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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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§. 35.

"Wenn Du aber dem Dalai-Lama den Kopf von der Schulter nimst, dann nimmt sein Nachfolger Dir den Kopf von der Schulter!" - Selbstredend! Und ich weiss das, wenn ich anders in der Welt der Erscheinungen zu Hause bin. Wenn ich mich für meine Idee opfere, ist es meine Idee und meine Opferung. Ich opfere mich nicht für Andere; noch bin ich ein "Märtirer", wie es die Nachwelt ansieht, welcher eben diese Art, die Sache anzusehen, Freude macht. Ich bin in der Verfolgung meiner Idee ein ebenso rücksichtsloser Egoist, wie der Verbrecher in Verfolgung seines Mordanschlags. Und ich finde an der eigenen Zerfleischung ebenso grosse Freude und Befriedigung, wie jener an der Fremder; resp. wir betrachten sie beide als das unvermeidliche Mittel, zum Ziel zu gelangen; da die Idee stärker ist, als dieses blutige Hindernis. Sonst könte ich ja niemals diese Grausamkeit vollbringen. Und wenn ich es in der Verfolgung meiner Idee bis zum Umsturz aller Geseze, und schliesslich bis zum Henkerblok bringe, ist es mein Kopf, der fält, den ich fallen sehen will - wenn ich nicht anders vor den Kopf geschlagen bin, und wusste, was ich tat - und ich bin es, der vorausspeculirend, mich, meinen abgeschlagenen Kopf, das Simbol meiner bis zur Selbst-Zerstüklung des Trägers getriebenen Idee, wie ein graussiges Zeichen durch die Jahrhunderte balansiren sehe, weil ich so, in dieser Voraussicht, die lezte Möglichkeit meiner Selbstbefriedigung erkante. - So konte Savonarola Alexander dem VI., der ihm den Kardinalshut anbot, um ihn den Nörgler, den unbequemen Zerstörer der Papst-Illusion, zum Schweigen zu bringen, antworten: er brauche weder Hüte noch Kappen, er erwarte in seinem Leben nichts Anderes, als jene blutige Gloriole, welche das Haupt des Märtirers umgiebt. - Und er bekam sie. Er wurde von Alexander VI. gehenkt.

§. 36.

Ihr schreit, wenn Einer dieser Verzweifelten, indem sie mit sicherem Blik dem Tod in's Angesicht schauen, sich

§. 35.

„Wenn Du aber dem Dalai-Lama den Kopf von der Schulter nimst, dann nimmt sein Nachfolger Dir den Kopf von der Schulter!“ – Selbstredend! Und ich weiss das, wenn ich anders in der Welt der Erscheinungen zu Hause bin. Wenn ich mich für meine Idee opfere, ist es meine Idee und meine Opferung. Ich opfere mich nicht für Andere; noch bin ich ein „Märtirer“, wie es die Nachwelt ansieht, welcher eben diese Art, die Sache anzusehen, Freude macht. Ich bin in der Verfolgung meiner Idee ein ebenso rücksichtsloser Egoïst, wie der Verbrecher in Verfolgung seines Mordanschlags. Und ich finde an der eigenen Zerfleischung ebenso grosse Freude und Befriedigung, wie jener an der Fremder; resp. wir betrachten sie beide als das unvermeidliche Mittel, zum Ziel zu gelangen; da die Idee stärker ist, als dieses blutige Hindernis. Sonst könte ich ja niemals diese Grausamkeit vollbringen. Und wenn ich es in der Verfolgung meiner Idee bis zum Umsturz aller Geseze, und schliesslich bis zum Henkerblok bringe, ist es mein Kopf, der fält, den ich fallen sehen will – wenn ich nicht anders vor den Kopf geschlagen bin, und wusste, was ich tat – und ich bin es, der vorausspeculirend, mich, meinen abgeschlagenen Kopf, das Simbol meiner bis zur Selbst-Zerstüklung des Trägers getriebenen Idee, wie ein graussiges Zeichen durch die Jahrhunderte balansiren sehe, weil ich so, in dieser Voraussicht, die lezte Möglichkeit meiner Selbstbefriedigung erkante. – So konte Savonarola Alexander dem VI., der ihm den Kardinalshut anbot, um ihn den Nörgler, den unbequemen Zerstörer der Papst-Illusion, zum Schweigen zu bringen, antworten: er brauche weder Hüte noch Kappen, er erwarte in seinem Leben nichts Anderes, als jene blutige Gloriole, welche das Haupt des Märtirers umgiebt. – Und er bekam sie. Er wurde von Alexander VI. gehenkt.

§. 36.

Ihr schreit, wenn Einer dieser Verzweifelten, indem sie mit sicherem Blik dem Tod in’s Angesicht schauen, sich

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[59/0060] §. 35. „Wenn Du aber dem Dalai-Lama den Kopf von der Schulter nimst, dann nimmt sein Nachfolger Dir den Kopf von der Schulter!“ – Selbstredend! Und ich weiss das, wenn ich anders in der Welt der Erscheinungen zu Hause bin. Wenn ich mich für meine Idee opfere, ist es meine Idee und meine Opferung. Ich opfere mich nicht für Andere; noch bin ich ein „Märtirer“, wie es die Nachwelt ansieht, welcher eben diese Art, die Sache anzusehen, Freude macht. Ich bin in der Verfolgung meiner Idee ein ebenso rücksichtsloser Egoïst, wie der Verbrecher in Verfolgung seines Mordanschlags. Und ich finde an der eigenen Zerfleischung ebenso grosse Freude und Befriedigung, wie jener an der Fremder; resp. wir betrachten sie beide als das unvermeidliche Mittel, zum Ziel zu gelangen; da die Idee stärker ist, als dieses blutige Hindernis. Sonst könte ich ja niemals diese Grausamkeit vollbringen. Und wenn ich es in der Verfolgung meiner Idee bis zum Umsturz aller Geseze, und schliesslich bis zum Henkerblok bringe, ist es mein Kopf, der fält, den ich fallen sehen will – wenn ich nicht anders vor den Kopf geschlagen bin, und wusste, was ich tat – und ich bin es, der vorausspeculirend, mich, meinen abgeschlagenen Kopf, das Simbol meiner bis zur Selbst-Zerstüklung des Trägers getriebenen Idee, wie ein graussiges Zeichen durch die Jahrhunderte balansiren sehe, weil ich so, in dieser Voraussicht, die lezte Möglichkeit meiner Selbstbefriedigung erkante. – So konte Savonarola Alexander dem VI., der ihm den Kardinalshut anbot, um ihn den Nörgler, den unbequemen Zerstörer der Papst-Illusion, zum Schweigen zu bringen, antworten: er brauche weder Hüte noch Kappen, er erwarte in seinem Leben nichts Anderes, als jene blutige Gloriole, welche das Haupt des Märtirers umgiebt. – Und er bekam sie. Er wurde von Alexander VI. gehenkt. §. 36. Ihr schreit, wenn Einer dieser Verzweifelten, indem sie mit sicherem Blik dem Tod in’s Angesicht schauen, sich

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/60>, abgerufen am 28.03.2024.