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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
wir aber etwas anderes erwarten? Predigen uns nicht alle neueren
Untersuchungen, dass alle physischen Merkmale grossen Schwan-
kungen ausgesetzt sind, dass überhaupt die belebten Geschöpfe
nicht nach starren Urformen sich entwickeln, sondern beständige
Umbildungen erleiden? Darf man überhaupt Beharrlichkeit des
Typus innerhalb der Menschenart erwarten, da die meisten Racen
sich fruchtbar kreuzen können? Wenn diess aber der Fall ist,
dann darf es weder beunruhigen, noch in Verwunderung setzen,
dass es in Göttingen eine Sammlung deutscher, sogenannter ana-
tomischer Schädel gibt, welche die Eigenthümlichkeiten der ver-
schiedenen Menschenracen vertreten sollen.

Kaum bedarf es wohl noch der Warnung, dass niemals aus
dem Breitenindex irgend eines unbekannten Schädels auf seine
Racenabkunft geschlossen werden könne. Der schmalste Slaven-
schädel (72,8) könnte noch für einen Negerschädel seinem Index
nach gehalten werden, denn einzelne Negerschädel gehen noch bis
77,8, aber Negerschädel unter 72 können nicht mehr mit Slaven-
schädeln verwechselt werden. Unter 237 deutschen Schädeln findet
sich ein einziger, dessen Index auf 69,1, also auf das Mittel von
66 Negern sinkt. Negerschädel unter 69 werden aber niemals
mehr für deutsche Schädel erklärt werden können.

Die statistischen Mittel, wenn sie mit kritischer Vorsicht ge-
braucht werden, haben auch bisher immer noch bestätigt, was auf
anderm Wege bekannt geworden war. Alle Aegyptologen sind
einstimmig, dass sich der alte Menschentypus der Denkmäler in
den Fellahin und Kopten erhalten habe. Ihr Breitenindex (71,4)
stimmt genau zu dem der ägyptischen Mumien. Wenn man auch
Fallmerayers extreme Ansichten nicht billigt, so wird man doch
den Neugriechen immer als stark gemischt mit slavischem Blut
betrachten, und der Index lehrt uns, dass die Neuhellenen mit 77,1
gegen die Altgriechen mit 75,0, beträchtlich brachycephaler ge-
worden sind. Das gleiche war zu erwarten in Italien, wo wir die
Altrömer mit 74,0 angegeben finden.

Zur Warnung, dass man sich nicht auf Schädelmerkmale allein
verlassen darf, wollen wir mittheilen, dass der hochverdiente Bar-
nard Davis geglaubt hat, die Eskimo in drei Racen sondern zu
müssen, je nachdem bei ihnen die pyramidale Gestalt der Schädel
mehr oder weniger scharf ausgebildet war. Als die reinsten be-
zeichnet er die grönländischen, die Mitte halten die ostamerikani-

Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
wir aber etwas anderes erwarten? Predigen uns nicht alle neueren
Untersuchungen, dass alle physischen Merkmale grossen Schwan-
kungen ausgesetzt sind, dass überhaupt die belebten Geschöpfe
nicht nach starren Urformen sich entwickeln, sondern beständige
Umbildungen erleiden? Darf man überhaupt Beharrlichkeit des
Typus innerhalb der Menschenart erwarten, da die meisten Racen
sich fruchtbar kreuzen können? Wenn diess aber der Fall ist,
dann darf es weder beunruhigen, noch in Verwunderung setzen,
dass es in Göttingen eine Sammlung deutscher, sogenannter ana-
tomischer Schädel gibt, welche die Eigenthümlichkeiten der ver-
schiedenen Menschenracen vertreten sollen.

Kaum bedarf es wohl noch der Warnung, dass niemals aus
dem Breitenindex irgend eines unbekannten Schädels auf seine
Racenabkunft geschlossen werden könne. Der schmalste Slaven-
schädel (72,8) könnte noch für einen Negerschädel seinem Index
nach gehalten werden, denn einzelne Negerschädel gehen noch bis
77,8, aber Negerschädel unter 72 können nicht mehr mit Slaven-
schädeln verwechselt werden. Unter 237 deutschen Schädeln findet
sich ein einziger, dessen Index auf 69,1, also auf das Mittel von
66 Negern sinkt. Negerschädel unter 69 werden aber niemals
mehr für deutsche Schädel erklärt werden können.

