[1011]
Beilage zu Nr. 187 der Neuen Rheinischen Zeitung.
Organ der Demokratie.
Freitag 5. Januar 1849.
[Deutschland]
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[Fortsetzung] bürgerliche Republikaner tritt plötzlich als Freihandelsmann auf. Er hat das aber bloß seiner blinden Liebe für das Wort Freiheit zu verdanken. Er will die Freiheit für Alle, also auch die Freiheit für den Handel. „Wer für die Freiheit überhaupt wirkt, wirkt auch für den Handel.“
Der freie Handel ist freilich nur die Freiheit des Kapitals zur Ausbeutung und Vernichtung des Arbeiters. Aber weil Herr Karl Heinzen für „die Freiheit überhaupt“ wirkt, so muß er auch für diese Freiheit wirken. Warum nicht auch für die Freiheit des russischen Autokraten?
Ein Königreich für so einen kleinbürgerlich-republikanisch-revolutionären Freihandelsmann!
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Dresden, 29. Dezember.
Die Partei des Vaterlandsvereins hat in Bezug auf die Wahlen zum Landtage, welcher den 10. Jan. seinen Anfang nehmen wird, einen überraschenden Triumph erlebt. Wenn man auch hoffen durfte, daß seine Kandidaten für die zweite Kammer größtentheils die Mehrzahl der Stimmen erhalten würden, so war dies doch in Bezug auf die Kandidaten für die erste Kammer sehr zweifelhaft, weil hierzu nur Ansässige wählen konnten, diese aber angeblich sich mehr zur Partei des deutschen Vereins neigen sollten. Allein gerade für die erste Kammer hat der deutsche Verein keinen einzigen Kandidaten, der Vaterlandsverein die seinigen sämmtlich durchgebracht.
[(Fr. J.)]
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[ 20 ]. Aus dem Reich.
„Wollen warten, was Hannover thut“! sagen mehrere unserer geliebten Landesväter, die man zum Unterschied von den großen Propheten die kleinen nennt. „Wollen Hannover abwarten,“ rufen sie denen zu, die um Verkündigung der sogenannten „Grundrechte“ des Reichsvolkes bitten. So ist Hannover der Polarstern geworden, auf den die kleinen deutschen Schiffer „von Gottes Gnaden“ erwartungsvoll und verwandten Auges hinblicken.
Unser Reichsvater, der Großherzog von Kleinrußland, früher unter dem Namen Nassau bekannt, hatte es seit dem März 1848 jeden Tag bitterlich empfunden, daß ihm während des unfreundlichen Frühlings die „Gottes Gnade“ abhanden gekommen. Der St. Petersburger Vetter hatte ihn arg deswegen geuzt und unser geliebter Reichsrusse hatte sich's vorgenommen, den großrussischen Sticheleien ein Ende zu machen. Dies hat er gethan. Der nassauische (offizielle) „Landeskalender“ mußte ihn wieder bis „von Gottes Gnaden“ avanciren. Drum nimmt sich dieser Landeskalender heuer auch wiederum ganz lieblich aus. Nun sind wir auch wieder froh und guter Dinge und brauchen uns als deutsche Kleinrussen neben den übrigen Reichsschaafen nicht mehr zu schämen, indem uns das Vorrecht, blos „von Gottes Gnaden“ geschoren zu werden, allerhuldreichst, wie Figura zeigt, zurückgegeben worden. Ach! zu dieser Wonne im tiefgerührten Herzen unsres Landesvaters gesellt sich der auf russisch blos durch die Knute aussprechbare Weltschmerz, daß wegen — — — Insubordination das erste Infanterie-Regiment hat aufgelöst werden müssen. Auflösung eines Regiments in dem Augenblicke, wo allnächtlich das ganze großherzogliche Schloß von den „rothen Hosen“ — im Traum — angefüllt wird? Von rothen Hosen, die sich in noch schrecklichere „Ohnehosen“ verwandeln? Was sollen unsre keuschen Reichsprinzessinnen davon denken, wenn ihnen das Nämliche oder noch Schlimmeres, als dem geliebten männlichen Landesvater, träumt? Was ist zu thun? Unser landesväterlicher Kleinrusse ist in dieser Beziehung kein so dummer Kerl. Zum Ersatz der aufgelösten und zur Herbeischaffung neuer Reichssoldaten läßt er 1600 Rekruten statt im April schon jetzt im Januar einziehen und kann nun, falls er nicht Reichskaiser wird, ohne Furcht weiter träumen.
Die Firma Eisele und Beisele ist aufgelöst; wir zeigen dies allen Geschäftsfreunden im Reich hiermit ergebenst an. Herr Beisele, vulgär Herr von Beisler geheißen, ist kaum aus dem Reich nach München zurückgekehrt und alsbald bringt er das Jahr 1848 für das liebliche Reichsbierbaiern zu einem würdigen Abschluß — durch Uebernahme des Ministeriums des Innern und Beendigung der Ministercrisis (bis zur nächsten im neuen Jahre). Im neuen Jahre will Herr von Abel zum Kain am Reichsbeisele werden. Er hat's geschworen bei Maxen's Barte „von Gottes Gnaden“.
Die Annalen des Reichs werden im Jahre 1849 den merkwürdigsten Zuwachs erhalten. Wichtiges bereitet sich vor. Vorläufig verrathen wir nur so viel, daß die braven „Borger“ der Reichsstadt Frankfurt ihrem Militär binnen 14 Tagen Waffenrock und Pickelhaube einbescheeren wollen. Bei der sonstigen Plattheit dieser „Borger“ und ihrer Central-Reichs-Witzlosigkeit kann endlich einmal eine Pointe nichts schaden!
Soweit wäre alles ganz gut, aber denken Sie sich, die treuen „Gothaner“ sollen Exzesse gegen die Reichstruppen begangen haben. Ist dies wirklich der Fall, so möge ihnen die deutsche Vorsehung einige märkische, wasserpolackische oder andere preußische ausgehungerte Bataillone auf den Hals senden, damit letztere sich auf Kosten widerborstig gewordener Reichsbürger ein wenig auffüttern können.
