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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
viel kleiner als die Fehlergränzen der Messungen. Wir gelangen
vielmehr zu dem Ergebniss, dass der Teutonenschädel im Mittel sehr
beträchtlich schwankt, und dass er in Deutschland von Nord nach Süd,
und namentlich nach Südwest merklich nach Brachycephalie strebe.

Wollen wir weitere Fortschritte in der Craniologie gewinnen,
so müssen zunächst die Indices europäischer Bevölkerungen durch
grosse Ziffern festgestellt werden. Eine solche Arbeit in Bezug auf
Italien verdanken wir Luigi Calori in Bologna. Er bezeichnet
Schädel mit Breitenindices von 74 bis 80 als Orthocephalen, wofür
wir jedoch Mesocephalen sagen wollen, die mit höheren Ziffern als
Breitschädel und diejenigen unter 74 als Schmalschädel. Mit Aus-
schluss der weiblichen Exemplare untersuchte er nicht weniger als
2442 italienische Schädel und fand darunter 1665 brachycephal, im
Mittel mit einem Index von 84. Die andern 777 dagegen ge-
währten im Mittel einen Index von 77. Wie in Deutschland mi-
schen sich auch in Italien örtlich breite und lange Schädel durch-
einander. Von 100 bologneser Schädeln beiderlei Geschlechtes
waren 79 Breit-, 16 Mittel- und nur 5 Schmalschädel. Von 852
Köpfen aus der Emilia gehörten 733 zu den Breit-, 110 zu den
Mittel- und 9 zu den Schmalschädeln. Ebenso zeigten unter 254
Köpfen aus dem Venetianischen, der Lombardei und dem italieni-
schen Tyrol 230 die breite, 23 die mittlere, ein einziger die
schmale Form. In den adriatischen Küstenstrichen südlich von
Bologna fallen von 377 Schädeln 265 unter die breiten, 105 auf die
mittleren und 7 auf die schmalen. Begeben wir uns über den
Apennin, so sind dagegen von 213 toskanischen Schädeln nur 134
brachy-, 59 dagegen meso- und 20 dolichocephal. In dem ehe-
maligen Kirchenstaat gehörten von 200 Schädeln nur 52 zu den
Brachy-, dagegen 100 zu den Meso- und 48 zu den Dolichoce-
phalen. Endlich zählten von 363 Neapolitanern 131 zu den Breit-,
169 zu den Mittel- und 63 zu den Schmalschädeln. Daraus ergibt
sich, dass die Norditaliener zu den stark brachycephalen Völkern
gehören, dass aber mit dem Fortschreiten nach Süden auf der
Halbinsel der Schädel sich etwas verlängert und die Mittelform
schliesslich zur Herrschaft gelangt 1). Auch hier offenbart sich also
bei örtlichen Veränderungen ein Schwanken der Indices. Dürfen

1) Journal of the Anthropological Institute. London 1872. tom. I.
p. 110 flg.

Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
viel kleiner als die Fehlergränzen der Messungen. Wir gelangen
vielmehr zu dem Ergebniss, dass der Teutonenschädel im Mittel sehr
beträchtlich schwankt, und dass er in Deutschland von Nord nach Süd,
und namentlich nach Südwest merklich nach Brachycephalie strebe.

