[1423]
Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 254. Köln, Samstag, den 24 März 1849.
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Vierteljähriger Abonnementspreis in Köln 1 Thlr. 7 1/2 Sgr., bei allen preußischen Postanstalten 1 Thlr. 17 Sgr. — Im Auslande wende man sich: in Belgien an die betreffenden Postanstalten; in London an W. Thomas, 21 Catherine-Street, Strand; in Paris an W. Thomas, 38 Rue Vivienne, und an A. Havas, 3 Rue Ican Jacques Rousseau.
Insertionen werden mit 18 Pf. die Petitzeile oder deren Raum berechnet.
Auskunft, Annahme und Abgabe chiffrirter Briefe gratis.
Nur frankirte Briefe werden angenommen.
Expedition Unter Hutmacher Nro. 17.
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Bestellungen auf die Neue Rheinische Zeitung für das II. Quartal (April — Juni) bitten wir möglichst frühzeitig zu machen.
Unsere auswärtigen geehrten Abonnenten machen wir darauf aufmerksam, daß die Abonnements jedesmal am Schlusse des Quartals bei den Postämtern erneuert werden müssen.
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Uebersicht.
Deutschland. Ahrweiler, Arnsberg, Attendorn. (Märzfeier). Berlin. (Kammersitzung.) Erfurt. (Die Stadtverordneten. — Vermischtes. — Berlepsch und Straube.) Langensalza. (Privilegirte Metzelei.) Wien. (Vermischtes.) Troppau. (Offizielle Octroyirungs-Feier.) Dresden, (Kammersitzung. — Sächsische Truppen nach Schleswig-Holstein). Kassel. (Ein Pröbchen kurfürstl. Märzerrungenschaft. — Truppen nach Schleswig-Holstein und preußische dafür in der Nähe. — Kammerverhandlungen. Frankfurt. (Nationalversammlung.) Mainz. (Die deutschen Grundrechte in der Reichstruppen-Praxis).
Ungarn. Beckereck. (Aus Szegedin.)
Italien. Die Losung: Krieg! Mailand. (Die Freude der Kroaten. — Stimmung der Mailänder). Piacenza. (Proklamation). Turin. (Proklamation). Parma. (Abzug der Oestreicher). Rom. (Geheimer Brief der Camarilla in Gaëta).
Franz. Republik. Paris. (Vermischtes. — National-Versammlung.) Bourges. (Proceß der Maigefangenen.)
Schweiz. Tessin. (Koncentrirung der östreichischen Truppen.) Genf. (Petition an die Bundesversammlung.) Bern. (Die Schweizer-Söldlinge in Neapel.)
Großbritannien. London. (Vermischtes.)
Ostindien. Aus dem Fort Multan. — Vermischtes.
Amerika. Der Kongreß. — Californien. — Das neue Kabinet. — Aufregung in Kanada. Pernambuco. (Niederlage der Insurgenten.)
Australien. Erdbeben auf Neuseeland.
Die demokratischen Vereine
der Rheinprovinz werden ersucht, ihre Adressen der „Neuen Rheinischen Zeitung“ oder der „Neuen Kölnischen Zeitung“ baldigst zugehen zu lassen.
Deutschland.
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[ 20 ] Ahrweiler, 20. März.
Trotz allen Klüngelns und Witzelns der hiesigen vielgezopften Büreaukratie, der erbärmlich kleinstädtischen, freilich sehr dünnen Geldsäcke, gelang es dennoch den angestrengten Bemühungen der Demokraten, den 18. März auch hier in angemessener Weise zu feiern. Nachmittags wurde eine Volksversammlung gehalten, die sehr zahlreich von Arbeitern, Landleuten der Umgegend und dem Handwerksstande besucht war. Nach der Versammlung wurde den geschiedenen Barrikadenkämpfern zu Ehren ein Fackelzug gebracht, und denselben am Schlusse unter Verbrennen der Fackeln und Abfeuern einer Salve vor dem Kirchhofe in einigen Gedenkworten das Versprechen zugerufen, zur Zeit würdig in ihre Fußstapfen zu treten.
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[ X ] Arnsberg, 20. März.
Die Feier des 18. März in unserer Stadt konnte man eine Volksfeier, im eigentlichen Sinne des Wortes, nennen. Unsere Büreaukratie und Bourgeoisie hat sich natürlich in keiner Weise daran betheiligt.
Spaßhaft war es, die Vorkehrungen unserer Reaktionärs zu sehen, die allerdings für den Fall einer demokratischen Erhebung in eine üble Lage gekommen wären, da das ganze Gebirgsvolk rund umher rein demokratisch gesinnt ist, und seine Leute kennt. Die Mitglieder des Bürgerschutzvereins wurden in ihre Häuser konfiguirt, mußten die hölzernen Flintensteine ab- und 500 scharfe Patronen in Empfang nehmen. Man erwartete nichts weniger, als offenen Angriff auf die Stadt. Mehr noch erwartete das Haupt unserer hiesigen Geistlichkeit, Herr Pfarrer Kopp, der die Schlüssel zu den Thüren des hiesigen Kirchhofs in strengen Verwahr nahm, und den Kirchhof selbst bewachen ließ, weil die Demokraten, nach Demolirung der Stadt, selbst die Ruhestätte der Todten nicht schonen würden. — Sie sehen hieraus, - welcher Mittel sich die Reaktion bedient, das demokratische Element zu verdächtigen.
Herr Kopp ist übrigens derselbe Mensch, der, als im Beginn des vorigen Jahres der Ruf nach Preßfreiheit durch ganz Deutschland erscholl, in öffentlicher Gesellschaft sich äußerte: Ah was! Ein (?) westphälischer Schinken ist mir lieber als die ganze Preßfreiheit!
Zur Krautjunkerkammer wurde heute an Rintelen's Stelle, der die Wahl abgelehnt hatte, der Kommerzienrath Diergardt in Viersen gewählt.
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[ 29 ] Attendorn, 19. März.
Der gestrige Tag wurde hier vom demokratischen Verein durch eine Generalversammlung und ein Bankett gefeiert.
Die Reihe der Toaste wurde eröffnet mit einem Hoch auf den „Sieg der politischen und socialen Reform, welche das Volk von Paris die Republik proklamiren, die Völker Italiens in den Ebenen der Lombardei ihr Herzblut verspritzen, die Helden von Wien und Berlin hinter den Barrikaden die Seele aushauchen, das ungarische Volk heldenmüthig in den Kampf ziehen ließ.“ — Dann folgte ein Hoch auf die „Universaldemokratie“ — so wie ein ferneres in gleicher Art auf die „Freiheit und die Republik.“
Es erfolgten dann Hochs für die „entschiedenen Männer der aufgelösten Nationalversammlung“; — „die deutsche Zukunft“; man gedachte der im Friedrichshain Ruhenden, Robert Blum's u. s. w. Die Feier endete in bester Ordnung.
An die Kammer in Berlin sind eine Anzahl Adressen von hier abgegangen, welche von den Abgeordneten die Erwirkung ausgedehnter demokratischer Reformen verlangen.
Die Adressen des Stadtbezirks waren mit 240, die des Bezirks Schönholthausen mit 307 und die von Ennest mit 50 Unterschriften bedeckt, was im Verhältniß zu der geringen Bevölkerung dieser Bezirke als ein höchst erfreuliches Zeichen zu betrachten sein dürfte.
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[ * ] Berlin, 21. März.
In der Finanz-Kommission hat die Linke die Majorität dadurch erhalten, daß ihr das Loos in der ersten Abtheilung bei Gelegenheit der Stimmenzahl günstig war. Wahrscheinlich wird Hr. v. Kirchmann zum Präsidenten derselben erwählt werden.
Der Abg. D'Ester hat von seinen Wählern des Kreises Mayen ein Mißtrauensvotum bekommen, weil das Ministerium noch immer nicht in Anklagezustand versetzt sei.
Man hält unsere Militärverhältnisse für so vollkommen, daß der Antrag, auch eine Kommission für dieselbe zu ernennen, unwillig zurückgewiesen wurde. Wir denken indeß in der nächsten Zeit noch mehr herrliche Belege für diese Cadetten-Organisation beizubringen. Der Abg. Görz-Wrisberg, der seinen Abschied als Premier-Lieutenant nahm, ist mit der Abfassung eines Memoirs beschäftigt, in welchem die Mängel dieser Organisation dargethan und die Möglichkeit der Verringerung des Militäretats um 10 - 15 Millionen ohne die Stärke der Armee bedeutend zu verringern, bewiesen wird. Wir hoffen, auf dasselbe in einigen Tagen näher zurückkommen zu können. Görz arbeitete 14 Jahre in der Adjudantur und hatte deshalb hinreichende Gelegenheit, die Schwächen der militärischen Verwaltung kennen zu lernen.
Von 114 Bauern des Oderbruchs ist an den Abg. Görz eine Adresse gerichtet worden, in welcher sie, in der ihnen eigenthümlichen schlichten, kurzen Weise ihren Unwillen darüber aussprechen, daß der Belagerungszustand noch nicht aufgehoben sei. Es bilden diese und noch viele andere Adressen das Gegengewicht für die, welche der Graf Ziethen und Consorten für die Verlängerung eingebracht haben.
In der Parteiversammlung der Linken wird fast alle Abend darüber geklagt, daß so viele Mitglieder dieser Partei durch ihre Nachlässigkeit die Majorität der andern Seite zuwenden, da in den Abtheilungen immer 1 - 3 Stimmen die Majorität entscheiden.
In der fünften Abtheilung ist der § des Associations-Gesetzes über öffentliche Aufzüge dahin verändert worden, daß dieselben nicht der Genehmigung der Polizei bedürfen, sondern nur sechs Stunden vorher, mit genauer Angabe des Weges, müssen angezeigt werden. Die §§ 13, 14 und 15 sind aufgehoben worden.
Der Abg: Cgielski, der sein Mandat niedergelegt hat, ist Lehrer am Mariengymnasium in Posen und war Redakteur der Gazetta Polska.
Die Zeitung „für den Osten“, welche in Posen zweimal des Tages bei Stephanski erscheint und durch Gustav Senst redigirt wird, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die deutschen und die polnischen Interessen zu vermitteln und wird sich bemühen, einen demokratischen Standpunkt zu bewahren.
— In Kopenhagen ist Kammerherr von Plessen mit den preußischen Friedenspräliminarien angekommen.
Sitzung der ersten Kammer.
Es wird der Kommissionsbericht über die Gerichtsorganisation des Ministeriums, welcher sich gegen die Sistirung derselben ausspricht, durch Goldammer vorgetragen:
Forkenbeck bemerkt dazu, daß er kein Vertrauensvotum für das Ministerium abgeben wolle, indem er sich für die Majorität der Kommission entschieden habe.
Daniels gibt einen Auszug seiner neuesten Schrift.
Leue spricht eine halbe Stunde lang in bekannter Weise gegen den Bericht.
Bornemann sucht die Ansichten des Ministeriums mit den Seinigen zu vermitteln.
Tamnau stimmt für das Amendement.
Milde weist darauf hin, daß der Art. 14 der Charte niemals so ausgelegt sei, wie der Art. 105 der Oktroyirten.
Gerlach, der bekannte Ultra-Absolutist, spricht gegen die Vorlagen des Ministeriums. Dagegen hält er für wichtig die Entfernung der Steuerverweigerer von allen Aemtern, besonders richterliche Aenderung des Strafverfahrens gegen Räthe und Präsidenten des Tribunals. Er wüthet gegen die Kopfzählung. Er hofft, daß Preußen in der deutschen Frage sich Oestreich würdig an die Seite stellen werde.
Gierke spricht für den Leu'schen Antrag.
Forkenbeck für den der Kommission.
Jetzt betritt Stahl die Tribüne und will vom staatsrechtlichen Standpunkt für den Kommissionsantrag sprechen, ohne den Art. 105 so zu interpretiren, daß förmliche Gesetze auf Grund desselben und der Verfassung erlassen werden können, das dürfe nur bei Verwaltungsmaßregeln der Fall sein. Diese Gesetze seien neben der Verfassung erlassen, wie das Wahlgesetz der ersten Kammer. Man habe die Verfassung einen Staatsstreich genannt. Für einen solchen würde er nicht gedankt haben. Da die Vereinbarung nicht zu Stande gekommen sei, habe die Krone die absolute Gewalt wieder erlangt und deshalb das Recht gehabt zu oktroyiren.
Die Debatte wird, nachdem noch einige Redner gesprochen haben, bis auf morgen vertagt,
Sitzung der zweiten Kammer.
