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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.
sowie in Mittel- und Südamerika überall wo Fleischkost mangelt,
Leguminosenfrüchte stark verzehrt werden und wo Reis die Tages-
nahrung bildet, der Fischfang eifrig betrieben wird, so haben wir
bereits erschöpft, was als sicher ermittelt betrachtet werden darf.
Streng erwiesen ist dagegen nicht, dass Körperstärke, physischer
Muth oder Verstandesschärfe bei Fastenkost nicht in gleichem
Maasse wie bei Fleischkost erwartet werden dürfen. Von allen
Polynesiern, die Bewohner einsamer Inseln abgerechnet, waren die
Maori Neu-Seelands die einzigen, welche weder Schweine noch
Hunde mästeten und wenn man nicht annehmen will, dass ihre
gelegentlichen Mahlzeiten von Menschenfleisch diesen Mangel er-
setzt haben könnten, so muss man zugeben, dass sie bei ihrer
Fisch- und Wurzelkost der kräftigste, muthigste, streitbarste und in
gesellschaftlichen Künsten am weitesten gestiegene Stamm ihres
Völkerkreises geworden sind.

Gewiss hat schon ein jeder von uns einmal die Wirkungen
alcoholischer und narcotischer Genussmittel an sich erfahren und
vielleicht bemerkt, dass ein mässiger Genuss von Wein uns über
unser prosaisches Werkeltags-Ich zu erheben vermag. Noch mäch-
tiger ist bei Vielen die Anregung durch Thee oder Kaffee. Sobald
wir uns durch sie gestärkt fühlen, ist es, als ob wir heller zu sehen
und schärfer zu schliessen vermöchten. Gedanken, welche vorher
eifrig aber erfolglos gesucht wurden, eilen nun in raschem Fluge
herbei und neuen Wahrheiten scheinen wir bis zum Erfassen nahe
gerückt. Sollten nicht also die Bewegungen, die wir in unsern
Denkvorrichtungen hervorrufen, durch die narkotischen Genussmittel
beschleunigt oder ihre Schwingungsweite vergrössert werden? Und
sollten nicht auch die geistigen Fortschritte innerhalb der mensch-
lichen Gesellschaft seit Entdeckung dieser Zaubertränke merklich
raschere geworden sein?

Lassen wir uns die Irrfahrten Thomas Buckle's als Warnung
dienen, der von solchen Trugbildern verlockt, aus den chemischen
Bestandtheilen der Nahrung die geschichtlichen Verhängnisse von
Culturvölkern des höchsten Ranges erklären zu können, sich und
einer gern getäuschten Menge vorspiegelte. Die Geschwindigkeit
der geistigen Fortschritte in unsern Tagen ist zunächst nur den
Einrichtungen der modernen Gesellschaft zuzuschreiben, die der
Wissenschaft unendlich mehr Jünger und alle viel besser vorbereitet
als früher zuführt. Die grössten Erfindungen des Menschen, Bilder-

Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung.
sowie in Mittel- und Südamerika überall wo Fleischkost mangelt,
Leguminosenfrüchte stark verzehrt werden und wo Reis die Tages-
nahrung bildet, der Fischfang eifrig betrieben wird, so haben wir
bereits erschöpft, was als sicher ermittelt betrachtet werden darf.
Streng erwiesen ist dagegen nicht, dass Körperstärke, physischer
Muth oder Verstandesschärfe bei Fastenkost nicht in gleichem
Maasse wie bei Fleischkost erwartet werden dürfen. Von allen
Polynesiern, die Bewohner einsamer Inseln abgerechnet, waren die
Maori Neu-Seelands die einzigen, welche weder Schweine noch
Hunde mästeten und wenn man nicht annehmen will, dass ihre
gelegentlichen Mahlzeiten von Menschenfleisch diesen Mangel er-
setzt haben könnten, so muss man zugeben, dass sie bei ihrer
Fisch- und Wurzelkost der kräftigste, muthigste, streitbarste und in
gesellschaftlichen Künsten am weitesten gestiegene Stamm ihres
Völkerkreises geworden sind.

