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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Lienhard. Es geht mir an's Herz, der Mann
ist höchst unglücklich. Ich sah es schon lang mitten
im Lärm seines Hauses, daß ihn nagende Unruhe
plagte.

Gertrud. Mein Lieber! wer von einem stil-
len eingezogenen frommen Leben abläßt, dem kann's
niemals wohl seyn in seinem Herzen.

Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Le-
ben deutlich erfahren und gesehen habe, so ist es die-
ses. Alles was immer die gewaltthätigen Anhänger
des Vogts in seinem Haus rathschlagten, vornahmen,
erschlichen oder erzwangen, alles machte sie nie ei-
ne Stunde zufrieden und ruhig.

Unter diesen Gesprächen kamen sie zur Kirche,
und wurden da sehr von dem Eifer gerührt, mit
welchem der Pfarrer über die Geschichte des Ver-
räthers redete.


§. 48.
Etwas von der Sünde.

Gertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei-
berstühlen allgemein war, des Vogts Haus sey
schon wieder voll von seinen Lumpen, auch gehört,
und sagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die-
ser antwortete: Ich kann's doch fast nicht glau-

ben --

Lienhard. Es geht mir an’s Herz, der Mann
iſt hoͤchſt ungluͤcklich. Ich ſah es ſchon lang mitten
im Laͤrm ſeines Hauſes, daß ihn nagende Unruhe
plagte.

Gertrud. Mein Lieber! wer von einem ſtil-
len eingezogenen frommen Leben ablaͤßt, dem kann’s
niemals wohl ſeyn in ſeinem Herzen.

Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Le-
ben deutlich erfahren und geſehen habe, ſo iſt es die-
ſes. Alles was immer die gewaltthaͤtigen Anhaͤnger
des Vogts in ſeinem Haus rathſchlagten, vornahmen,
erſchlichen oder erzwangen, alles machte ſie nie ei-
ne Stunde zufrieden und ruhig.

Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie zur Kirche,
und wurden da ſehr von dem Eifer geruͤhrt, mit
welchem der Pfarrer uͤber die Geſchichte des Ver-
raͤthers redete.


§. 48.
Etwas von der Suͤnde.

Gertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei-
berſtuͤhlen allgemein war, des Vogts Haus ſey
ſchon wieder voll von ſeinen Lumpen, auch gehoͤrt,
und ſagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die-
ſer antwortete: Ich kann’s doch faſt nicht glau-

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[236/0261] Lienhard. Es geht mir an’s Herz, der Mann iſt hoͤchſt ungluͤcklich. Ich ſah es ſchon lang mitten im Laͤrm ſeines Hauſes, daß ihn nagende Unruhe plagte. Gertrud. Mein Lieber! wer von einem ſtil- len eingezogenen frommen Leben ablaͤßt, dem kann’s niemals wohl ſeyn in ſeinem Herzen. Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Le- ben deutlich erfahren und geſehen habe, ſo iſt es die- ſes. Alles was immer die gewaltthaͤtigen Anhaͤnger des Vogts in ſeinem Haus rathſchlagten, vornahmen, erſchlichen oder erzwangen, alles machte ſie nie ei- ne Stunde zufrieden und ruhig. Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie zur Kirche, und wurden da ſehr von dem Eifer geruͤhrt, mit welchem der Pfarrer uͤber die Geſchichte des Ver- raͤthers redete. §. 48. Etwas von der Suͤnde. Gertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei- berſtuͤhlen allgemein war, des Vogts Haus ſey ſchon wieder voll von ſeinen Lumpen, auch gehoͤrt, und ſagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die- ſer antwortete: Ich kann’s doch faſt nicht glau- ben —

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/261>, abgerufen am 28.03.2024.