Der §. 3 der Adresse über den Belagerungszustand wird berathen.
Grebel widerlegt in längerer Rede die Denkschrift des Ministeriums.
Der Minister Manteuffel erklärt mit Dreistigkeit, daß der Augenblick, auf diesen Gegenstand einzugehen, noch nicht gekommen sei.
Jung rehabilitirt sich durch seine Rede gegen den Minister, welche von dem lebhaften Beifall der Linken begleitet war. Er suchte die Unwahrheit der Denkschrift, Satz für Satz, durch frappante Beispiele nachzuweisen. Während des ganzen Belagerungszustandes seien nicht die geringsten Exzesse vorgekommen.
Manteuffel erwiderte, daß allerdings am 18. März zwanzig Schutzmänner geprügelt seien.
Ulrich und Kleist-Retzow reden Unsinn.
D'Ester erzählt die von uns schon erwähnte Haussuchung.
Bismark-Schönhausen bringt zwei Verse eines Liedes vor, welches beim Banket am 18. März im Café de l'Europe bei Anwesenheit mehrerer Abgeordneten gesungen ward. Die Linke ruft: singen! singen!
Nach einer Masse faktischer Berichtigungen erge[unleserlicher Text] sich Vincke in seinem Referat in den gewöhnlichsten persönlichen Angriffen, welche ihm sogar diesem Präsidenten den Ordnungsruf zuziehen.
Das D'Estersche Amendement wird mit 187 gegen 142 Stimmen verworfen. Ebenso mit noch geringerer Majorität das des Abgeordneten Rodbertus. Ebenso das Amendement Thiels.
Der Adreßentwurf §. 3 wird mit 184 gegen 144 Stimmen angenommen. — Hanow, Hawlitzki und andere Ueberläufer stimmen für diesen §.
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[ 14 ] Erfurt, 16. März.
Endlich sind wir in Gewißheit betreffs des Schicksales unserer beiden von der Reaktion gar arg und steckbrieflich verfolgten Volksfreunde, der Buchhändler Berlepsch und Straube. Dieselben wohnen gegenwärtig in St. Gallen, wo sie sich mit literarischen Arbeiten, namentlich mit kleinen Schriften, beschäftigen. Das Interesse, welches in unserem Thüringer Lande für diese beiden Männer noch wach ist, hat sich besonders dadurch bethätigt, daß, als Briefe von denselben bei den Volksvereinen Thüringens eingingen, sie großen Jubel erzeugten.
Kommenden 1. April wird die Jury zusammentreten, um zunächst über das Loos der vielen noch von den Ereignissen des 24. November hier in den Kasematten Schmachtenden zu entscheiden; wir sind äußerst gespannt auf das Resultat, das indeß, mag es kommen wie es will, die Freunde der demokratischen Sache, die sich hier fest umeinander sammeln, und allen Gräueln des Belagerungszustandes zum Trotz nicht weichen, nicht irre machen wird.
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[ G. ] Erfurt, 20. März
Nachdem unser Magistrat seit vier Monaten die Stadtverordneten-Versammlung oktroyirendermaßen aufgelöst, hat sich endlich doch der Ober-Präsident v. Bonin in's Mittel geschlagen. Es sind die Neuwahlen für das ausscheidende Drittheil in diesen Tagen vollzogen worden. Die reaktionaire Partei hat dabei gesiegt, da die andere Partei ihrer Führer beraubt ist. Es sind meistens Ultraconservative gewählt worden; indessen hat die Reaktion die Wiederwahl des Führers der Opposition, des Stadtverordneten Krackrügge, nicht hindern können. Nun versucht aber der Magistrat, ihn auf anderm Wege aus der Stadtverordneten-Versammlung wegzuschaffen. Er sagt, was unwahr ist, Krackrügge sei wegen des Steuerverweigerungsbeschlusses zur Kriminaluntersuchung gezogen, und deswegen könne er als Stadtverordneter nicht eingeführt werden. Die neue Stadtverordneten-Versammlung will ihre Wirksamkeit mit energischer Ausübung des Petitions-Rechtes, trotz den September-Gesetzen, eröffnen; sie will vor Allem petitioniren, erstens, um Nichtwiedereinführung der Bürgerwehr, zweitens, um Fortdauer des Belagerungszustandes und drittens, um Bestätigung der März-Ordonnanzen des Hrn. v. Manteuffel durch die zweite Kammer. — Ist im Kreise Erfurt das Landraths-Institut überhaupt und mit Recht beim Volke verhaßt, so wird es das Erfurter insbesondere dadurch, daß dasselbe die Ortsvorstände, die Schulzen, noch immer fort aus eigner Machtvollkommenheit, ohne auch nur die Wünsche der Gemeinden zu hören, absolut ernennt und der Regel nach solche Personen, welche bei der großen Mehrheit der Gemeinde ganz besonders verhaßt sind. — Nachdem der Censor Hutsteiner aus Düsseldorf und Barmen dieses seines Amtes, vermuthlich wegen zu großer Milde, enthoben worden, verwaltet ein Hr. Oberstwachtmeister v. Plonsky das Censor-Amt, mit einer ans Fabelhafte grenzenden Gewissenhaftigkeit. — Der General v. Schack hat sich erlaubt, die von sechszehn Fünfhundertthalerwahlmännern auf ihn gefallene Wahl zur ersten Kammer aus bewegenden Gründen abzulehnen. Statt seiner haben die sechszehn Fünfhundertthalerwahlmänner, welche fünf, meistens von Handwerkern und kleinen Grundbesitzern bewohnte landräthliche Kreise repräsentiren sollten, den Königlich Preußischen Herrn Geheimen Kammer-Gerichts und Post-Rath Grein zu Berlin, welcher auch sofort die Wahl anzunehmen sich beehrt hat, zum Abgeordneten ernannt. In seiner Dankadresse an die sechszehn Fünfhundertthalerwahlmänner, hat er zu erklären geruht, daß er den Handwerkerstand achte, das Jagdgesetz als einen Raub am Eigenthum verachte, und die Oktroyirte als höchst freisinnig anerkenne!! Er sitzt mit dem andern Deputirten, Herrn von Münchhausen, in der ersten Kammer auf der äußersten Rechten. — Vor einiger Zeit wurde des Nachts 11 Uhr von einem benachbarten Dorfe nach Erfurt entsendet, um für eine kreisende Wöchnerin, welche in Lebensgefahr war, einen Geburtshelfer zu holen. „Zurück“ — kreischte es am verschlossenen Festungsthore dem Boten entgegen. Die Wöchnerin soll gestorben sein, da die Hülfe von einem andern Orte zu spät kam. Erfurt ist im Belagerungszustande, Erfurt, wo Herr v. Brauchitsch, früher Demagogen-Richter in Mainz, die Bewegung leitet, wo der alte Magistrat mit Bodelschwinghs-Polizei waltet, Herr du Vigneau als Regierungs-Präsident figurirt, die Stadtverordneten-Versammlung [1424] nach alter Art reconstituirt ist, und wo auf jeden Demokraten, zehn Soldaten und drei Staatsbediente kommen. „In Erfurt ist gut wohnen,“ sagte Dalberg, und die Brunnenkresse, Buffbohnen und Nudeln scheinen auch in diesem Jahre wieder eine gesegnete Ernte anzubahnen.
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[ 127 ] Langensalza, 19. März.
„Unser herrliches Kriegsheer,“ dessen „Ruhm der Pflichttreue und Disciplin, unbeschreiblich ist, es wäre denn durch die Adresse der ersten Kammer: hat gestern hier neue Siegeszeichen erfochten. Da gestern Abend zur Feier des 18. Märzes ein Fackelzug erwartet wurde, und es gerade Sonntag und hübsches Wetter war, so hatte sich am Mühlhäuser Thore eine Menge Volk versammelt. Diese Versammlung sollte von der Polizei auseinander getrieben werden; das gelang nicht sogleich. Alsbald wurden Kürassiere kommandirt, die ohne Weiteres auf die Menge scharf einhieben. Es sind etwa zehn Personen mehr oder weniger erheblich verwundert, und „blos ein Mensch,“ welchem mit dem Pallasch der Kopf förmlich durchbohrt wurde, getödtet worden. Die Verwundeten und der Getödtete waren wehr- und waffenlos. Die Kürassiere sind vom 8 Regiment, erste und zweite Schwadron, unter v. Unruh, d. h. dem Major v. Unruh. Das Kürassier-Regiment gehört zu der Division des General v. Voß, welcher Erfurt belagert hält.
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[ 068 ] Wien, 19. März.
Gegen die Octroyirungsmaßregeln erhebt sich die schärfste Opposition in den südslavischen Landestheilen. Als Organe dieser Opposition treten insbesondere die „südslavische Zeitung“ und die „ Agramer Zeitung“ hervor. Letzteres Journal schreibt u. A.:
„In allen Theilen unserer Heimath, vorzüglich aber in der Militärgränze und serbischen Woiwodschaft hat die Octroyirung einer mit den Erwartungen der Südslaven in gar keiner Harmonie stehenden Verfassung den tiefsten, einer schmerzlichen Kränkung nicht unähnlichen Eindruck hinterlassen. Man findet sich bitter enttäuscht. Hätte man uns wenigstens aufgefordert, im Wege des Landtages in die großen Opfer, die für den Gesammtstaat gefordert werden, einzuwilligen, so wäre dieser Schlag nicht halb so schmerzhaft. Aber in dieser Zeit unserer allgemeinen Aufopferung wie die Rebellen in Ungarn und Italien behandelt zu werden, das ist in der Welt noch nicht da gewesen.“
Von den Sereschanern sind bereits viele wieder fort, zum größten Theil nach Ungarn. Ihr Korps hat gerade im ungarischen Kriege sehr gelitten. Ihre Tapferkeit wird übrigens im Vergleich mit andern östreichischen Truppen nicht in erste Reihe gestellt. Dagegen sind sie im Plündern der Lebendigen und Todten unübertrefflich. Bei den letzten Ereignissen in Wien konnte man sich mit eignen Augen überzeugen, wie die auf die Friedhöfe gebrachten Särge von den Kroaten geöffnet und mit Blitzesschnelle die Todten der für überflüssig erachteten Leibeswäsche entkleidet wurden.
Wie Nachrichten aus Ungarn und Krakau besagen, soll die an den Gränzen aufgestellte und sich täglich vermehrende russische Armee dieselben überschreiten, und nicht nur in Ungarn, sondern auch in allen Städten der Monarchie, einschließlich Wiens, die Besatzungen bilden. Damit will der russische Kaiser den Oestreichern die Möglichkeit verschaffen, alle ihre verfügbaren Streitkräfte gegen Ungarn und Italien zu verwenden.
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@facs1424
[ 074 ] Troppau, 17. März.
Zur Feier der standrechtlich oktroyirten Verfassung fanden auch hier im ganzen Lande Schlesien und Mähren offizielle Feierlichkeiten statt, die Ortschaften mußten illuminirt, in den Theatern mußten Habsburg-tamerlan'sche Prologe gesprochen werden. Gleichzeitig wurden Gerüchte verbreitet, daß eine französisch-deutsche Expedition gegen Oestreich im Anrücken sei, um im ganzen Lande eine neue Revolution zu provoziren. Pfaffen, Polizei und Standrechtsbestien arbeiten unermüdlich an der Erfindung solcher und ähnlicher Gerüchte.
An sämmtliche Ortsbehörden aller Provinzen ist übrigens der geheime Befehl ergangen, auf die s. g. Ausländer, d. h. auf jeden Mißliebigen, nicht östreichisch-standrechtlich Organisirten zu vigiliren, die Polizei hat jedem einzelnen Bürger dazu das Recht eingeräumt, diejenigen sofort verhaften zu lassen, welche eine ihnen bedenkliche Aeußerung wagen würden. Wie das gehandhabt wird, können Sie sich vorstellen. Die Klügern erkennen zwar, daß die oktroyirten Küchenlappen nur dazu dienen sollen, das Blut der Gemordeten wegzuwischen und den Untergang zur ewigen Knute, zum ewigen Standrecht und zum ewigen Belagerungszustand vorzubereiten. Die Tamerlans-Dynastieen Deutschlands sehen nämlich, daß im Reiche der Knutenmajestät von Irkutz und Tobolzk hübsch Ruhe geblieben ist; sie denken daher, wir müssen bei uns dasselbe Regiment einführen, wollen wir die Revolution auf ewig los werden. Sie können Recht haben: wenn der Deutsche einmal die oktroyirten Kosakenknödel verdauen gelernt hat, verdaut er auch die Knute.
