Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Stellung des Menschen in der Schöpfung.
europäischer Gesittung ist es vorgekommen, dass wegen Körper-
mängel Schönschreiber und geschätzte Maler Feder und Pinsel mit
ihren Zehen geführt haben 1). Doch verengern solche kleine An-
näherungen nur wenig die breite Kluft zwischen uns und den Affen,
die sich zunächst auf die Arbeitstheilung zwischen den vorderen
und hinteren Gliedmassen begründet. Sobald das Kind aufhört
die Hände zur Ortsbewegung zu benützen, hat es sich schon
seinen hohen Rang in der Schöpfung erworben. Wenn auch am
Fusse des Gorilla nur der Unterschied haftet, dass die grosse Zehe
den andern Zehen entgegen gestellt werden kann, so wird er doch
eben dadurch zu einem Greiforgan und zum Gehen ungeeignet.
Die Affen treten überhaupt entweder mit den äusseren Rändern
ihrer Sohlen oder wie Orang und Schimpanse mit dem Rücken
ihrer gebognen Fingerglieder auf 2). Der Mensch im Gegensatz
zum Affen steht, geht, läuft, springt, tanzt, klettert, schwimmt,
reitet, sitzt und kann lange in der Rückenlage verweilen.
Der aufrechte Gang hat die Verkürzung der vorderen Gliedmassen
zur Folge gehabt und wie Carl Vogt bemerkt, auch die Schüssel-
form des Beckens zum Tragen der Eingeweide 3). Unser verhält-
nissmässig so geräumiger Schädel schwebt im Gleichgewicht auf
den Stützpunkten die ihm die Wirbelsäule gewährt und treten
wie beim Neger die Kiefern stark nach vorn, so verlängert sich
zur Beseitigung der Störung zugleich das Hinterhaupt. Die vor-
deren Gliedmassen erlöst von den Verrichtungen der Ortsbewegung,
dienen nur noch zum Ergreifen und sie sind bisher noch immer
geschickt gefunden worden um alles auszuführen, was der mensch-
liche Verstand ersinnen mochte 4).

Naturforscher, wie Pruner Bey, haben die Behauptung in Umlauf
gesetzt, dass der Bau der Stimmwerkzeuge bei den Affen un-
geeignet sei zum Hervorrufen gegliederter Laute, allein dieser

1) Mohnike a. a. O. No. 36. S. 847. Waitz, Anthropologie I, 117.
2) Darwin, Abstammung des Menschen I, 120.
3) Vorlesungen über den Menschen, Bd. 1. S. 172.
4) Steinthal (Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. Bd. 1.
S. 342 § 453) will behaupten, dass unser Auge durch die Arme bei Erkennt-
niss der Raumverhältnisse unterstützt werde und dass deshalb die räumlichen
Anschauungen des Menschen entwickelter seien als die des Thieres. Allein
den Affen leisten ihre Arme die nämlichen Dienste, dem Elephanten sein
Rüssel, den Insecten ihre Fühlhörner vielleicht noch bessere Dienste.
1*

Stellung des Menschen in der Schöpfung.
europäischer Gesittung ist es vorgekommen, dass wegen Körper-
mängel Schönschreiber und geschätzte Maler Feder und Pinsel mit
ihren Zehen geführt haben 1). Doch verengern solche kleine An-
näherungen nur wenig die breite Kluft zwischen uns und den Affen,
die sich zunächst auf die Arbeitstheilung zwischen den vorderen
und hinteren Gliedmassen begründet. Sobald das Kind aufhört
die Hände zur Ortsbewegung zu benützen, hat es sich schon
seinen hohen Rang in der Schöpfung erworben. Wenn auch am
Fusse des Gorilla nur der Unterschied haftet, dass die grosse Zehe
den andern Zehen entgegen gestellt werden kann, so wird er doch
eben dadurch zu einem Greiforgan und zum Gehen ungeeignet.
Die Affen treten überhaupt entweder mit den äusseren Rändern
ihrer Sohlen oder wie Orang und Schimpanse mit dem Rücken
ihrer gebognen Fingerglieder auf 2). Der Mensch im Gegensatz
zum Affen steht, geht, läuft, springt, tanzt, klettert, schwimmt,
reitet, sitzt und kann lange in der Rückenlage verweilen.
Der aufrechte Gang hat die Verkürzung der vorderen Gliedmassen
zur Folge gehabt und wie Carl Vogt bemerkt, auch die Schüssel-
form des Beckens zum Tragen der Eingeweide 3). Unser verhält-
nissmässig so geräumiger Schädel schwebt im Gleichgewicht auf
den Stützpunkten die ihm die Wirbelsäule gewährt und treten
wie beim Neger die Kiefern stark nach vorn, so verlängert sich
zur Beseitigung der Störung zugleich das Hinterhaupt. Die vor-
deren Gliedmassen erlöst von den Verrichtungen der Ortsbewegung,
dienen nur noch zum Ergreifen und sie sind bisher noch immer
geschickt gefunden worden um alles auszuführen, was der mensch-
liche Verstand ersinnen mochte 4).

