat den Muth oder den Willen die Wahrheit zu sagen über die Ereignisse. Nicht nur der Belagerungszustand legt diese Zurückhaltung auf; man fühlt die Nothwendigkeit die Geister zu beruhigen, die noch tief aufgeregt sind von den Erlebnissen der letzten Tage. So hat man die Füsillade der vorletzten Nacht auf dem Karrousselplatz und dem Tuilerienquai, die sonst als eine furchtbare Katastrophe gegolten hätte, als einen bloßen Lärm dargestellt. Ueber den wirklichen Antheil, den die Nationalgarde an der Insurrektion genommen hat, geben die Journale ebenfalls keine genauen Aufklärungen. Es steht fest, daß von der ersten und zweiten Legion (bekanntlich der Nobelgarde) nur eine kleine Anzahl gemeiner Gardisten, jedoch ohne ihre Waffen und ihre Uniform sich betheiligt haben. Eben so ist es mit weniger Ausnahme in der dritten. Aber schon in diesen ersten Legionen kannte man gewisse übelangeschriebene Leute, theils als conspirirende Reaktionaire, theils als Anhänger der rothen Republik. Bei einem Theile derselben wurden Nachsuchungen angestellt, man fand Gewehre, Pulver und Blei bei ihnen, hinlänglich um eine Kompagnie zu bewaffnen.
Selbst die Kleinkrämer, die klassischen Freunde der Ordnung, sollen nicht jeder Theilnahme an der Revolte fremd geblieben sein. ‒ Aber hauptsächlich haben die 5., 7., 9. und 12. Legion, ohne gerade in zwei Theile getheilt zu sein, wie man gesagt hat, ihr Kontingent zur Insurrektion gestellt. Beim Pantheon kommandirte ein Bataillonschef, Namens Collet, die Insurgenten; er ist erschossen worden. Nationalgarden in Uniform sind in allen Barrikaden des Quartier Latin gesehen worden. Im Faubourg St. Antoine hat man ebenfalls mehrere Offiziere und Unteroffiziere der Nationalgarde ergriffen. Sehr viele, die nach Hause zurückgekehrt waren, wurden angezeigt und sofort verhaftet. Zu La Chapelle hatte der eine Bataillonschef den andern ‒ es sind ihrer zwei da ‒ gefangen genommen. In diesem Augenblick beginnen hier die Denunciationen, und die eine Hälfte der Gemeinde klagt die andere einer nur allzuwahren Theilnahme an dem Aufstande an.“
Ueber die Theilnahme der Arbeiter sagt derselbe Korrespondent: Ein Bewohner des Faubourgs St. Antoine versicherte mir gestern, daß im Ganzen mehr kleine Fabrikanten und Werkführer in den Barrikaden gewesen, als eigentliche Arbeiter. Aber unter Arbeitern verstand er vorzugsweise die seines Handwerks, Arbeiter auf Zimmern, die größtentheils Familienväter sind, die Fabrikarbeiter und Tagelöhner kann er nicht gemeint haben.
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@facs0159
Paris, 30. Juni.
Die Restaurationspartei fängt schon an ihre Gedanken und Hoffnungen ganz offen auszusprechen; was sie in Paris noch nicht wagt, das gesteht sie unverschleiert in belgischen Journalen, die zum Ruhme ihres konstitutionellen Musterstaates begierig Alles aufnehmen, was die französische Republik herabzusetzen, ihr baldiges Ende wahrscheinlich zu machen geeignet ist. In der „Emanzipation“ heißt es: der Sieg, den die Nationalgarde am 26. Juni zu Paris davongetragen hat, ist der erste Tag der Wiederherstellungen. Am 24. Februar war man herausgetreten aus der politischen Welt und der Gesellschaft. Am 26. Juni kehrt man zur gesellschaftlichen Ordnung zurück. Die Zeit, die Ueberlegung und der gesunde Sinn des Landes werden das Uebrige thun. ‒ Die Menschen, die vom 23. bis 26. Juni einen Verzweiflungskampf fochten, sind, sagt ihr, dieselben, die am 24. Februar das Königthum gestürzt haben. Die Aufrührer, gegen welche die Armee und Nationalgarde so viel Muth und Entschlossenheit entfaltet haben, sind dieselbe Aufrührer, gegen welche Armee und Nationalgarde nicht marschiren wollte am 23. Februar. Keine Täuschungen, keine Lügen, das ist die reine Wahrheit.
