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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die christlichen Lehren.
erhob und aus der es seit mehr als 18 Jahrhunderten seine besten
Kräfte geschöpft hat. Jene talmudischen Stellen aber stammen
aus der Zeit der babylonischen Gefangenschaft, der Mühseligkeit
und Beladenheit, und es war die läuternde Schule des eigenen Un-
glücks, die gerecht und weich, die zart und liebevoll gegen andere
stimmte.

14. Die christlichen Lehren.

Als die Hebräer vor den Gefangenschaften mehr oder weniger
genau, in der Gefangenschaft selbst aber aufs genaueste mit den
Weltanschauungen und den Gottesbegriffen der Eranier vertraut
geworden waren, konnte diese geistige Berührung und Befruchtung
nicht gänzlich ohne Folgen bleiben. Ihr müssen wir zunächst zu-
schreiben, dass in vereinzelten Stücken des alten Testamentes
plötzlich ein verkörperter Unheilstifter auftritt, wenn auch der
bereits erstarkte Begriff von der Einheit Gottes den Teufel nicht
als ebenbürtigen Ariman, sondern nur als einen Diener des Herrn
und als ein Werkzeug seiner Absichten duldet 1). Aber weit be-
deutungsvoller als der nur spärlich ausgenützte Erwerb des Satans
wirkte die Bekanntschaft mit den eranischen Ansichten von der
Unsterblichkeit der Seele, sowie mit den Lehren von der Auf-
erstehung der Todten und eines Gerichtes über ihren Lebens-
wandel. Diese Vorstellungen waren ursprünglich den Israeliten so
fremd, dass noch zu Christus' Zeiten die Sadducäer 2) eine Fort-
dauer nach dem Tode als schriftwidrig verwarfen. Den Jüngern
aber war die Lehre so neu, dass sie bei ihrer ersten Erwähnung
betroffen fragten: was soll das Auferstehen von den Todten

1) Ewald, israelit. Geschichte. 3. Aufl. Bd. 3. S. 704. setzt die Ent-
stehung des Buches Ijob in die Zeit der letzten Könige in Juda, allein Bd. 4.
S. 237 zeigt er, dass die Bekanntschaft mit zarathustrischen Lehrsätzen schon
seit dem 10. und noch merklicher seit dem 8. Jahrhundert auf die religiösen
Vorstellungen der Hebräer namentlich in einer freieren Auffassung des Gegen-
satzes von Gutem und Bösem zur Geltung gelangte. Ueber die wenigen Stellen
des Alten Testamentes ausser Ijob, wo der Satan auftritt, vgl. Roskoff,
Geschichte des Teufels. Leipzig 1869. Bd. 1. S. 186.
2) Matth. XXII, 23.

Die christlichen Lehren.
erhob und aus der es seit mehr als 18 Jahrhunderten seine besten
Kräfte geschöpft hat. Jene talmudischen Stellen aber stammen
aus der Zeit der babylonischen Gefangenschaft, der Mühseligkeit
und Beladenheit, und es war die läuternde Schule des eigenen Un-
glücks, die gerecht und weich, die zart und liebevoll gegen andere
stimmte.

14. Die christlichen Lehren.

Als die Hebräer vor den Gefangenschaften mehr oder weniger
genau, in der Gefangenschaft selbst aber aufs genaueste mit den
Weltanschauungen und den Gottesbegriffen der Erânier vertraut
geworden waren, konnte diese geistige Berührung und Befruchtung
nicht gänzlich ohne Folgen bleiben. Ihr müssen wir zunächst zu-
schreiben, dass in vereinzelten Stücken des alten Testamentes
plötzlich ein verkörperter Unheilstifter auftritt, wenn auch der
bereits erstarkte Begriff von der Einheit Gottes den Teufel nicht
als ebenbürtigen Ariman, sondern nur als einen Diener des Herrn
und als ein Werkzeug seiner Absichten duldet 1). Aber weit be-
deutungsvoller als der nur spärlich ausgenützte Erwerb des Satans
wirkte die Bekanntschaft mit den erânischen Ansichten von der
Unsterblichkeit der Seele, sowie mit den Lehren von der Auf-
erstehung der Todten und eines Gerichtes über ihren Lebens-
wandel. Diese Vorstellungen waren ursprünglich den Israeliten so
fremd, dass noch zu Christus’ Zeiten die Sadducäer 2) eine Fort-
dauer nach dem Tode als schriftwidrig verwarfen. Den Jüngern
aber war die Lehre so neu, dass sie bei ihrer ersten Erwähnung
betroffen fragten: was soll das Auferstehen von den Todten

