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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes.
Entdecker vor Hunger ermatteten, ziehen Horden sorgenfreier
Schwarzer umher, und wenn uns bei dem Gedanken schaudert,
dass vor Jahrtausenden schon asiatische Stämme zur Bevölkerung
Amerika's über das Beringsmeer gezogen sein sollen, so vergessen
wir vollständig, dass noch heutigen Tags im Feuerland, wo doch
die Gletscher bis zum und bis ins Meer herabreichen, ein nacktes
Fischervolk haust.

Wir zeigten also, dass das erste Auftreten des Menschen ein
continentales gewesen sein müsse, wir bewiesen aus wirklich statt-
gefundenen Wanderungen, dass die Ausbreitung unseres Geschlechtes
von einem Ausgangspunkt über die ganze Erde nur eine Frage der
Zeit sein könne, wir haben nach den Lehren der Thiergeographie
uns überzeugt, dass weder Australien noch Südamerika, ja selbst
Nordamerika nicht ein schicklicher Platz für die Wiege der Mensch-
heit gewesen sei, folglich müssen wir sie in der alten Welt suchen.
Dort wiederum dürfen wir das sibirische Tiefland getrost beseitigen,
weil es noch in einer geologisch ziemlich nahen Vergangenheit vom
Meer bedeckt gewesen ist. Dieses Hinderniss wäre für Europa nicht
vorhanden, allein wenn Europa der Ausgangspunkt gewesen sein
sollte, so hätten wir sicher schon den sogenannten fossilen Men-
schen bei uns gefunden, so gut wie man zwei tertiäre, sehr hoch
organisirte Affen, einen in Griechenland, einen in der Schweiz,
entdeckt hat.

Lassen wir auch Europa fallen, so bleibt uns nur Südasien
oder Afrika übrig, wo wir die ältesten Spuren unseres Geschlechtes
noch mit Aussicht auf Erfolg zu finden hoffen dürfen. Das bri-
tische Indien ist von diesen Räumen geologisch noch am besten
durchforscht, und da man dort schon viele vorausgehende Typen
der heutigen Säugethiere angetroffen hat, noch nicht aber den ter-
tiären Menschen, so sind die Aussichten für die dortige Orts-
befestigung des ältesten Menschen immerhin schon geschmälert.

Es ist jedoch denkbar, dass weder in Südasien noch in Afrika
das erste Auftreten stattfand, sondern im indischen Ocean selbst.
Dort lag vor Zeiten ein grosses Festland, dem Madagaskar und
vielleicht Stücke von Ostafrika, dem die Malediven und Lakadiven,
ferner die Insel Ceylon, die nie mit Indien zusammenhing, vielleicht
sogar im fernen Osten die Insel Celebes, die eine befremdende
Thierwelt mit halbafrikanischen Gesichtszügen besitzt, angehört
haben. Dieses Festland, welches dem indischen Aethiopien des

Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes.
Entdecker vor Hunger ermatteten, ziehen Horden sorgenfreier
Schwarzer umher, und wenn uns bei dem Gedanken schaudert,
dass vor Jahrtausenden schon asiatische Stämme zur Bevölkerung
Amerika’s über das Beringsmeer gezogen sein sollen, so vergessen
wir vollständig, dass noch heutigen Tags im Feuerland, wo doch
die Gletscher bis zum und bis ins Meer herabreichen, ein nacktes
Fischervolk haust.

Wir zeigten also, dass das erste Auftreten des Menschen ein
continentales gewesen sein müsse, wir bewiesen aus wirklich statt-
gefundenen Wanderungen, dass die Ausbreitung unseres Geschlechtes
von einem Ausgangspunkt über die ganze Erde nur eine Frage der
Zeit sein könne, wir haben nach den Lehren der Thiergeographie
uns überzeugt, dass weder Australien noch Südamerika, ja selbst
Nordamerika nicht ein schicklicher Platz für die Wiege der Mensch-
heit gewesen sei, folglich müssen wir sie in der alten Welt suchen.
Dort wiederum dürfen wir das sibirische Tiefland getrost beseitigen,
weil es noch in einer geologisch ziemlich nahen Vergangenheit vom
Meer bedeckt gewesen ist. Dieses Hinderniss wäre für Europa nicht
vorhanden, allein wenn Europa der Ausgangspunkt gewesen sein
sollte, so hätten wir sicher schon den sogenannten fossilen Men-
schen bei uns gefunden, so gut wie man zwei tertiäre, sehr hoch
organisirte Affen, einen in Griechenland, einen in der Schweiz,
entdeckt hat.