‒ Man glaubt eine der deutschen Provinzial-Adressen vor sich zu haben, die stets mit so viel täppischer Voreiligkeit die geheimen Pläne und Tendenzen der Reaktion ausplaudern, wenn man die nachstehende Petition der Nationalgarde von Rouen liest, die eben an die Nationalversammlung mit „zahlreichen Unterschriften“ abgeht:
„An die Mitglieder der National-Versammlung. Mitten im Herzen des Vaterlandes hat das Element des Umsturzes und der Vernichtung, verschworen gegen das Leben der Gesellschaft vier Tage lang sein schreckliches Banner aufgepflanzt. Die bewaffnete Nation hat seine furchtbare Herausforderung angenommen und der Kampf hat ein glorreiches Ende gehabt für die unerschrockenen Vertheidiger der öffentlichen Ordnung.
Aber das reinste Blut ist vergossen worden und seine Spuren werden noch lange auf den Straßen und öffentlichen Plätzen von Paris sichtbar bleiben.
Auf wen muß die Verantwortlichkeit dafür fallen? Die Nationalgarde steht nicht an sie auf die Regierung zu wälzen, d. h. auf die Vollziehungs-Kommission der Fünfe. Der Kampf war vorhergesehen und angekündigt. Was hat sie gethan ihm zuvorzukommen? Was hat sie gethan ihn zu unterdrücken? Die Insurgenten waren mit Waffen und Kriegsbedarf vollauf versehen. Woher sind sie dazu gelangt? Warum haben sie gleich von Anbeginn zahllose furchtbare Barrikaden erhoben ohne Hinderniß? Warum ist nicht gleich anfangs schleunig und kräftig eingeschritten worden?
Die Vollziehungs-Kommission wußte was kommen sollte; sie hat es nicht verhindert. Beweist ihre Unthätigkeit nicht ihre Schuld?
Darum hat sich auch ein ungeheurer Schrei des Entsetzens und der Verwerfung gegen sie erhoben. Sie ist gefallen. Das genügt nicht. Sie ist der Nation Rechenschaft schuldig für ihre Handlungen. Die Nationalgarde von Rouen verlangt, daß sie in Anklagestand versetzt werde.“
(Siehe den Verfolg in der Beilage.)
Ungarn.
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Pesth, 18. Juni.
Der illyrische Aufstand ist immer im Zunehmen und unsere Regierung hat sich genöthigt gesehen, in den angränzenden Komitaten 40,000 Nationalgarden binnen 10 Tagen mobil zu machen. Außerdem werden zwei Lager regulärer Truppen bei Essek und Szegedin gebildet. Ziehen wir die Einwohnerzahl des aufständischen Gebietes und der zunächst betheiligten angränzenden Komitate in Betracht, so stellt sich ein günstigeres Verhältniß für die Ungarn heraus. Nach der neuesten Konscription nämlich zählen dort die Magyaren 1,323.402, die mit diesen verbündeten Deutschen 485,836, die großentheils ungarnfreundlichen Walachen 651,055, dagegen die Raizen oder Serbier 378,352, die Kroaten 72,949, die Slaven 66,425 Seelen. Diesem für die Ungarn günstigeren numerischen Verhältniß gegenüber haben aber die Illyrier für sich die Berge, die wohlgeübten und tapfern Gränzer, den Kampf der Vertheidigung für Nationalität und Selbstständigkeit und endlich die sehr bedenkliche Ver- [0160] bindung mit den Donaufürstenthümern und indirekt mit Rußland. Sollte es daher dem in Dekreten und Proklamationen ausgesprochenen Willen des Königs nicht gelingen, die Sache friedlich beizulegen, so ist Ungarn in einer sehr kritischen Lage, um so mehr, als bei einem ernsten Kriege die Walachen in Siebenbürgen, die Slowaken und die Rußniaken im Norden ebenfalls nicht ruhig bleiben würden. In Agram ist es zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen Gränzern und Linientruppen gekommen. Die Letztern behielten die Oberhand, und in Folge dessen soll der Agitator. Dr. Ludwig Gaj gefangen gesetzt worden sein. Andere Privatmittheilungen nennen jedoch den Zusammenstoß bloß eine gewöhnliche Rauferei ohne politischen Charakter. Für die gestrige Nacht besorgte man hier Unruhen, und es sind daher große Vorsichtsmaßnahmen ausgeführt worden. Die beunruhigenden Gerüchte scheinen jedoch ein blinder Lärm gewesen zu sein. Es war keinerlei Anzeichen einer beabsichtigten Ruhestörung zu entdecken.