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[ * ] Schleswig, 30. Dezbr.
Die Landesversammlung hat sich heute vertagt. Ihre diesmalige Sitzung war also sehr kurz. Das Büreau hat den Auftrag, die Versammlung je nach Erforderniß einzuberufen. Dies wird schwerlich vor März geschehen.
Italien.
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[ * ] Palermo, 19. Dez.
Die Deputirtenkammer hat das vom Minister des Auswärtigen vorgelegte Dekret über den Anschluß Siciliens an die italienische Constituante nach einer langen Diskussion genehmigt. — General Antonini, kaum in Sicilien angekommen, ist sofort zum Generalinspektor der sicilianischen Armee ernannt worden. Er bereist jetzt in dieser Eigenschaft die Insel, und läßt die zur Vertheidigung geeigneten Punkte der Küste befestigen.
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[ * ] Neapel, 20. Dez.
Die neapolitanische Armee wird in wenigen Tagen auf 120,000 Mann angewachsen sein. Auch die Rüstungen zur See dauern fort.
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[ * ] Civita-Vecchia, 20. Dez.
Der „Tenare,“ von Gaeta kommend, ist in unserm Hafen eingetroffen, und es heißt, daß er den Pabst an Bord hat. Niemand darf sich dem Schiffe nähern, welches ein anderes englisches Dampfschiff zum Schutze neben sich liegen hat. Der Kardinal Perretti ist mit seinem Almosenier inkognito zu Civita-Vecchia angekommen, um nach Gaeta zurückzukehren.
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[ * ] Modena, 22. Dezbr.
In Folge eines Befehls unsres Herzogs, wodurch er die Juden, die Arbeiter und die Fremden aus Modena ausweist, hat sich die hiesige Nationalgarde en masse aufgelöst.
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[ * ] Mantua, 21. Dezbr.
Hier werden alle Vorbereitungen für den Krieg getroffen. Zu Curtatone arbeiten 800 Oestreicher an den Befestigungen. Man droht uns mit einer Requisition von 700 Ochsen.
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[ * ] Genua, 25. Dezbr.
Gestern hatten wir hier eine großartige konstitutionelle Demonstration. Die Massen begaben sich mit Fahnen vor das Hotel des Ministers Buffe, der vom Balkon herab eine Rede an sie hielt.
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[ 68 ]
Unter der Ueberschrift: „Wie liegt die italienische Frage nach dem Rücktritte General Cavaignac's und Herrn Bastide's“ bringt die „Presse“ vom 2. Januar eine erste „Communication“, die sich hauptsächlich die Vertheidigung Lamartine's in Bezug auf das jammervolle Verhalten der provisorischen Regierung zur italienischen Fräge angelegen sein läßt. Die Logik des Herrn de Girardin zeigt sich dabei ungemein schwach. Herr de Girardin kann nicht wohl umhin, die Italien betreffende Stelle in Lamartine's Manifest vom 4. März („Wenn die unabhängigen Staaten Italiens angegriffen würden; wenn man ihrer inneren Umbildung Grenzen setzen oder Hindernisse in den Weg legen wollte; wenn man ihnen mit bewaffneter Hand das Recht bestritte, zur Festigung eines italienischen Vaterlandes unter sich zu vereinigen: so würde auch die französische Republik sich für ermächtigt halten, diese legitimen Bewegungen des Wachsens und der Nationalität der Völker mit bewaffneter Hand zu schützen.“) und der Passus in einer spätern Rede des schönsprechenden Dichters: „Wenn ein Ruf über die Alpen an uns erklungen wäre, so würden wir augenblicklich französische Truppen zum Schutze der italienischen Unabhängigkeit abgeschickt haben,“ anzuführen: Alles, was er sagen kann, um sie mit dem Nicht-Einschreiten Frankreichs einigermaßen zu versöhnen, ist: daß der Redepassus dem Dichter-Staatsmann in der „Hitze der Improvisation“ entschlüpft, und daß im Manifest ja nur von den unabhängigen Staaten Italiens die Rede sei. Die Vertheidigung ist schwach, wie der Schwächling, der sie rein zu waschen strebt. Die Lombardei war natürlich ein abhängiger Staat.
Französische Republik.
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[ 12 ] Paris, 2. Jan.
Die Dinge werden mit jedem Tag heiterer, komischer. Die stoische Tugend des Herrn von Malleville und seine Beharrlichkeit, dem Präsidenten Napoleon die Aktenstücke nicht herauszugeben über den damaligen Heldenstreich L. Napoleons haben ihren guten Grund. Malleville war damals Minister des Innern unter Thiers; er selbst hatte in Abwesenheit des Ministers unsern Helden und jetzigen Präsidenten arretiren lassen: er war also bei der Abfassung dieser Protokolle großentheils betheiligt. Dann aber auch erstrecken sich diese Aktenstücke nicht allein auf die Geschichte von Straßburg, sondern sie bestehen aus Berichten bis zum 24. Februar von zwei Polizei-Sergeanten, die von Louis Philipp bezahlt wurden, damit sie Napoleon auf Schritt und Tritt nachfolgten, und von seinen geringsten Handlungen Rechenschaft abstatteten. Alles dieses bildet einen ganzen Papierstoß, der in einer eisernen Kiste, unter Schloß, Riegel und Siegel im Ministerium des Innern aufbewahrt wird. Warum aber Napoleon so sehr auf die Herausgabe dieser Papiere dringt? Nach der Komödie von Straßburg kam die von Toulouse, die nur eine Wiederholung der erstern war. Wenn man nun weiß, welche Rolle Thiers bei der Herzogin von Berry gespielt hat, so kann man leicht auf den Gedanken kommen, daß derselbe Thiers dieselbe Rolle in der Geschichte von Boulogne wiederholt und den armen Tropf Napoleon in die Schlinge gelockt habe. Wenn man nun ferner weiß, daß wie damals, so auch jetzt Napoleon den Thiers gerne zum Minister gehabt hätte, so versteht man, wie sehr ersterm daran gelegen sein muß, seine Freunde von seinen Feinden unterscheiden zu lernen. Wie dem aber auch sein mag, Louis Napoleon hat sich von einer neuen Seite gezeigt; denn in dem Briefe, den er an Malleville schreibt, sagt er: Sachen der Art wurden so unter Louis Philipp abgemacht; Mein Wille ist, daß ein gleiches Verfahren unter mir beobachtet werde.
