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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Das Alter des Menschengeschlechtes.
fanden 1). Wollte man auch weniger Gewicht darauf legen, dass
die Culturreste zwischen Schichten von Gletscherlehm eingeschlossen
sind, so genügt es doch für die Altersbestimmung, dass sich den
menschlichen Geräthen auch die Knochen des Eisfuchses und zwar
im Bau übereinstimmend mit einer Art, die jetzt bei Nain in Labrador
haust, sowie des Fiolfrasses (Gulo borealis), endlich die Reste
zweier Moose beigesellen, wovon das eine (Hypnum sarmentosum)
sonst nur in Lappland, in Norwegen an der Grenze des aus-
dauernden Schnees, sowie auf den höchsten Bergen der Sudeten
und Tyrols, das andere (Hypnum fluitans var. tenuissima) gegen-
wärtig auf sumpfigen Wiesen der Alpen und im arctischen Amerika
vorkommt 2). Hier liegen also Thatsachen vor uns, die jeden geo-
logisch Gebildeten fest davon überzeugen, dass der Mensch bereits
zur Eiszeit Schwaben bewohnt habe. Die frühere Vergletscherung
jener Landstriche darf aber weder dadurch erklärt werden, dass
das Sonnensystem kältere, vom Sternenlicht minder durchwärmte
Himmelsräume durchzogen habe, noch etwa durch Verlängerung
der Winterzeit in Folge des Vorrückens der Nachtgleichen während
eines Zeitraumes gesteigerter Excentricität der Erdbahn, denn in
beiden Fällen müsste sich die Eiszeit gleichmässig über alle Theile
der nördlichen Halbkugel erstreckt haben, während ihre Spuren
im Kaukasus sehr schwach sind, im Altai gänzlich fehlen 3). Wohl
aber vermögen wir die ehemalige Eisbedeckung der Schweiz und
der angrenzenden Gebiete sehr leicht durch eine andre Vertheilung
von Land und Wasser in Europa zu erklären. Da aber die Aen-
derung der Umrisse von Festlanden Zeiträume von äusserst langer
Dauer erfordert, so genügt die Gegenwart des Menschen zur Eis-
zeit in Schwaben vollständig, um ein sehr hohes Alter für das erste
Auftreten unseres Geschlechtes zu beanspruchen.

Viel jünger sind die Urkunden, welche vormalige baltische Küsten-
bevölkerungen aus den Schalen essbarer Muscheln am Strande
Jütlands und der dänischen Inseln wallartig angehäuft und die
von den Alterthumskundigen die angemessne Bezeichnung von

1) Oscar Fraas im Archiv für Anthropologie. Bd. 2. S. 38, 39, 42, 44.
2) O. Fraas, Die neuesten Erfunde an der Schussenquelle. Würtemb.
naturwissensch. Jahreshefte. 1867. Heft 1. S. 7--24. Im Archiv für An-
thropologie Bd. II, S. 33 führt Fraas unter den Funden noch ein drittes jetzt
boreales Moos Hypnum aduncum var. groenlandica Hedw. auf.
3) B. v. Cotta, Der Altai. Leipzig 1871. S. 65.

Das Alter des Menschengeschlechtes.
fanden 1). Wollte man auch weniger Gewicht darauf legen, dass
die Culturreste zwischen Schichten von Gletscherlehm eingeschlossen
sind, so genügt es doch für die Altersbestimmung, dass sich den
menschlichen Geräthen auch die Knochen des Eisfuchses und zwar
im Bau übereinstimmend mit einer Art, die jetzt bei Nain in Labrador
haust, sowie des Fiolfrasses (Gulo borealis), endlich die Reste
zweier Moose beigesellen, wovon das eine (Hypnum sarmentosum)
sonst nur in Lappland, in Norwegen an der Grenze des aus-
dauernden Schnees, sowie auf den höchsten Bergen der Sudeten
und Tyrols, das andere (Hypnum fluitans var. tenuissima) gegen-
wärtig auf sumpfigen Wiesen der Alpen und im arctischen Amerika
vorkommt 2). Hier liegen also Thatsachen vor uns, die jeden geo-
logisch Gebildeten fest davon überzeugen, dass der Mensch bereits
zur Eiszeit Schwaben bewohnt habe. Die frühere Vergletscherung
jener Landstriche darf aber weder dadurch erklärt werden, dass
das Sonnensystem kältere, vom Sternenlicht minder durchwärmte
Himmelsräume durchzogen habe, noch etwa durch Verlängerung
der Winterzeit in Folge des Vorrückens der Nachtgleichen während
eines Zeitraumes gesteigerter Excentricität der Erdbahn, denn in
beiden Fällen müsste sich die Eiszeit gleichmässig über alle Theile
der nördlichen Halbkugel erstreckt haben, während ihre Spuren
im Kaukasus sehr schwach sind, im Altai gänzlich fehlen 3). Wohl
aber vermögen wir die ehemalige Eisbedeckung der Schweiz und
der angrenzenden Gebiete sehr leicht durch eine andre Vertheilung
von Land und Wasser in Europa zu erklären. Da aber die Aen-
derung der Umrisse von Festlanden Zeiträume von äusserst langer
Dauer erfordert, so genügt die Gegenwart des Menschen zur Eis-
zeit in Schwaben vollständig, um ein sehr hohes Alter für das erste
Auftreten unseres Geschlechtes zu beanspruchen.