‒ 19. Juni. Die Post- und Dampfschifffahrtsverbindung mit Karlowitz und dem revolutionirten Gebiete überhaupt ist fast gänzlich unterbrochen, und wir sind hier auf bloße Gerüchte vom dortigen Schauylatze berschränkt. Der offizielle Közlöny ist noch immer sehr einsilbig über die illyrische Bewegung. Der heutige Nemzeti (National) versichert, aus zuverlässiger Quelle folgende räthselhafte Nachricht zu haben. Durch Vermittelung des russischen und östreichischen Konsuls (aus Belgrad?) sei nämlich bei Karlowitz ein dreitägiger Waffenstillstand unterzeichnet worden. Dasselbe Blatt macht darauf aufmerksam, daß es am 12. Juni in Prag, in Agram, in Karlowitz und hier zum blutigen Zusammenstoß gekommen, was es nicht dem Zufall, sondern einem angelegten Plan der Reaktion zuschreiben zu müssen glaubt. An die Stelle des Feldmarschall-Lieutenants Baron von Jelachich soll der Oberst Gyulai zum Ban von Kroatien ernannt werden. Derselbe ist ein Magyar.
In dem bacser Comitat, welches meist von Serbiern oder Raizen bewohnt ist, warten diese nur die Ankunft der Aufständischen ab, um sich denselben anzuschließen. Die Komitatsbehörde hat daher beim Ministerium um ein Hüifskorps von 10,000 Mann zur Niederhaltung des Aufstandes nachgesucht.
Laut einer Korrespondenz des „P. Hirlap“ aus Bács vom 18. Juni wächst die Gefahr daselbst von Minute zu Minute, und ist das ganze Gebiet von einer schrecklichen Verwüstung bedroht. Amtlichen Zuschriften zufolge schwellen die empörerischen Volkshaufen nach dem Carlowitzer Treffen immer mehr an, und sollen schon auf einem Fleck, bei Perlese, 20,000 Mann mit Militär untermischt beisammen gewesen sein. Der Korrrespondent schaudert bei dem Gedanken, was nach dem 14tägigen Waffenstillstand geschehen werde, der den Insurgenten bewilligt worden. ‒ Das Bácser Comitat hat ein Streitheer von 20,000 Mann aufzustellen beschlossen, welches von der Gränze der Tschetkisten bis Futak eine Wachlinie bilden wird, damit die Empörer aus dem Komitate keine Lebensmittel zugesteckt bekommen. Auch die Comitate Pesth, Tolna, Csongrád, der Bezirk der Tazygier und Cumaner und die Städte Maria Thornsiegel, Czagadin und Zambor sind durch Depesche aufgefordert worden, sobald als möglich für die gemeinsame Sache Freiwillige zu stellen. Hier geht so eben das Gerücht, daß in Syrmion eine Abtheilung Husaren entwaffnet wurde. Der Feind bereitet sich mit einer unerhörten Wuth vor, jeden Augenblick loszustürzen, und hat vor der Hand nichts Geringeres vor, als Baranya, Báco und das Banat an sich zu reißen.
[(A. O.-Z.)]
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@facs0160
Pesth, 20. Juni.