Der Ministerwechsel, der beiläufig gesagt, noch nicht zu Ende ist, (denn man will Dufaure in's Ministerium hineinziehen) wird der Gegenstand von Interpellationen in der Kammer werden. Die Sitzung wird eine der wichtigsten und kann eine der skandalösesten werden, wenn die Deputirten sich nicht beständig zuzurufen schienen: Leise, leise, nur keinen Skandal gemacht; das Juni-Gespenst möchte aufwachen! Von der andern Seite hat die Kammer Furcht, man möchte sie fortschicken; denn immer stellt es sich deutlicher heraus, daß die Konstituante mit ihren 900 Mitgliedern, die 8 Minister in ihrem beständigem Wechsel, und der Präsident mit seinem noch nicht ernannten Appendix, dem Vicepräsidenten, nicht über 24 Stunden in Frieden neben einander leben können. Von diesen drei Gewalten wird wenigstens Eine, möglicher Weise aber 2 verabschiedet werden: und wenn es gut geht, werden sie binnen Kurzem alle drei den Abschied erhalten. Indessen freut sich der neue Präsident seines neuen Amtes: er hat gestern das diplomatische Korps von allen Mächten der Erde empfangen, mit dem Nuncius an der Spitze; des russische Gesandte hat allein gefehlt. Napoleon hat jedem der Gesandten in seiner Landessprache geantwortet, und es soll ihm gelungen sein, auf deutsch, französisch, italienisch und englisch sich zu kompromittiren: in keiner von diesen vier Sprachen ist es ihm gelungen, ein einziges kluges Wort zum Vorschein zu bringen.
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[ 12 ] Paris, 2. Jan.
Wir haben uns getäuscht. Wir haben in dem vorletzten Artikel gesagt: Napoleon und Rothschild! Es muß heißen: Napoleon und Karl Braunschweig. Ja, Braunschweig, der Ex-Herzog von Braunschweig, muß an die Stelle Rothschilds treten. Vor der Wahl des Prinzen Napoleon zum Präsidenten hat man beständig gefragt: wo nimmt der Kerl das Geld her? Man hat von Rußland gesprochen, von Holland und Brabant, da hören wir auf einmal, daß ihm aus einer Quelle Geld geflossen, die Niemand geahnt, daß Napoleon einen Freund besessen, wie selten Menschen sich dessen rühmen können: der Herzog von Braunschweig hat dem Napoleon 25,000 Pfund Sterling vor der Wahl vorgeschossen. Napoleon und Braunschweig, Orestes und Pylades, beide durch gemeinsames Unglück erprobt, in London gleiches Schicksal theilend: beide, verkommene Prinzen, sind in London in den hotels garnis herumgefahren, oder haben als Eonstabler gedient. Braunschweig hat dem Napoleon im Unglück beigestanden, Napoleon will, daß Braunschweig sein Glück theile. Braunschweig geht nach Paris und hat bereits seine Londoner Zeitung verkauft.
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[ 12 ] Paris, 2. Jan.
Man muß die erste Zeit nach der Februar-Revolution in Paris gewesen sein, um sich einen Begriff machen zu können von den Tausend und abermal Tausenden von Plänen, die damals in dem Gehirne von Tausenden von Franzosen auftauchten, zur Beglückung des menschlichen Geschlechtes. Der Staat lag so aufgelößt da, die Verhältnisse waren vermeintlicher Weise so los, so brach geworden, daß jeder Beglücker des Menschengeschlechtes nur seinen Kreis von Wünschen und frühern Plänen auszusäen brauchte, um sogleich die aufgelöste Gesellschaft zu reguliren. Als Form aller dieser Pläne, wie sie als Probleme, Postulata u. s. w. an's Tageslicht traten, kann folgendes Formular betrachtet werden: Gegeben ist ein Mensch mit allen seinen „natürlichen Bedürfnissen.“ Es soll eine gesellschaftliche Ordnung gefunden werden, in welcher alle diese natürlichen menschlichen Bedürfnisse Befriedigung erhalten. Wie diese Bedürfnisse mit der Erzeugung der Bedürfnisse, die Erzeugung mit der Produktionsweise, die Produktionsweise mit der ganzen bürgerlich-politischen Staatsform zusammenhing, wie zwischen allem diesen die Staatsschuld, die Hypothek u. s. w. durchspielt, und wie alles dieses Zusammenhängende sowohl wie das Durchspielende wieder mit England, und England wieder mit dem Weltmarkt und der Weltmarkt mit der ganzen Welt zusammenhängt, wie der „gegebene Mensch“ sammt seinen „natürlichen Bedürfnissen“ von allen diesen Dingen abhängt und aus ihnen geschaffen wird, das sahen die „Reformatoren“ des menschlichen Geschlechtes nicht. England existirte für sie nicht; ja die Staatsschuld u. s. w. ließen sie auf dem „Menschen“ haften. Also das obenstehende Problem lautet in der richtigen Uebersetzung folgendermaßen: Gegeben ist ein Franzose mit der Staatsschuld, mit den Hypotheken, und mit den natürlichen resp. französischen Bedürfnissen in den verschiedenen Ständen und Klassen: es soll gefunden werden ein Mensch, Civilisations-Mensch, der ungeachtet des Fortbestehens der Staatsschuld, der Hypotheken u. s. w. keine Hypotheken zu zahlen, und ungeachtet aller Einflüsse von England und der Colonieen, aus denen die Gegenstände zur Befriedigung seiner „civilisirten“ Bedürfnisse herkommen, dennoch diese Bedürfnisse ohne England u. s. w. befriedigen kann. Wir sehn das Unsinnige aller dieser Probleme aus ihrer Fassungsweise. Ueberhaupt sahen die Franzosen nur Frankreich und dachten bei der Arbeits-Frage: jeder Franzose hat so und so viel Kapital in seinen Armen, was geht uns das Kapital als solches an? Man weiß wie das Kapital als solches die Arme der Franzosen in jeder Hinsicht gelähmt hat; aber das hält sie nicht ab, weiter in ihren Projekten zu gehn. Die Staatsschuld lähmt die Arme! Tilgen wir die Staatsschuld durch Steuern. 