Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Hülf und Rettung will er entweder erheucheln und
erliegen, oder erzwingen und erstehlen. Er traut
auf seinen verwirrten wilden Sinn. Er stößt die
Hand des Vaters, die sich gegen ihn ausstreckt,
von sich; und wenn dieser ihm zuruft: Beug dich,
mein Kind! -- ich, dein Vater, ich bin der da
züchtigt, und bin der da hilft, ich, dein Vater --
so verspottet er die Stimme des Retters und sagt:
Da mit meiner Hand und mit meinem Kopf will
ich mir helfen, wie ich will.

Darum ist des Gottlosen Ende immer so tiefer
Jammer und so tiefes Elend.


§. 61.
Der alte Mann leert sein Herz aus.

Ich bin jung gewesen und alt worden, und ich habe
mich viel und oft umgesehn, wie es dem Frommen
und dem Gottlosen auch gehe. -- Ich habe die Kna-
ben meines Dorfs mit mir aufwachsen gesehn --
Ich sah sie Männer werden -- Kinder und Kinds-
kinder zeugen; und nun hab ich die von meinem
Alter alle bis auf Sieben zum Grabe begleitet --
Gott! du weißst meine Stunde, wenn ich meinen
Brüdern folgen soll -- Meine Kräfte nehmen ab;

aber

Huͤlf und Rettung will er entweder erheucheln und
erliegen, oder erzwingen und erſtehlen. Er traut
auf ſeinen verwirrten wilden Sinn. Er ſtoͤßt die
Hand des Vaters, die ſich gegen ihn ausſtreckt,
von ſich; und wenn dieſer ihm zuruft: Beug dich,
mein Kind! — ich, dein Vater, ich bin der da
zuͤchtigt, und bin der da hilft, ich, dein Vater —
ſo verſpottet er die Stimme des Retters und ſagt:
Da mit meiner Hand und mit meinem Kopf will
ich mir helfen, wie ich will.

Darum iſt des Gottloſen Ende immer ſo tiefer
Jammer und ſo tiefes Elend.


§. 61.
Der alte Mann leert ſein Herz aus.

Ich bin jung geweſen und alt worden, und ich habe
mich viel und oft umgeſehn, wie es dem Frommen
und dem Gottloſen auch gehe. — Ich habe die Kna-
ben meines Dorfs mit mir aufwachſen geſehn —
Ich ſah ſie Maͤnner werden — Kinder und Kinds-
kinder zeugen; und nun hab ich die von meinem
Alter alle bis auf Sieben zum Grabe begleitet —
Gott! du weißſt meine Stunde, wenn ich meinen
Bruͤdern folgen ſoll — Meine Kraͤfte nehmen ab;

aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0293" n="268"/>
Hu&#x0364;lf und Rettung will er entweder erheucheln und<lb/>
erliegen, oder erzwingen und er&#x017F;tehlen. Er traut<lb/>
auf &#x017F;einen verwirrten wilden Sinn. Er &#x017F;to&#x0364;ßt die<lb/>
Hand des Vaters, die &#x017F;ich gegen ihn aus&#x017F;treckt,<lb/>
von &#x017F;ich; und wenn die&#x017F;er ihm zuruft: Beug dich,<lb/>
mein Kind! &#x2014; ich, dein Vater, ich bin der da<lb/>
zu&#x0364;chtigt, und bin der da hilft, ich, dein Vater &#x2014;<lb/>
&#x017F;o ver&#x017F;pottet er die Stimme des Retters und &#x017F;agt:<lb/>
Da mit meiner Hand und mit meinem Kopf will<lb/>
ich mir helfen, wie ich will.</p><lb/>
          <p>Darum i&#x017F;t des Gottlo&#x017F;en Ende immer &#x017F;o tiefer<lb/>
Jammer und &#x017F;o tiefes Elend.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>§. 61.<lb/><hi rendition="#b">Der alte Mann leert &#x017F;ein Herz aus.</hi></head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch bin jung gewe&#x017F;en und alt worden, und ich habe<lb/>
mich viel und oft umge&#x017F;ehn, wie es dem Frommen<lb/>
und dem Gottlo&#x017F;en auch gehe. &#x2014; Ich habe die Kna-<lb/>
ben meines Dorfs mit mir aufwach&#x017F;en ge&#x017F;ehn &#x2014;<lb/>
Ich &#x017F;ah &#x017F;ie Ma&#x0364;nner werden &#x2014; Kinder und Kinds-<lb/>
kinder zeugen; und nun hab ich die von meinem<lb/>
Alter alle bis auf Sieben zum Grabe begleitet &#x2014;<lb/>
Gott! du weiß&#x017F;t meine Stunde, wenn ich meinen<lb/>
Bru&#x0364;dern folgen &#x017F;oll &#x2014; Meine Kra&#x0364;fte nehmen ab;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aber</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0293] Huͤlf und Rettung will er entweder erheucheln und erliegen, oder erzwingen und erſtehlen. Er traut auf ſeinen verwirrten wilden Sinn. Er ſtoͤßt die Hand des Vaters, die ſich gegen ihn ausſtreckt, von ſich; und wenn dieſer ihm zuruft: Beug dich, mein Kind! — ich, dein Vater, ich bin der da zuͤchtigt, und bin der da hilft, ich, dein Vater — ſo verſpottet er die Stimme des Retters und ſagt: Da mit meiner Hand und mit meinem Kopf will ich mir helfen, wie ich will. Darum iſt des Gottloſen Ende immer ſo tiefer Jammer und ſo tiefes Elend. §. 61. Der alte Mann leert ſein Herz aus. Ich bin jung geweſen und alt worden, und ich habe mich viel und oft umgeſehn, wie es dem Frommen und dem Gottloſen auch gehe. — Ich habe die Kna- ben meines Dorfs mit mir aufwachſen geſehn — Ich ſah ſie Maͤnner werden — Kinder und Kinds- kinder zeugen; und nun hab ich die von meinem Alter alle bis auf Sieben zum Grabe begleitet — Gott! du weißſt meine Stunde, wenn ich meinen Bruͤdern folgen ſoll — Meine Kraͤfte nehmen ab; aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/293
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/293>, abgerufen am 29.03.2024.