Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

einem gleichgültigen Wesen ähnlich sieht, uns
lieber wird, wie das Echo eines leeren Rufs,
bloß weil hier wie in der nachahmenden Kunst
die Vergangenheit und Abwesenheit eine durch
die Phantasie durscheinende Gegenwart wird.

Das immer leisere Einsingen der Mutter
sagte das tiefere Einschlummern des Säug¬
lings an und endlich verstummte das dimi¬
nuendo
, und Chariton lief mit blitzenden Au¬
gen der Hand Lianens zu. Eine heitere offne
Freundschaft blühte zwischen den unschuldigen
Herzen und verstrickte sie wie der Wein die na¬
hen Pappeln. Chariton erzählte ihr Albano's
Erzählung mit der Voraussetzung der innig¬
sten Theilnahme; Liane hörte gespannt-auf¬
merkend der Freundinn zu; aber das war ja
so viel als blicke sie die nahe historische Quelle
selber an.

44. Zykel.

Endlich reisete man in den Garten aus;
Pollux blieb ungern, und nur auf Lianens
Verheißung, ihm heute wieder ein Pferdstück
zu zeichnen, als Schutzheiliger der Wiege zu¬

einem gleichgültigen Weſen ähnlich ſieht, uns
lieber wird, wie das Echo eines leeren Rufs,
bloß weil hier wie in der nachahmenden Kunſt
die Vergangenheit und Abweſenheit eine durch
die Phantaſie durſcheinende Gegenwart wird.

Das immer leiſere Einſingen der Mutter
ſagte das tiefere Einſchlummern des Säug¬
lings an und endlich verſtummte das dimi¬
nuendo
, und Chariton lief mit blitzenden Au¬
gen der Hand Lianens zu. Eine heitere offne
Freundſchaft blühte zwiſchen den unſchuldigen
Herzen und verſtrickte ſie wie der Wein die na¬
hen Pappeln. Chariton erzählte ihr Albano's
Erzählung mit der Vorausſetzung der innig¬
ſten Theilnahme; Liane hörte geſpannt-auf¬
merkend der Freundinn zu; aber das war ja
ſo viel als blicke ſie die nahe hiſtoriſche Quelle
ſelber an.

44. Zykel.

Endlich reiſete man in den Garten aus;
Pollux blieb ungern, und nur auf Lianens
Verheißung, ihm heute wieder ein Pferdſtück
zu zeichnen, als Schutzheiliger der Wiege zu¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0445" n="425"/>
einem gleichgültigen We&#x017F;en ähnlich &#x017F;ieht, uns<lb/>
lieber wird, wie das Echo eines leeren Rufs,<lb/>
bloß weil hier wie in der nachahmenden Kun&#x017F;t<lb/>
die Vergangenheit und Abwe&#x017F;enheit eine durch<lb/>
die Phanta&#x017F;ie dur&#x017F;cheinende Gegenwart wird.</p><lb/>
            <p>Das immer lei&#x017F;ere Ein&#x017F;ingen der Mutter<lb/>
&#x017F;agte das tiefere Ein&#x017F;chlummern des Säug¬<lb/>
lings an und endlich ver&#x017F;tummte das <hi rendition="#aq">dimi¬<lb/>
nuendo</hi>, und Chariton lief mit blitzenden Au¬<lb/>
gen der Hand Lianens zu. Eine heitere offne<lb/>
Freund&#x017F;chaft blühte zwi&#x017F;chen den un&#x017F;chuldigen<lb/>
Herzen und ver&#x017F;trickte &#x017F;ie wie der Wein die na¬<lb/>
hen Pappeln. Chariton erzählte ihr Albano's<lb/>
Erzählung mit der Voraus&#x017F;etzung der innig¬<lb/>
&#x017F;ten Theilnahme; Liane hörte ge&#x017F;pannt-auf¬<lb/>
merkend der Freundinn zu; aber das war ja<lb/>
&#x017F;o viel als blicke &#x017F;ie die nahe hi&#x017F;tori&#x017F;che Quelle<lb/>
&#x017F;elber an.</p><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="2">
          <head>44. <hi rendition="#g">Zykel.</hi><lb/></head>
          <p>Endlich rei&#x017F;ete man in den Garten aus;<lb/>
Pollux blieb ungern, und nur auf Lianens<lb/>
Verheißung, ihm heute wieder ein Pferd&#x017F;tück<lb/>
zu zeichnen, als Schutzheiliger der Wiege zu¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[425/0445] einem gleichgültigen Weſen ähnlich ſieht, uns lieber wird, wie das Echo eines leeren Rufs, bloß weil hier wie in der nachahmenden Kunſt die Vergangenheit und Abweſenheit eine durch die Phantaſie durſcheinende Gegenwart wird. Das immer leiſere Einſingen der Mutter ſagte das tiefere Einſchlummern des Säug¬ lings an und endlich verſtummte das dimi¬ nuendo, und Chariton lief mit blitzenden Au¬ gen der Hand Lianens zu. Eine heitere offne Freundſchaft blühte zwiſchen den unſchuldigen Herzen und verſtrickte ſie wie der Wein die na¬ hen Pappeln. Chariton erzählte ihr Albano's Erzählung mit der Vorausſetzung der innig¬ ſten Theilnahme; Liane hörte geſpannt-auf¬ merkend der Freundinn zu; aber das war ja ſo viel als blicke ſie die nahe hiſtoriſche Quelle ſelber an. 44. Zykel. Endlich reiſete man in den Garten aus; Pollux blieb ungern, und nur auf Lianens Verheißung, ihm heute wieder ein Pferdſtück zu zeichnen, als Schutzheiliger der Wiege zu¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/445
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/445>, abgerufen am 29.03.2024.