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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Urzustände des Menschengeschlechtes.
liche und weibliche Gottheit 1) bei ihnen wahrgenommen haben und
jedenfalls weilen unter ihnen Zauberpriester 2). Da sie sprüchwört-
lich sagen, der Tod sei nur ein Schlaf, so ist es fast selbstver-
ständlich, dass sie auch zu den Abgeschiedenen beten, wie Living-
stone sich davon überzeugen konnte 3). Unmässigkeit und Schmutz
sind die einzigen Laster, deren sie geziehen werden.

Einen anderen alterthümlichen Menschenschlag finden wir in
den ungelichteten Wäldern Ceylons. Dort leben angeblich bis auf
8000 Köpfe zusammen geschmolzen die Vedda, ein beinahe nackter
Jägerstamm, dessen Sprache ein altes, von Sanskrit und Pali unbe-
flecktes Singhalesisch sein soll. Ihre Schädel sind schmal (Breiten-
index 66 bis 78), aber stets ansehnlich hoch, erträglich mesognath
und mit wenig vorstehenden Jochbeinen versehen 4). Sie treiben
mit den Nachbarn einen stummen Handel und erwerben von diesen
gegen Elfenbein und Wachs, Werkzeuge und Geräthe, die sie in
die Eisenzeit versetzen. Sie verschmähen nicht die ekelhafteste
Nahrung, wie faulendes Fleisch, binden sich aber wiederum an
Speiseverbote, berühren auch nie eine Kost, die ein Kandianer
zubereitet hat, aus Furcht, ihre Kaste zu verlieren, denn seltsamerweise
beanspruchen sie und wird ihnen von ihren Nachbarn ein höherer Racen-
adel zugestanden. Wenn sie als Teufelsanbeter bezeichnet werden,
so haben wir uns darunter zu denken, dass sie schädliche Mächte
durch ihre Verehrung zu besänftigen suchen. Ihre Jagdreviere
sind als strenges Eigenthum unter die Familien vertheilt 5). Ferner
fallen die Vedda in der Umgebung von polygamischen Völkern
dadurch auf, dass sie nur ein Weib ehelichen und bei ihnen das
Sprüchwort gilt: der Tod allein könne Mann und Frau scheiden 6).

Ebenso wie über die Vedda sind wir nur sehr dürftig über
die Mincopie oder die Bewohner der Andamanen unterrichtet,
obgleich die Engländer seit beinahe zwanzig Jahren nach diesem
Archipel ihre indischen Verbrecher zu verbannen pflegen. Da es
auf jenen Inseln an vierfüssigem Wild nicht mangelt, so gehört die

1) Waitz, Anthropologie. Bd. 2. S. 346.
2) Fritsch, Eingeborne. S. 427.
3) a. a. O. Bd. 1. S. 200.
4) Barnard Davis, Thesaurus craniorum. p. 132--134.
5) Sir Emerson Tennent, Ceylon. vol. II. p. 439--451.
6) Tylor, Anfänge der Cultur. I. S. 51. und Lubbock, Prehistoric
Times 1869. p. 424.

Die Urzustände des Menschengeschlechtes.
liche und weibliche Gottheit 1) bei ihnen wahrgenommen haben und
jedenfalls weilen unter ihnen Zauberpriester 2). Da sie sprüchwört-
lich sagen, der Tod sei nur ein Schlaf, so ist es fast selbstver-
ständlich, dass sie auch zu den Abgeschiedenen beten, wie Living-
stone sich davon überzeugen konnte 3). Unmässigkeit und Schmutz
sind die einzigen Laster, deren sie geziehen werden.

Einen anderen alterthümlichen Menschenschlag finden wir in
den ungelichteten Wäldern Ceylons. Dort leben angeblich bis auf
8000 Köpfe zusammen geschmolzen die Vedda, ein beinahe nackter
Jägerstamm, dessen Sprache ein altes, von Sanskrit und Pali unbe-
flecktes Singhalesisch sein soll. Ihre Schädel sind schmal (Breiten-
index 66 bis 78), aber stets ansehnlich hoch, erträglich mesognath
und mit wenig vorstehenden Jochbeinen versehen 4). Sie treiben
mit den Nachbarn einen stummen Handel und erwerben von diesen
gegen Elfenbein und Wachs, Werkzeuge und Geräthe, die sie in
die Eisenzeit versetzen. Sie verschmähen nicht die ekelhafteste
Nahrung, wie faulendes Fleisch, binden sich aber wiederum an
Speiseverbote, berühren auch nie eine Kost, die ein Kandianer
zubereitet hat, aus Furcht, ihre Kaste zu verlieren, denn seltsamerweise
beanspruchen sie und wird ihnen von ihren Nachbarn ein höherer Racen-
adel zugestanden. Wenn sie als Teufelsanbeter bezeichnet werden,
so haben wir uns darunter zu denken, dass sie schädliche Mächte
durch ihre Verehrung zu besänftigen suchen. Ihre Jagdreviere
sind als strenges Eigenthum unter die Familien vertheilt 5). Ferner
fallen die Vedda in der Umgebung von polygamischen Völkern
dadurch auf, dass sie nur ein Weib ehelichen und bei ihnen das
Sprüchwort gilt: der Tod allein könne Mann und Frau scheiden 6).

