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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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dasselbe Überströmen im Jüngling für keines
hielt, das er im Greise schalt, eine Überschwem¬
mung für keine in Ägypten; obwohl für eine
in Holland; und da er für jedes Individuum,
Alter und Volk eine andere gleichschwebende
Temperatur annahm, und in der heiligen Men¬
schennatur keine Saite zu zerschneiden, son¬
dern nur zu stimmen fand: so mußte wohl
Cesara am heitern duldenden Lehrer, auf des¬
sen beiden Gesetztafeln nur stand: Freude und
Maaß!, recht innig hängen, noch inniger als
an den -- Tafeln selber.

Die Bilder der Gegenwart und der
nahen Zukunft und des Vaters hatten die
Brust des Grafen so sehr mit Größe und Un¬
sterblichkeit gefüllt, daß er gar nicht begriff,
wie jemand sich könne begraben lassen, ohne
beide errungen zu haben und daß er den
Wirth, so oft er etwas brachte -- zumal da
er immer sang und wie Neapolitaner und Russen
in Moltönen -- bedauerte, weil der Mann
nie etwas wurde, geschweige unsterblich. Das
letztere ist Irrthum; denn hier bekommt er sei¬
ne Fortdauer, und ich nenne und belebe gern

daſſelbe Überſtrömen im Jüngling für keines
hielt, das er im Greiſe ſchalt, eine Überſchwem¬
mung für keine in Ägypten; obwohl für eine
in Holland; und da er für jedes Individuum,
Alter und Volk eine andere gleichſchwebende
Temperatur annahm, und in der heiligen Men¬
ſchennatur keine Saite zu zerſchneiden, ſon¬
dern nur zu ſtimmen fand: ſo mußte wohl
Ceſara am heitern duldenden Lehrer, auf deſ¬
ſen beiden Geſetztafeln nur ſtand: Freude und
Maaß!, recht innig hängen, noch inniger als
an den — Tafeln ſelber.

Die Bilder der Gegenwart und der
nahen Zukunft und des Vaters hatten die
Bruſt des Grafen ſo ſehr mit Größe und Un¬
ſterblichkeit gefüllt, daß er gar nicht begriff,
wie jemand ſich könne begraben laſſen, ohne
beide errungen zu haben und daß er den
Wirth, ſo oft er etwas brachte — zumal da
er immer ſang und wie Neapolitaner und Ruſſen
in Moltönen — bedauerte, weil der Mann
nie etwas wurde, geſchweige unſterblich. Das
letztere iſt Irrthum; denn hier bekommt er ſei¬
ne Fortdauer, und ich nenne und belebe gern

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[14/0034] daſſelbe Überſtrömen im Jüngling für keines hielt, das er im Greiſe ſchalt, eine Überſchwem¬ mung für keine in Ägypten; obwohl für eine in Holland; und da er für jedes Individuum, Alter und Volk eine andere gleichſchwebende Temperatur annahm, und in der heiligen Men¬ ſchennatur keine Saite zu zerſchneiden, ſon¬ dern nur zu ſtimmen fand: ſo mußte wohl Ceſara am heitern duldenden Lehrer, auf deſ¬ ſen beiden Geſetztafeln nur ſtand: Freude und Maaß!, recht innig hängen, noch inniger als an den — Tafeln ſelber. Die Bilder der Gegenwart und der nahen Zukunft und des Vaters hatten die Bruſt des Grafen ſo ſehr mit Größe und Un¬ ſterblichkeit gefüllt, daß er gar nicht begriff, wie jemand ſich könne begraben laſſen, ohne beide errungen zu haben und daß er den Wirth, ſo oft er etwas brachte — zumal da er immer ſang und wie Neapolitaner und Ruſſen in Moltönen — bedauerte, weil der Mann nie etwas wurde, geſchweige unſterblich. Das letztere iſt Irrthum; denn hier bekommt er ſei¬ ne Fortdauer, und ich nenne und belebe gern

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/34>, abgerufen am 29.03.2024.