30 Millionen Menschen werden doch die Millionen Schuld bezahlen können? Das Kapital trägt einen Hut und Rock, besteuern wir den Hut u. Rock und nehmen wir die Mützenträger u. Blusenmänner von den Steuern aus! Jeder, der einen Frack trägt, will der Deputirte Antoine, soll 100 Franken jährlich, der einen Rock 5 Fr. und der einen Hut 20 Fr. zahlen. Wäre der Hut und Frack wirklich das unterscheidende Merkmal des Kapitalisten, wie es der gute Antoine vermeint, wäre ferner der Rockträger Rock-Inhaber, so wäre das ein leichtes Mittel, den Kapitalisten zu treffen, und die Staatsschuld auf indirekte Weise zu tilgen, d h. ohne den Banquerut einzugestehen, und ohne geradezu einen Strich durch das „große Buch“, das Hauptbuch des Staates, zu machen. 100 Millionen in den Hüten, und mit jedem Jahre neue 100 Millionen, die jedes Mal auf's Neue aus den Hüten herausfallen, ohne der Fracks zu gedenken. Das ist gewiß eine schöne Einnahme. Wer will nicht sein Haupt mit einem Filze zieren, und wer zahlt nicht gerne 20 Fr. für den Filz auf seinem Haupte? Aber hier sind ungeheuer viele Fälle zu berücksichtigen. Zeigt wirklich der Filz den filzigen Kapitalisten an? Ist der nominelle Inhaber der wahre Besitzer des Filzes? und geht es nicht den Rockträgern, wie den Landbauern, welche Steuern für ein Land bezahlen, dessen wahrer Besitzer der Kapitalist ist? Weiter, wo hört der Ueberrock auf? wo fängt der Frack an? die langen und breiten Schöße, die man jetzt trägt, verlaufen sich dermaßen in den Ueberrock, daß man von Rechtswegen die Mode der Schwalbenschwänze wieder einführen müßte. Aber alles das sind nur Nebensachen; nicht zu gedenken der Schlafröcke, die über den Röcken, und der abgeschabten und durchlöcherten Röcke, die unter der Bluse stehn. Ich spreche ferner nicht von den verschiedenen Rock- und Blusengattungen, die ineinander hinüberspielen. Ich komme auf die Hauptsache. Es geht den meisten Rockträgern, wie es den Kleinbürgern im Juni erging. Gerade die Krämer und Fabrikanten, deren Kram und Fabrik schon durch Schulden den Wuchern verfallen waren, haben am heftigsten gegen die Juni-Insurgenten zur vermeintlichen Vertheidigung eines Krames gekämpft, der ihnen nicht mehr gehörte. Diejenigen, welche ihren Rock entweder noch schulden, oder im Leihhaus verzinset haben, sind diejenigen, die am meisten am Rocke halten, und welche die Steuer des Herrn Antoine doppelt treffen würde. Keiner hat mehr die Illusion des Eigenthums, keiner mehr den Genuß des Rockes, als derjenige, welcher nur den Nießbrauch davon hat, und für den Nießbrauch zahlen muß. Keiner hängt mehr am Rocke, als derjenige, welcher ihn im Leihhaus hängen hat. Man fühlt seinen Magen erst recht, wenn er krank ist; man fühlt seinen Rock erst, wenn er irgend eine Wunde erhalten hat. Diejenigen, denen der Rock nie gefehlt hat, sind so zu sagen geboren mit dem Rock; er ist mit ihnen innig verwachsen. Die Arbeiter dagegen in Paris, die genöthigt sind fast alle Montag den Rock zu versetzen, wissen recht eigentlich, was er bedeutet. Jedesmal, wenn sie ihn anziehen, fühlen sie wie einen Bindfaden, der ihn ihnen vom Leibe wegzieht. Sie haben das Bewußtsein des Rockes, sie müssen für ihn büßen, wenn sie ihn tragen, und sie tragen ihn die übrigen Tage in der Tasche, auf dem Papiere, dem Pfandscheine verschrieben. Und da sie ihre Anwartschaft auf den Rock in keinem Falle aufgeben möchten, so müssen sie doppelt zahlen, erstens die Zinsen für den Rock, den sie nicht tragen, blos um vermeintlicher Besitzer zu bleiben; zweitens die Steuer für den Rock, den sie eines Tages tragen könnten, obschon die Zinsen sich häufen, die Wahrscheinlichkeit des Einlösens sich täglich mindert, bis sie zuletzt durch den Verfall des Zettels gänzlich verschwindet. Der erste Fall ist das Ansichsein, der zweite das Fürsichsein des Rockes. Die eigentlichen Fashionables und namentlich die Kapitalisten haben gar keine Röcke; sie haben mit ihrem Schneider einen Contrakt gemacht, gemäß dem sie jährlich so viele Fräcke, Ueberröcke nach der neuesten Mode geliefert erhalten; und da die Moden ungeheuer schnell wechseln, so werden die zwei oder dreimal getragenen Röcke, wenn sie die erste Frische verloren haben, sogleich dem Schneider abgeliefert, der sie nach Amerika versendet. Daher der ungeheure Handel der marchands d'habits in Paris. Die eigentlichen Kapitalisten tragen also geliehene Röcke, für welche sie keine Steuer zu zahlen brauchen. Die Fonds, Hypotheken-Ausleiher, Wucherer haben alle keine Röcke, zahlen alle keine Steuer. Rothschild ist der Schneider aller Kapitalisten, die Kapitalisten sind wiederum die Schneider aller Fabrikanten, die Fabrikanten sind wiederum die Schneider aller Proletarier; und der Schneider aller Schneider, der Schneider Rothschild's ist England.