Der königl. Staathalter Erzherzog Stephan ist heute Morgen in Begleitung des Ministers Grafen Stephan Szechenyi wieder nach Innsbruck gereist. Die Dämpfung des furchtbaren illyrischen Aufstandes ist der Hauptzweck dieser Reise. Der Premierminister Graf Ludwig Bathanyi ist nach Presburg gegangen. ‒ Aus sicherer Quelle erfahren wir, daß der Kommandant von Peterwardein, Feldmarschalllieutenant v. Hrabowsky, den weit überlegenen Aufständischen gegenüber mit dem Grafen Albert Nugent einen vierzehntägigen Waffenstillstand schließen mußte. Nach der Angabe des Feldmarschalls ste hen die Illyrier in zwei verbundenen verschanzten Lagern hinter Karlowitz an dem Kamenitzer Gebirge gelehnt und in den sogenannten römischen Schanzen bei Temerin. Beide Lager zählen 21,000 Mann, welche großentheils mit Schießgewehren bewaffnet sind, und besitzen acht Dreipfünder und zwei Sechspfünder und viele Mörser. Diese Mannschaft wird noch täglich durch neu hinzuströmende Bauern aus dem Banat verstärkt. Der ganze Aufstand wird von einem provisorischen Centralkomite geleitet, welches früher in Karlowitz, jetzt aber in dem Lager residirt. Der Feldmarschall v. Hrabowsky, wird von den Illyriern verhöhnt, und das provisorische Centralkomite hat auch eine besondere Gesandtschaft nach Innsbruck beordert, welche die Entfernung v. Hrabowsky's aus Peterwardein und die Ausrüstung des Patriarchen Rajarsics von Karlowitz, des Bans Jellachich und des neugewählten Wojewoden Obersten Schuplikatz mit unbeschränkten Vollmachten vom König auswirken soll. In der Festung Peterwardein selbst zeigte sich unter den vielen Serbiern des Regiments Don Miguel eine feindselige Stimmung gegen Ungarn. An dem Kampf in Karlowitz am 12. Juni haben nach der Anzeige v. Hrabowsky's auch 60 Mann aus Serbien Theil genommen. In dem bacser Comitat, welches meist von Serbiern oder Raizen bewohnt ist, warten diese nur die Ankunft der Aufständischen ab, um sich denselben anzuschließen. Die Komitatsbehörde hat daher beim Ministerium um ein Hülfskorps von 10,000 Mann zur Niederhaltung des Aufstandes nachgesucht.
[(D. A. Z.)]
Dänemark.
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@facs0160
Kopenhagen, 25. Juni.
Der „Lübecker Korrespondent“ bringt folgende Kopenhagener Korrespondenz: „Seitdem am 21. d. M. der Kammerherr Reeds in Begleitung unseres ehemaligen Bundestagsgesandten, Baron v. Pechlin, aus London zurückgekehrt ist, erfährt man mit Bestimmtheit, daß die unter Englands Vermittlung angeknüpften Friedensunterhandlungen gänzlich haben abgebrochen werden müssen. Auf die ausschweifenden Vorschläge, welche von deutscher Seite in London gemacht wurden, kann Dänemark nicht eingehen. Der fortdauernden Neutralität Oesterreichs, des einzigen deutschen Bundesstaats der eine Flotte besitzt, und dadurch uns gefährlich werden könnte, sind wir gewiß. Vor acht Tagen zwar hieß es, daß in Folge der Frankfurter Beschlüsse nun auch der österreichische Gesandte Baron von Vrints-Treuenfeld, abberufen worden sei; es hat sich indeß dies Gerücht als unwahr herausgestellt, Baron, Vrints stets nach wie vor im freundlichen Verkehr mit unserm Hofe, und nichts deutet auf seine Abreise. Zugleich mehren sich die Aussichten auf den Beistand des gesammten Nordens von Tage zu Tage. Die am 22. mit dem englischen Dampfschiffe „Rob Roy“ für den König Oscar von Schweden aus St. Petersburg eingegangenen Depeschen überbrachte der hiesige russische Gesandte, Baron von Ungern-Sternberg, sofort dem Könige persönlich nach Malmö; seine Audienz soll eine für unsere Interessen sehr zufriedenstellende gewesen sein. Dasselbe Dampfschiff brachte uns die Nachricht, daß man zu Kronstadt nun auch die zweite Abtheilung der russischen Ostseeflotte segelfertig mache und dadurch die letztere auf vierzig größere Kriegsschiffe bringen wolle, so wie, daß die Truppenmärsche aus dem Innern von Rußland an die polnisch-deutsche Grenze ununterbrochen fortdauern. In wenigen Tagen hofft man daher, den Kammerherrn Oxholm mit Rußlands entscheidenden Erklärungen aus St. Petersburg auf dem engl. Dampfschiffe Victory heimkehren zu sehen.