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@facs1424
[ 213 ] Dresden, 19. März.
Wo die Freiheit das Grundprinzip die Größe des Staats ausmacht, sind auch die Hallen der Freiheit danach. Unsere deutschen Kammern gleichen darum meist den Hochverrathsstuben, in welchen man den Journalisten kaum einen Platz einräumt. So ist's namentlich hier. Die Journalisten müssen sich mit Plätzen im Publikum begnügen: die ganze zweite Kammer ist nicht so geräumig, als die erste beste Bierkneipe der Stadt. Wie im Kleinen, so im Großen und umgekehrt, die Erbärmlichkeit ist und bleibt immer die wahrste Seite in Deutschland.
Die heutige Sitzung zweiten Kammer wurde nach Verlesung und Genehmigung des Protokolls wieder mit einigen Vertrauens-Adressen an die Kammer, mit Petitionen um Verschonung mit Reichstruppen, und um unentgeldliche Aufhebung aller Feudallasten eröffnet.
Hierauf beklagte sich Tzschiruer, daß das Ministerium die von ihm in Betreff der Blum'schen Angelegenheit gestellte Interpellation noch nicht beantwortet habe, und forderte dasselbe auf, die Geschäftsordnung und diese Sache besser in's Auge zu fassen und Antwort zu geben. Der Staatsminister von Ehrenstein versprach diese Antwort in den nächsten Tagen.
Man geht zur Tagesordnung über. Ein Antrag Mayers über Aufhebung der Steuerexekutionen durch's Militär wird nach einigen Bemerkungen des Antragstellers an den zweiten Ausschuß verwiesen.
Im Namen des vierten Ausschusses erstattet sodann Feldner Bericht über die Gesuche um Erlassung einer Amnestie für politische und Preßvergehen. Nach einer langen Debatte, die der komischen Intermezzo's manche darbot, wurde folgender Antrag Tzschirners nebst zwei Zusätzen Blöde's und Köchly's angenommen: daß die Kammer im Verein mit der ersten Kammer die Regierung ersuche, bei der Krone zu bevorworten, daß für alle politischen und Preßvergehen vom Jahre 1848, und für andere solche Vergehen, insofern sie in der Bewegung des vorigen Jahrs ihre Entstehung haben, und was die Preßvergehen betrifft, insofern sie nicht gegen Privatpersonen gerichtet sind, Amnestie ertheilt werde; Vergehen aber, bei denen es zweifelhaft ist, ob sie in diese Kategorie gehören, an Schwurgerichte zu verweisen sind.
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@facs1424
[ 213 ] Dresden, 20. März.
Unsere Majestät eilt morgen unter sein glorreiches in Leipzig versammeltes Schleswig-Holstein-Sachsen-Heer, um vor ihm einige Abschieds- — vielleicht auch Oktroyirungs- und Belagerungsthränen zu heulen.
Die östreichische Regierung hat der dänischen erklärt, daß sie sich niemals dazu hergeben werde, die rebellischen Unterthanen Sr. Dänenmajestät in ihrem verbrecherischen Bestreben zu unterstützen, vielmehr alles aufbieten würde, der Sache ein Ende zu machen. Bedenkt man, daß Oestreichs Tamerlan sich gegen jede andere deutsche Gewalt als Centralstandrechtsgewalt gebährdet und alle gekrönten Bestien wieder um den alten Dudelsackpfeifer Metternich tanzen, so könnte man diese Erklärung dem deutschen Blödsinn und seinen Geistesorganen als Kommentar empfehlen, allein die Arbeit würde vergeblich sein, da die 45 Millionen Knochen kaum dann etwas begreifen, wenn man ihnen auch mit der Axt auf den Schädel schlägt. Kurz und gut, die Sachsen ziehen nach Schleswig-Holstein, trotz alledem und alledem.
Auf der Registrande der zweiten Kammer standen heute wieder mehre Vertrauensadressen an die Majorität, namentlich aber viele Proteste gegen den Einmarsch der Reichskroaten und Reichsbarbaren in Sachsen. Die Sachsen riechen Lunte und merken, daß man sie wie Schleswig-Holsteiner behandeln will. Der Präsident rügte hierauf das Benehmen des Publikums in der gestrigen Sitzung. Dem Abgeordneten Bauer, einem kroatisirten Genie des Standrechts, soll nämlich von der Gallerie herab auf die Glatze gespieen worden sein. Die erbärmliche Kleinheit der Landtagsstube und der ganz verrückte Bau der Gallerien können so etwas wohl möglich gemacht haben, und es nimmt uns sogar Wunder, daß nicht schon andere Projektilen auf die Schädel der Herren Abgeordneten gefallen sind, ohne daß im Volke die mindeste Absichtlichkeit dazu vorhanden gewesen. Wäre mir's doch heute fast selbst geschehen, daß meine Brieftasche das Haupt eines Ministers zerschlagen hätte.
Wehner interpellirte das Gesammtministerium über ein Gerücht, wonach die allgemein verhaßte Leipziger Bank eine Erneuerung ihres Bourgeois-Privilegiums auf 10 Jahre ohne Genehmigung der Kammern erhalten habe.
Minister Weinlig mußte dies Gerücht bestätigen, betheuerte indessen, daß die Erneuerung schon unter dem abgetretenen Ministerium stattgefunden habe. Auf diese Weise umgeht das Ministerium die Kammer und eskamotirt mit seinen Spießgesellen und Bourgeois die Rechte des Volks. Die Erklärung verursachte sowohl im Publikum wie in der Kammer eine allgemeine Indignation.
Die Tagesordnung veranlaßte eine mehrstündige schleppende Debatte, in welcher die krähwinkelnde Duodezstaatenbildung so recht zur Schau kam. Es handelte sich vorzüglich um die Gehaltsabzüge der zu Abgeordneten gewählten Staatsbeamten.
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[ 15 ] Kassel, 17. März.
Die Verhandlungen unseres selbst vernichtenden Landtag's, sind wahrhaft ergötzlich. Gestatten Sie mir einen kurzen Rückblick auf die Ergebnisse hauptsächlich der Büdgetberathung.
Die Kosten des Landgestütes und die Anstellung eines Directors mit 1400 bis 1800 Thalern veranlaßten den Abgeordneten Winckelblech zu einem Vergleiche der Kosten der Menschenzucht mit der Pferdezucht. Ein Schullehrer erhalte auf dem Lande 100, wenn's hoch kommt 120 Thaler, in der Stadt 150—200 Thaler, ein ordentlicher Professor beziehe 600, — ein Landgestüte-Direktor 1800 Thaler. Das nenne er demokratische Grundlagen! Die Versammlung von ihrem Steuerbewilligungsrechte Gebrauch machend, bewilligte für den Direktor einen Gehalt von 1200 bis 1600 Thalern, schnitt also 200 (!) Thaler ab. — In derselben Sitzung stellte Winckelblech den Antrag, sämmtlichen Gefangenen alsbald unbeschränkte literarische Beschäftigung und zwei Stunden tägliche Bewegung im Freien zu gestatten. Die Versammlung ging zur motivirten (!) Tagesordnung über, weil literarische Beschäftigung nicht für alle Gefangenen tauge (!).
Die Sändeversammlung hat endlich begriffen, wie sie ihrer Aufgabe der Selbstvernichtung am Besten genüge, ohne sich selbst zu vernichten. Sie hat auf den Antrag des Bierbrauers Lederer beschlossen, die Regierung um Vorlage eines „unpräjudicirlichen Einführungs-Gesetzentwurfs zu dem neuen Wahlgesetze“ zu ersuchen, wonach die Ständeversammlung bis nach Ablauf der dreijährigen Landtagsperiode und unmittelbar bis zum Zusammentritt der neuen Versammlung ihre verfassungsmäßige Eigenschaft behalte. Also noch drei volle Jahre hätten wir Aussicht, diese Käuze hier tagen zu sehen, ein Bischen lange. — Abg. Wolff interpellirte, ob nach Publication der Grundrechte bei uns die Stellvertretung noch fortbestehe? Darauf meinte der Landtagskommissar das Recrutirungs-Gesetz sei ja in diesem Punkte so liberal, daß die Grundrechte gar keine Aenderung nothwendig machten (!).
Früher war der Landesherr in Kurhessen oberster Militärchef und der Kriegsminister demselben untergeordnet. Nun ist das zwar abgeändert, gleichwohl aber figuriren noch immer auf dem Militär-Etat die Flügeladjutanten mit 8280 Thlr. Der Ausschuß hatte beantragt, den Posten ausdrücklich zu streichen. Dies zog ihm aber eine derbe Lection Seitens des Regierungs-Kommissars und des Ministers des Innern zu. Diese Stellen wie die dafür ausgeworfenen Gehalte beruhten auf Vereinbarung und könnten von den Ständen nicht einseitig abgeändert werden, das Steuerbewilligungsrecht influire hierauf nicht. Die Versammlung genehmigte natürlich pflichtgemäßigst die 8000 Thlr., jedoch mit dem unterthänigsten Ansuchen in Zukunft nicht so hoch zu greifen. Auf Antrag Bayrhoffer's wurde zugleich beschlossen, die Regierung um Aufhebung der Adjutantur zu ersuchen. Wer diese beiden Beschlüsse zusammen reimen kann, vermag viel: Aber bei Gott und den kurhessischen Ständen ist kein Ding unmöglich. — Uebrigens ist unsere Militär-Verwaltung eine heitere Wirthschaft zu nennen. Seit den Märzerrungenschaften hat das kurhessische Vaterland nicht mehr als 11 Kriegsminister gehen und kommen sehen. Alle 8 Tage eine andere Uniform, alle 8 Tage ein anderer Kriegsminister, dermalen Major Bödicker, der kurhessische Wrangel, welcher die erste fliegende Colonne gegen das revolutionäre Hanau führte. — Die Ständeversammlung wünschte die Aufhebung unserer kostspieligen Militärkinder-Versorgungsanstalt des Cadettenhauses. Die Regierung meinte, das sei nicht thunlich. Die Gelder wurden devotest verwilligt.
In der Sitzung vom 16. interpellirte der Abg. Theobald, ob es begründet, daß unter den Nachbarstaaten Frankfurts bezüglich der Verfolgung von Verbrechern ein Kartell abgeschlossen sei. Der Landtagskommissar bejahte dies und die ganze Sache ward wegen der von mehrern Abgeordneten bezweifelten Verfassungsmäßigkeit dem Rechtsausschusse überwiesen. Zum Schlusse beantragte der Bürger und Bierbrauer Lederer den Kurfürsten durch Zahlen (wörtlich) von der Nothwendigkeit einer Verminderung der Civilliste zu überzeugen. Wird angenommen.
PS. Das Schützenbataillon kurhessischer Truppen ist bereits heute mit der Eisenbahn nach Schleswig-Holstein abgegangen und wurde durch eine Rede Serenissimi von „angestammter Treue“, „hessischer Tapferkeit“, „Anhänglichkeit an das Fürstenhaus“ etc. zum Abschiede begrüßt. Ein Waggon antwortete mit mattem: „Es lebe unser Kurfürst“, die übrigen Angesichts Sr. königlichen Hoheit mit dem um so stürmischern Rufe: „Es lebe die Republik“ (!). Uebermorgen sollen weitere Truppen folgen und dann werden Preußen, die nicht weit von der kurhessischen Grenze ein Lager bezogen haben, mit dem Belagerungszustande hier einrücken.
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@facs1424
[ 15 ] Kassel, 19. März.
Ich melde Ihnen heute ein Pröbchen kurfürstlich-hessischer Märzerrungenschaften, wie wir es wirklich weder vor noch nach der Märzrevolution erlebt haben. In Preußen mögen wohl schon öfter Anklagen auf Majestätsbeleidigung resp. Hochverrath erhoben worden sein, wenn man bei einem Toast auf den gottbegnadeten König nicht aufstand, in Kurhessen aber sind trotz des 60 Ellen langen Zopfs dergleichen Histörchen lange nicht mehr vorgekommen. Doch gehen wir zur Sache. In dem ungefähr vier Stunden von hier belegenen Oertchen Gudensberg hielt kürzlich der dortige Volksverein in einem Wirthshause bei gedrängtvollem Saale Sitzung. In dem Gewühle fiel zufälliger Weise das an der Wand hängende Bild des Kurfürsten herunter und wurde von den Füßen der Anwesenden nicht gerade zärtlich mitgenommen. Dies erboste einen anwesenden Spion, der dem ganzen Verlaufe zugesehen hatte, so sehr, daß er die Sache dem öffentlichen Ankläger hinterbrachte, welcher dann auch sofort in seinem blinden Amtseifer Klage auf Majestätsbeleidigung erhob. Derselbe Herr Ankläger war von seinem Vorhaben nicht abzubringen, als er selbst zugeben mußte, daß die Sache zufällig geschehen sei. Er meinte, zufällige Majestätsbeleidigung sollte noch härter bestraft werden, weil es einen erschrecklichen Mangel an Ehrfurcht vor dem Staatsoberhaupte bekunde, nicht einmal nachzuforschen, ob nicht etwa ein Bildniß desselben an dem Orte dieses wilden Treibens sei, da eigentlich in jedes Haus wenigstens ein Bild des Landesherrn gehöre. Märzerrungenschaften.
