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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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maauster dergestalt an, daß, wenn man sie nachher
aufmacht, nichts wie ein wenig schlammiges Wasser
in ihr gefunden wird, und gleich nachdem die Klei-
nen abgefallen sind, gräbt sie sich 6 -- 7 Zoll unter
den Schlamm ein. Hier bringt sie ein ganzes Jahr
zu, ehe sie sich genug erholt hat, um von neuem ans
Zeugen zu denken. Deshalb kann man in dieser Zeit
die Jungen bequem fischen, ohne den Alten zu nahe
zu kommen, die ruhig in der Tiefe schlafen oder
träumen! Das Fischen der Austern geschieht vermöge
eines Instruments, denen ähnlich, mit welchen man
Schlamm aus den Flüßen heraufbringt, und beim
Säen werden sie in ein Segeltuch geworfen, und,
wie schon gesagt, wie Getreide ausgesäet. Sehr alte
Mütter werden endlich unfruchtbar, indem ihre
Schale eine solche Dicke erreicht, daß Liebe nicht
mehr durchdringen kann -- grade wie die Menschen-
Herzen.



Nachmittag fuhren wir hierher zurück, nach eini-
gen, recht lustig, wiewohl nicht eben geistig, verleb-
ten Tagen. Um meine intellektuellen Kräfte nicht
ganz einschlafen zu lassen, will ich mich bemühen,
Dir ein Volksmährchen genießbar zu machen, das
mir eine alte Frau in Holy Croß erzählt hat.

maauſter dergeſtalt an, daß, wenn man ſie nachher
aufmacht, nichts wie ein wenig ſchlammiges Waſſer
in ihr gefunden wird, und gleich nachdem die Klei-
nen abgefallen ſind, gräbt ſie ſich 6 — 7 Zoll unter
den Schlamm ein. Hier bringt ſie ein ganzes Jahr
zu, ehe ſie ſich genug erholt hat, um von neuem ans
Zeugen zu denken. Deshalb kann man in dieſer Zeit
die Jungen bequem fiſchen, ohne den Alten zu nahe
zu kommen, die ruhig in der Tiefe ſchlafen oder
träumen! Das Fiſchen der Auſtern geſchieht vermöge
eines Inſtruments, denen ähnlich, mit welchen man
Schlamm aus den Flüßen heraufbringt, und beim
Säen werden ſie in ein Segeltuch geworfen, und,
wie ſchon geſagt, wie Getreide ausgeſäet. Sehr alte
Mütter werden endlich unfruchtbar, indem ihre
Schale eine ſolche Dicke erreicht, daß Liebe nicht
mehr durchdringen kann — grade wie die Menſchen-
Herzen.



Nachmittag fuhren wir hierher zurück, nach eini-
gen, recht luſtig, wiewohl nicht eben geiſtig, verleb-
ten Tagen. Um meine intellektuellen Kräfte nicht
ganz einſchlafen zu laſſen, will ich mich bemühen,
Dir ein Volksmährchen genießbar zu machen, das
mir eine alte Frau in Holy Croß erzählt hat.

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[123/0145] maauſter dergeſtalt an, daß, wenn man ſie nachher aufmacht, nichts wie ein wenig ſchlammiges Waſſer in ihr gefunden wird, und gleich nachdem die Klei- nen abgefallen ſind, gräbt ſie ſich 6 — 7 Zoll unter den Schlamm ein. Hier bringt ſie ein ganzes Jahr zu, ehe ſie ſich genug erholt hat, um von neuem ans Zeugen zu denken. Deshalb kann man in dieſer Zeit die Jungen bequem fiſchen, ohne den Alten zu nahe zu kommen, die ruhig in der Tiefe ſchlafen oder träumen! Das Fiſchen der Auſtern geſchieht vermöge eines Inſtruments, denen ähnlich, mit welchen man Schlamm aus den Flüßen heraufbringt, und beim Säen werden ſie in ein Segeltuch geworfen, und, wie ſchon geſagt, wie Getreide ausgeſäet. Sehr alte Mütter werden endlich unfruchtbar, indem ihre Schale eine ſolche Dicke erreicht, daß Liebe nicht mehr durchdringen kann — grade wie die Menſchen- Herzen. Caſhel den 20ſten. Nachmittag fuhren wir hierher zurück, nach eini- gen, recht luſtig, wiewohl nicht eben geiſtig, verleb- ten Tagen. Um meine intellektuellen Kräfte nicht ganz einſchlafen zu laſſen, will ich mich bemühen, Dir ein Volksmährchen genießbar zu machen, das mir eine alte Frau in Holy Croß erzählt hat.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/145>, abgerufen am 24.04.2024.