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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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§. 66.
Ein Förster, der keine Gespenster glaubt.

Der Vogt hatte auf dem Rückweg von Arnheim
im Hirzauer Wirthshaus eingekehrt; da trank
und prahlte er unter den Bauern. Er erzählte
ihnen von seinen gewonnenen Händeln; von sei-
ner Gewalt unter dem verstorbenen Arner; wie er
unter ihm, und zwar er allein, alles Volk in Ord-
nung gehalten habe; und wie es jezt allenthalben eine
Lumpenordnung sey. Dann gab er seinem Hund
das Ordinari, was ein wohlhabender Handwerks-
pursch, ohne den Wein, zu Mittag hat; spöttelte
über einen armen Mann, dem ein Seufzer ent-
fuhr, als er die gute Suppe und das liebe Brod
dem Hund darstellen sah. Gelt, du würdest auch
so vorlieb nehmen, spricht er zum Armen -- streichelt
den Hund, und prahlt und säuft und pocht so
unter den Bauern bis auf den Abend.

Da kam der alte Förster vom Schloß, und
nahm im Vorbeygehn auch ein Glas Wein; und
der Vogt, der keinen Augenblick gern allein ist,
sagt zu ihm: Wir gehn mit einander heim.

Wenn du gleich kommst, antwortete der För-
ster; ich muß einer Spur nach.

Den

§. 66.
Ein Foͤrſter, der keine Geſpenſter glaubt.

Der Vogt hatte auf dem Ruͤckweg von Arnheim
im Hirzauer Wirthshaus eingekehrt; da trank
und prahlte er unter den Bauern. Er erzaͤhlte
ihnen von ſeinen gewonnenen Haͤndeln; von ſei-
ner Gewalt unter dem verſtorbenen Arner; wie er
unter ihm, und zwar er allein, alles Volk in Ord-
nung gehalten habe; und wie es jezt allenthalben eine
Lumpenordnung ſey. Dann gab er ſeinem Hund
das Ordinari, was ein wohlhabender Handwerks-
purſch, ohne den Wein, zu Mittag hat; ſpoͤttelte
uͤber einen armen Mann, dem ein Seufzer ent-
fuhr, als er die gute Suppe und das liebe Brod
dem Hund darſtellen ſah. Gelt, du wuͤrdeſt auch
ſo vorlieb nehmen, ſpricht er zum Armen — ſtreichelt
den Hund, und prahlt und ſaͤuft und pocht ſo
unter den Bauern bis auf den Abend.

Da kam der alte Foͤrſter vom Schloß, und
nahm im Vorbeygehn auch ein Glas Wein; und
der Vogt, der keinen Augenblick gern allein iſt,
ſagt zu ihm: Wir gehn mit einander heim.

Wenn du gleich kommſt, antwortete der Foͤr-
ſter; ich muß einer Spur nach.

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[282/0307] §. 66. Ein Foͤrſter, der keine Geſpenſter glaubt. Der Vogt hatte auf dem Ruͤckweg von Arnheim im Hirzauer Wirthshaus eingekehrt; da trank und prahlte er unter den Bauern. Er erzaͤhlte ihnen von ſeinen gewonnenen Haͤndeln; von ſei- ner Gewalt unter dem verſtorbenen Arner; wie er unter ihm, und zwar er allein, alles Volk in Ord- nung gehalten habe; und wie es jezt allenthalben eine Lumpenordnung ſey. Dann gab er ſeinem Hund das Ordinari, was ein wohlhabender Handwerks- purſch, ohne den Wein, zu Mittag hat; ſpoͤttelte uͤber einen armen Mann, dem ein Seufzer ent- fuhr, als er die gute Suppe und das liebe Brod dem Hund darſtellen ſah. Gelt, du wuͤrdeſt auch ſo vorlieb nehmen, ſpricht er zum Armen — ſtreichelt den Hund, und prahlt und ſaͤuft und pocht ſo unter den Bauern bis auf den Abend. Da kam der alte Foͤrſter vom Schloß, und nahm im Vorbeygehn auch ein Glas Wein; und der Vogt, der keinen Augenblick gern allein iſt, ſagt zu ihm: Wir gehn mit einander heim. Wenn du gleich kommſt, antwortete der Foͤr- ſter; ich muß einer Spur nach. Den

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/307>, abgerufen am 28.03.2024.