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@facs1424
[ 15 ] Kassel, 19. März.
In der heutigen Sitzung der Ständeversammlung ist die Civilliste wiederum Gegenstand der Debatte gewesen. Nach vielen langweiligen Erörterungen, wobei sich hauptsächlich die sogenannte demokratische Partei unseres Landtags durch ihre Zerrissenheit auszeichnete, einigte man sich endlich dahin, einen Ausschuß behufs Entwerfung einer neuen Adresse an den Kurfürsten zu wählen, bis nach erfolgter Antwort aber jegliche Beschlußnahme über diesen Gegenstand auszusetzen. Damit hat der Landtag sein „entscheidendes Wort“ gesprochen, er hat gesagt, wenn ihm wieder eine Rückäußerung auf seine Ansprache vorbehalten werden sollte, würde das Finanzgesetz nicht zu Stande kommen, somit das Budget nicht abgeschlossen werden können. Nun ist im Voraus zu sehen, wie eine etwaige Antwort Sr. Königl. Hoheit ausfallen dürfte: „Auf das Gesuch Meiner Stände kann nicht eingegangen werden.“ In diesem Falle aber sind die Stände fest entschlossen, den ganzen Posten zu streichen. Daraus würde dann Auflösung der Versammlung, und nach konstitutionellem Vocabularum „Berufung an das Volk“ folgen, was freilich den höchsten Herrn aus dem Regen in die Traufe brächte, da in diesem Punkte die Parteien des Hessen-Ländchens einhellig sind. Bei der originellen Hartnäckigkeit der Hoheit von Ihrem Einkommen Nichts nachzulassen, hätten wir dann den Belagerungszustand, womit man uns schon längst drohte, in sehr naher und reeller Aussicht, zumal das preußische Truppenlager im Paderbornischen (sehr nahe an der kurhessischen Gränze) dem gelobten Lande immer näher rückt, während die vaterländischen Krieger des letztern sich nach Schleswig-Holstein theils schon entfernt haben, theils noch mehr entfernen werden.
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@facs1424
[ !!! ] Frankfurt, 21. März.
National-Versammlung.
Schluß der Kaisersitzung.
Simson eröffnet um 1/2 10 Uhr die Sitzung.
Man geht sofort zur Tagesordnung und der Berichterstatter der Minorität des Ausschusses Römer (aus Würtemberg) erhält das Wort zur Empfehlung des ersten Minoritätserachtens, welches Tagesordnung über die Welkerschen Anträge beantragt und von Schüler (Jena), Schreiner, Wigard, Römer gestellt ist. Zuvörderst berichtigt er nochmals die irrige Behauptung Wurms, als habe im März vorigen Jahres Würtemberg geradezu den Preußen zum deutschen Kaiser machen wollen — erklärt aber, sollte dennoch der Hohenzoller gewählt werden, so wird Würtemberg nicht aufhören, seine Pflichten gegen Deutschland zu erfüllen. Zu dem Beweis der Verwerflichkeit der Welkerschen Anträge fügt er nichts Neues hinzu. Sein Vortrag ist der eines bereits Besiegten. Er giebt zu, daß Oestreich jetzt nicht in Deutschland eintreten könne, unter den von der östreichischen Verfassung gegebenen Bedingungen, aber Oestreichs octroyirte Verfassung werde vor einem Jahre nicht zur Ausführung kommen und in diesem Jahre könnte viel passiren! Römer wünscht noch eine Frist für Oestreich, zu einer Ueberrumpelung wie durch den Welkerschen Antrag sei keine Veranlassung. Die Stimmung des Volkes sei eine solche in Deutschland, daß wenn man die Verfassung nach Welkers Beschluß jetzt in Bausch und Bogen annehme und der nächsten Vertretung Deutschlands zur Revision überließe, leicht eine Vertretung zusammen kommen würde, die von unserer Verfassung keinen Stein auf dem andern lassen möchte, und dagegen eine machen, die Ihnen nicht gefiele. (Bravo links und Gallerien.) Das Volk werde noch erbitterter werden, wenn es sieht, daß man es mit dem Erbkaiser u. s. w. überrumpeln wolle!
Schüler von Jena empfiehlt das zweite Minoritätserachten „über die Verfassung in zweiter Lesung paragraphenweise abzustimmen.“ Welkers Antrag sei ein Terrorismus der Mehrheit, verübt an der Minderheit, ein unerhörter parlamentarischer Terrorismus. Aller krankhafte Partikularismus in Deutschland ist ein dynastischer. Dieser würde Nahrung bekommen durch die Wahl des Preußen und die dadurch für ewig erregte Eifersucht der Dynasten. Und dies nennen Sie Herstellung der deutschen Einheit? Ich frage, sagt Schüler, die Preußen in dieser Versammlung, würde Preußen sich unterwerfen, wenn man die Kaiserkrone an Baiern oder Würtemberg übertrüge? (Links: Sehr wahr!) Die klarste Folge ist der Bürgerkrieg zwischen dem Norden und Süden. Und diese Spaltung in zwei Theile nennen Sie Einheit? Sie wollen ein Schwert schaffen für Deutschland — ich fürchte, Sie werden nach wie vor eins schaffen zur Unterdrückung der Freiheit. Der Preuße, wenn er annimmt, d. h. nicht von uns, sondern von den Regierungen, wird nicht ein Kaiser des deutschen Volkes, sondern der deutschen Fürsten sein! Noch nie hat ein Volk einen solchen Verrath an seiner Freiheit begangen, daß es sich einem Monarchen nur wegen seiner großen Hausmacht unterworfen hätte. Nur der Theil des Volkes will Ihren Kaiser, welcher sagt: „ich wollte es wäre Schlafenszeit“ (und ich könnte mich auf meinen Geldsack legen). (Bravo links.) Schließlich erklärt Schüler, daß nur die alte Kabinetspolitik und gänzliche Reaktion uns zu so verrätherischen Schritten führen können, wie Welker sie vorschlägt. Wenn einmal der traurige Bürgerkrieg eine Unvermeidlichkeit geworden ist, dann wollen wir ihn doch lieber machen, um Oestreich an uns zu ziehen, als es von uns zu stoßen! Ich werde unter keiner Bedingung nun und nimmer für einen Erbkaiser stimmen. (Langer Beifall von der Linken und Gallerien)
Was Riesser zur Begründung der Majoritätsanträge des Ausschusses noch als Berichterstatter sprach und mit Hülfe Bassermanns zusammengearbeitet hatte, werden Sie mir füglich erlassen. Die patriotischen Tugendphrasen dieses Hamburger liberalen Schmeerbauchs vom reinsten Wasser dienen gewiß nicht dazu, die bis zum Ekel erschöpfte Diskussion zu beleben. Der Beifall der Centren und der Preußen war natürlich ungemessen. Jucho und einige andere zarte Seelen weinten glühende Thränen. Riesser sprach über zwei Stunden.
Aber das muß ich doch erwähnen, daß dieser schönrednerische Hamburger auf eine Weise den Berliner Straßenkampf und die Berliner Märzrevolution schmähte, die jedem Ehrenmann die Röthe des Zornes auf die Wangen treiben mußte. Nun, die Zukunft wird ihm ein Sürrogat für den Beifall der Frankfurter Centren und Frankfurter Preußen bringen.
Beim Herabsteigen von der Tribüne fiel Bassermann und seine Clique über Riesser mit wahnsinnigem Entzücken her. Gagern erhob sich von der Ministerbank umarmte und küßte ihn. (Das ist wörtlich wahr.) Ueber diese Umarmung schlug die Linke ein Hohngelächter auf und hinter mir sagte ein schlichter Blousenmann: „Das ist der Judaskuß, mit dem die deutsche Freiheit verrathen wird!“
Radowitz geht vor der Abstimmung auf die Tribüne und erklärt, seine Partei werde sich aus höheren Rücksichten (soll heißen telegraphische Nachrichten) den Anträgen des Ausschusses anschließen.
Raveaux erklärt dies für einen Mißbrauch nach Schluß der Debatte.
Folgen endlich die Abstimmungen (um 1/22 Uhr). Zuerst über die einfache Tagesordnung über Welkers Anträge.
Es stimmten unter andern
für die Tagesordnung:
Uhland. Trützschler. Braun aus Bonn. Kolb aus Speyer. Graf Deym. Kotschi. Linde. Detmold. Lewisohn. Martiny. Alle drei Simons. Edel. Eisenmann. Maifeld Temme. Giskra. Gompard. Melly. Trabert. Heckscher. Möhring. M. Mohl. Trampusch. v. Hermann. Mohr. Mühlfeld. Kirchgessner. Neuwall. Kahlert. Pfeu[unleserlicher Text]er. Phillips. Raveaux. Reichenbach. Richter (Achern) Rödinger Rösler (Oels). Roßmäßler. Schaffrath. Scharre. Shauß. Schlöffel. Schmerling. Schüler (Jena). Schulz (Darmstadt und Weilburg). Schütz. Sepp. Sommaruga. Fürst Waldburg-Zeil. Welker. Wulfen. Wuttke. Wirth. Zimmermann aus Stuttgart. Spandow.
Gegen die Tagesordnung u. A.:
Reh. Rösler (Wien). Schneer Servais. Simner. Tellkampf. Treskow. Venedey!! (Pfui! Pfui! über diesen elenden Phrasenhelden. — Tumult erhob sich.) Beseler aus Schleswig. Bürgers. Cetto. Knyrim (Linke). Drechsler (Linke). Droysen u. Esmarch (Schleswiger). Federer [1425] (Linke). Freudentheil. Gebhard. Godeffroi (Hamburger). Gravenhorst (Linke). Jahn. Ostendorf. Radowitz Hildebrand (Linke). Jordan von Berlin und Marburg. Jucho. Kraft. Langerfeld. Löwe aus Kalbe (Pfui!). Makowizka. Mathy. Mathies. Mewissen (Köln). Mittermaier. Paur (Neiß, Linke!) Rappard. Wydenbrugk. Zell. Ziegert.
Schoder hatte sich gedrückt.
Die Tagesordnung wurde mit 272 Stimmen gegen 267 Stimmen verworfen.
Also mit 5 Stimmen Majorität.
Dazu muß man bemerken, daß Reh, Wydenbrugk, Zell, Venedey und einige andere, Verräther an ihrer Partei wurden und noch gestern erst 3 Oestreicher austraten. (Titus fehlte, Schoder war zu feig, mitzustimmen.)
Hierauf zogen Rühl von Hanau und Linde aus Mainz ihre Anträge auf Tagesordnung zurück. Ebenso wurde ein Sondergutachten der Minorität des Ausschusses zurückgezogen. Man ging also an die Anträge des Ausschusses, lautend:
1) Die gesammte deutsche Reichsverfassung, so wie sie jetzt nach der ersten Lesung und nach möglichster Berücksichtigung der Wünsche der Regierungen durch den Verfassungsausschuß redigirt vorliegt, durch einen einzigen Gesammtbeschluß anzunehmen; jedoch mit den Modificationen, daß
a) nunmehr § 1 folgende Fassung erhalte:
„Das deutsche Reich besteht aus dem Gebiet des deutschen Bundes unter folgenden näheren Bestimmungen:
„den österreichischen Bundeslanden wird der Zutritt offen gehalten,“
„die Festsetzung der Verhältnisse des Herzogthums Schleswig bleibt vorbehalten;;“
b) daß, so lange die österreichischen Bundeslande dem Bundesstaate nicht beigetreten sind, die nachfolgenden Staaten eine größere Anzahl von Stimmen im Staatenhause erhalten, nämlich:
Bayern20
Sachsen12
Hannover12
Würtemberg12
Baden10
Großherzogthum Hessen8
Kurhessen7
Nassau4
Hamburg2

2) Dem nächsten nach Einführung der Verfassung zusammentretenden Reichstage das Recht vorzubehalten, in seiner ersten Sitzungsperiode Aenderungen einzelner Bestimmungen der Verfassung in Gemeinschaft mit der Reichsregierung in den Formen der gewöhnlichen Gesetzgebung zu beschließen.