Nehmen wir statt der Röcke Matrazen; 160,000 Matrazen lie- [1012] gen jetzt im Leihhause; die Leute liegen nicht darauf; aber sie zahlen, weil sie darauf gelegen, und sich schmeicheln, eines Tages wieder darauf liegen zu können. Eitle Hoffnung: sie zahlen für die Illusion des Eigenthums; die Matraze verfällt dem Altkäufer, und der Matrazenlose der Bahre.
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Paris, 2. Jan.
Die gestrigen Neujahrsfeierlichkeiten haben dem Ansehen des neuen Präsidenten sehr geschadet. Obgleich alle offiziellen Reden verboten waren, konnte es doch nicht fehlen, daß jeder Diplomat, jeder Behördenchef, jeder Korporationsvorstand etc. Privatgespräche zum Theil mit dem Staatschef selbst, zum Theil mit den Ministern anknüpfte.
Auf diese Weise wurde manches gewichtige Wörtchen fallen gelassen, und man hoffte verstanden zu werden. Allein der nackte, blasse Unverstand starrte allen Andeutungen und Winken entgegen, und man konnte das allgemeine Erstaunen namentlich auf denjenigen Gesichtern lesen, welche am vorigen Hofe die Beredsamkeit Louis Philipps so sehr zu bewundern Gelegenheit hatten.
Der allgemeine Eindruck, den der neue Präsident machte, ist daher in den höchsten offiziellen Regionen ein sehr schlechter, und die Angst derjenigen, die mit dieser Puppe dem neuen Staatsgebäude die Krone aufgesetzt und den Revolutionskrater geschlossen zu haben wähnten, steigt daher um so höher.
— Die „Patrie“ (Leibpage des neuen Kabinets) füllt eine lange Spalte mit den gestrigen Empfangsfeierlichkeiten. Ihr Bericht ist natürlich sehr speichelleckerisch und schließt, nach Beschreibung aller goldgestickten Uniformen, mit den Worten:
„Die Haltung des Herrn Präsidenten bei dieser Empfangsfeier war, wie bei der Parade vom 24. Dez., vortrefflich: Hr. Louis Napoleon fand Gelegenheit, Jedermann einige Worte zu sagen, die seinen besonderen Verhältnissen entsprachen.“
— Odilon-Barrot fertigte gestern statt des Präsidenten bei Gelegenheit der Neujahrsfeier diejenigen Körperschaften ab, denen man unbedingt etwas sagen mußte. Wir haben keinen Raum, hier die Antworten an alle Körperschaften wiederzugeben. Wir beschränken uns nur auf folgende zwei, die auf den Revolutionszustand des Landes Beziehung haben:
An dem Kassationshofe erklärte Herr Barrot, daß er künftig nicht mehr zugeben wolle, den Richterstand auf das politische Gebiet hinübergepflanzt zu sehen. „Ich werde, sagte Herr Barrot wörtlich, den Kultus (Götzendienst) des Rechts und die Achtung vor dem Gesetz zu befestigen wissen.“
Als ob das Recht überhaupt existire?
Den „Gewerbverständigungs-Räthen,“ welche am meisten mit dem Arbeiter zu thun haben, sagte er:
„An Euch ist es vorzüglich, den Arbeitern begreiflich zu machen, daß es nothwendig ist, die Gesetze zu achten und die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Nur durch die Arbeit könne man die Besserung seines Schicksals und des öffentlichen Reichthums erlangen. Ihr seid die natürlichen Rathgeber der Arbeiter. Ihr müßt uns helfen, die gefährlichen Lehren zu bekämpfen, welche ihnen von ihren Feinden gepredigt werden“ (Allgemeiner Beifall bedeckte diese Worte.)
— Gestern Vormittag, meldet La Patrie, begab sich der Präsident Louis Napoleon zu Fuß und ohne Gefolge (aber von einem Polizeichef gefolgt, wohl zu bemerken) aus seinem Palast, Elysée National, in die Magdalenenkirche, und hörte dort in tiefer Andacht und inmitten der Menge des Volks (!) eine Messe.
— Jetzt zahlt Frankreich für seine Briefe nur 2 und resp. 4 Sous.
— Der Almanach's in Masse. Im Almanach Général de Medecine viele interessante Aufschlüsse. Unter andern weis't er eine Verminderung von 53 Aerzten für 1849 nach. Aus dem Almanach litteraire ersieht man, daß uns das Jahr 1848 mit 7234 Werken und 1055 Kupfer- u. Stahlstich- und Lithographiebildern segnete.
— Das pariser Leihamt empfing in den vier Tagen (vom 25. bis 29. Dezbr.) 17,658 Pfänder, auf die es 262,898 Frk. lieh. Eingelös't wurden 13,000 mit 242,618 Frk.
— „Die Tante des Präsidenten, verwittwete Großherzogin Stephanie Beauharnais (in Mannheim wohnend) ist dazu auserkoren, die Honneurs des Präsidialhauses zu machen.“
Also nicht Madame Gordon!
— Vorgestern begaben sich mehrere Proletarier des 3ten Arrondissements zu ihrem Maire, Namens Hamelin, um sich zu beklagen daß man sie von den Almosenlisten gestrichen habe. Dabei ereignete sich folgende Scene:
Proletarier: Wir bitten Sie, Herr Maire, daß man unseren Frauen und Kindern die von der Kammer und dem Stadtrath votirte Unterstützung nicht entziehen möge. Man hat sie von den Listen gestrichen und manchen Reicheren darauf stehen lassen. Wir können unsere Familien nicht ernähren.
Maire Hamelin: Wenn man Familie hat, so muß man sie auch ernähren.
Proletarier: Das können wir nur, wenn wir verdienen. Wir haben aber keine Arbeit. Wir sind keine Kapitalisten.
Maire (unwillig): In diesem Falle muß man sich enthalten, Kinder zu haben. (Dans ce cas, il faut s'abstenir d'avoir des enfans!)
Das „Peuple“ vom 2. Jan., dem wir diese Worte entnehmen, sagt hierzu, daß Herr Hamelin diese Unglücklichen strich weil sie Kommunisten seien. Wie wir hören, ist der Minister des Innern aufgefordert, diesen Meinungsterrorismus zu untersuchen. Soviel steht fest das Herr Malthus auch in Paris seine Anhänger täglich mehren sieht.
