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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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§. 29.
Fortsetzung, wie Schelmen mit einander
reden und handeln.

Bist du auch unter den Sündern? Ich dachte,
du seyst, seit deinem Beruf an die Kirchmauer, auf
einmal heilig geworden, so wie unser Metzger,
als er einst eine Woche für den Siegrist Mittag
läuten mußte.

Michel. Nein, Vogt! Meine Bekehrung geht
nicht so blitzschnell; aber wenn's einmal angeht,
so lasse ich dann nicht nach.

Vogt. Ich möchte dann dein Beichtiger seyn,
Michel!

Michel. Ich mag dich aber nicht hiezu.

Vogt. Warum das?

Michel. Du würdest mir die Sünden wohl
doppelt machen mit deiner heiligen Kreiden.

Vogt. Wäre dir das nicht recht?

Michel. Nein, Vogt! Ich will einen Beich-
tiger haben, der die Sünden verzeiht und nachläßt,
und nicht einen, der sie aufkreidet.

Vogt. Ich kann auch Sünden verzeihen und
nachlassen.

Michel.

§. 29.
Fortſetzung, wie Schelmen mit einander
reden und handeln.

Biſt du auch unter den Suͤndern? Ich dachte,
du ſeyſt, ſeit deinem Beruf an die Kirchmauer, auf
einmal heilig geworden, ſo wie unſer Metzger,
als er einſt eine Woche fuͤr den Siegriſt Mittag
laͤuten mußte.

Michel. Nein, Vogt! Meine Bekehrung geht
nicht ſo blitzſchnell; aber wenn’s einmal angeht,
ſo laſſe ich dann nicht nach.

Vogt. Ich moͤchte dann dein Beichtiger ſeyn,
Michel!

Michel. Ich mag dich aber nicht hiezu.

Vogt. Warum das?

Michel. Du wuͤrdeſt mir die Suͤnden wohl
doppelt machen mit deiner heiligen Kreiden.

Vogt. Waͤre dir das nicht recht?

Michel. Nein, Vogt! Ich will einen Beich-
tiger haben, der die Suͤnden verzeiht und nachlaͤßt,
und nicht einen, der ſie aufkreidet.

Vogt. Ich kann auch Suͤnden verzeihen und
nachlaſſen.

Michel.
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[150/0175] §. 29. Fortſetzung, wie Schelmen mit einander reden und handeln. Biſt du auch unter den Suͤndern? Ich dachte, du ſeyſt, ſeit deinem Beruf an die Kirchmauer, auf einmal heilig geworden, ſo wie unſer Metzger, als er einſt eine Woche fuͤr den Siegriſt Mittag laͤuten mußte. Michel. Nein, Vogt! Meine Bekehrung geht nicht ſo blitzſchnell; aber wenn’s einmal angeht, ſo laſſe ich dann nicht nach. Vogt. Ich moͤchte dann dein Beichtiger ſeyn, Michel! Michel. Ich mag dich aber nicht hiezu. Vogt. Warum das? Michel. Du wuͤrdeſt mir die Suͤnden wohl doppelt machen mit deiner heiligen Kreiden. Vogt. Waͤre dir das nicht recht? Michel. Nein, Vogt! Ich will einen Beich- tiger haben, der die Suͤnden verzeiht und nachlaͤßt, und nicht einen, der ſie aufkreidet. Vogt. Ich kann auch Suͤnden verzeihen und nachlaſſen. Michel.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/175>, abgerufen am 28.03.2024.