[(Wes. Z.)]
Rußland.
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@facs0160
Die Cholera macht neuerdings wieder bedeutende Fortschritte; in Moskau rafft sie täglich mehr Opfer dahin, auch verbreitet sie sich über mehrere Gouvernements, in denen sie früher nur schwach oder gar nicht aufgetreten war.
[(B. Z.-H.)]
[Leserbriefe]
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@facs0160
Die Veröffentlichung nachstehender Erklärung vieler westphälischen Bürger und Bauern ist durch die Weigerung der „Kölnischen Zeitung“, sie in ihre Spalten auch sogar gegen Erstattung der Insertionsgebühren, aufzunehmen, verzögert.
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@facs0160
Meschede in Westphalen, den 13. Juni 1848.
Als wir vor Kurzem die angebliche Protestation der Westpreußen gegen Berlin lasen, und die allgemeine Verachtung sahen, welche diese Drohung ihren Urhebern brachte, fürchteten wir nicht, daß die Frechheit so weit gehen würde, auch unsern Namen „Westphalen“ in gleicher Weise zu brandmarken, wie es in Nro. 162 der Kölnischen Zeitung geschehen. Wir sind zwar fest überzeugt daß der eben so dumme als schamlose Artikel nur aus der Feder eines der vielen jammerlichen Subjekte geflossen ist, welche sich unter dem gestürzten, ihrer würdigen System auf Kosten des Volkes wohl sein ließen und nun mit Grund sich ärgern von den Fleischtöpfen Egyptens vertrieben zu sein und wir halten es dieserhalb für höchst überflüssig, erst weiter noch zu versichern, daß kein ehrlicher wahrer westphälischer Bauer oder Bürger zu dem Schandartikel sich bekennen wird, benutzen aber mit Freuden die Gelegenheit öffentlich zu erklären, daß wir der Sache der vollsten Freiheit, dem raschen entschiedenen Fortschritte, und allem dem, was uns endlich die Verwirklichung der längst gehegten Wünsche hoffen läßt, eben so entschieden anhängen und mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln dies zu erstreben und zu bewahren fest entschlossen sind, als wir das durch die hochherzigen tapfern Bürger Berlins vernichtete alte verächtliche System von Grund der Seele hassen und verabscheuen.
Wir halten uns dieserhalb den wackern Berlinern ebenso zu Danke verpflichtet, als wir gerne und mit Freuden anerkennen, daß die uns schon aus alten Zeiten enge verwandte und theure Stadt Köln sich bis jetzt stets in unserm Sinne und nach dem Wunsche unseres Herzens benommen hat. Sowohl Berlins als auch Kölns wackere Männer dürfen daher überzeugt sein, daß, wenn uns je die Erfüllung politischer Pflichten in ihre Mitte führen sollte, wir nur erscheinen, um Hand in Hand mit ihnen, die nach den Erfahrungen der jüngsten Zeit, vielleicht wieder erwachten, der Freiheit und dem Volke feindlichen und verhaßten Grundsätze der gestürzten Regierung zu bekämpfen, oder Ueberreste derselben, welche noch nicht völlig ausgerottet, zu vernichten.
Uns fehlt nicht der Muth wie so Vielen, offen und frei zu erklären, daß wir die Revolution in Berlin für das Ruhmwürdigste anerkennen, was unser Volk seit lange vollbracht, daß durch diese That alle Rechte demselben wieder errungen sind, welche List, Trug und Gewalt ihm entrissen und vorenthielten; daß Kraft dieser Revolution die höchste Gewalt zu dem Volke zurückgekehrt, dem sie einzig gebührt und welches nach seinem Ermessen sie diesem oder jenem anvertraut; und wenn uns auch nicht vergönnt war, an dem ruhmwürdigen Kampfe Theil zu nehmen, welcher uns unsere Rechte wieder eroberte, wir doch jeden Augenblick bereit sind, Gut und Blut an ihre Erhaltung zu setzen.
Das ist die Erklärung wirklicher westphälischer Bauern und Bürger.
(Folgen die Unterschriften.)
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@facs0160
An das deutsche Volk!