Lassen wir auch Europa fallen, so bleibt uns nur Südasien
oder Afrika übrig, wo wir die ältesten Spuren unseres Geschlechtes
noch mit Aussicht auf Erfolg zu finden hoffen dürfen. Das bri-
tische Indien ist von diesen Räumen geologisch noch am besten
durchforscht, und da man dort schon viele vorausgehende Typen
der heutigen Säugethiere angetroffen hat, noch nicht aber den ter-
tiären Menschen, so sind die Aussichten für die dortige Orts-
befestigung des ältesten Menschen immerhin schon geschmälert.

Es ist jedoch denkbar, dass weder in Südasien noch in Afrika
das erste Auftreten stattfand, sondern im indischen Ocean selbst.
Dort lag vor Zeiten ein grosses Festland, dem Madagaskar und
vielleicht Stücke von Ostafrika, dem die Malediven und Lakadiven,
ferner die Insel Ceylon, die nie mit Indien zusammenhing, vielleicht
sogar im fernen Osten die Insel Celebes, die eine befremdende
Thierwelt mit halbafrikanischen Gesichtszügen besitzt, angehört
haben. Dieses Festland, welches dem indischen Aethiopien des

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[34/0052] Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes. Entdecker vor Hunger ermatteten, ziehen Horden sorgenfreier Schwarzer umher, und wenn uns bei dem Gedanken schaudert, dass vor Jahrtausenden schon asiatische Stämme zur Bevölkerung Amerika’s über das Beringsmeer gezogen sein sollen, so vergessen wir vollständig, dass noch heutigen Tags im Feuerland, wo doch die Gletscher bis zum und bis ins Meer herabreichen, ein nacktes Fischervolk haust. Wir zeigten also, dass das erste Auftreten des Menschen ein continentales gewesen sein müsse, wir bewiesen aus wirklich statt- gefundenen Wanderungen, dass die Ausbreitung unseres Geschlechtes von einem Ausgangspunkt über die ganze Erde nur eine Frage der Zeit sein könne, wir haben nach den Lehren der Thiergeographie uns überzeugt, dass weder Australien noch Südamerika, ja selbst Nordamerika nicht ein schicklicher Platz für die Wiege der Mensch- heit gewesen sei, folglich müssen wir sie in der alten Welt suchen. Dort wiederum dürfen wir das sibirische Tiefland getrost beseitigen, weil es noch in einer geologisch ziemlich nahen Vergangenheit vom Meer bedeckt gewesen ist. Dieses Hinderniss wäre für Europa nicht vorhanden, allein wenn Europa der Ausgangspunkt gewesen sein sollte, so hätten wir sicher schon den sogenannten fossilen Men- schen bei uns gefunden, so gut wie man zwei tertiäre, sehr hoch organisirte Affen, einen in Griechenland, einen in der Schweiz, entdeckt hat. Lassen wir auch Europa fallen, so bleibt uns nur Südasien oder Afrika übrig, wo wir die ältesten Spuren unseres Geschlechtes noch mit Aussicht auf Erfolg zu finden hoffen dürfen. Das bri- tische Indien ist von diesen Räumen geologisch noch am besten durchforscht, und da man dort schon viele vorausgehende Typen der heutigen Säugethiere angetroffen hat, noch nicht aber den ter- tiären Menschen, so sind die Aussichten für die dortige Orts- befestigung des ältesten Menschen immerhin schon geschmälert. Es ist jedoch denkbar, dass weder in Südasien noch in Afrika das erste Auftreten stattfand, sondern im indischen Ocean selbst. Dort lag vor Zeiten ein grosses Festland, dem Madagaskar und vielleicht Stücke von Ostafrika, dem die Malediven und Lakadiven, ferner die Insel Ceylon, die nie mit Indien zusammenhing, vielleicht sogar im fernen Osten die Insel Celebes, die eine befremdende Thierwelt mit halbafrikanischen Gesichtszügen besitzt, angehört haben. Dieses Festland, welches dem indischen Aethiopien des

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/52>, abgerufen am 28.03.2024.