Viel jünger sind die Urkunden, welche vormalige baltische Küsten-
bevölkerungen aus den Schalen essbarer Muscheln am Strande
Jütlands und der dänischen Inseln wallartig angehäuft und die
von den Alterthumskundigen die angemessne Bezeichnung von

1) Oscar Fraas im Archiv für Anthropologie. Bd. 2. S. 38, 39, 42, 44.
2) O. Fraas, Die neuesten Erfunde an der Schussenquelle. Würtemb.
naturwissensch. Jahreshefte. 1867. Heft 1. S. 7—24. Im Archiv für An-
thropologie Bd. II, S. 33 führt Fraas unter den Funden noch ein drittes jetzt
boreales Moos Hypnum aduncum var. groenlandica Hedw. auf.
3) B. v. Cotta, Der Altai. Leipzig 1871. S. 65.
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[43/0061] Das Alter des Menschengeschlechtes. fanden 1). Wollte man auch weniger Gewicht darauf legen, dass die Culturreste zwischen Schichten von Gletscherlehm eingeschlossen sind, so genügt es doch für die Altersbestimmung, dass sich den menschlichen Geräthen auch die Knochen des Eisfuchses und zwar im Bau übereinstimmend mit einer Art, die jetzt bei Nain in Labrador haust, sowie des Fiolfrasses (Gulo borealis), endlich die Reste zweier Moose beigesellen, wovon das eine (Hypnum sarmentosum) sonst nur in Lappland, in Norwegen an der Grenze des aus- dauernden Schnees, sowie auf den höchsten Bergen der Sudeten und Tyrols, das andere (Hypnum fluitans var. tenuissima) gegen- wärtig auf sumpfigen Wiesen der Alpen und im arctischen Amerika vorkommt 2). Hier liegen also Thatsachen vor uns, die jeden geo- logisch Gebildeten fest davon überzeugen, dass der Mensch bereits zur Eiszeit Schwaben bewohnt habe. Die frühere Vergletscherung jener Landstriche darf aber weder dadurch erklärt werden, dass das Sonnensystem kältere, vom Sternenlicht minder durchwärmte Himmelsräume durchzogen habe, noch etwa durch Verlängerung der Winterzeit in Folge des Vorrückens der Nachtgleichen während eines Zeitraumes gesteigerter Excentricität der Erdbahn, denn in beiden Fällen müsste sich die Eiszeit gleichmässig über alle Theile der nördlichen Halbkugel erstreckt haben, während ihre Spuren im Kaukasus sehr schwach sind, im Altai gänzlich fehlen 3). Wohl aber vermögen wir die ehemalige Eisbedeckung der Schweiz und der angrenzenden Gebiete sehr leicht durch eine andre Vertheilung von Land und Wasser in Europa zu erklären. Da aber die Aen- derung der Umrisse von Festlanden Zeiträume von äusserst langer Dauer erfordert, so genügt die Gegenwart des Menschen zur Eis- zeit in Schwaben vollständig, um ein sehr hohes Alter für das erste Auftreten unseres Geschlechtes zu beanspruchen. Viel jünger sind die Urkunden, welche vormalige baltische Küsten- bevölkerungen aus den Schalen essbarer Muscheln am Strande Jütlands und der dänischen Inseln wallartig angehäuft und die von den Alterthumskundigen die angemessne Bezeichnung von 1) Oscar Fraas im Archiv für Anthropologie. Bd. 2. S. 38, 39, 42, 44. 2) O. Fraas, Die neuesten Erfunde an der Schussenquelle. Würtemb. naturwissensch. Jahreshefte. 1867. Heft 1. S. 7—24. Im Archiv für An- thropologie Bd. II, S. 33 führt Fraas unter den Funden noch ein drittes jetzt boreales Moos Hypnum aduncum var. groenlandica Hedw. auf. 3) B. v. Cotta, Der Altai. Leipzig 1871. S. 65.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/61>, abgerufen am 25.04.2024.