— Paris war gestern außerordentlich lebhaft. Die gesammte kleine und große Bourgeoisie strömte den Boulevards entlang, wo ihnen das Proletariat, hungrig und halberfroren, für 1, 2, 3, 5 und mehr Sous allerlei Neujahrsgeschenke zum Kauf anbot. Es hat sich mehr als eine dieser Nomadenkrämerinnen Hände und Füße erfroren, um für einige Tage die spärlichsten Existenzmittel zu gewinnen. Der Winter hat uns plötzlich heimgesucht.
— Der Moniteur enthält zwei Dekrete aus dem Elysée-National vom 31. Dezember, von denen das eine vierzehn Departementen neue Präfekten gibt; das Andere die Wahlzirkel des Departements Vienne für den 14. Januar zur Ersetzung der Volksvertreter Drouet und Jeudy zusammenruft.
Die neu ernannten Präfekten gehören größtentheils der monarchischen Zeit an.
— Ricci, bisheriger Gesandter Sardiniens, hat Paris plötzlich verlassen, um nach Turin zurückzukehren, wo ihn ein Portefeuille erwartet.
— Marrast hat die amtliche Erklärung abgegeben, daß er sich nicht mehr zum Präsidenten der Nationalversammlung wählen lassen werde.
National-Versammlung. Sitzung vom 2. Januar. Präsident Marrast eröffnet die Sitzung um 2 1/2 Uhr.
Der Andrang des Publikums ist trotz der russischen Kälte sehr stark, weil man scharfe Interpellationen wegen des jüngsten Ministerwechsels vermuthete.
Nach Vorlesung des Protokolls wird aber zunächst zur Diskussion eines ziemlich delikaten Antrags geschritten.
Fould hat sich nämlich durch die letzten parlamentarischen Niederlagen des Ministeriums veranlaßt gefühlt, den Dringlichkeitsantrag zu stellen, in Gemäßheit des Artikel 41 der Verfassung den englischen Gebrauch zu verfolgen, nämlich jeden Gesetzentwurf drei Mal zur Diskussion zu bringen und ihn erst nach dreimaligem Votum Rechtskraft erreichen zu lassen. Zwischen diesen Voten müßten jedes Mal mindestens fünf Tage verfließen u. s. w.
Boussi bekämpft den Antrag zwar nicht, aber er beantragt dessen Vertagung. Er habe einen ähnlichen Antrag schon früher gestellt und derselbe sei vom Ausschuß verworfen oder wenigstens begraben worden. Diese ganze Förmlichkeit laufe übrigens auf reinen Zeitverlust hinaus. Er bekämpfe ihn jetzt, weil ihm die Erfahrung seit dem Mai gezeigt, daß man alle Förmlichkeiten umgehen könne, wenn man die sogenannte Dringlichkeit erwirke. Der ganze Antrag sei zum Sturze der National-Versammlung geschaffen.
Hubert Delisle, Berichterstatter jenes Ausschusses, sagt, der Boussi'sche Antrag sei keineswegs verworfen oder begraben worden, er finde sich vielmehr im Fouldschen Vorschlag, der alles Gute aus dem Boussi'schen in sich aufgenommen. Er verwahrt sich gegen die Vorwürfe.
St. Gaudens unterstützt aber die Vertagung. Das Ministerium zeige sich jetzt nur so eilig, weil es die Maßregel ausbeuten wolle, um die National-Versammlung aufzulösen. Nein, das soll ihm nicht gelingen, ruft er begeistert, wir wollen die organischen Gesetze votiren und gehen nicht eher auseinander. (Diese Worte riefen einige Agitatinon hervor).
Düpin (der ältere) definirt den Unterschied, der zwischen Boussi's Antrag und der von Fould beantragten Aenderung der §§ 54 und 55 der Geschäftsordnung herrsche. Er thut dies in seiner gewöhnlichen Weise und möchte der Versammlung durchaus nicht das Recht absprechen, die organischen Gesetze zu votiren. Doch thut dies schnell und verliert Eure Zeit nicht, ruft er am Schlusse seines zwanzig Mal unterbrochenen Vortrags.
Fayet, Bischof von Orleans, gesteht zwar ebenfalls der Versammlung das Recht zu, zu thun und zu berathen, was sie wolle; allein sie werde doch, meint er, nicht alle organischen Gesetze berathen können. (Stürmischer Widerspruch von der Linken und einem Theil des Centrums).
Unter immer steigender Agitation vollendet der Redner, welchem Dupin und der Finanzminister Passy folgen.
Deujony mischt sich auch in die Debatte und erhöht den Scandal.
Endlich schreitet man zu den einzelnen Artikeln.
Die artikelweise Berathung stellt heraus, daß die Regierung die Aenderung der Geschäftsordnung besonders darum hervorgerufen, um sich durch kein zweites Salzvotum überrumpelt zu sehen.
Die Abstimmung selbst geschieht ziemlich verworren.
Artikel 55, 56, 57, 58 und 59 gehen durch, während die Artikel 49, 50, 51, 52, 53 und 54 unerledigt bleiben.
Artikel 60 hat die größte Bedeutung. Er wird vom Ministerium selbst vorgeschlagen und lautet:
„Jedem Antrag auf Dringlichkeit müssen Erläuterungsgründe vorangeschickt werden. Findet sie die National-Versammlung genügend, dann geht der Antrag an die Abtheilungen und bestimmt die Zeit, in der ihr Bericht über Zu- oder Unzulässigkeit der Dringlichkeit abzustatten. Nach Anhörung dieses Berichts trifft die Versammlung ihre Entscheidung und bestimmt die Diskussion. Entscheidet sie sich gegen die Dringlichkeit, so verfällt der Antrag dem gewöhnlichen Gange.“
Vorstehender Artikel soll das Bleigewicht sein, das gegen neue Salzvoten schützt.
Er wird dem Ausschusse zur Begutachtung nochmals überwiesen.
