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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
Durch Hawkesworth und der beiden Forster Beschreibungen von
Cooks erster und zweiter Fahrt kennen wir die polynesische Sitte
einen Freundschaftsbund durch Namensaustausch zu besiegeln. Der
gleiche Brauch herrschte bei den Mohawk in Nordamerika 1) und
in Südafrika wurde in Gegenwart Livingstone's 2) auf diese Art
Brüderschaft zwischen einem Makololo und einem Zulukafirn ge-
schlossen. Jede Möglichkeit einer gegenseitigen Entlehnung fällt
hinweg, wenn ferner bei den Feuerländern in Südamerika und bei
den Bewohnern der Andamaninseln im bengalischen Golfe, die
Wittwen den Schädel ihres verstorbenen Gatten an einer Schnur
um den Hals tragen müssen 3).

Auf den Hochebenen von Peru und Bolivien gewahrt man auf
den Bergspitzen sogenannte Apachetas oder Steinhaufen, an denen
kein Maulthiertreiber vorüberzieht ohne ein neues Stück zu dem
Denkmal hinzuzufügen 4). Dieser Gebrauch geht durch die ganze
Welt. Capitän Speke beobachtete ihn in der Landschaft Usui süd-
lich von Karagwe und südwestlich vom Ukerewe See 5). Der un-
genannte Verfasser eines wegen seiner ethnographischen Schilde-
rungen geschätzten Romans 6) beschreibt die nämliche Sitte im
Mahrattengebiete Indiens, Adolf Bastian sah solche Steinpyramiden
auf Passhöhen in Birma und bei den Kayan in Borneo 7), die
Brüder Schlagintweit in Tübet 8), Michie auf seiner Reise von
Peking durch die mongolischen Steppen 9), Ebers auf der Sinai-
Halbinsel 10). In der Schweiz werden Steine über den Gräbern
Verunglückter aufgethürmt 11) und genau die nämliche Bedeutung
und Entstehung haben diese Male im heutigen Venezuela 12).
Spenser St. John erzählt, dass solche Steinhaufen von den Dayaken

1) Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 161.
2) Zambesi, p. 149.
3) Frederic Mouat, Andaman Islanders. p. 327.
4) Grandidier, Perou et Bolivie, p. 235. Genaueres bei J. J. v. Tschudi,
Reisen durch Südamerika. Leipzig 1869. Bd. 5. S. 52.
5) Source of the Nile, p. 193.
6) Tara, a Mahratta tale, I, 144.
7) Völker des östlichen Asiens. Bd. 2. S. 483. Bd. 5. S. 47.
8) Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 330.
9) Siberian Overland-Route, p. 136.
10) Georg Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 188.
11) Carl Vogt, Vorlesungen über den Menschen II, 119.
12) Dr. Ernst, im Globus. Bd. XXI, No. 8. Febr. 1872. S. 124.

Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
Durch Hawkesworth und der beiden Forster Beschreibungen von
Cooks erster und zweiter Fahrt kennen wir die polynesische Sitte
einen Freundschaftsbund durch Namensaustausch zu besiegeln. Der
gleiche Brauch herrschte bei den Mohawk in Nordamerika 1) und
in Südafrika wurde in Gegenwart Livingstone’s 2) auf diese Art
Brüderschaft zwischen einem Makololo und einem Zulukafirn ge-
schlossen. Jede Möglichkeit einer gegenseitigen Entlehnung fällt
hinweg, wenn ferner bei den Feuerländern in Südamerika und bei
den Bewohnern der Andamaninseln im bengalischen Golfe, die
Wittwen den Schädel ihres verstorbenen Gatten an einer Schnur
um den Hals tragen müssen 3).

Auf den Hochebenen von Peru und Bolivien gewahrt man auf
den Bergspitzen sogenannte Apachetas oder Steinhaufen, an denen
kein Maulthiertreiber vorüberzieht ohne ein neues Stück zu dem
Denkmal hinzuzufügen 4). Dieser Gebrauch geht durch die ganze
Welt. Capitän Speke beobachtete ihn in der Landschaft Usui süd-
lich von Karagwe und südwestlich vom Ukerewe See 5). Der un-
genannte Verfasser eines wegen seiner ethnographischen Schilde-
rungen geschätzten Romans 6) beschreibt die nämliche Sitte im
Mahrattengebiete Indiens, Adolf Bastian sah solche Steinpyramiden
auf Passhöhen in Birma und bei den Kayan in Borneo 7), die
Brüder Schlagintweit in Tübet 8), Michie auf seiner Reise von
Peking durch die mongolischen Steppen 9), Ebers auf der Sinai-
Halbinsel 10). In der Schweiz werden Steine über den Gräbern
Verunglückter aufgethürmt 11) und genau die nämliche Bedeutung
und Entstehung haben diese Male im heutigen Venezuela 12).
Spenser St. John erzählt, dass solche Steinhaufen von den Dayaken

1) Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 161.
2) Zambesi, p. 149.
3) Frederic Mouat, Andaman Islanders. p. 327.
4) Grandidier, Pérou et Bolivie, p. 235. Genaueres bei J. J. v. Tschudi,
Reisen durch Südamerika. Leipzig 1869. Bd. 5. S. 52.
5) Source of the Nile, p. 193.
6) Tara, a Mahratta tale, I, 144.
7) Völker des östlichen Asiens. Bd. 2. S. 483. Bd. 5. S. 47.
8) Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 330.
9) Siberian Overland-Route, p. 136.
10) Georg Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 188.
11) Carl Vogt, Vorlesungen über den Menschen II, 119.
12) Dr. Ernst, im Globus. Bd. XXI, No. 8. Febr. 1872. S. 124.
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[25/0043] Arteneinheit des Menschengeschlechtes. Durch Hawkesworth und der beiden Forster Beschreibungen von Cooks erster und zweiter Fahrt kennen wir die polynesische Sitte einen Freundschaftsbund durch Namensaustausch zu besiegeln. Der gleiche Brauch herrschte bei den Mohawk in Nordamerika 1) und in Südafrika wurde in Gegenwart Livingstone’s 2) auf diese Art Brüderschaft zwischen einem Makololo und einem Zulukafirn ge- schlossen. Jede Möglichkeit einer gegenseitigen Entlehnung fällt hinweg, wenn ferner bei den Feuerländern in Südamerika und bei den Bewohnern der Andamaninseln im bengalischen Golfe, die Wittwen den Schädel ihres verstorbenen Gatten an einer Schnur um den Hals tragen müssen 3). Auf den Hochebenen von Peru und Bolivien gewahrt man auf den Bergspitzen sogenannte Apachetas oder Steinhaufen, an denen kein Maulthiertreiber vorüberzieht ohne ein neues Stück zu dem Denkmal hinzuzufügen 4). Dieser Gebrauch geht durch die ganze Welt. Capitän Speke beobachtete ihn in der Landschaft Usui süd- lich von Karagwe und südwestlich vom Ukerewe See 5). Der un- genannte Verfasser eines wegen seiner ethnographischen Schilde- rungen geschätzten Romans 6) beschreibt die nämliche Sitte im Mahrattengebiete Indiens, Adolf Bastian sah solche Steinpyramiden auf Passhöhen in Birma und bei den Kayan in Borneo 7), die Brüder Schlagintweit in Tübet 8), Michie auf seiner Reise von Peking durch die mongolischen Steppen 9), Ebers auf der Sinai- Halbinsel 10). In der Schweiz werden Steine über den Gräbern Verunglückter aufgethürmt 11) und genau die nämliche Bedeutung und Entstehung haben diese Male im heutigen Venezuela 12). Spenser St. John erzählt, dass solche Steinhaufen von den Dayaken 1) Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 161. 2) Zambesi, p. 149. 3) Frederic Mouat, Andaman Islanders. p. 327. 4) Grandidier, Pérou et Bolivie, p. 235. Genaueres bei J. J. v. Tschudi, Reisen durch Südamerika. Leipzig 1869. Bd. 5. S. 52. 5) Source of the Nile, p. 193. 6) Tara, a Mahratta tale, I, 144. 7) Völker des östlichen Asiens. Bd. 2. S. 483. Bd. 5. S. 47. 8) Indien und Hochasien. Bd. 2. S. 330. 9) Siberian Overland-Route, p. 136. 10) Georg Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 188. 11) Carl Vogt, Vorlesungen über den Menschen II, 119. 12) Dr. Ernst, im Globus. Bd. XXI, No. 8. Febr. 1872. S. 124.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/43>, abgerufen am 29.03.2024.