Oest, Johann Friedrich: Nöthige Belehrung und Warnung für Jüngling und solche Knaben. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens: von einer Gesellschaft practischer Erzieher, Bd. 6. Wolfenbüttel, 1787. S. 293-434daß man nur noch Haut und Knochen an mir sieht. Jch gleiche einem Todtengerippe, und mein Anblick erregt Schaudern und Entsetzen. O mögten mich doch alle die unwissenden und unbesonnenen Sünder sehn! Könnte ich doch jedem unter ihnen zurufen: Wenn schnöde Wollust dich erfüllt, So werde durch dies Schreckenbild Verdorrter Todtenknochen Der Kitzel unterbrochen! "Da liege oder sitze ich nun so unthätig und kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der menschlichen Gesellschaft und meiner Brüder thun und arbeiten -- und dafür möglichst viel zu thun, war doch von jeher mein heissester Wunsch -- und bin selbst den Meinigen noch zur Last; und erwarte mit Sehnsucht und Schmerzen den Tod, der mich von meinem unaussprechlichen Elende erlösen und meinen Geist von diesem zerrütteten Leibe befreien soll, damit er dort in der bessern Welt mit neuer ungehinderter Thätigkeit und Kraft für die Wohlfahrt des großen Geisterstaates Gottes arbeiten könne. Jch bin aber nicht allein ganz entkräftet, sondern fühle auch ununterbrochen die heftigsten Schmerzen, besonders daß man nur noch Haut und Knochen an mir sieht. Jch gleiche einem Todtengerippe, und mein Anblick erregt Schaudern und Entsetzen. O mögten mich doch alle die unwissenden und unbesonnenen Sünder sehn! Könnte ich doch jedem unter ihnen zurufen: Wenn schnöde Wollust dich erfüllt, So werde durch dies Schreckenbild Verdorrter Todtenknochen Der Kitzel unterbrochen! „Da liege oder sitze ich nun so unthätig und kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der menschlichen Gesellschaft und meiner Brüder thun und arbeiten — und dafür möglichst viel zu thun, war doch von jeher mein heissester Wunsch — und bin selbst den Meinigen noch zur Last; und erwarte mit Sehnsucht und Schmerzen den Tod, der mich von meinem unaussprechlichen Elende erlösen und meinen Geist von diesem zerrütteten Leibe befreien soll, damit er dort in der bessern Welt mit neuer ungehinderter Thätigkeit und Kraft für die Wohlfahrt des großen Geisterstaates Gottes arbeiten könne. Jch bin aber nicht allein ganz entkräftet, sondern fühle auch ununterbrochen die heftigsten Schmerzen, besonders <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0075" n="367"/> daß man nur noch Haut und Knochen an mir sieht. Jch gleiche einem Todtengerippe, und mein Anblick erregt Schaudern und Entsetzen. O mögten mich doch alle die unwissenden und unbesonnenen Sünder sehn! Könnte ich doch jedem unter ihnen zurufen:</p> <lg type="poem"> <l>Wenn schnöde Wollust dich erfüllt,</l><lb/> <l>So werde durch dies Schreckenbild</l><lb/> <l>Verdorrter Todtenknochen</l><lb/> <l>Der Kitzel unterbrochen!</l> </lg> <p>„Da liege oder sitze ich nun so unthätig und kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der menschlichen Gesellschaft und meiner Brüder thun und arbeiten — und dafür möglichst viel zu thun, war doch von jeher mein heissester Wunsch — und bin selbst den Meinigen noch zur Last; und erwarte mit Sehnsucht und Schmerzen den Tod, der mich von meinem unaussprechlichen Elende erlösen und meinen Geist von diesem zerrütteten Leibe befreien soll, damit er dort in der bessern Welt mit neuer ungehinderter Thätigkeit und Kraft für die Wohlfahrt des großen Geisterstaates Gottes arbeiten könne. Jch bin aber nicht allein ganz entkräftet, sondern fühle auch ununterbrochen die heftigsten Schmerzen, besonders </p> </div> </body> </text> </TEI> [367/0075]
daß man nur noch Haut und Knochen an mir sieht. Jch gleiche einem Todtengerippe, und mein Anblick erregt Schaudern und Entsetzen. O mögten mich doch alle die unwissenden und unbesonnenen Sünder sehn! Könnte ich doch jedem unter ihnen zurufen:
Wenn schnöde Wollust dich erfüllt,
So werde durch dies Schreckenbild
Verdorrter Todtenknochen
Der Kitzel unterbrochen!
„Da liege oder sitze ich nun so unthätig und kraftlos; kann nichts mehr für das Wohl der menschlichen Gesellschaft und meiner Brüder thun und arbeiten — und dafür möglichst viel zu thun, war doch von jeher mein heissester Wunsch — und bin selbst den Meinigen noch zur Last; und erwarte mit Sehnsucht und Schmerzen den Tod, der mich von meinem unaussprechlichen Elende erlösen und meinen Geist von diesem zerrütteten Leibe befreien soll, damit er dort in der bessern Welt mit neuer ungehinderter Thätigkeit und Kraft für die Wohlfahrt des großen Geisterstaates Gottes arbeiten könne. Jch bin aber nicht allein ganz entkräftet, sondern fühle auch ununterbrochen die heftigsten Schmerzen, besonders
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