Naturforscher, wie Pruner Bey, haben die Behauptung in Umlauf
gesetzt, dass der Bau der Stimmwerkzeuge bei den Affen un-
geeignet sei zum Hervorrufen gegliederter Laute, allein dieser

1) Mohnike a. a. O. No. 36. S. 847. Waitz, Anthropologie I, 117.
2) Darwin, Abstammung des Menschen I, 120.
3) Vorlesungen über den Menschen, Bd. 1. S. 172.
4) Steinthal (Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. Bd. 1.
S. 342 § 453) will behaupten, dass unser Auge durch die Arme bei Erkennt-
niss der Raumverhältnisse unterstützt werde und dass deshalb die räumlichen
Anschauungen des Menschen entwickelter seien als die des Thieres. Allein
den Affen leisten ihre Arme die nämlichen Dienste, dem Elephanten sein
Rüssel, den Insecten ihre Fühlhörner vielleicht noch bessere Dienste.
1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0021" n="3"/><fw place="top" type="header">Stellung des Menschen in der Schöpfung.</fw><lb/>
europäischer Gesittung ist es vorgekommen, dass wegen Körper-<lb/>
mängel Schönschreiber und geschätzte Maler Feder und Pinsel mit<lb/>
ihren Zehen geführt haben <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Mohnike</hi> a. a. O. No. 36. S. 847. <hi rendition="#g">Waitz</hi>, Anthropologie I, 117.</note>. Doch verengern solche kleine An-<lb/>
näherungen nur wenig die breite Kluft zwischen uns und den Affen,<lb/>
die sich zunächst auf die Arbeitstheilung zwischen den vorderen<lb/>
und hinteren Gliedmassen begründet. Sobald das Kind aufhört<lb/>
die Hände zur Ortsbewegung zu benützen, hat es sich schon<lb/>
seinen hohen Rang in der Schöpfung erworben. Wenn auch am<lb/>
Fusse des Gorilla nur der Unterschied haftet, dass die grosse Zehe<lb/>
den andern Zehen entgegen gestellt werden kann, so wird er doch<lb/>
eben dadurch zu einem Greiforgan und zum Gehen ungeeignet.<lb/>
Die Affen treten überhaupt entweder mit den äusseren Rändern<lb/>
ihrer Sohlen oder wie Orang und Schimpanse mit dem Rücken<lb/>
ihrer gebognen Fingerglieder auf <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Darwin</hi>, Abstammung des Menschen I, 120.</note>. Der Mensch im Gegensatz<lb/>
zum Affen steht, geht, läuft, springt, tanzt, klettert, schwimmt,<lb/>
reitet, sitzt und kann lange in der Rückenlage verweilen.<lb/>
Der aufrechte Gang hat die Verkürzung der vorderen Gliedmassen<lb/>
zur Folge gehabt und wie Carl Vogt bemerkt, auch die Schüssel-<lb/>
form des Beckens zum Tragen der Eingeweide <note place="foot" n="3)">Vorlesungen über den Menschen, Bd. 1. S. 172.</note>. Unser verhält-<lb/>
nissmässig so geräumiger Schädel schwebt im Gleichgewicht auf<lb/>
den Stützpunkten die ihm die Wirbelsäule gewährt und treten<lb/>
wie beim Neger die Kiefern stark nach vorn, so verlängert sich<lb/>
zur Beseitigung der Störung zugleich das Hinterhaupt. Die vor-<lb/>
deren Gliedmassen erlöst von den Verrichtungen der Ortsbewegung,<lb/>
dienen nur noch zum Ergreifen und sie sind bisher noch immer<lb/>
geschickt gefunden worden um alles auszuführen, was der mensch-<lb/>
liche Verstand ersinnen mochte <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#g">Steinthal</hi> (Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. Bd. 1.<lb/>
S. 342 § 453) will behaupten, dass unser Auge durch die Arme bei Erkennt-<lb/>