Wollen wir weitere Fortschritte in der Craniologie gewinnen,
so müssen zunächst die Indices europäischer Bevölkerungen durch
grosse Ziffern festgestellt werden. Eine solche Arbeit in Bezug auf
Italien verdanken wir Luigi Calori in Bologna. Er bezeichnet
Schädel mit Breitenindices von 74 bis 80 als Orthocephalen, wofür
wir jedoch Mesocephalen sagen wollen, die mit höheren Ziffern als
Breitschädel und diejenigen unter 74 als Schmalschädel. Mit Aus-
schluss der weiblichen Exemplare untersuchte er nicht weniger als
2442 italienische Schädel und fand darunter 1665 brachycephal, im
Mittel mit einem Index von 84. Die andern 777 dagegen ge-
währten im Mittel einen Index von 77. Wie in Deutschland mi-
schen sich auch in Italien örtlich breite und lange Schädel durch-
einander. Von 100 bologneser Schädeln beiderlei Geschlechtes
waren 79 Breit-, 16 Mittel- und nur 5 Schmalschädel. Von 852
Köpfen aus der Emilia gehörten 733 zu den Breit-, 110 zu den
Mittel- und 9 zu den Schmalschädeln. Ebenso zeigten unter 254
Köpfen aus dem Venetianischen, der Lombardei und dem italieni-
schen Tyrol 230 die breite, 23 die mittlere, ein einziger die
schmale Form. In den adriatischen Küstenstrichen südlich von
Bologna fallen von 377 Schädeln 265 unter die breiten, 105 auf die
mittleren und 7 auf die schmalen. Begeben wir uns über den
Apennin, so sind dagegen von 213 toskanischen Schädeln nur 134
brachy-, 59 dagegen meso- und 20 dolichocephal. In dem ehe-
maligen Kirchenstaat gehörten von 200 Schädeln nur 52 zu den
Brachy-, dagegen 100 zu den Meso- und 48 zu den Dolichoce-
phalen. Endlich zählten von 363 Neapolitanern 131 zu den Breit-,
169 zu den Mittel- und 63 zu den Schmalschädeln. Daraus ergibt
sich, dass die Norditaliener zu den stark brachycephalen Völkern
gehören, dass aber mit dem Fortschreiten nach Süden auf der
Halbinsel der Schädel sich etwas verlängert und die Mittelform
schliesslich zur Herrschaft gelangt 1). Auch hier offenbart sich also
bei örtlichen Veränderungen ein Schwanken der Indices. Dürfen

1) Journal of the Anthropological Institute. London 1872. tom. I.
p. 110 flg.
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[60/0078] Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels. viel kleiner als die Fehlergränzen der Messungen. Wir gelangen vielmehr zu dem Ergebniss, dass der Teutonenschädel im Mittel sehr beträchtlich schwankt, und dass er in Deutschland von Nord nach Süd, und namentlich nach Südwest merklich nach Brachycephalie strebe. Wollen wir weitere Fortschritte in der Craniologie gewinnen, so müssen zunächst die Indices europäischer Bevölkerungen durch grosse Ziffern festgestellt werden. Eine solche Arbeit in Bezug auf Italien verdanken wir Luigi Calori in Bologna. Er bezeichnet Schädel mit Breitenindices von 74 bis 80 als Orthocephalen, wofür wir jedoch Mesocephalen sagen wollen, die mit höheren Ziffern als Breitschädel und diejenigen unter 74 als Schmalschädel. Mit Aus- schluss der weiblichen Exemplare untersuchte er nicht weniger als 2442 italienische Schädel und fand darunter 1665 brachycephal, im Mittel mit einem Index von 84. Die andern 777 dagegen ge- währten im Mittel einen Index von 77. Wie in Deutschland mi- schen sich auch in Italien örtlich breite und lange Schädel durch- einander. Von 100 bologneser Schädeln beiderlei Geschlechtes waren 79 Breit-, 16 Mittel- und nur 5 Schmalschädel. Von 852 Köpfen aus der Emilia gehörten 733 zu den Breit-, 110 zu den Mittel- und 9 zu den Schmalschädeln. Ebenso zeigten unter 254 Köpfen aus dem Venetianischen, der Lombardei und dem italieni- schen Tyrol 230 die breite, 23 die mittlere, ein einziger die schmale Form. In den adriatischen Küstenstrichen südlich von Bologna fallen von 377 Schädeln 265 unter die breiten, 105 auf die mittleren und 7 auf die schmalen. Begeben wir uns über den Apennin, so sind dagegen von 213 toskanischen Schädeln nur 134 brachy-, 59 dagegen meso- und 20 dolichocephal. In dem ehe- maligen Kirchenstaat gehörten von 200 Schädeln nur 52 zu den Brachy-, dagegen 100 zu den Meso- und 48 zu den Dolichoce- phalen. Endlich zählten von 363 Neapolitanern 131 zu den Breit-, 169 zu den Mittel- und 63 zu den Schmalschädeln. Daraus ergibt sich, dass die Norditaliener zu den stark brachycephalen Völkern gehören, dass aber mit dem Fortschreiten nach Süden auf der Halbinsel der Schädel sich etwas verlängert und die Mittelform schliesslich zur Herrschaft gelangt 1). Auch hier offenbart sich also bei örtlichen Veränderungen ein Schwanken der Indices. Dürfen 1) Journal of the Anthropological Institute. London 1872. tom. I. p. 110 flg.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/78>, abgerufen am 19.04.2024.