Die statistischen Mittel, wenn sie mit kritischer Vorsicht ge-
braucht werden, haben auch bisher immer noch bestätigt, was auf
anderm Wege bekannt geworden war. Alle Aegyptologen sind
einstimmig, dass sich der alte Menschentypus der Denkmäler in
den Fellahin und Kopten erhalten habe. Ihr Breitenindex (71,4)
stimmt genau zu dem der ägyptischen Mumien. Wenn man auch
Fallmerayers extreme Ansichten nicht billigt, so wird man doch
den Neugriechen immer als stark gemischt mit slavischem Blut
betrachten, und der Index lehrt uns, dass die Neuhellenen mit 77,1
gegen die Altgriechen mit 75,0, beträchtlich brachycephaler ge-
worden sind. Das gleiche war zu erwarten in Italien, wo wir die
Altrömer mit 74,0 angegeben finden.

Zur Warnung, dass man sich nicht auf Schädelmerkmale allein
verlassen darf, wollen wir mittheilen, dass der hochverdiente Bar-
nard Davis geglaubt hat, die Eskimo in drei Racen sondern zu
müssen, je nachdem bei ihnen die pyramidale Gestalt der Schädel
mehr oder weniger scharf ausgebildet war. Als die reinsten be-
zeichnet er die grönländischen, die Mitte halten die ostamerikani-

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[61/0079] Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels. wir aber etwas anderes erwarten? Predigen uns nicht alle neueren Untersuchungen, dass alle physischen Merkmale grossen Schwan- kungen ausgesetzt sind, dass überhaupt die belebten Geschöpfe nicht nach starren Urformen sich entwickeln, sondern beständige Umbildungen erleiden? Darf man überhaupt Beharrlichkeit des Typus innerhalb der Menschenart erwarten, da die meisten Racen sich fruchtbar kreuzen können? Wenn diess aber der Fall ist, dann darf es weder beunruhigen, noch in Verwunderung setzen, dass es in Göttingen eine Sammlung deutscher, sogenannter ana- tomischer Schädel gibt, welche die Eigenthümlichkeiten der ver- schiedenen Menschenracen vertreten sollen. Kaum bedarf es wohl noch der Warnung, dass niemals aus dem Breitenindex irgend eines unbekannten Schädels auf seine Racenabkunft geschlossen werden könne. Der schmalste Slaven- schädel (72,8) könnte noch für einen Negerschädel seinem Index nach gehalten werden, denn einzelne Negerschädel gehen noch bis 77,8, aber Negerschädel unter 72 können nicht mehr mit Slaven- schädeln verwechselt werden. Unter 237 deutschen Schädeln findet sich ein einziger, dessen Index auf 69,1, also auf das Mittel von 66 Negern sinkt. Negerschädel unter 69 werden aber niemals mehr für deutsche Schädel erklärt werden können. Die statistischen Mittel, wenn sie mit kritischer Vorsicht ge- braucht werden, haben auch bisher immer noch bestätigt, was auf anderm Wege bekannt geworden war. Alle Aegyptologen sind einstimmig, dass sich der alte Menschentypus der Denkmäler in den Fellahin und Kopten erhalten habe. Ihr Breitenindex (71,4) stimmt genau zu dem der ägyptischen Mumien. Wenn man auch Fallmerayers extreme Ansichten nicht billigt, so wird man doch den Neugriechen immer als stark gemischt mit slavischem Blut betrachten, und der Index lehrt uns, dass die Neuhellenen mit 77,1 gegen die Altgriechen mit 75,0, beträchtlich brachycephaler ge- worden sind. Das gleiche war zu erwarten in Italien, wo wir die Altrömer mit 74,0 angegeben finden. Zur Warnung, dass man sich nicht auf Schädelmerkmale allein verlassen darf, wollen wir mittheilen, dass der hochverdiente Bar- nard Davis geglaubt hat, die Eskimo in drei Racen sondern zu müssen, je nachdem bei ihnen die pyramidale Gestalt der Schädel mehr oder weniger scharf ausgebildet war. Als die reinsten be- zeichnet er die grönländischen, die Mitte halten die ostamerikani-

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/79>, abgerufen am 19.04.2024.