Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Aufsatz.

Schrieb' ich ihn in Göttingen: so könnt' ich ihn
in Paragraphen und gründlicher machen, weil mich
die Flachsenfinger nicht störten. Indessen muß er
doch hier geschrieben werden, damit ich an mir sel¬
ber einen Schirmherrn und Anwald gegen die Jun¬
ker habe, die meinen Geist in meinen Körper verwan¬
deln wollen.

Das Gehirn und die Nerven sind der wahre Leib
unsers Ichs; die übrige Einfassung ist nur der Leib
jenes Leibes, die nährende und schirmende Borke je¬
nes zarten Marks. -- Und da alle Veränderungen
der Welt uns nur als Veränderungen jenes Markes
erscheinen: so ist der Mark- und Breiglobus mit sei¬
nen Streifen der eigentliche Weltglobus der Seele.
Der umgekehrte Nervenbaum entsprießet aus dem
geschwollnen Fötus-Gehirn wie aus einem Kerne,
dem es auch ähnlich sieht und steigt mit Sinnen-Ae¬
sten als Rückenmarksstamm empor bis zum zerglieder¬
ten Gipfel des Pferdeschweifs. Dieses markige Ge¬
wächs ist auf den Adernbaum wie eine zehrende para¬
sitische Pflanze geimpft. Und wie jeder Zweig ein
kleinerer Baum ist, so sind -- denn das alles ist
nicht Aehnlichkeit des Witzes sondern der Natur --
die Nervenknoten vierte Gehirnkammern im Kleinen.


Der Aufſatz.

Schrieb' ich ihn in Goͤttingen: ſo koͤnnt' ich ihn
in Paragraphen und gruͤndlicher machen, weil mich
die Flachſenfinger nicht ſtoͤrten. Indeſſen muß er
doch hier geſchrieben werden, damit ich an mir ſel¬
ber einen Schirmherrn und Anwald gegen die Jun¬
ker habe, die meinen Geiſt in meinen Koͤrper verwan¬
deln wollen.

Das Gehirn und die Nerven ſind der wahre Leib
unſers Ichs; die uͤbrige Einfaſſung iſt nur der Leib
jenes Leibes, die naͤhrende und ſchirmende Borke je¬
nes zarten Marks. — Und da alle Veraͤnderungen
der Welt uns nur als Veraͤnderungen jenes Markes
erſcheinen: ſo iſt der Mark- und Breiglobus mit ſei¬
nen Streifen der eigentliche Weltglobus der Seele.
Der umgekehrte Nervenbaum entſprießet aus dem
geſchwollnen Foͤtus-Gehirn wie aus einem Kerne,
dem es auch aͤhnlich ſieht und ſteigt mit Sinnen-Ae¬
ſten als Ruͤckenmarksſtamm empor bis zum zerglieder¬
ten Gipfel des Pferdeſchweifs. Dieſes markige Ge¬
waͤchs iſt auf den Adernbaum wie eine zehrende para¬
ſitiſche Pflanze geimpft. Und wie jeder Zweig ein
kleinerer Baum iſt, ſo ſind — denn das alles iſt
nicht Aehnlichkeit des Witzes ſondern der Natur —
die Nervenknoten vierte Gehirnkammern im Kleinen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0236" n="226"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#g">Der Auf&#x017F;atz</hi>.<lb/></head>
            <p>Schrieb' ich ihn in Go&#x0364;ttingen: &#x017F;o ko&#x0364;nnt' ich ihn<lb/>
in Paragraphen und gru&#x0364;ndlicher machen, weil mich<lb/>
die Flach&#x017F;enfinger nicht &#x017F;to&#x0364;rten. Inde&#x017F;&#x017F;en muß er<lb/>
doch hier ge&#x017F;chrieben werden, damit ich an mir &#x017F;el¬<lb/>
ber einen Schirmherrn und Anwald gegen die Jun¬<lb/>
ker habe, die meinen Gei&#x017F;t in meinen Ko&#x0364;rper verwan¬<lb/>
deln wollen.</p><lb/>
            <p>Das Gehirn und die Nerven &#x017F;ind der wahre Leib<lb/>
un&#x017F;ers Ichs; die u&#x0364;brige Einfa&#x017F;&#x017F;ung i&#x017F;t nur der Leib<lb/>
jenes Leibes, die na&#x0364;hrende und &#x017F;chirmende Borke je¬<lb/>
nes zarten Marks. &#x2014; Und da alle Vera&#x0364;nderungen<lb/>
der Welt uns nur als Vera&#x0364;nderungen jenes Markes<lb/>
er&#x017F;cheinen: &#x017F;o i&#x017F;t der Mark- und Breiglobus mit &#x017F;ei¬<lb/>
nen Streifen der eigentliche Weltglobus der Seele.<lb/>
Der umgekehrte Nervenbaum ent&#x017F;prießet aus dem<lb/>
ge&#x017F;chwollnen Fo&#x0364;tus-Gehirn wie aus einem Kerne,<lb/>
dem es auch a&#x0364;hnlich &#x017F;ieht und &#x017F;teigt mit Sinnen-Ae¬<lb/>
&#x017F;ten als Ru&#x0364;ckenmarks&#x017F;tamm empor bis zum zerglieder¬<lb/>
ten Gipfel des Pferde&#x017F;chweifs. Die&#x017F;es markige Ge¬<lb/>
wa&#x0364;chs i&#x017F;t auf den Adernbaum wie eine zehrende para¬<lb/>
&#x017F;iti&#x017F;che Pflanze geimpft. Und wie jeder Zweig ein<lb/>
kleinerer Baum i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ind &#x2014; denn das alles i&#x017F;t<lb/>
nicht Aehnlichkeit des Witzes &#x017F;ondern der Natur &#x2014;<lb/>
die Nervenknoten vierte Gehirnkammern im Kleinen.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0236] Der Aufſatz. Schrieb' ich ihn in Goͤttingen: ſo koͤnnt' ich ihn in Paragraphen und gruͤndlicher machen, weil mich die Flachſenfinger nicht ſtoͤrten. Indeſſen muß er doch hier geſchrieben werden, damit ich an mir ſel¬ ber einen Schirmherrn und Anwald gegen die Jun¬ ker habe, die meinen Geiſt in meinen Koͤrper verwan¬ deln wollen. Das Gehirn und die Nerven ſind der wahre Leib unſers Ichs; die uͤbrige Einfaſſung iſt nur der Leib jenes Leibes, die naͤhrende und ſchirmende Borke je¬ nes zarten Marks. — Und da alle Veraͤnderungen der Welt uns nur als Veraͤnderungen jenes Markes erſcheinen: ſo iſt der Mark- und Breiglobus mit ſei¬ nen Streifen der eigentliche Weltglobus der Seele. Der umgekehrte Nervenbaum entſprießet aus dem geſchwollnen Foͤtus-Gehirn wie aus einem Kerne, dem es auch aͤhnlich ſieht und ſteigt mit Sinnen-Ae¬ ſten als Ruͤckenmarksſtamm empor bis zum zerglieder¬ ten Gipfel des Pferdeſchweifs. Dieſes markige Ge¬ waͤchs iſt auf den Adernbaum wie eine zehrende para¬ ſitiſche Pflanze geimpft. Und wie jeder Zweig ein kleinerer Baum iſt, ſo ſind — denn das alles iſt nicht Aehnlichkeit des Witzes ſondern der Natur — die Nervenknoten vierte Gehirnkammern im Kleinen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/236
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/236>, abgerufen am 29.03.2024.