3) Durch denselben Gesammtbeschluß auch das Wahlgesetz, so wie dasselbe in erster Lesung angenommen wurde, nunmehr definitiv zu genehmigen, jedoch mit den beiden Modificationen, daß
a) so lange die österreichischen Bundeslande dem Bundesstaate nicht beigetreten sind, in § 7 die Zahl von 100,000 auf 75,000 und dem entsprechend in den §§ 8 und 9,von 50,000 auf 40,000 herabgesetzt werde, auch die Punkte sub 6 und 7 der Reichswahlmatrikel, so wie die besondere Bestimmung wegen Lübeck in § 9 wegfallen.
b) daß in § 13 die früher vom Verfassungsausschuß vorgeschlagene Fassung:
„Das Wahlrecht muß in Person ausgeübt, die Stimme mündlich zu Protokoll abgegeben werden,“
angenommen werde.
4) Die in der Verfassung festgestellte erbliche Kaiserwürde Sr. Maj. dem Könige von Preußen zu übertragen.
5) Das feste Vertrauen auszusprechen, daß die Fürsten und Volksstämme Deutschland's großherzig und patriotisch mit diesem Beschluß übereinstimmen, und seine Verwirklichung mit aller Kraft fördern werden.
6) Zu erklären, daß sofern und so lange der Eintritt der deutsch-österreichischen Lande in den deutschen Bundesstaat und seine Verfassung nicht erfolgt, die Herstellung eines möglichst innigen und brüderlichen Bundes mit denselben zu erstreben sei.
7) Zu beschließen, daß die Nationalversammlung versammelt bleibe, bis ein Reichstag nach den Bestimmungen der Reichsverfassung berufen und zusammengetreten sein wird.
Diese Anträge wurden mit 283 Stimmen gegen 252 verworfen.
Nun Herr Riesser, wie sieht es aus mit Ihrer Gnade? H. Riesser sagte nämlich: „Meine Herren, wir werden siegen, aber wir werden über unsern Sieg nicht triumphiren!!“ — Also verworfen mit 31 Stimmen Majorität. Dies Resultat wurde mit Bravo's und immenser Sensation begrüßt. Folgen mehrere Erklärungen, die meisten sind von Preußen.
Grumprecht beantragt nach diesem unerwarteten Resultat Vertagung der weiteren Abstimmung. (Links: Nein! Nein!)
M. Mohl: Diese Vertagung würde bloß zu einem neuen Fischzug der Preußen dienen. Dies ist eine skandaleuse Zumuthung!!! (Furchtbares Bravo! Simson (Präsident) ruft Mohl zur Ordnung.)
M. Mohl (auf der Tribüne!): Gegenüber dem nur in der Geschäftsordnung begründeten Ordnungsruf des Präsidenten kann ich nur sagen: „Und sie bewegt sich doch!!“ — (Langes Bravo der Gallerieen.)
Vogt beantragt, auf eine Stunde die Sitzung auszusetzen. (Nein! links.)
Buß gegen die Vertagung.
Kerst erklärt: die Oestreicher, welche gegen die östreichische oktroyirte Verfassung nicht protestirt haben, haben nicht das Recht, in diesem Hause zu sitzen. (Furchtbares Skandal, Pfui! Pfui! — Präsident erklärt die Aeußerung Kerst's für ganz ungehörig.)
Raveaux für eine Vertagung von 1 oder 2 Stunden.
Die Vertagung bis zur nächsten Sitzung (Morgen) wird mit 274 Stimmen gegen 248 angenommen.
Dafür stimmten u. A.:
Beseler (der Fundirte). Bürgers. Droysen. Cetto. Drechsler. Graf Deym war fortgelaufen. Esmarch. Franke. Freudentheil. Gravenhorst Groß aus Prag stimmte nicht. Hasler aus Ulm. Jahn (Ende gut alles gut). Jordan (Berlin und Frankfurt). Jucho (der Republikaner). Kierulf. Laube fehlte, weil er in Oestreich gewählt ist. Löwe aus Kalbe stimmte hier mit Nein. Merk (Hamburger Liberaler) mit Ja. Mewissen (Köln) mit Ja! Minkus mit Ja!! Ostendorf mit Ja. Radowitz. Rappard. Reh. Riesser. Rösler aus Wien. Rüder. Schierenberg. Schmidt aus Berlin. Schneer. Schneider aus Wien stimmte nicht. Schwarzenberg. Schwetschke. Soiron. Tellkampf. Venedey stimmte hier mit Nein! Fürst Waldburg mit Nein! Wurm, Wydenbrugk, Zell, Herzog, Ziegert mit Ja! Beide Zimmermann's Nein! Graf Deym nachträglich mit Nein!
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@facs1425
Mainz, 20. März.
In Folge der „Märzerrungenschafen“ ist den hiesigen Kunst- und Bilderhändlern neulich durch die Polizei die Weisung zugegangen, an den Schaufenstern keine Carricaturen auszustellen, welche das Mißfallen der Reichstruppen, oder nach altem Styl, der Oestreicher und Preußen erregen könnten. Es steht zwar in den Grundrechten nicht geschrieben, daß die Freiheit, seine Gedanken durch die Presse oder in bildlichen Darstellungen unverkümmert äußern zu dürfen, nach Belieben von den Soldaten angetastet werden könne; indeß hier wie überall sucht die Polizei wieder in die alte Präventiv-Bahn einzulenken. Genung Carricaturen, die den Soldaten nicht gefallen, dürfen nicht ausgehängt werden. Gestern Nachmittag hat nun hier ein östreichischer Soldat bewiesen, daß das Militär überhaupt keine Bilder sehen will, welche Militärpersonen darstellen. Der Musikalien- und Kunsthändler Appiano hatte einen Holzschnitt, darstellend den Früsten Windischgrätz zu Pferde, ein Fernrohr in der Hand, ausgehängt. Ein östreichischer Soldat trat in den Laden und verlangte, daß die Carricatur fortgenommen werde. Es wurde ihm bedeutet, das Bild sei keine Carricatur, indeß der Herr Soldat ließ sich nicht belehren, sondern riß das Bild herunter und vernichtete es, d. h. er zerriß es in kleine Stücke und warf es auf die Straße.
[(Fr. Jr.)]
Ungarn.
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@facs1425
Nach Briefen von der moldauischen Gränze vom 6. März haben nicht nur die in Siebenbürgen stehenden Russen eine Verstärkung von 8000 Mann erhalten, sondern es steht auch ein an der Gränze der Bukowina aufgestelltes russisches Korps des Befehls gewärtig, in die Bukowina einzurücken. Bem hat bedeutende Verstärkungen an sich gezogen und bedroht Hermannstadt zum drittenmal. Malkowski's Korps (von Urban befehligt) mußte eine rückgängige Bewegung — bis zu der Gränze der Bukowina machen, und die Stadt Bistritz abermals den Ungarn preisgeben.
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@facs1425
Beckereck [Banat], 28. Februar.
Nachrichten aus Szegedin melden, daß letzter Tage dort eine Versammlung abgehalten wurde, die wegen Uebergabe der Stadt berieth. Der Stadtrichter Vadasz erklärte dem Volke, daß, wenn es für Preßburg, Raab und Pesth-Ofen keine Schande gewesen sei, sich den k. k. Truppen zu ergeben, so brauche sich auch Szegedin nicht zu schämen, seine Unterwerfung anzuzeigen. Der Redner hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als er nebst zwei andern Stadtbeamten, die sich in demselben Sinne erklärt hatten, von dem wüthenden Volk auf die gräßlichste Weise ermordet ward. Bei dieser Gelegenheit sind auch alle dortigen Serben eingezogen und im Stadthaus gefangen gesetzt worden.
[(S. [unleserlicher Text]l. Z.)]
Italien.
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@facs1425
[ * ]
Seit der Kündigung des Waffenstillstandes ertönt nur Ein Ruf in Italien: Krieg! Es lebe der Krieg! In Piemont besonders kennt der Enthusiasmus keine Gränzen mehr. In der Kammersitzung vom 15. wurde eine Adresse an die Nation vorgeschlagen, worin jedes Wort das heiße Begehren nach der Schlacht athmet:
„Der Krieg, heißt es am Schlusse, sei künftighin unser Aller Leben und Sinnen; wir kennen fortan nur noch Einen Ruf: Krieg, Krieg! Mit diesem Rufe vergißt man die gewöhnlichen Leiden; aber das Vaterland wird sie nicht vergessen, es wird sie eines Tages in Rechnung bringen und alle Diejenigen herrlich belohnen, die für das Vaterland gelitten. Mitbürger, wir wachen mit Väter- und Bruderliebe über die Tapfern, welche aus Liebe zum Vaterlande dahingehen, um dem Schicksale der Schlachten zu trotzen: die ewige Dankbarkeit der Nation wird ihre Thaten würdig zahlen.
Mitbürger, Alles was den Namen Italiener führt, wird Theil nehmen an dem Kampf; Uns vor Allen gehört die Ehre, vornan zu ziehen und dem civilisirten Europa zu zeigen, daß wir unsere Feinde nicht zählen!“
Die Piemonteser vertrauen mit Recht auf die Republikaner von Florenz und Rom. Die Unabhängigkeit allein kann die Italiener in diesem Augenblicke retten; denn wenn Oestreich siegreich aus dem Kampfe hervorgehen sollte, so ist die Republik von Toskana und Rom unwiederbringlich verloren.
Den Abzug des 23. Regiments begrüßten die Einwohner von Turin mit dem Rufe: Es lebe Italien! Es lebe Rom! Es lebe Florenz, Parma und Modena! Der General Chrzanowski erwirbt sich jeden Tag mehr die Liebe und die Achtung der Armee. Er zeigt ein großes Organisationstalent. In einer an die Soldaten gerichteten Anrede besteht er ganz besonders auf der Nothwendigkeit einer strengen militärischen Disziplin. Die beiden Generäle Biskaretki und Broglia sind in Disponibilität versetzt worden. Ueberhaupt legt Chrzanowski eine große Festigkeit an den Tag. „Der wilde Radetzki, sagte er neulich in einer Proklamation, fordert seine barbarischen Kriegsgenossen auf, den „Frieden in Turin zu erobern“. Unsere Soldaten werden ihm zeigen, daß der Weg dahin nicht so kurz ist, als er glaubt, und er möchte vielleicht den Weg nach Wien vorziehen. Er mag nur kommen, bald, recht bald, dieser wilde Verwüster; er wird ein Volk antreffen, das, vollkommen vertraut mit der Handhabung der Waffen, nur darauf wartet, ihn zu vernichten. — Der Weg nach Turin mag leicht, aber der Rückweg soll sicher dem östreichischen Großsprecher unmöglich sein.“
Der Prinz von Savoyen hat den Studenten der Universitäten Piemont's die Autorisation ertheilt, sich an dem Kriege für die italienische Unabhängigkeit zu betheiligen, ohne das Recht zu verlieren, sich zu den nächsten Examina zu stellen. Also allenthalben, in den Schulen wie auf den öffentlichen Plätzen, läßt man sich einschreiben, um für die italienische Freiheit zu kämpfen. Kinder winden sich los aus den Armen ihrer Eltern und rennen hinaus mit dem Rufe: Es lebe die italienische Unabhängigkeit!
In dem Augenblicke, wo wir schreiben, ist der Krieg bereits entbrannt. Radetzki hat eine zahlreiche Armee, gierig nach Raub und Mord. Aber die Italiener sind racheentbrannt, und es ist möglich, daß die unglückliche Lombardei, obgleich dezimirt und erschöpft durch langen Druck, sich abermals erhebt — und so ständen die Barbaren zwischen zwei Feuern.
Mit der Diplomatie ist es völlig aus in Italien, die Diplomatie hat nichts mehr hier zu suchen; alles wird sich mittelst der Waffen entscheiden. Der elende Barrot! Der Ochse von Napoleon! Die schönste Gelegenheit hat er auf eine infame Weise vorübergehen lassen. Sieg oder Niederlage der Italiener, das eine wie das andre ist der Todessturz für Barrot und Konsorten. Siegen die Piemontesen, nun so steht Italien auf wie Ein Mann und spottet des Neffen seines Onkels! Unterliegt aber Piemont in einem ersten Treffen, nun, so ist kein Franzose mehr zu halten; die Franzosen werden über Barrot's und Napoleon's Leib hinweg den Italienern zu Hülfe eilen.