Was wir vorausgesehen, ist eingetroffen. In ihren Sitzungen von gestern und heute hat die deutsche Nationalversammlung, welche größtentheils nicht aus direkter Volkswahl hervorgegangen ist, durch ihre „Beschlüsse über Einführung einer provisorischen Centralgewalt für Deutschland“ das deutsche Volk und sich selbst in den Zustand der Unmündigkeit zurückgeworfen. Ihre Majorität hat, gegenüber der an Zahl nicht den vierten Theil bildenden entschiedenen Linken:
1) den Antrag: „die Centralgewalt habe die Beschlüsse der Nationalversammlung zu verkündigen und zu vollziehen“, verworfen. Sie hat hiermit von vorn herein ihre Beschlüsse in die blaue Luft gestellt, und eine ihr gegenüberstehende furchtbare Diktatur geschaffen. Was soll hierbei aus der Einheit und Freiheit Deutschlands werden? Oder will man in jedem Falle, in welchem der „Reichsverweser“ sich weigert, die Beschlüsse der Nationalversammlung zu vollziehen, an die revolutionäre Entscheidung des Volks appelliren?
2) Sie hat ‒ ein Vorbild dessen, was wir von ihr für die Gründung einer definitiven Verfassung Deutschlands zu erwarten haben ‒ die Centralgewalt keinem Präsidenten, sondern einem Reichsverweser, dem Vorläufer eines deutschen Kaisers mit neuem Throne und neuer Civilliste, übergeben. Sie hat hiermit das Mittelalter von Neuem zur Grundlage gemacht und die Verwesung Deutschlands zum Gesetz erhoben.
3) Sie hat die Unverantwortlichkeit dieses Verwesers zum Beschluß erhoben, mithin von Neuem den Wahn eines heiligen, unverantwortlichen und unverletzlichen Wesens an die Spitze unserer politischen Zustände gestellt, und dadurch der Diktatur von Gottes Gnaden Raum gegeben.
4) Sie hat beschlossen, „daß die Centralgewalt sich in Beziehung auf die Vollziehungs-Maßregeln, so weit thunlich, mit den Bevollmächtigten der Landes-Regierungen ins Einvernehmen setzen soll.“ Hiermit hat sie die geschaffene Centralgewalt und Diktatur, im Interesse der Regierungen, wieder zersplittert und illusorisch gemacht, und hat vollends die Kraft des frei-einigen Deutschlands vernichtet, und den Zustand der Sonderinteressen sanktionirt.
Also ein Gesetz hat die Nationalversammlung erlassen, welches einen unverantwortlichen, an die Beschlüsse der Nationalversammlung nicht gebundenen, mit den Landes-Regierungen sich möglichst in's Einvernehmen setzenden Reichverwesers als die exekutive Gewalt Deutschlands proklamirt! Also dieser widerspruchsvolle durch die Nationalversammlung geschaffene Diktator der fürstlichen Interessen soll an der Spitze Deutschlands stehen?!
Von Neuem ist das Mittelalter heraufbeschworen, die Nationalversammlung hat die Volkssouverainität, die Volksmündigkeit, ihre von ihr selbst feierlich proklamirte Mutter und einzig berechtigte Grundlage freiwillig aus aus ihrer Hand gegeben, dem Volke von Neuem eine Fürsten-Aristokratie und einen heiligen Popanz gegenüber gestellt; sie hat den Grund zu neuen innern Kämpfen Deutschlands gelegt, und dadurch die Hoffnung auf Wiederbelebung der Industrie und des Verkehrs auf längere Zeit vernichtet. Sie wird uns hiermit den, bei der Zersplitterung Deutschlands in so viele Staaten und Regierungen dreifach verderblichen Zuständen Frankreichs unter dem Bürgerkönig Louis Philipp und unter der „mit republikanischen Institutionen umgebenen Monarchie“ entgegenführen, und dadurch bald eine neue Revolution nothwendig machen.
Es ist die Pflicht Aller, welchen die Ehre, die Freiheit und das Wohl des Vaterlandes am Herzen ligt, gegen eine Nationalversammlung, welche schon 7 Wochen lang das Volk hingehalten, mehrmals verleugnet, und jetzt durch obige Beschlüsse im Innersten verletzt hat, sich entschieden zu erklären.
