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Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.

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darüber aus, machte ihm Vorwürfe, nannte ihn untreu --" die Kranke unterbrach sich hier, sie fing an zu schluchzen, nach einer Weile sammelte sie sich wieder und fuhr fort: "So war in stiller Pein ein halbes Jahr verstrichen, da wurdest Du der Lebensretter meiner Mutter -- sie war auf den vom Eise glatten Stufen gefallen, hatte den Arm gebrochen, Du hobst sie auf, brachtest sie zu dem Chirurgen, dann in unsre Wohnung -- Du sahst, wie arm wir waren, wie wir noch ärmer werden mußten, da die Mutter nun nicht mehr arbeiten konnte, Du bezahltest den Arzt, Du halfst überall, und doch warest Du selbst arm. So war ich Dir gleich, als ich Dich kennen lernte, zu Dank und Lohn verpflichtet."

"Verpflichtet? O, mein Gott!" rief jetzt Thalheim, sich vergessend, außer sich. "Pflicht -- wo ich ein Herz bot für ein Herz, Dank und Lohn, diese Kinder des Hochmuthes und des Egoismus, wo ich nach wahrer Liebe mich sehnte! O, Amalie, wie jämmerlich klein mußt Du von mir gedacht haben!" Und er sprang mit diesen Worten auf, ging an's Fenster und drückte die brennende Stirn an die kühlen Glasscheiben.

"Bleibe hier, Johannes," bat sie, "ich gestehe Dir jetzt meine Schuld, damit ich versöhnt sterben kann. Warum klagst Du in schmerzlicher Ueberraschung? Ich habe es Dir

darüber aus, machte ihm Vorwürfe, nannte ihn untreu —“ die Kranke unterbrach sich hier, sie fing an zu schluchzen, nach einer Weile sammelte sie sich wieder und fuhr fort: „So war in stiller Pein ein halbes Jahr verstrichen, da wurdest Du der Lebensretter meiner Mutter — sie war auf den vom Eise glatten Stufen gefallen, hatte den Arm gebrochen, Du hobst sie auf, brachtest sie zu dem Chirurgen, dann in unsre Wohnung — Du sahst, wie arm wir waren, wie wir noch ärmer werden mußten, da die Mutter nun nicht mehr arbeiten konnte, Du bezahltest den Arzt, Du halfst überall, und doch warest Du selbst arm. So war ich Dir gleich, als ich Dich kennen lernte, zu Dank und Lohn verpflichtet.“

„Verpflichtet? O, mein Gott!“ rief jetzt Thalheim, sich vergessend, außer sich. „Pflicht — wo ich ein Herz bot für ein Herz, Dank und Lohn, diese Kinder des Hochmuthes und des Egoismus, wo ich nach wahrer Liebe mich sehnte! O, Amalie, wie jämmerlich klein mußt Du von mir gedacht haben!“ Und er sprang mit diesen Worten auf, ging an’s Fenster und drückte die brennende Stirn an die kühlen Glasscheiben.

„Bleibe hier, Johannes,“ bat sie, „ich gestehe Dir jetzt meine Schuld, damit ich versöhnt sterben kann. Warum klagst Du in schmerzlicher Ueberraschung? Ich habe es Dir

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[28/0038] darüber aus, machte ihm Vorwürfe, nannte ihn untreu —“ die Kranke unterbrach sich hier, sie fing an zu schluchzen, nach einer Weile sammelte sie sich wieder und fuhr fort: „So war in stiller Pein ein halbes Jahr verstrichen, da wurdest Du der Lebensretter meiner Mutter — sie war auf den vom Eise glatten Stufen gefallen, hatte den Arm gebrochen, Du hobst sie auf, brachtest sie zu dem Chirurgen, dann in unsre Wohnung — Du sahst, wie arm wir waren, wie wir noch ärmer werden mußten, da die Mutter nun nicht mehr arbeiten konnte, Du bezahltest den Arzt, Du halfst überall, und doch warest Du selbst arm. So war ich Dir gleich, als ich Dich kennen lernte, zu Dank und Lohn verpflichtet.“ „Verpflichtet? O, mein Gott!“ rief jetzt Thalheim, sich vergessend, außer sich. „Pflicht — wo ich ein Herz bot für ein Herz, Dank und Lohn, diese Kinder des Hochmuthes und des Egoismus, wo ich nach wahrer Liebe mich sehnte! O, Amalie, wie jämmerlich klein mußt Du von mir gedacht haben!“ Und er sprang mit diesen Worten auf, ging an’s Fenster und drückte die brennende Stirn an die kühlen Glasscheiben. „Bleibe hier, Johannes,“ bat sie, „ich gestehe Dir jetzt meine Schuld, damit ich versöhnt sterben kann. Warum klagst Du in schmerzlicher Ueberraschung? Ich habe es Dir

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Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/38>, abgerufen am 18.04.2024.