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@facs1425
[ X ] Mailand, 16. März.
Mailand ist in der Bestürzung. Radetzki, als er die Kündigung des Waffenstillstandes vernahm, ist in eine wahre Raserei verfallen. Er drohte damit, die Stadt von Grund aus zu vernichten, die Männer zu erwürgen, und die jungen Frauen der Brutalität seiner Soldaten Preis zu geben, sobald er nur die leiseste Verbindung der Einwohner mit den Piemontesen entdecke.
„Gott ist mit uns,“ sagte er in einer Proklamation, „vorwärts, Soldaten, auf nach Turin!“
Mitten in der wilden Freude der Oestreicher bleibt die Bevölkerung Mailand's in einer Ruhe, welche der Abgestumpfheit ziemlich nahe kömmt. Es ist dies die Niedergeschlagenheit, welche nach allen großen Katastrophen eintritt. Aber das Kanonengetöse wird der Stadt bald die Energie des Patriotismus wiedergeben.
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@facs1425
[ * ] Piacenza, 14. März.
Der österreichische Militärgouverneur von Piacenza, Graf Thurn, hat gestern eine Proklamation erlassen, worin es heißt:
„Jede Zusammenrottung in den Straßen hat auf die erste Aufforderung sofort auseinanderzugehen; wo nicht, so wird man mit Gewalt einschreiten. Geschrei und Gesänge zur Manifestation einer politischen Meinung, sind verboten; die dagegen Handelnden werden einer Militärkommission übergeben. Um 9 Uhr müssen alle Läden und Stadtthore geschlossen sein; keiner darf ohne einen vom Militärgouverneur ausgestellten Paß sich aus der Stadt entfernen. Jede Familie hat sich für 5 Tage zu verproviantiren, widrigenfalls sie aus der Stadt ausgetrieben wird. Jeder, bei dem eine Waffe sich vorfindet, wird sofort niedergeschossen. Jedes Haus, aus dem ein Schuß fällt, wird sofort den Soldaten zur Plünderung übergeben, und wenn Widerstand geleistet wird, in Brand gesteckt. Die darin wohnenden Familienväter werden einer Militärkommission übergeben.“
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@facs1425
[ * ] Parma, 14. März.
Die österreichische Garnison in Parma ist heute aus der Stadt geschlagen und genöthigt worden, sich in aller Eile zum Haupt-Armeecorps von Radetzky zurückzuschlagen. Dieser Rückzug war nichts weniger als die Folge einer in Parma ausgebrochenen Insurrektion. Am 13. nämlich hat man in unserer Stadt die Nachricht von der Kündigung des Waffenstillstandes erhalten: auf der Stelle erhob sich die ganze Bevölkerung wie ein Mann, und warf sich mit Muth auf die Garnison, um sich für die 7 Monate lang ertragenen Unbillen zu rächen. Der österreichische Kommandant, der die ganze Gefahr erkannte, die ihm in den Straßen einer feindlichen Stadt drohte, gab den Befehl, schleunigst aufzubrechen, weil er zudem fürchtete, daß die Landbewohner ihm den Rückzug abschneiden könnten.
Die Bevölkerung Parma's, die sich so plötzlich befreit sah, pflanzte die piemontesischen Farben auf, und schickte Deputirte den sardinischen Truppen entgegen, um ihren Einzug in die Stadt zu beeilen.
Das Ministerium hat in Turin die Nachricht von diesen Vorfällen am 15. erhalten, und noch am selbigen Tage schickte es den Senator Plezza nach Parma ab, um in der Eigenschaft eines außerordentlichen Kommissarius die nöthigen Reorganisationen vorzunehmen.
Der Marschall Radetzky hat sein Generalquartier nach Créma verlegt. Ehe er Mailand verließ, nahm er alle sich vorfindenden Summen der Wohlthätigkeitsanstalten, Zufluchtsörter, Hospitäler u. s. w. weg. Sogar die Kasse der Wittwen und Waisen wurde nicht verschont. Der Schatz von Monza mit der berühmten eisernen Krone wurde eingepackt und nach Verona transportirt; man schätzt den Werth der dahin transportirten Gegenstände auf sechs Millionen.
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@facs1425
[ * ] Turin, 14. März.
(Schluß des in Nr. 252 d. Ztg. abgebrochenen Manifestes der sardinischen Regierung „an alle Nationen des civilisirten Europa's.)
Das Manifest geht sodann in die Details der östreichischen Politik ein, und zeigt nach, auf welche schmähliche Weise Oestreich zu wiederholten Malen den Waffenstillstand gebrochen hat. „Europa hat mit Entrüstung die scheußlich-barbarisch-grausamen Exzesse vernommen, welche eine civilisirte Regierung, die auf der Höhe der Zeit zu sein sich rühmt, in Italien begangen hat, und Europa fragt sich nnch tagtäglich, wie solche Exzesse haben geduldet werden können: der scheußlichste Mißbrauch der brutalen Gewalt, Beschimpfungen und Beraubungen aller Art — das hat Oestreich mitten im Waffenstillstande sich erlaubt.“
„Was steht von einem Lande zu erwarten, das sich auf fremdem Gebiet, das ganz außerhalb seiner vorgehlichen Jurisdiktion liegt, Handlungen, wie die in Ferrara, beifallen läßt?“
Die französische Regierung erhält in diesem Manifeste die ihr gebührende Würdigung. In dem Congresse zu Brüssel sollten die italienischen Angelegenheiten geordnet werden. Der franz. Abgeordnete ist schon lange in Brüssel; aber Oestreich verschiebt die Absendung seines Bevollmächtigten unter den futilsten Vorwänden, und läßt so den französischen auf eine eben nicht sehr schmeichelhafte Weise warten.
„Die sardinische Regierung hat sich überzeugt, daß die Achtung, welche sie den vermittelden Mächten schuldig ist, nicht so weit gehen darf, daß sie ihnen die Ehre und das Heil Sardiniens und Italiens zum Opfer bringen sollen.…“
Das Manifest giebt der französischen Regierung zu vestehen, daß Ihre Vermittlung in jedem Falle fruchtlos gewesen, daß Oestreich nicht gesonnen ist, von seinen Ansprüchen auch nur im Geringsten abzustehen.
„Wie könnten England und Frankreich sich durch die nunmehrige Haltung Sardiniens beleidigt fühlen, da Oestreich bisher so wenig Notiz von der ihm gebotenen Mediation genommen habe?“
Im Gegentheil, Frankreich wird das Edle, das Große eines Volkes zu schätzen wissen, das, um seine Unabhängigkeit zu retten, sich nicht scheut, den Kampf auf Leben und Tod mit einem der mächtigsten Staaten der Welt aufzunehmen.
Auf die Lage des übrigen Theils von Italien übergehend, weist das Manifest auf die anschaulichste Weise nach, daß für ganz Italien ohne Ausnahme nicht allein der Wunsch, sondern die Nothwendigkeit vorhanden ist, den Kampf für die nationale Unabhängigkeit mitzukämpfen: der Krieg unter den jetzigen Umständen ist weit weniger gefahrdrohend für Italien, als der quasi bestehende Frieden, der vernichtend ist.
„Die sardinische Regierung ruft die Sympathien aller civilisirten Nationen an; die seit einem Jahre für ihre Unabhängigkeit den Kampf begonnen haben; die Sympathien aller Derjenigen, die wissen, wie bitter es ist, die Unabhängigkeit nicht zu besitzen, und wie schwer, dieselbe herzustellen.
Es ruft die Sympathieen Deutschlands an, das ungeachtet seiner mit Oestreich gemeinsamen Sprache nicht vergessen darf, wie feindselig gerade Oestreich der Organisation der deutschen Nationalität entgegentritt.
Also der Krieg für die Unabhängigkeit beginnt aufs Neue! — ein heiliger Krieg, so heilig wie das Recht, welches die Völker haben, Herr und Meister in ihrem Lande, auf ihrem Boden zu sein. Wir haben das feste Vertrauen die Leiden des Vaterlandes zu rächen, und durch unsere Armee. Alles was noch der Fremdherrschaft unterworfen ist, frei zu machen, von dem heldenmüthigen Venedig den langzuduldeten Druck abzuwälzen, und die italienische Freiheit herzustellen.“ Unterzeichnet:
Agostino Chiros, Minister-Präsident und Kriegsminister. Domenico de Fearari, Minister des Aeußern. Vincenzo Ricci, Finanzminister. Riccardo Sineo, Justizminister. Carlo Cadorna, Minister des Unterrichts. Sebastiano Tecchio, Minister der öffentlichen Bauten. Domenico Buffa, Handelsminister.
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@facs1425
[ 068 ] Turin, 17. März.
Eine Ordonnanz vom Prinzen Eugéne von Savoyen, datirt vom 17. März, proklamirt eine Erhebung in Masse aller Bürger der lombardisch-venetianischen Provinzen, die im Stande sind, die Waffen zu tragen.
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@facs1425
[ * ] Rom, 14. März.
Auf welcher Seite befindet sich der Aufruf zum Mord und Brand? In dem Kloster von Spello hat man einen offiziellen Brief entdeckt, der von der Kamarilla von Gaëta heimlich dem Klostervorsteher zugeschickt worden. In diesem Briefe heißt es: „Liberale, Jakobiner und Republikaner sind Leute von demselben Gelichter; sie wollen die Religion und ihre Diener vernichten.
Wir werden also von unserer Seite die Asche dieser ganzen Race zu zerstreuen haben. Fahrt fort mit Eurem Eifer, alle Geistlichen und Landleute zu entflammen. Empfehlt ihnen an, daß sie ja nicht an dem heiligen Rendezvous fehlen, das ihnen durch den Ton der Glocke verkündet wird, und wo Jeder das Eisen in die Brust dieser Religionsschänder ohne Mitleid bohren soll.
Wiederholt ihnen unser Gebet und unser Gelübde, das wir gethan haben, diese Verruchten bis auf den letzten Mann zu vernichten, ohne selbst die Kinder auszunehmen, um die Rache zu vermeiden, die sie eines Tages auf unsern Altären ausüben könnten. Also, mit einem Worte, haltet Euch bereit, daß am Tage, wo wir den Ruf der Reaktion ertönen lassen, dieser Ruf von Euch Allen ohne Furcht wiederholt werde. …
Französische Republik.
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@facs1425
[ * ] Paris, 21. März.
Nachmittags 2 1/2 Uhr. Die Februar-Revolution tritt in ihr zweites Stadium. Ein Ereigniß von unermeßlicher Wichtigkeit hat sich beim Beginn der heutigen Sitzung der Nationalversammlung zugetragen: Der Berg und die Linke haben sich vereinigt und sich der Abstimmung in der weiteren Clubdebatte in Masse enthalten. Nach dem ersten fruchtlosen Stimmenumgange zogen sich die genannten beiden Parteien, mit Cavaignac, Lamoricière, Marrast, Fayet (Bischof zu Orleans), Ledru Rollin etc. an ihrer Spitze, in einen Bureausaal zurück und haben dort eine Protestation redigirt und unterschrieben. Ihre Demission, wie es die Rechte gerne sähe, werden sie nicht geben. Jetzt kommt es entweder zu einer Auflösung oder zu einer zweiten Auflage des 18. Brümaire. Der Boden ist hier aber weder so [1426] sandig wie in Berlin, noch so steinig wie in Wien. Auch beträgt die Minorität hier etwas mehr, als in den beiden deutschen Städten. Sie erreichte bereits gestern Abend 359 gegen 378, und wäre zur Majorität geworden, wenn die Jüstemilianer Duclerc, Pagnerre und Comp. nicht mit der Rechten gestimmt hätten und täglich in's Elysée liefen, um dem Präsidenten für eine gute Stelle die Glacéhandschuhe zu küssen.
— 3 1/2 Uhr. Eben kommen Berg und Linke wieder in den Saal und stimmen!!!
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Paris, 21. März.
Das Handelsministerium benachrichtigt die Handelswelt durch den Moniteur von dem Wiederbeginn der Blokade der schleswig-holsteinschen Häfen. Diese Blokade, hat Dänemark dem Vertreter der französ. Republik in Copenhagen am 7. März erklärt, habe keinen anderen Zweck als die Wiederherstellung der dänischen Obrigkeit auf allen Punkten, wo dieselbe mißkannt worden sei und sie würde wieder gehoben werden, sobald das königliche Ansehen wieder etablirt worden.