Hierzu ist erforderlich, daß überall und sofort in dem ganzen deutschen Vaterlande Vereins- und größere Volksversammlungen gehalten werden, in welchen dem deutschen Volke die Sachlage genau dargelegt und die folgenden Punkte beschlossen werden müssen.
a. Ueberall müssen allgemeine Eingaben an die Nationalversammlung gerichtet werden, in welchen derselben, als einer meist aus nicht direkten Volkswahlen hervorgegangenen, die fernere Anerkennung versagt, und insbesondere die Majorität als volksfeindliche Macht verworfen, die Minorität der Linken zum Ausscheiden und zu der Bildung eines neuen Kernes aufgefordert wird, an welchen sich weitere Abgeordnete durch neue direkte Wahlen anschließen müssen.
b) Von jedem besonderen Wahlbezirke aus müssen die Mandate der Männer der Majorität zurückgenommen, und müssen die einzelnen Abgeordneten, welche zu der Linken gehören, zum Ausscheiden aus dieser Nationalversammlung und zum Anschlusse an die übrigen gleichfalls ausscheidenden Männer der Linken, und zur gemeinsamen Bildung des Kernes einer neuen Versammlung aufgefordert werden.
Zu diesem Zwecke folgt unten ein Verzeichniß derjenigen Abgeordneten, welche als Glieder der entschiedenen Linken gegen das Gesetz über die Centralgewalt gestimmt haben.
Einer dieser Ehrenmänner, Kapp von Neuenheim bei Heidelberg, ist bereits ausgeschieden, und hat seinen schon in ganz Deutschland gefeierten Namen durch die folgende Erklärung seines Austritts von Neuem verherrlicht.
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Der Abgeordnete Kapp an Herrn v. Sagern, Präsidenten der Nationalversammlung.
Gestern Morgen hatte ich gleich zu Anfang der Sitzung in einer dringlichen Angelegenheit auf wenige Augenblicke Sie und Herrn v. Soiron um's Wort gebeten; letzterer hat sich indessen trotz meiner vier Mal wiederholten Forderung wie gewöhnlich gemüßigt gefunden, mir dasselbe abzuschneiden. In die Unmöglichkeit versetzt, mich mündlich erklären zu können, bin ich gezwungen, die Gründe meines Austritts schriftlich auf die Tafel des Hauses niederzulegen und Sie zu ersuchen, dies Schreiben sofort der Nationalversammlung mitzutheilen.
Als ich am Montag Morgen, den 26. d. M., den Antrag auf Gründung einer großen deutschen Nationalbank dem Präsidium übergab, glaubte ich nicht, noch am Abend desselben Tages einen Vorfall erleben zu müssen, der in den Annalen parlamentarischer Verhandlungen kaum seines Gleichen hat. Mit gewohnter Milde und Nachsicht würde ich jedoch diesen Vorfall, wie andere ähnliche ‒ ich nenne nur die zaghafte Vertagung der Wahlfrage Peter's, der Mannheimer Beschwerden und das Benehmen in der Mainzer Angelegenheit ‒ übersehen haben, wenn ich nicht aus dem Geiste, welcher in den Hauptfragen die Mehrzahl der Versammlung beherrscht, die tragische Ueberzeugung gewonnen hätte, daß die Nationalversammlung nicht nur die Gesetze verleugnet, welche sie sich selbst gegeben, sondern auch den Boden verläßt, auf welchem sie zu stehen berufen ist, daß sich also das Schicksal Deutschlands nicht in diesem Saale, sondern außer ihm, nicht durch Worte und diplomatische Künste, sondern durch Thaten, durch Ereignisse entscheiden wird.
