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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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ling einige Bauernregeln im hundertjährigen
Kalender des Hoflebens aufschlagen? -- Wollt'
ers den alten Galliern oder den jetzigen Kap¬
bewohnern nachmachen, die ihre Söhne nur
waffenfähig und erwachsen vor sich liessen? --
Wollt' er nichts weniger als das? -- Nur so
viel begreif' ich, daß ich ein gutwilliger Narr
wäre, wenn ich mir im Vorhofe des Werks die
Last aufbürden liesse, von einem so sonderbaren
Manne mit einer um so viele Grade dekliniren¬
den Magnetnadel, schon aus so wenigen Da¬
tis eine Wilkesche magnetische Neigungskarte zu
zeichnen und zu stechen; -- er, aber nicht ich
bin ja der Vater seines Sohns und er soll wis¬
sen, warum er ihn erst bärtig vorbeschieden.

Als es 23 Uhr (die Stunde vor Sonnen¬
untergang) schlug und Albano die langweiligen
Schläge addiren wollte: war er so aufgeregt,
daß er nicht im Stande war, die lange Ton¬
leiter zu ersteigen; er mußte hinaus ans Ufer
des Lago, in welchem die aufgethürmten In¬
seln wie Meergötter aufstehen und herrschen.
Hier stand der edle Jüngling, das beseelte
Angesicht voll Abendroth, mit edeln Bewegun¬

ling einige Bauernregeln im hundertjährigen
Kalender des Hoflebens aufſchlagen? — Wollt'
ers den alten Galliern oder den jetzigen Kap¬
bewohnern nachmachen, die ihre Söhne nur
waffenfähig und erwachſen vor ſich lieſſen? —
Wollt' er nichts weniger als das? — Nur ſo
viel begreif' ich, daß ich ein gutwilliger Narr
wäre, wenn ich mir im Vorhofe des Werks die
Laſt aufbürden lieſſe, von einem ſo ſonderbaren
Manne mit einer um ſo viele Grade dekliniren¬
den Magnetnadel, ſchon aus ſo wenigen Da¬
tis eine Wilkeſche magnetiſche Neigungskarte zu
zeichnen und zu ſtechen; — er, aber nicht ich
bin ja der Vater ſeines Sohns und er ſoll wiſ¬
ſen, warum er ihn erſt bärtig vorbeſchieden.

Als es 23 Uhr (die Stunde vor Sonnen¬
untergang) ſchlug und Albano die langweiligen
Schläge addiren wollte: war er ſo aufgeregt,
daß er nicht im Stande war, die lange Ton¬
leiter zu erſteigen; er mußte hinaus ans Ufer
des Lago, in welchem die aufgethürmten In¬
ſeln wie Meergötter aufſtehen und herrſchen.
Hier ſtand der edle Jüngling, das beſeelte
Angeſicht voll Abendroth, mit edeln Bewegun¬

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[8/0028] ling einige Bauernregeln im hundertjährigen Kalender des Hoflebens aufſchlagen? — Wollt' ers den alten Galliern oder den jetzigen Kap¬ bewohnern nachmachen, die ihre Söhne nur waffenfähig und erwachſen vor ſich lieſſen? — Wollt' er nichts weniger als das? — Nur ſo viel begreif' ich, daß ich ein gutwilliger Narr wäre, wenn ich mir im Vorhofe des Werks die Laſt aufbürden lieſſe, von einem ſo ſonderbaren Manne mit einer um ſo viele Grade dekliniren¬ den Magnetnadel, ſchon aus ſo wenigen Da¬ tis eine Wilkeſche magnetiſche Neigungskarte zu zeichnen und zu ſtechen; — er, aber nicht ich bin ja der Vater ſeines Sohns und er ſoll wiſ¬ ſen, warum er ihn erſt bärtig vorbeſchieden. Als es 23 Uhr (die Stunde vor Sonnen¬ untergang) ſchlug und Albano die langweiligen Schläge addiren wollte: war er ſo aufgeregt, daß er nicht im Stande war, die lange Ton¬ leiter zu erſteigen; er mußte hinaus ans Ufer des Lago, in welchem die aufgethürmten In¬ ſeln wie Meergötter aufſtehen und herrſchen. Hier ſtand der edle Jüngling, das beſeelte Angeſicht voll Abendroth, mit edeln Bewegun¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/28>, abgerufen am 18.04.2024.