— Der dänische Krieg beschäftigt das Elysée viel weniger, als das gestrige Votum in der Clubfrage. Die Nationalversammlung hat am Schlusse ihrer gestrigen Sitzung die Clubs nur mit 378 gegen 359 Kugeln untersagt, d. h. die ersten drei Worte des Amendements der Minorität in zweiter Lesung angenommen. Mit einer solchen Majorität würde sich jedes normale Ministerium zurückziehen; da wir aber noch in revolutionärem Zustande uns befinden, so will Bonaparte vor den Wahlen seine Minister nicht wechseln. Welche Glückseligkeiten uns nach den Wahlen bescheert sein werden, soll natürlich vom Ausfall der Wahlen selbst abhängen. Unsere größten politischen Sterndeuter meinen: die nächste Kammer werde ungefähr 500 vollblütige Conservatoren (große Grundbesitzer, anerkannte Royalisten, alte Minister etc.), 150 Justemilianer (aus der Boutique des National) und etwa 100 Galgenstricke, wie man im Faubourg St. Germain die Socialisten nennt, zählen: vorausgesetzt, daß der italische und der deutsche Reichskrieg nicht die Köpfe der Wähler plötzlich verrückte. Qui vivra, verra.
— Eine Ordonnanz des Polizeipräfekten, die gestern zum großen Erstaunen der Menge angeklebt wurde, widerruft die den Straßen-Journalverkäufern seit dem Februar v. J. verliehenen Patente. Aus den Gründen, die der Ordonnanz vorher geschickt sind, erfährt man, daß dieser fliegende Journalverkauf den Straßenverkehr hindere (!).
— Sämmtliche rothe Journale und selbst der National erheben ein fürchterliches Geschrei gegen die neuesten ministeriellen Maßregeln. Erst die Clubs, dann die Presse durch Entziehung des öffentlichen Verkaufs und Wiedereinführung des Stempels tödten — rufen sie, das ist der große Plan des neuen Feldzuges. Quo nos dominateurs le sachent, ce jeu est plus dangereux qu'ils ne le pensent erklärt die Revolution in ihrer heutigen Nummer.
— Im Rauchzimmer der Nationalversammlung ging es während der Clubdebatte nicht weniger stürmisch zu als im Saale selbst. Clement Thomas und einige Bonapartisten faßten einander fast bei den Ohren. Es sei schändlich, sagte Clement Thomas, daß Louis Bonaparte den Daix und Lahr wie gemeine Mörder habe hinrichten lassen! Ihr Verbrechen, so schauderhaft es auch immer sei, habe doch während eines Bürgerkrieges stattgefunden und gehöre in die Kategorie politischer Verbrechen. Aber gerade Louis Napoleon hätte es am allerwenigsten wagen dürfen, ihr Todesurtheil zu unterschreiben, denn er selbst habe seine politische Bahn in Frankreich mit Pistolenschüssen auf die Brust französ. Offiziere und Soldaten in Straßburg u. Boulogne begonnen und sei darum ebenfalls ein politischer Meuchelmörder…. Bei diesen Worten näherte sich Pierre Bonaparte, der sog. rothe Republikaner, dem Redner und stellte ihn zur Rechenschaft im Namen seines Vetters, des erlauchten Präsidenten. Clement Thomas erklärte, daß Herr Peter nur die Akten des Pairshofes nachzulesen brauche. Diese lakonische Kürze erhitzte die beiden Raucher dergestalt, daß ohne das Dazwischenspringen des Obersten Guinard (vom Berge) sich die beiden Pseudorepublikaner an den Köpfen gepackt hätten. Wahrscheinlich wird sich diese Angelegenheit im Gehölz von Boulogne durch einen Zweikampf auflösen. Thomas hat, wie man hört, erklärt, daß er sich nur mit dem eigentlich Beleidigten, mit dem Präsidenten selbst schießen wolle.
— Die Gazette des Tribunaux will wissen, daß Barrot qua Justizminister die Geranten des Peuple und der Revolution direkt vor die Seine-Assisen stellen lassen werde.
Das Cabinet ist fest entschlossen, diese beiden demokratischen Hauptschreier zu erdrosseln.
— Die „Assemblée“ schreit: Die sozialistische Propaganda unter den Soldaten nimmt einen so drohenden Charakter an, daß wir darauf antragen, Jeden vor ein Kriegsgericht zu stellen, der es wagen sollte, einen Soldaten zum Sozialismus zu bekehren!
— Düchatel ist glücklich in Paris eingetroffen. Auch der Jesuitengeneral Rothaan ist hier.
— Aus Marseille meldet man vom 18., daß ein telegraphischer Befehl die Rüstungen suspendire.
— Aus Lyon schreibt man vom 20.: noch keine Bewegung der Alpenarmee. Dagegen ist Bugeaud auf einer Inspektions-Reise nach Grenoble, Valence etc. begriffen.
Im Ministerium trägt man sich mit der Idee, daß sich eine gewaltige rothe Verschwörung von Madrid bis Berlin, Neapel und Wien etc. erstreckt, die im Anfange des April zum Ausbruch kommen solle. Lächerlich!
Die kleinern Pariser Morgenblätter wollen gehört haben, daß die Diplomatie (Mercier für Frankreich) eine neue Verlängerung des Waffenstillstandes zwischen Piemont und Radetzki erreicht hätte. Frankreich und England wollen Piemont die Addalinie und die Herzogthümer Parma und Modena zusprechen. Zu spät!
National-Versammlung. Sitzung vom 21. März. Corbon eröffnet die Sitzung zum ersten Male um 11 1/2 Uhr.
Die Bänke sind ziemlich besetzt, aber bei Gelegenheit eines Lokalgesetzes gehen die Urnen herum und die bedruckten Zettel weisen nur die Anwesenheit von 485 Gliedern nach.
Präsident Corbon: Inzwischen haben sich wohl mehrere Glieder eingefunden und wir können also die Clubdebatte fortsetzen.
Stimme links: Wir sind noch nicht beschlußfähig. Die Zahl der Stimmzettel sagt es Ihnen ja.
Stimme rechts: Wir sind allerdings beschlußfähig. Es sitzen mehr als 500 Glieder auf ihren Plätzen.
Präsident Corbon: Es ist klar, daß die Versammlung beschlußfähig ist. Ich schreite zur Fortsetzung der Debatte über die zweite Lesung des Clubgesetzes.
Valette besteigt die Bühne. Ich erscheine, um den ersten Artikel zu bekämpfen.
Rechts: Der erste Artikel ist angenommen.
Valette: Nur der erste Satz: „Die Clubs sind untersagt,“ ist angenommen. Ich will aber den ganzen Artikel bekämpfen. Ich habe ein Recht hierzu. Der ganze Artikel wirft das Vereins- und Associationsrecht nieder; er ist ein Verfassungsbruch. Ich kann diesem Bruch meine Zustimmung nicht geben. (Lärm zur Rechten).
Cremieux: Als der Ausschuß bei Prüfung des Clubentwurfs ein neues Gesetz dem Regierungsentwurf gegenüber vorlegte, hatte er die Absicht, das Vereinsrecht zu regeln. Er verwarf den ministeriellen Entwurf, weil er das Vereinsrecht radikal abschafft, indem er mit den Worten beginnt: „die Clubs sind untersagt.“ Inmittelst hat das Ministerium transigirt und den Entwurf der Minorität angenommen, der sich von dem seinigen um nichts scheidet. Die Majorität des Ausschusses kann sich einem solchen Verfassungsbruch nicht beigesellen. Sie zieht darum ihren Entwurf zurück und erklärt, einen Theil mehr an der Debatte zu nehmen. (Agitation im Saale).
De Charencey protestirt im Namen der Minorität des Clubgesetzausschusses gegen dieses Verfahren und erklärt dasselbe für gefährlich. (Heftige Unterbrechungen).
Bouhier de l'Ecluse, sagt Corbon, hat im Gegensatz zur Minorität den Nachsatz gestellt (wörtlich):
„Als Club wird betrachtet, jede Organisation von Individuen mit öffentlichen periodischen Sitzungen, oder zu unbestimmten Zeiträumen, mit Rednern, Mitgliedern, Associirten etc. und deren gewöhnlicher Gegenstand die Berathung von Theorien oder Thesen ist, welche die Rechte des Nächsten und die öffentliche Sicherheit stören könnten.“
De la Boulie schließt sich im Namen der Minorität dieser Fassung an und dringt auf Abstimmung
Vom Berge: Zettelabstimmung!
Die Abstimmung, bei vollen Bänken, ergiebt 422 Stimmende, von denen 402 dafür und 20 dagegen stimmten.
Präsident Corbon: Das Resultat ist null!
Luneau und Andere: Unerhört. Wir beantragen Kugelabstimmung.
Diese Kugelabstimmung mit Namensruf ruft ungeheure Agitation im Saaale hervor. Der Berg stimmt nicht. (Pause)
Der ganze Artikel geht endlich mit 404 und 303 Stimmen durch.
Ducoux unterbricht die Debatte.
Die Kugelabstimmung mit Namensruf dauert bekanntlich zwei Stunden. Während dieser Zeit konspirirt der Berg mit der Linken in einem Bureausaale. (S. oben.)
Nachdem die Linke sich wieder eingefunden und der berüchtigte ganze Artikel des Minoritätsentwurfs mit 404 gegen 303 Stimmen durchgegangen, unterbricht Ducoux die Debatte.
Ducoux: Ich nehme mir die Freiheit, das Ministerium wegen eines Faktums zu interpelliren, das die Familie des Präsidenten Bonaparte interessirt. (Hört! Hört!) In der Rue Saint Honore existirt ein Wahlbureau, das wöchentlich Rundschreiben in alle Departements sendet, worin den Bauern eine neue Generation, ein Wahlkaiserthum auf 10 Jahre und sonstige schöne Dinge versprochen werden. (Die herbeigeeilte Linke klatscht Beifall. Die Rechte murrt ) Sie sehen Mitbürger, daß die Republik in demselben Augenblick von den fanatischen Anhängern der Familie Bonaparte größere Gefahr läuft als in den Clubs, die etwa hie und da noch ihre einsame Existenz fristen. Ich verlange Auskunft vom Ministerium. (Der Redner besitzt mehrere solche Rundschreiben).
Barrot. Ich erkläre, daß die Regierung nicht die geringste Kenntniß vom angeregten Faktum hat. Sie beklagt sich mit vollem Recht, daß der Interpellant sie nicht vorher benachrichtigte, damit sie sich unterrichten konnte. (Oh! Oh!) Ich erkläre, daß kein Wahlausschuß der besondern Gönnerschaft des Ministeriums genieße (?). Ist das Faktum wahr, so wird die Regierung ihre Pflicht erfüllen.
Nach diesem Incident kehrt die Versammlung zum Art. 2 des Clubgesetzes zurück.
Victor Lefranc, Balette, Dupont (Bussac) und Andere stellen dem Ministerium die Frage : ob dieser Artikel nicht dem Associationsrecht schade.
Barrot erwidert: Keineswegs. Das Associationsrecht ist von dem Clubrecht gesondert. Nur dürfen die Associationen keine Clubs bilden.
Etienne Arago findet dies nicht klar genug. Indessen bricht die Versammlung die Debatte ab und trennt sich in großer Aufregung um 5 3/4 Uhr.
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[ * ]Bourges, 15. März.
(Prozeß der Mai-Angeklagten.)Die Tribünen sind stark von honetten Leuten besetzt, da es heißt, Lamartine werde heute als Zeuge erscheinen.
Die Zeugen Bassac und Degousée werden ihrer gestrigen Aussagen wegen confrontirt. Degousée erklärt, daß die Mobilgarde ihm allerdings, wie er gestern behauptet, den Gehorsam verweigert habe, doch sei es vermuthlich geschehen, weil er seine Insignien als Deputirter nicht getragen. (Aufregung.) Der Zeuge Bassac versichert, daß er und sein Bataillon nichts von Herrn Degousée gesehen hätten. Degousée bleibt dabei, daß die Mobilgarden nur bis zu dem Augenblick, wo Courtais die Bajonette habe abnehmen lassen, eine „gute Haltung“ gezeigt hätten.
Ein Geschworener. Zu welcher Stunde hat Hr. Degousée als Quästor der Nationalversammlung dem Hrn. Arago die Ordre ertheilt, den Saal räumen zu lassen?
