Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn sichtbar. Er gieng in seiner Unruhe beklemmt
die Stube hinauf und hinunter.

Alsdann sagte er wieder: Ich bin so erbittert
über des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was
ich thue; und es ist mir sonst nicht wohl. Ist's auch
so kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, seit-
dem ich daheim bin.

Nein, sagten die Nachbaren, es ist nicht kalt;
aber man sah dir's in der Kirche schon an, daß
dir nicht wohl ist; du sahst todtblaß aus.

Vogt. Sahe man mir's an? ja es war mir
schon da wunderlich -- ich kriege das Fieber -- es
ist mir so blöd -- ich muß saufen -- wir wollen
in die hintere Stube gehn während der Predigt.


§. 41.
Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un-
fug an.

Aber der Ehegaumer *), der an's Vogts Gasse
wohnte, und den Aebi, den Christen und die an-
dern Lumpen zwischen der Predigt ins Wirthshaus
gehn sah, ärgerte sich in seinem Herzen, und ge-

dachte
*) Ehegaumer (Verwahrer der ehlichen Treue) sind
in der Schweiz Kirchenälteste, die nebst den Pfar-
rern auf die Handhabung von Religion, Sitten
und Ordnung zu wachen haben.
O 4

ihn ſichtbar. Er gieng in ſeiner Unruhe beklemmt
die Stube hinauf und hinunter.

Alsdann ſagte er wieder: Ich bin ſo erbittert
uͤber des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was
ich thue; und es iſt mir ſonſt nicht wohl. Iſt’s auch
ſo kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, ſeit-
dem ich daheim bin.

Nein, ſagten die Nachbaren, es iſt nicht kalt;
aber man ſah dir’s in der Kirche ſchon an, daß
dir nicht wohl iſt; du ſahſt todtblaß aus.

Vogt. Sahe man mir’s an? ja es war mir
ſchon da wunderlich — ich kriege das Fieber — es
iſt mir ſo bloͤd — ich muß ſaufen — wir wollen
in die hintere Stube gehn waͤhrend der Predigt.


§. 41.
Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un-
fug an.

Aber der Ehegaumer *), der an’s Vogts Gaſſe
wohnte, und den Aebi, den Chriſten und die an-
dern Lumpen zwiſchen der Predigt ins Wirthshaus
gehn ſah, aͤrgerte ſich in ſeinem Herzen, und ge-

dachte
*) Ehegaumer (Verwahrer der ehlichen Treue) ſind
in der Schweiz Kirchenaͤlteſte, die nebſt den Pfar-
rern auf die Handhabung von Religion, Sitten
und Ordnung zu wachen haben.
O 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0240" n="215"/>
ihn &#x017F;ichtbar. Er gieng in &#x017F;einer Unruhe beklemmt<lb/>
die Stube hinauf und hinunter.</p><lb/>
          <p>Alsdann &#x017F;agte er wieder: Ich bin &#x017F;o erbittert<lb/>
u&#x0364;ber des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was<lb/>
ich thue; und es i&#x017F;t mir &#x017F;on&#x017F;t nicht wohl. I&#x017F;t&#x2019;s auch<lb/>
&#x017F;o kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, &#x017F;eit-<lb/>
dem ich daheim bin.</p><lb/>
          <p>Nein, &#x017F;agten die Nachbaren, es i&#x017F;t nicht kalt;<lb/>
aber man &#x017F;ah dir&#x2019;s in der Kirche &#x017F;chon an, daß<lb/>
dir nicht wohl i&#x017F;t; du &#x017F;ah&#x017F;t todtblaß aus.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Vogt.</hi> Sahe man mir&#x2019;s an? ja es war mir<lb/>
&#x017F;chon da wunderlich &#x2014; ich kriege das Fieber &#x2014; es<lb/>
i&#x017F;t mir &#x017F;o blo&#x0364;d &#x2014; ich muß &#x017F;aufen &#x2014; wir wollen<lb/>
in die hintere Stube gehn wa&#x0364;hrend der Predigt.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>§. 41.<lb/><hi rendition="#b">Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un-<lb/>
fug an.</hi></head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">A</hi>ber der Ehegaumer <note place="foot" n="*)">Ehegaumer (Verwahrer der ehlichen Treue) &#x017F;ind<lb/>
in der Schweiz Kirchena&#x0364;lte&#x017F;te, die neb&#x017F;t den Pfar-<lb/>
rern auf die Handhabung von Religion, Sitten<lb/>
und Ordnung zu wachen haben.</note>, der an&#x2019;s Vogts Ga&#x017F;&#x017F;e<lb/>
wohnte, und den Aebi, den Chri&#x017F;ten und die an-<lb/>
dern Lumpen zwi&#x017F;chen der Predigt ins Wirthshaus<lb/>
gehn &#x017F;ah, a&#x0364;rgerte &#x017F;ich in &#x017F;einem Herzen, und ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 4</fw><fw place="bottom" type="catch">dachte</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0240] ihn ſichtbar. Er gieng in ſeiner Unruhe beklemmt die Stube hinauf und hinunter. Alsdann ſagte er wieder: Ich bin ſo erbittert uͤber des Pfarrers Predigt, daß ich nicht weiß, was ich thue; und es iſt mir ſonſt nicht wohl. Iſt’s auch ſo kalt, Nachbaren? Es friert mich immer, ſeit- dem ich daheim bin. Nein, ſagten die Nachbaren, es iſt nicht kalt; aber man ſah dir’s in der Kirche ſchon an, daß dir nicht wohl iſt; du ſahſt todtblaß aus. Vogt. Sahe man mir’s an? ja es war mir ſchon da wunderlich — ich kriege das Fieber — es iſt mir ſo bloͤd — ich muß ſaufen — wir wollen in die hintere Stube gehn waͤhrend der Predigt. §. 41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Un- fug an. Aber der Ehegaumer *), der an’s Vogts Gaſſe wohnte, und den Aebi, den Chriſten und die an- dern Lumpen zwiſchen der Predigt ins Wirthshaus gehn ſah, aͤrgerte ſich in ſeinem Herzen, und ge- dachte *) Ehegaumer (Verwahrer der ehlichen Treue) ſind in der Schweiz Kirchenaͤlteſte, die nebſt den Pfar- rern auf die Handhabung von Religion, Sitten und Ordnung zu wachen haben. O 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/240
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/240>, abgerufen am 29.03.2024.