Gewiss hat schon ein jeder von uns einmal die Wirkungen
alcoholischer und narcotischer Genussmittel an sich erfahren und
vielleicht bemerkt, dass ein mässiger Genuss von Wein uns über
unser prosaisches Werkeltags-Ich zu erheben vermag. Noch mäch-
tiger ist bei Vielen die Anregung durch Thee oder Kaffee. Sobald
wir uns durch sie gestärkt fühlen, ist es, als ob wir heller zu sehen
und schärfer zu schliessen vermöchten. Gedanken, welche vorher
eifrig aber erfolglos gesucht wurden, eilen nun in raschem Fluge
herbei und neuen Wahrheiten scheinen wir bis zum Erfassen nahe
gerückt. Sollten nicht also die Bewegungen, die wir in unsern
Denkvorrichtungen hervorrufen, durch die narkotischen Genussmittel
beschleunigt oder ihre Schwingungsweite vergrössert werden? Und
sollten nicht auch die geistigen Fortschritte innerhalb der mensch-
lichen Gesellschaft seit Entdeckung dieser Zaubertränke merklich
raschere geworden sein?

Lassen wir uns die Irrfahrten Thomas Buckle’s als Warnung
dienen, der von solchen Trugbildern verlockt, aus den chemischen
Bestandtheilen der Nahrung die geschichtlichen Verhängnisse von
Culturvölkern des höchsten Ranges erklären zu können, sich und
einer gern getäuschten Menge vorspiegelte. Die Geschwindigkeit
der geistigen Fortschritte in unsern Tagen ist zunächst nur den
Einrichtungen der modernen Gesellschaft zuzuschreiben, die der
Wissenschaft unendlich mehr Jünger und alle viel besser vorbereitet
als früher zuführt. Die grössten Erfindungen des Menschen, Bilder-

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[170/0188] Die Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. sowie in Mittel- und Südamerika überall wo Fleischkost mangelt, Leguminosenfrüchte stark verzehrt werden und wo Reis die Tages- nahrung bildet, der Fischfang eifrig betrieben wird, so haben wir bereits erschöpft, was als sicher ermittelt betrachtet werden darf. Streng erwiesen ist dagegen nicht, dass Körperstärke, physischer Muth oder Verstandesschärfe bei Fastenkost nicht in gleichem Maasse wie bei Fleischkost erwartet werden dürfen. Von allen Polynesiern, die Bewohner einsamer Inseln abgerechnet, waren die Maori Neu-Seelands die einzigen, welche weder Schweine noch Hunde mästeten und wenn man nicht annehmen will, dass ihre gelegentlichen Mahlzeiten von Menschenfleisch diesen Mangel er- setzt haben könnten, so muss man zugeben, dass sie bei ihrer Fisch- und Wurzelkost der kräftigste, muthigste, streitbarste und in gesellschaftlichen Künsten am weitesten gestiegene Stamm ihres Völkerkreises geworden sind. Gewiss hat schon ein jeder von uns einmal die Wirkungen alcoholischer und narcotischer Genussmittel an sich erfahren und vielleicht bemerkt, dass ein mässiger Genuss von Wein uns über unser prosaisches Werkeltags-Ich zu erheben vermag. Noch mäch- tiger ist bei Vielen die Anregung durch Thee oder Kaffee. Sobald wir uns durch sie gestärkt fühlen, ist es, als ob wir heller zu sehen und schärfer zu schliessen vermöchten. Gedanken, welche vorher eifrig aber erfolglos gesucht wurden, eilen nun in raschem Fluge herbei und neuen Wahrheiten scheinen wir bis zum Erfassen nahe gerückt. Sollten nicht also die Bewegungen, die wir in unsern Denkvorrichtungen hervorrufen, durch die narkotischen Genussmittel beschleunigt oder ihre Schwingungsweite vergrössert werden? Und sollten nicht auch die geistigen Fortschritte innerhalb der mensch- lichen Gesellschaft seit Entdeckung dieser Zaubertränke merklich raschere geworden sein? Lassen wir uns die Irrfahrten Thomas Buckle’s als Warnung dienen, der von solchen Trugbildern verlockt, aus den chemischen Bestandtheilen der Nahrung die geschichtlichen Verhängnisse von Culturvölkern des höchsten Ranges erklären zu können, sich und einer gern getäuschten Menge vorspiegelte. Die Geschwindigkeit der geistigen Fortschritte in unsern Tagen ist zunächst nur den Einrichtungen der modernen Gesellschaft zuzuschreiben, die der Wissenschaft unendlich mehr Jünger und alle viel besser vorbereitet als früher zuführt. Die grössten Erfindungen des Menschen, Bilder-

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/188>, abgerufen am 25.04.2024.