1) Ewald, israelit. Geschichte. 3. Aufl. Bd. 3. S. 704. setzt die Ent-
stehung des Buches Ijob in die Zeit der letzten Könige in Juda, allein Bd. 4.
S. 237 zeigt er, dass die Bekanntschaft mit zarathustrischen Lehrsätzen schon
seit dem 10. und noch merklicher seit dem 8. Jahrhundert auf die religiösen
Vorstellungen der Hebräer namentlich in einer freieren Auffassung des Gegen-
satzes von Gutem und Bösem zur Geltung gelangte. Ueber die wenigen Stellen
des Alten Testamentes ausser Ijob, wo der Satan auftritt, vgl. Roskoff,
Geschichte des Teufels. Leipzig 1869. Bd. 1. S. 186.
2) Matth. XXII, 23.
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[308/0326] Die christlichen Lehren. erhob und aus der es seit mehr als 18 Jahrhunderten seine besten Kräfte geschöpft hat. Jene talmudischen Stellen aber stammen aus der Zeit der babylonischen Gefangenschaft, der Mühseligkeit und Beladenheit, und es war die läuternde Schule des eigenen Un- glücks, die gerecht und weich, die zart und liebevoll gegen andere stimmte. 14. Die christlichen Lehren. Als die Hebräer vor den Gefangenschaften mehr oder weniger genau, in der Gefangenschaft selbst aber aufs genaueste mit den Weltanschauungen und den Gottesbegriffen der Erânier vertraut geworden waren, konnte diese geistige Berührung und Befruchtung nicht gänzlich ohne Folgen bleiben. Ihr müssen wir zunächst zu- schreiben, dass in vereinzelten Stücken des alten Testamentes plötzlich ein verkörperter Unheilstifter auftritt, wenn auch der bereits erstarkte Begriff von der Einheit Gottes den Teufel nicht als ebenbürtigen Ariman, sondern nur als einen Diener des Herrn und als ein Werkzeug seiner Absichten duldet 1). Aber weit be- deutungsvoller als der nur spärlich ausgenützte Erwerb des Satans wirkte die Bekanntschaft mit den erânischen Ansichten von der Unsterblichkeit der Seele, sowie mit den Lehren von der Auf- erstehung der Todten und eines Gerichtes über ihren Lebens- wandel. Diese Vorstellungen waren ursprünglich den Israeliten so fremd, dass noch zu Christus’ Zeiten die Sadducäer 2) eine Fort- dauer nach dem Tode als schriftwidrig verwarfen. Den Jüngern aber war die Lehre so neu, dass sie bei ihrer ersten Erwähnung betroffen fragten: was soll das Auferstehen von den Todten 1) Ewald, israelit. Geschichte. 3. Aufl. Bd. 3. S. 704. setzt die Ent- stehung des Buches Ijob in die Zeit der letzten Könige in Juda, allein Bd. 4. S. 237 zeigt er, dass die Bekanntschaft mit zarathustrischen Lehrsätzen schon seit dem 10. und noch merklicher seit dem 8. Jahrhundert auf die religiösen Vorstellungen der Hebräer namentlich in einer freieren Auffassung des Gegen- satzes von Gutem und Bösem zur Geltung gelangte. Ueber die wenigen Stellen des Alten Testamentes ausser Ijob, wo der Satan auftritt, vgl. Roskoff, Geschichte des Teufels. Leipzig 1869. Bd. 1. S. 186. 2) Matth. XXII, 23.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/326>, abgerufen am 28.03.2024.