So schmerzlich es mir ist, dies aussprechen zu müssen, so wenig ich zu separatistischen Schritten geneigt bin, so kann ich es doch im Geiste meiner Wähler mit meiner Ehre und meinem Gewissen nicht vereinigen, noch länger einer Nationalversammlung anzugehören, welche in Tagen solcher Noth ihr Schicksal außer sich setzt und nicht zu begreifen wagt, daß die Thatsachen unserer neuen Geschichte nichts anders als die offenbar gewordenen Prinzipien des Jahrhunderts sind. Einen erneuten glänzenden Beweis der Verleugnung ihres Ursprungs, der Verkennung ihrer Aufgabe, der Verkennung der Forderungen und Hoffnungen des Volks hat die Nationalversammlung in taktvoller Harmlosigkeit bei der gestrigen Abstimmung dadurch geliefert, daß sie die Centralgewalt von der Verbindlichkeit, die Beschlüsse der Nationalversammlung zu vollziehen, entband, jene also unabhängig von sich hinstellte, mithin sich selbst zur Antichambre des künftigen Reichsverwesers degradirte; bei ihrer heutigen Abstimmung aber dadurch, daß sie eben diesen Reichsver weser mit mehr als doppelter Majorität aller Verantwortlichkeit überhob und auf diese Weise die Macht- und Rechtsvollkommenheit des Volkes verdahlmannte.
Indem ich auf Grund dieser Thatsachen meinen Austritt erkläre, verbinde ich mit dem hochachtungsvollsten Gruße an die Ehrenmänner aller Bänke den Wunsch, daß mein Ausscheiden die Ursachen mit entfernen helfe, welche zu diesem Schritte gonöthigt haben.
Frankfurt, den 28. Juni 1848, Vormittags 111/2 Uhr.
Berger von Wien. Blum von Leipzig. v. Blumröder, Gustav, von Kirchenlamitz. Boddien von Pleß. Bogen aus Michelstadt. Brunck von Fürfeld. Christmann von Dürkheim. Dewes von Losheim. v. Dieskau von Plauen. Dietsch von Annaberg. Dietzsch von Saarbrücken. Falk von Ottolangendorf. Föhrenbach aus Baden. Förster von Hünfeld. Giskra von Wien. Goltz von Brieg. Gritzner von Wien. Grubert. Gulden von Zweibrücken. Günther von Leipzig. Hagen aus Heidelberg. Hartmann von Leitmeritz. Heldmann aus Hessen. Hensel I. von Camenz. Hentzel von Zittau. Hentges von Heilbronn. Hoffbauer von Nordhausen. Höninger von Rudolstadt. Itzstein aus Mannheim. Jordan von Berlin. Junghanns von Mosbach. Kolaczeck aus österr. Schlesien. Kolb von Speyer. Küntzer aus Konstanz. Marsilli von Roveredo. Martiny von Friedland. Meyer von Liegnitz. Minkus von Marienfeld. Mohr von Oberingelheim. Nägele von Murhardt. Nauwerk von Berlin. Pfahler von Tettnang. Raveaux von Köln. Ree von Offenburg. Reichard von Speyer. Reinhard von Boytzenburg. Reinstein von Naumburg. Reitter von Prag. Richter aus Achern. Rödinger von Stuttgart. Rölle aus Schlesien. Rösler von Oels. Roßmäßler von Tharand b. Dresden. Rühl von Hanau. Ruge von Leipzig. Sachs aus Mannheim. Schaffrath von Neustadt. Schilling von Wien. Schlöffel von Halbendorf. Schmidt, E. F. F., von Lävenberg. Schmidt, Jul. Th., v. Wurzen. Schmitt von Kaiserslautern. Schneider aus Brünn. Schüler von Jena. Schüler, Fried., von Zweibrücken. Schulz, Friedrich, von Weilburg. Schuselka von Kloster-Neuburg. Simon, Max, von Breslau. Simon von Breslau. Simon von Trier. Sonnenkalb von Römschütz. Spatz von Frankenthal. Stockinger von Frankenthal. Straß aus Schlesien. Tafel von Stuttgart. Tafel, Franz, von Zweibrücken. Thieme von Hirschberg. Titus von Bamberg. Trützschler von Dresden. Uhland von Tübingen. Umbscheiden von Dahn. Vischer von Tübingen. Vogel aus Schlesien. Vogt von Gießen. Wesendonk von Düsseldorf. Wiesner von Wien. Wigard von Dresden. Zell von Trier. Zell von Trier. Zimmermann, Professor, von Stuttgart. Zimmermann von Spandau. Zitz von Mainz. Zöllner Chemnitz.
Frankfurt a. M, den 28. Juni 1848.
Der provisorische Central-Ausschuß der demokratischen Vereine zu Frankfurt a. M.
Ronge. Metternich. Bayrhoffer.
Handelsnachrichten.
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(Hierzu eine Beilage.)