Ebenso wie über die Vedda sind wir nur sehr dürftig über
die Mincopie oder die Bewohner der Andamanen unterrichtet,
obgleich die Engländer seit beinahe zwanzig Jahren nach diesem
Archipel ihre indischen Verbrecher zu verbannen pflegen. Da es
auf jenen Inseln an vierfüssigem Wild nicht mangelt, so gehört die

1) Waitz, Anthropologie. Bd. 2. S. 346.
2) Fritsch, Eingeborne. S. 427.
3) a. a. O. Bd. 1. S. 200.
4) Barnard Davis, Thesaurus craniorum. p. 132—134.
5) Sir Emerson Tennent, Ceylon. vol. II. p. 439—451.
6) Tylor, Anfänge der Cultur. I. S. 51. und Lubbock, Prehistoric
Times 1869. p. 424.
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[150/0168] Die Urzustände des Menschengeschlechtes. liche und weibliche Gottheit 1) bei ihnen wahrgenommen haben und jedenfalls weilen unter ihnen Zauberpriester 2). Da sie sprüchwört- lich sagen, der Tod sei nur ein Schlaf, so ist es fast selbstver- ständlich, dass sie auch zu den Abgeschiedenen beten, wie Living- stone sich davon überzeugen konnte 3). Unmässigkeit und Schmutz sind die einzigen Laster, deren sie geziehen werden. Einen anderen alterthümlichen Menschenschlag finden wir in den ungelichteten Wäldern Ceylons. Dort leben angeblich bis auf 8000 Köpfe zusammen geschmolzen die Vedda, ein beinahe nackter Jägerstamm, dessen Sprache ein altes, von Sanskrit und Pali unbe- flecktes Singhalesisch sein soll. Ihre Schädel sind schmal (Breiten- index 66 bis 78), aber stets ansehnlich hoch, erträglich mesognath und mit wenig vorstehenden Jochbeinen versehen 4). Sie treiben mit den Nachbarn einen stummen Handel und erwerben von diesen gegen Elfenbein und Wachs, Werkzeuge und Geräthe, die sie in die Eisenzeit versetzen. Sie verschmähen nicht die ekelhafteste Nahrung, wie faulendes Fleisch, binden sich aber wiederum an Speiseverbote, berühren auch nie eine Kost, die ein Kandianer zubereitet hat, aus Furcht, ihre Kaste zu verlieren, denn seltsamerweise beanspruchen sie und wird ihnen von ihren Nachbarn ein höherer Racen- adel zugestanden. Wenn sie als Teufelsanbeter bezeichnet werden, so haben wir uns darunter zu denken, dass sie schädliche Mächte durch ihre Verehrung zu besänftigen suchen. Ihre Jagdreviere sind als strenges Eigenthum unter die Familien vertheilt 5). Ferner fallen die Vedda in der Umgebung von polygamischen Völkern dadurch auf, dass sie nur ein Weib ehelichen und bei ihnen das Sprüchwort gilt: der Tod allein könne Mann und Frau scheiden 6). Ebenso wie über die Vedda sind wir nur sehr dürftig über die Mincopie oder die Bewohner der Andamanen unterrichtet, obgleich die Engländer seit beinahe zwanzig Jahren nach diesem Archipel ihre indischen Verbrecher zu verbannen pflegen. Da es auf jenen Inseln an vierfüssigem Wild nicht mangelt, so gehört die 1) Waitz, Anthropologie. Bd. 2. S. 346. 2) Fritsch, Eingeborne. S. 427. 3) a. a. O. Bd. 1. S. 200. 4) Barnard Davis, Thesaurus craniorum. p. 132—134. 5) Sir Emerson Tennent, Ceylon. vol. II. p. 439—451. 6) Tylor, Anfänge der Cultur. I. S. 51. und Lubbock, Prehistoric Times 1869. p. 424.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/168>, abgerufen am 18.04.2024.