niss der Raumverhältnisse unterstützt werde und dass deshalb die räumlichen<lb/>
Anschauungen des Menschen entwickelter seien als die des Thieres. Allein<lb/>
den Affen leisten ihre Arme die nämlichen Dienste, dem Elephanten sein<lb/>
Rüssel, den Insecten ihre Fühlhörner vielleicht noch bessere Dienste.</note>.</p><lb/>
          <p>Naturforscher, wie Pruner Bey, haben die Behauptung in Umlauf<lb/>
gesetzt, dass der Bau der Stimmwerkzeuge bei den Affen un-<lb/>
geeignet sei zum Hervorrufen gegliederter Laute, allein dieser<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0021] Stellung des Menschen in der Schöpfung. europäischer Gesittung ist es vorgekommen, dass wegen Körper- mängel Schönschreiber und geschätzte Maler Feder und Pinsel mit ihren Zehen geführt haben 1). Doch verengern solche kleine An- näherungen nur wenig die breite Kluft zwischen uns und den Affen, die sich zunächst auf die Arbeitstheilung zwischen den vorderen und hinteren Gliedmassen begründet. Sobald das Kind aufhört die Hände zur Ortsbewegung zu benützen, hat es sich schon seinen hohen Rang in der Schöpfung erworben. Wenn auch am Fusse des Gorilla nur der Unterschied haftet, dass die grosse Zehe den andern Zehen entgegen gestellt werden kann, so wird er doch eben dadurch zu einem Greiforgan und zum Gehen ungeeignet. Die Affen treten überhaupt entweder mit den äusseren Rändern ihrer Sohlen oder wie Orang und Schimpanse mit dem Rücken ihrer gebognen Fingerglieder auf 2). Der Mensch im Gegensatz zum Affen steht, geht, läuft, springt, tanzt, klettert, schwimmt, reitet, sitzt und kann lange in der Rückenlage verweilen. Der aufrechte Gang hat die Verkürzung der vorderen Gliedmassen zur Folge gehabt und wie Carl Vogt bemerkt, auch die Schüssel- form des Beckens zum Tragen der Eingeweide 3). Unser verhält- nissmässig so geräumiger Schädel schwebt im Gleichgewicht auf den Stützpunkten die ihm die Wirbelsäule gewährt und treten wie beim Neger die Kiefern stark nach vorn, so verlängert sich zur Beseitigung der Störung zugleich das Hinterhaupt. Die vor- deren Gliedmassen erlöst von den Verrichtungen der Ortsbewegung, dienen nur noch zum Ergreifen und sie sind bisher noch immer geschickt gefunden worden um alles auszuführen, was der mensch- liche Verstand ersinnen mochte 4). Naturforscher, wie Pruner Bey, haben die Behauptung in Umlauf gesetzt, dass der Bau der Stimmwerkzeuge bei den Affen un- geeignet sei zum Hervorrufen gegliederter Laute, allein dieser 1) Mohnike a. a. O. No. 36. S. 847. Waitz, Anthropologie I, 117. 2) Darwin, Abstammung des Menschen I, 120. 3) Vorlesungen über den Menschen, Bd. 1. S. 172. 4) Steinthal (Psychologie und Sprachwissenschaft. Berlin 1871. Bd. 1. S. 342 § 453) will behaupten, dass unser Auge durch die Arme bei Erkennt- niss der Raumverhältnisse unterstützt werde und dass deshalb die räumlichen Anschauungen des Menschen entwickelter seien als die des Thieres. Allein den Affen leisten ihre Arme die nämlichen Dienste, dem Elephanten sein Rüssel, den Insecten ihre Fühlhörner vielleicht noch bessere Dienste. 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/21
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/21>, abgerufen am 28.03.2024.