Oest, Johann Friedrich: Nöthige Belehrung und Warnung für Jüngling und solche Knaben. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens: von einer Gesellschaft practischer Erzieher, Bd. 6. Wolfenbüttel, 1787. S. 293-434Erwacht ihr Trieb, dich zu bekämpfen, So wach auch du, ihn früh zu dämpfen, Eh er die Freiheit dir verwehrt. Jhn bald in der Geburt ersticken, Jst leicht; schwer ists ihn unterdrücken, Wenn ihn dein Herz zuvor genährt. Oft kleiden sich des Lasters Triebe Jn die Gestalt erlaubter Liebe, Und du erblickst nicht die Gefahr. Ein langer Umgang macht dich freier; Und oft wird ein verbotnes Feuer Aus dem, was Anfangs Freundschaft war. Begierden sind es, die uns schänden, Und ohne, daß wir sie vollenden, Verletzen wir schon unsre Pflicht. Wenn du vor ihnen nicht erröthest, Nicht durch den Geist die Lüste tödtest: So rühme dich der Keuschheit nicht. Erfülle dich, scheinst du zu wanken,
Stets mit dem mächtigen Gedanken: Die Unschuld ist der Seele Glück. Einmal verscherzt und aufgegeben, Verläßt sie mich im ganzen Leben, Und keine Reu bringt sie zurück. Erwacht ihr Trieb, dich zu bekämpfen, So wach auch du, ihn früh zu dämpfen, Eh er die Freiheit dir verwehrt. Jhn bald in der Geburt ersticken, Jst leicht; schwer ists ihn unterdrücken, Wenn ihn dein Herz zuvor genährt. Oft kleiden sich des Lasters Triebe Jn die Gestalt erlaubter Liebe, Und du erblickst nicht die Gefahr. Ein langer Umgang macht dich freier; Und oft wird ein verbotnes Feuer Aus dem, was Anfangs Freundschaft war. Begierden sind es, die uns schänden, Und ohne, daß wir sie vollenden, Verletzen wir schon unsre Pflicht. Wenn du vor ihnen nicht erröthest, Nicht durch den Geist die Lüste tödtest: So rühme dich der Keuschheit nicht. Erfülle dich, scheinst du zu wanken,
Stets mit dem mächtigen Gedanken: Die Unschuld ist der Seele Glück. Einmal verscherzt und aufgegeben, Verläßt sie mich im ganzen Leben, Und keine Reu bringt sie zurück. <TEI> <text> <body> <div n="2"> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0140" n="432"/> <lg type="poem"> <l>Erwacht ihr Trieb, dich zu bekämpfen,</l><lb/> <l> So wach auch du, ihn früh zu dämpfen,</l><lb/> <l> Eh er die Freiheit dir verwehrt.</l><lb/> <l> Jhn bald in der Geburt ersticken,</l><lb/> <l> Jst leicht; schwer ists ihn unterdrücken,</l><lb/> <l> Wenn ihn dein Herz zuvor genährt.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Oft kleiden sich des Lasters Triebe</l><lb/> <l> Jn die Gestalt erlaubter Liebe,</l><lb/> <l> Und du erblickst nicht die Gefahr.</l><lb/> <l> Ein langer Umgang macht dich freier;</l><lb/> <l> Und oft wird ein verbotnes Feuer</l><lb/> <l> Aus dem, was Anfangs Freundschaft war.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Begierden sind es, die uns schänden,</l><lb/> <l> Und ohne, daß wir sie vollenden,</l><lb/> <l> Verletzen wir schon unsre Pflicht.</l><lb/> <l> Wenn du vor ihnen nicht erröthest,</l><lb/> <l> Nicht durch den Geist die Lüste tödtest:</l><lb/> <l> So rühme dich der Keuschheit nicht.</l><lb/> </lg> <lg type="poem"> <l>Erfülle dich, scheinst du zu wanken,</l><lb/> <l> Stets mit dem mächtigen Gedanken:</l><lb/> <l> Die Unschuld ist der Seele Glück.</l><lb/> <l> Einmal verscherzt und aufgegeben,</l><lb/> <l> Verläßt sie mich im ganzen Leben,</l><lb/> <l> Und keine Reu bringt sie zurück.</l><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [432/0140]
Erwacht ihr Trieb, dich zu bekämpfen,
So wach auch du, ihn früh zu dämpfen,
Eh er die Freiheit dir verwehrt.
Jhn bald in der Geburt ersticken,
Jst leicht; schwer ists ihn unterdrücken,
Wenn ihn dein Herz zuvor genährt.
Oft kleiden sich des Lasters Triebe
Jn die Gestalt erlaubter Liebe,
Und du erblickst nicht die Gefahr.
Ein langer Umgang macht dich freier;
Und oft wird ein verbotnes Feuer
Aus dem, was Anfangs Freundschaft war.
Begierden sind es, die uns schänden,
Und ohne, daß wir sie vollenden,
Verletzen wir schon unsre Pflicht.
Wenn du vor ihnen nicht erröthest,
Nicht durch den Geist die Lüste tödtest:
So rühme dich der Keuschheit nicht.
Erfülle dich, scheinst du zu wanken,
Stets mit dem mächtigen Gedanken:
Die Unschuld ist der Seele Glück.
Einmal verscherzt und aufgegeben,
Verläßt sie mich im ganzen Leben,
Und keine Reu bringt sie zurück.
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