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Poersch, Bruno: Woran krankt die deutsche Gewerkschaftsbewegung? Berlin, 1897.

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welche für die Einführung der Arbeitslosen-Unterstützung ein¬
treten, thun dann auch dieses nicht aus Gründen der Humanität,
also aus Prinzip, sondern lediglich aus Gründen der Taktik,
der Kriegsführung, um dasjenige zu erreichen, was bisher
nicht möglich gewesen ist. -- So auch ich. -- Ich glaube,
daß die Einführung der Arbeitslosen-Unterstützung in die Ge¬
werkschaftsorganisationen vor allem folgende Umstände be¬
dingen muß:

1. Der Mitgliederbestand der Organisationen wird
bedeutend wachsen.
2. Der Mitgliederbestand wird erheblich an Sta¬
bilität zunehmen.
3. Die Kassenbestände werden sich vergrößern.

Schon diese Umstände müssen, wenn sie zutreffend sind,
eine bedeutende Verbesserung der Chancen der gewerkschaftlichen
Kämpfe zur Folge haben.

4. Die Organisationen können die erzielten Er¬
rungenschaften auch auf die Dauer festhalten
und sind im Stande, auch ohne Streiks, in¬
direkt einen Einfluß auf den Arbeitsmarkt,
resp. auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen
auszuüben
.

Die jetzt folgenden Ausführungen sollen die aufgestellten
Thesen beweisen.

Nach einer im Jahre 1894 vom "Correspondent" veröffent¬
lichten Statistik -- neue Zahlen stehen mir nicht zur Verfügung,
doch hat dieses wenig zu sagen, da gegenwärtig die Verhältnisse
genau so oder doch ähnlich liegen -- waren in folgenden Bran¬
chen, deren gewerkschaftliche Vereinigungen die Arbeitslosen-
Unterstützung eingeführt
hatten, folgender Prozentsatz der
Berufsgenossen organisirt: Buchdrucker 50 pCt., Handschuh¬
macher 74 pCt., Bildhauer 56 pCt., Kupferschmiede 35 pCt.,
Porzellanarbeiter 25 pCt. und Zigarrensortirer 24 pCt. In den
Berufen, deren Organisationen keine Arbeitslosen-Unterstützung
zahlten, stellt sich dagegen das Verhältniß wie folgt: Tabak¬
arbeiter 11 pCt., Maurer 3 pCt., Metallarbeiter 8 pCt., Holz¬
arbeiter 2 pCt., Zimmerer 5 pCt. u. s. w. Wenn man diese
Zahlen näher betrachtet, muß sich doch jedem die Ueberzeugung
aufdrängen, daß die Arbeitslosen-Unterstützung eine gewaltige
Rolle bei der Stärke der Organisation mitspielt, -- Jene An¬
nahme, daß die Buchdrucker nur deshalb stärker organisirt
wären, weil ihr Beruf eine bessere Bildung erfordere, als die
der anderen Branchen, ist irrthümlich. Die bessere Bildung
kann nur eine ganz untergeordnete Rolle mitspielen, sonst
könnten die Handschuhmacher, Kupferschmiede etc. nicht stärker
organisirt sein als die Metallarbeiter, da diese Berufe in betreff
der erforderlichen Bildung auf ein und derselben Stufe stehen.
-- Man frage ferner nur die Leiter jener Organisationen, welche
Arbeitslosen-Unterstützung gewähren, weshalb sie besser organi¬
sirt sind, so wird man stets die Antwort erhalten, daß es das
Unterstützungswesen und vor allem die Arbeitslosen-Unterstützung
sei, durch die man die meisten Mitglieder gewonnen hat.

welche für die Einführung der Arbeitsloſen-Unterſtützung ein¬
treten, thun dann auch dieſes nicht aus Gründen der Humanität,
alſo aus Prinzip, ſondern lediglich aus Gründen der Taktik,
der Kriegsführung, um dasjenige zu erreichen, was bisher
nicht möglich geweſen iſt. — So auch ich. — Ich glaube,
daß die Einführung der Arbeitsloſen-Unterſtützung in die Ge¬
werkſchaftsorganiſationen vor allem folgende Umſtände be¬
dingen muß:

1. Der Mitgliederbeſtand der Organiſationen wird
bedeutend wachſen.
2. Der Mitgliederbeſtand wird erheblich an Sta¬
bilität zunehmen.
3. Die Kaſſenbeſtände werden ſich vergrößern.

Schon dieſe Umſtände müſſen, wenn ſie zutreffend ſind,
eine bedeutende Verbeſſerung der Chancen der gewerkſchaftlichen
Kämpfe zur Folge haben.

4. Die Organiſationen können die erzielten Er¬
rungenſchaften auch auf die Dauer feſthalten
und ſind im Stande, auch ohne Streiks, in¬
direkt einen Einfluß auf den Arbeitsmarkt,
reſp. auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen
auszuüben
.

Die jetzt folgenden Ausführungen ſollen die aufgeſtellten
Theſen beweiſen.

Nach einer im Jahre 1894 vom „Correſpondent“ veröffent¬
lichten Statiſtik — neue Zahlen ſtehen mir nicht zur Verfügung,
doch hat dieſes wenig zu ſagen, da gegenwärtig die Verhältniſſe
genau ſo oder doch ähnlich liegen — waren in folgenden Bran¬
chen, deren gewerkſchaftliche Vereinigungen die Arbeitsloſen-
Unterſtützung eingeführt
hatten, folgender Prozentſatz der
Berufsgenoſſen organiſirt: Buchdrucker 50 pCt., Handſchuh¬
macher 74 pCt., Bildhauer 56 pCt., Kupferſchmiede 35 pCt.,
Porzellanarbeiter 25 pCt. und Zigarrenſortirer 24 pCt. In den
Berufen, deren Organiſationen keine Arbeitsloſen-Unterſtützung
zahlten, ſtellt ſich dagegen das Verhältniß wie folgt: Tabak¬
arbeiter 11 pCt., Maurer 3 pCt., Metallarbeiter 8 pCt., Holz¬
arbeiter 2 pCt., Zimmerer 5 pCt. u. ſ. w. Wenn man dieſe
Zahlen näher betrachtet, muß ſich doch jedem die Ueberzeugung
aufdrängen, daß die Arbeitsloſen-Unterſtützung eine gewaltige
Rolle bei der Stärke der Organiſation mitſpielt, — Jene An¬
nahme, daß die Buchdrucker nur deshalb ſtärker organiſirt
wären, weil ihr Beruf eine beſſere Bildung erfordere, als die
der anderen Branchen, iſt irrthümlich. Die beſſere Bildung
kann nur eine ganz untergeordnete Rolle mitſpielen, ſonſt
könnten die Handſchuhmacher, Kupferſchmiede ꝛc. nicht ſtärker
organiſirt ſein als die Metallarbeiter, da dieſe Berufe in betreff
der erforderlichen Bildung auf ein und derſelben Stufe ſtehen.
— Man frage ferner nur die Leiter jener Organiſationen, welche
Arbeitsloſen-Unterſtützung gewähren, weshalb ſie beſſer organi¬
ſirt ſind, ſo wird man ſtets die Antwort erhalten, daß es das
Unterſtützungsweſen und vor allem die Arbeitsloſen-Unterſtützung
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Zitationshilfe: Poersch, Bruno: Woran krankt die deutsche Gewerkschaftsbewegung? Berlin, 1897, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poersch_gewerkschaftsbewegung_1897/23>, abgerufen am 19.04.2024.