Schließlich bewilligt die Versammlung dem Kardinal-Erzbischof von Bourges eine Gehaltszulage von 10,000 Fr. mit 434 gegen 181 Stimmen.
Die Sitzung wird um 6 Uhr aufgehoben.
Belgien.
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[ 33 ] Brüssel, 3. Januar.
Als Belgien mit Hülfe der Franzosen und durch die Franzosen sich als belgische Monarchie unter Coburg konstituirt hatte, da hatte es nichts eiligeres zu thun, als aus Frankreich sich zwei Sachen kommen zu lassen, ohne welche Belgien nicht existiren konnte: das sind französische Schneider und französische Sprachmeister. Französische Schneider, um die flämischen Jungen als Soldaten einzukleiden, und französische Sprachmeister, um aus ihnen Journalisten, Diplomaten u. s. w. zu machen. Die franz. Sprachmeister, die meistens aus banquerott gewordenen Kaufleuten und Gewürzkrämern hervorgegangen sind, fanden in Brüssel ein weites Feld, um ihre Waare, die franz. Sprache, die ihnen keinen Groschen gekostet, in Brüssel auf die vortheilhafteste Weise unterzubringen, obgleich ihre aus fernem Lande importirte Waare schon von Grunde aus Avarie erlitten hatte. Aber die Flamänder waren lüstern nach der originellen Mundart, nach dem echten Champagner, und so ein Franzose, der das Gewächs in sich hatte, und dem es aus dem Munde beständig wieder hervorwuchs, schlug mit seiner Authenticität als Franzose alle französisch sprechenden Flamänder zu Boden. Wenn Perrot, Rogier u. s. w. sagten: He, was ihr da sagt oder aussprecht, ist nicht französisch, das bedeutete auf der Stelle so viel, als wenn Guizot gesagt hätte: das ist nicht politisch, das ist nicht aus der grande politiques. Die französischen Schneider ihrerseits thaten ihr Mögliches, um die „Armee“ glänzend auszustatten; sie gaben den jungen Burschen zwei Epauletten mit Franzen, statt einer Franze; sie verbesserten so die franz. Kriegskunst, und es ist eine Lust, die belgische Armee in gutem flämischem Tuch, in Gold und Silber ausgerüstet zu sehen. Die Sprachmeister haben auch ihr Glück gemacht: sie sind reiche Journalisten oder Minister geworden; und am 1. Januar hatten sie ihr großes Fest. Sie konnten ihre Kunst in glänzenden Neujahrswünschen an den König zur Schau tragen: Und so haben wir denn eine Sammlung von Komplimenten, von Versicherungen ewiger Treue und Anhänglichkeit an den König und die Königin, die alle um so widriger sind, als der Königin Vater und Mutter in Frankreich auch dieselben Versicherungen in demselben Style, nur besser französisch erhalten hatten. Die meisten dieser Komplimente sind die größte Beleidigung für den Coburger: aber er versteht sie nicht. Die Belgier sagen offen darin: Vater und Mutter sind zwar zum Teufel geschickt; aber wir rächen die Eltern, indem wir die Tochter ehren. Ehre die Tochter, damit es dir wohl ergehe auf Erden.
Großbritannien.
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[ * ] London, 2. Jan.
Sie haben ihren Lesern in einer der frühern Nummern den neuen Finanzplan Cobden's ausführlich mitgetheilt. Der Northern Star vom 30. Dezember bringt eine ausführliche Kritik desselben durch den Chartistenchef O'Connor.
Was zunächst die ökonomische Seite anbetrifft, so weist O'Connor schlagend nach, daß die materielle Lage der Arbeiterklasse durch diese Steuerverminderung so wenig verbessert würde, wie sie faktisch durch die Abschaffung der Kornzölle verbessert worden ist. Die 11,477,000 Pf. St. Ersparungen, die Cobden vorschlägt, betragen auf den Kopf in ganz Großbritannien 8 Sh. 3 P. [unleserlicher Text] Dabei ist aber auf die Klassenunterschiede, auf die Produktionsverhältnisse und auf die verschiedene Theilnahme der verschiedenen Klassen angehörigen Individuen an der Konsumtion keine Rücksicht genommen. In der Wirklichkeit gestaltet sich die Sache anders. [unleserlicher Text] Sobald der Fabrikant durch die Konkurrenz gezwungen wird, eine der Verwohlfeilerung des Rohmaterials entsprechende Reduktion in dem Verkaufspreis eintreten zu lassen, verkürzt er sofort den Arbeitslohn. Und diese Verminderung des Arbeitslohns ist sogar, wie sich erfahrungsmäßig, z. B. bei der Abschaffung der Kornzölle, neuerdings wieder herausgestellt hat, ungleich beträchtlicher als der Gewinn, der dem Arbeiter als Konsumenten durch die Verwohlfeilerung der Waare erwächst. In Folge der von Cobden vorgeschlagenen Ersparnisse würde der Kapitalist im allergünstigsten Falle sich mit Herabsetzung des Arbeitslohns auf einen Shilling per Woche begnügen. Der Verlust betrüge für den Arbeiter per Jahr 2 Pfund, 3 Sh. und 4 P.
Es ist also eine von den Fabrikanten absichtlich genährte Illusion, als könne, sei es durch Cobden's Vorschlag, sei es durch irgend eine andre Steuerreform, die materielle Lage der arbeitenden Klasse irgendwie verbessert werden.
Nichtsdestoweniger erklärt O'Connor, daß die Chartisten an der von Cobden vorgeschlagenen Agitation praktisch sich betheiligen werden und zwar — aus politischen Gründen.
Ein Wegfall von 11 und 1/2 Millionen Pf. Sterl. in der Staatseinnahme wäre der Sturz der jetzigen Whigregierung, die nur von der Korruption und einer allseitig entwickelten Patronatschaft lebt. Es wäre gleichzeitig die bisherige auswärtige Politik England's materiell unmöglich geworden. Es wären endlich die Staatsalmosen, von denen die jüngern Söhne der verarmten und heruntergekommenen englischen Aristokratie jetzt noch vegetiren, aus dem brittischen Staatsbüdget für immer gestrichen.