Zeuge Degousée. Ich habe eine solche Ordre nicht ertheilt, sondern Hrn. Arago blos gesagt, 2 Bataillone am Invalidenplatz aufzusuchen; es war 1 1/2 Uhr.
(Man präsentirt dem Zeugen Degousée die schriftliche Ordre, welche er Arago zur Ergreifung aller für die Räumung des Saales nöthigen Maßregeln ertheilt hat. Der Zeuge erkennt sie an.)
Blanqui. Seit der Eröffnung der Debatten unterhält man uns mit Bagatellen; gestern, als sich eine Gelegenheit bot, in die wirkliche Geschichte des 15. Mai einzudrängen, hat man sich schnell derselben entzogen.
Ich habe gestern von Hrn. Degousée zu wissen verlangt, was er mit der Bemerkung sagen wollte: der General Courtais habe unter dem Einfluß einer geheimen Macht gehandelt. Ich habe es nicht erfahren können, aber Hr. Degousée hat uns zu verstehen gegeben, daß er den geheimen Schlüssel des Prozesses besitze; er hat sich nicht darüber auslassen wollen, und auf den 16. April und 17. März verwiesen. Ich bitte Hrn. Degousée sich zu erklären.
Zeuge. Als ich sagte, daß der 17. März, welcher im Sinne der provisorischen Regierung organisirt war, gegen dieselbe gerichtet wurde, und zwar durch die nämlichen Menschen, welche den 15. Mai dirigirten, glaubte ich, daß diese Leute durch alle Mittel die ihnen am 25. Februar entgangene Gewalt an sich reißen wollten.
Blanqui. Diese Antwort paßt gar nicht auf die Frage; Herr Degousée verdreht die Worte.
Generalprokurator Baroche. Hr. Degousée hat nicht nöthig, die Worte Blanqui's zu verdrehen. (Tumult im Publikum.)
Blanqui. Hr. Degousen ist hier nichts als Zeuge und ich darf seine Aussagen als Verdrehungen bezeichnen. Hr. Degousen hat in seiner ersten Erklärung nicht an die Klubs gedacht. Die Klubs können keinen geheimen Einfluß geübt haben, denn sie waren öffentlich. Man will hier die Wahrheit im Interesse der wahren Schuldigen verbergen und an politischen Opfern Rache üben.
Zeuge Degousen. Wir haben die Klubs hinlänglich studirt, um zu wissen, daß nicht immer das, was offen am Tage diskutirt wurde, befolgt wurde. Alle Welt weiß, daß der Druck der Klubs lange Zeit auf die Handlungen der provisorischen Regierung Einfluß übte.
Blanqui. Ich bin erfreut, die Zeugen selbst den jungfräulichen Schleier lüften zu sehen, mit dem man sie durch die Eidesleistung bedecken will.
Präsident. Hr. Blanqui, injuriiren Sie nicht.
Zeuge. Die Injurien Blanquis ehren mich.
Blanqui. Und umgekehrt.
Präsident. Ich entziehe Ihnen das Wort.
Blanqui. Ich habe nach Art. 319 der Cr.-Pr.-O. das Recht, alles was mir nützlich scheint, gegen die Zeugen vorzubringen. Hr. Degousen spricht von geheimer Wirksamkeit der Klubs, während das ganze Verhalten der Klubs die Unwahrheit dieser Behauptung beweis't. Hr. Degousen zeigt durch solche unerwiesene ganz allgemeine Behauptungen, daß er nicht als Zeuge von bestimmten Thatsachen, sondern als Mann politischer Leidenschaften gegen seine Gegner spricht.
Zeuge Alphons Marie Louis Lamartine, 56 Jahr alt. Ich kann Ihnen über den 15. Mai nur allgemeine, bekannte Thatsachen erzählen.
Auf Befragen nach Albert erklärt Lamartine, daß er denselben in der salle des Colonnes an der Spitze mehrerer Individuen gesehen, und sie aufgefordert habe, die Assemblée zu verlassen. Ein junger Mensch habe geantwortet, das Volk habe kein Vertrauen mehr in Lamartine; Albert habe nur gesagt: Wir haben nicht die Absicht, die Assemblée zu stürmen; wir wollen nur das Recht behaupten, Petitionen an die Barre der Assemblée zu bringen. Diese Aeußerung sei durchaus nicht heftig und leidenschaftlich gewesen. Quentin habe einige Worte in demselben Sinne an ihn gerichtet; seine Sprache sei lebhaft, aber entfernt nicht drohend gewesen. Auf einige Ermahnungen von seiner, Lamartine's, Seite habe sich der Trupp zurückgezogen, und er sei in die Versammlung gegangen, wo er Zeuge der Erstürmung wurde.
In Betreff des General Courtais versichert der Zeuge, daß derselbe jeder Art von Komplott, wenn überhaupt ein solches bestanden, fremd gewesen sei. Courtais habe mehrmals zu dem Volk gesprochen, und es aufgefordert, sich zurückzuziehen; als er die Erstürmung der Assemblée gesehen, sei er in Verzweiflung gewesen.
Präsident. Was trug sich nach der Erstürmung zu?
Lamartine. Ich sah noch einmal den General Courtais das Volk zum Rückzug auffordern, das Volk, welches ich nicht als Insurgenten betrachten kann, denn nach meiner Ansicht war der Tag des 15. Mai wohl eine Unbesonnenheit, aber nicht das Werk eines Complotts.
Ueber die Demonstration des 17. März befragt, erklärt Lamartine noch, daß die Clubisten einen „moralischen Einfluß“ auf das Gouvernement hätten üben wollen, aber an „materielle Gewaltthätigkeiten“ nicht gedacht hätten. Sobrier und Barbés seien zwischen die Mitglieder der provisorischen Regierung und einige exaltirte Blousenmänner getreten; Blanqui's Erscheinen sei zurückgehalten und besonnen gewesen.
Die Aussagen Lamartine's werden im Publikum mit der größten Aufregung angehört.
Schluß der Sitzung 5 Uhr.
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[ * ]Bourges, 16. März.
(Prozeßverhandlungen.) Zeuge Huet, 63 Jahr alt, Portier in dem Hause Nr. 16 in der Rue Rivoli.
Präsident. Hatten Sie einen Wachtposten an Ihrem Hause?
Zeuge. Ja wohl, einen Wachtposten von vierzehn Mann republikanischer Garden. Die Wache war auch am 15. Mai vorhanden. Am Abend kam die Mobilgarde an, besetzte die Wohnung und legte Beschlag auf die Papiere.
Präsident. Waren Patronen in dem Kamin?
Zeuge. Ich weiß nicht; aber man hat es mir später so erzählt.
Präsident. Hat man ihnen nicht am Morgen einige Andeutungen von dem gegeben, was sich im Laufe des Tages ereignen würde?
Zeuge. Ich hörte sagen, daß Sobrier heute im Ministerium schlafen werde.
Advokat Baud. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Zeugin Caulaud den Ursprung dieser Worte erst nach der Ueberrumpelung der Assemblée datirt. Die Geschwornen haben ohne Zweifel zwischen den beiden Zeugen zu wählen, von welchen auf der einen Seite präcise, auf der andern schwankende Zeitbestimmungen angegeben werden. Jedenfalls erinnere ich daran, das gerade die Anklage die unbestimmten Zeugnisse producirt.
Zeuge Royer, Doktor der Medizin, 40 Jahre alt, will Sobrier als einen sehr friedliebenden Mann kennen, bei dem er nur von Andern gewaltthätige Pläne vernommen habe. Einige Tage vor dem 15. Mai habe er Sobrier und seine Freunde auf das Energischste der Demonstration entgegentreten gesehen, und wenn die Anklage behaupte, daß Sobrier unter den ersten die Nationalversammlung gestürmt habe, so könne der Zeuge versichern, daß er selbst mit Sobrier noch zur Zeit der Erstürmung auf dem Revolutionsplatz gewesen sei.
Präsident. Fand am 14. Mai eine Reunion bei Sobrier statt?
Zeuge. Hr. Präsident, das Haus Sobriers war eine Kaserne und die Reunionen waren permanent bei ihm.
Zeuge Meymel, 52 Jahre alt, Ingenieur einer Gaskompagnie. In unsern Ateliers hatten wir einen Arbeiter, Namens Decroix, der längere Zeit in die Garde Sobrier's eingeschrieben war, und die übrigen Arbeiter zu der Manifestation einlud. Unsere Leute folgten dieser Aufforderung; Decroix wurde nach der Juni-Affaire verhaftet.
Zeuge Pesme, 29 Jahr alt, Auctionscommissär aus Troyes, erklärt, am 15. Mai einer Versammlung der Departemental-Abgeordneten im Saal Montesquieu beigewohnt zu haben, in welcher zwei Delegirte der Sobrier'schen „Commune de Paris“ erschienen, um die provinzialen Nationalgarden-Delegirten zur Theilnahme an der polnischen Demonstration aufzufordern. Ein Mitgiied des Bureaus habe erwidert, daß solche Demonstrationen nicht der Zweck ihrer Mission seien. Einige Augenblicke darauf aber sei ein Mann im Gefolge von 5-6 Montagnards eingetreten, den man ihm als Sobrier bezeichnet habe, und den er als solchen hier wiedererkenne. Derselbe habe abermals die Versammlung zum Anschluß an die Polen-Demonstration aufgefordert, die Weigerung derselben als einen Volksverrath erklärt und ihnen mit der Volksjustiz der Pariser gedroht.
Zeuge Panisse, 37 Jahr alt, Director der öffentlichen Sicherheit. Am 15. Mai begab ich mich nach Ordre des Ministers des Innern, Hrn. Recurt, zu Hrn. Buchez, um über die getroffenen Maßregeln Erkundigungen einzuziehen. Als ich zurück auf das Ministerium kam, traf ich den Unterstaatssecretär Carterel, welcher einen von 2 Mitgliedern der Executivkommission unterzeichneten Verhaftsbefehl gegen Blanqui, Flotte und Lacambre in Händen hatte und mich mit sofortiger Mittheilung desselben an den Polizei-Präfekten beauftragte.
Der Zutritt zu dem Polizei-Präfekten wurde mir sehr schwer; ich traf ihn angekleidet auf dem Bett liegen, worüber er sich wegen eines kranken Knie's entschuldigte. Als ich ihm die Verhaftsbefehle producirte, schien es mir, als ob Herr Caussidière eine sehr böse Miene verzöge; er behauptete, daß die Ordre nicht in der Ordnung sei, daß sie keine zwei Unterschriften trüge, und gab mir Hrn. Monnier zur weiteren Besprechung mit dem Minister des Innern mit. Ich ließ Hrn. Monnier bei dem Minister, und kehrte in mein Büreau zurück. Als ich einige Minuten später in das Büreau des Ministers wiedereintreten wollte, stürmte die Menge das Cabinet.
Blanqui. Ich bemerke bei Gelegenheit dieser Zeugenaussage die verächtlichen Leidenschaften, mit denen ich von den Machthabern beehrt wurde. Man hat einen Verhaftsbefehl gegen mich und zwei meiner Freunde gegeben, von denen der eine, Lacambre, in Folge dessen der besondere Liebling des Parket's wurde.
Zeuge Panisse. Ich glaube, daß Blanqui die ganze Demonstration des 15. Mai überstürzt hat.
Blanqui. Beweis, mein Lieber, Beweis!
Zeuge. Mein Beweis ist die öffentliche Meinung. Ich habe keine Thatsachen, aber ich halte Sie für den gefährlichsten ihrer Partei.
Blanqui. Das wird dem Gericht genügen.
Generalprokurator Baroche. Ich bemerke in Betreff Lacambre's, daß derselbe wegen der Juni-Insurrektion verurtheilt wurde, und sich der Strafe durch die Flucht entzogen hat.
Blanqui. Er hat wohlgethan. Wegen der Maigeschichte ist er außer Verfolgung gesetzt; jetzt aber, wo er der Rache der Juni-Helden entwischt ist, will man ihn durch ein hundsföttisches Intriguensystem wieder in den 15. Mai ziehen. Es handelt sich nicht um einen Aufrührer, es handelt sich um einen Freund Blanqui's, und das genügt.
Nach Vernehmung der weiteren Zeugen und Deputirten Nulhoux und Adelswaerd, deren Aussagen von keinem Interesse sind, wird die Sitzung um 6 Uhr geschlossen.
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[ * ]Bourges, 17. März.
(Prozeßverhandlung.) Vor Beginn des Zeugenverhörs läßt Raspail eine neue Deposition gegen die Polizeinote wider ihn verlesen. Diese Deposition eines ehemaligen
Hierzu eine Beilage.