Und schließlich ist die Verwandlung der indirekten Steuern in direkte, worauf Cobden's Finanzplan hinsteuert, das Zerreißen des Vorhangs, der die Exploitation des Volks durch den Staat, d. h. durch den Ausschuß der herrschenden Klassen, immer noch verborgen hält. Erst mit der Verwandlung der indirekten Steuern in direkte wird es unmöglich, die Ursache der „großen Krankheit“ in dieser oder jener Steuer und das Heilmittel in all' den kleinen Palliativen zu suchen, worin die englische Bourgeoisie vor allen andern erfinderisch ist.
Man sieht, die Chartisten — Chartist ist der politische Parteiname des englischen Arbeiters — verhalten sich zu der zweiten Freetrader Agitation, wie sie sich zu der ersten, der Anti-Corn-Law-League Agitation verhalten haben. Sie machen sich keine Illusion über den Bourgeoischarakter dieser Bewegung, aber sie verbinden sich mit ihrem einen Feind, der industriellen Bourgeoisie, gegen ihren andern Feind, die grundbesitzende Aristokratie. Sie helfen die Bedingungen vorbereiten, in denen der entscheidende Kampf zwischen der industriellen Bourgeoisie und der arbeitenden Klasse vor sich gehn wird und vor sich gehn muß.
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[ * ] London, 2. Jan.
John O'Connell hat dem „Volke Irlands“ ein Manifest zum Neujahrgeschenk gemacht, das sich, wenn auch durch nichts anderes, durch seine Länge und noch größere Langweiligkeit auszeichnet. Seine Manifest ist bis auf einige Sätze nur eine neue Auflage seiner Sterberede in der „Versöhnungshalle.“ Die Times sagt mit vollem Recht: „Es ist überflüssig, auf den Inhalt des Dokuments auch nur einen Augenblick einzugehen. Denn es enthält lediglich die alten Zuthaten, mit welchen die mehr scientifische Kochkunst seines Vaters den Gaumen des Publikums so lange und mit solchem Erfolg gekitzelt hat, die aber endlich, trotz seiner vollendeten Geschicklichkeit, schaal und abgestanden sind.“
Dieses O'Connell'sche Manifest ist zu zwei Drittel ein „Flenn“-Brief über die Undankbarkeit der Irländer, die den Verfasser genöthigt haben, das Land zu verlassen, weil sie seines Humbugs überdrüssig waren, so daß er jetzt zu London im Exil lebt. Gleichwohl versichert er, daß er für Irland nochmals sterben wird, natürlich blos „auf dem Flur des Unterhauses,“ wie er schon einmal gedroht.
Wir müssen jedoch Eine Stelle hervorheben, weil sie zeigen wird, mit welchen Mathy's, Bassermann's etc. Irland gesegnet und dadurch immer tiefer ins Elend gerathen ist. Der irische Abklatsch deutscher Volksverräther, die früher auch im Humbug des Liberalismus profitable Geschäfte machten, geifert in seinem Manifest mit wahrer Hundswuth gegen sämmtliche revolutionäre Bewegungen des Kontinents, insbesondere gegen die demokratische Partei in Frankreich, Deutschland, Ungarn und Italien. Auch die arme Schweiz kommt schlecht weg; sie hat die Jesuiten vertrieben und sich von den Knechten Sonderbundes in majorem dei gloriam abschlachten lassen.
„Aber,“ kreischt der durchgefallene Repeal-Komödiant, die Krone dieses scheußlichen Radikalismus, dieser wirkliche Despotismus der Schandbrut von den ketzerischen Universitäten des Kontinents mit dem Auswurf der Gefängnisse vereinigt, ist für die Hauptstadt der Christenheit aufgespart worden etc.“
Die Leser mögen sich mit diesem Pröbchen begnügen!
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[ * ] London, 2. Jan.
Erstaunenswerth ist die Thätigkeit, mit welcher in den Vereinigten Staaten die elektro-magnetische Telegraphie überhaupt, namentlich aber in besonders wichtigen Fällen benutzt wird. Einen solchen Fall bot die Versendung der kürzlich vom Präsidenten Polk an den Kongreß gerichteten Botschaft. Diese Botschaft, welche mehr als 50,000 Worte enthält, war innerhalb 24 Stunden von Baltimore bis St. Louis vollständig mitgetheilt, und zwar so korrekt, daß sich in dem ganzen langen Dokument nicht ein einziger Fehler vorfand. Auf dem Wege dahin wurden Abschriften der Botschaft abgesetzt (dropped): in York, Harrisburg, Carlisle, Chambersburg, Bedford und Pittsburgh in Pensylvanien; zu Massillon, Columbus, Dayton, Cincinnati etc. in Ohio; Madison etc. in Indiana; Louisville in Kentucy und Saline in Illinois. Damit haben die betreffenden Beamten der verschiedenen Telegraphenlinien den Beweis geliefert, daß die „Blitztelegraphie“ eben so zur Weiterbeförderung großer wie kleiner Schriftstücke, langer und kurzer Nachrichten, in unglaublich wenig Zeit möglich ist. So wie Dienstag die Botschaft erschienen war, begannen die elektrischen Telegraphen ihre Arbeit und Mittwochs um 2 Uhr Nachmittag hatten sie ihre herkulische Arbeit beendigt. Die beiden Operateure waren die ganze Zeit über in Arbeit, einander gelegentlich ablösend; blos ein paar Stunden war das westliche Ende der Linie durch einen Sturm im Arbeiten unterbrochen.
[Redakteur en chef: Karl Marx. ]
Meteorologische Beobachtungen.
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Handelsnachrichten.
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Druckfehler in Nro. 185 der „N. Rh. Ztg.“
Durch Versehen sind auf Seite 2, Spalte 3 die Anführungszeichen vor: Herr Jung hat den Helden gespielt u. s. w. weggefallen. Die angeführte Stelle ist ein zur Charakteristik der „N. Pr. Ztg.“ aus letzterer mitgetheiltes Citat.
Ferner ist 3. Seite, 3. Spalte oben der Schluß des in der Beilage befindlichen Artikels unter London gekommen.