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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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vernahm, daß sie eine Putzmacherin sey, und zur
Christmaß sich bei ihren Aeltern etwas über die Zeit
verspätet, aber gleich auf die Durchfahrt der Mail
gerechnet habe. Die Unterhaltung war jedenfalls an-
genehmer als neulich mit der siebenzigjährigen Pu-
ritanerin, so daß ich die Zeit sehr kurz vergangen
fand, als wir um Mitternacht die Stadt erreichten,
wo ich ein gutes Soupe, dann aber nur ein rauchen-
des und kaltes Schlafzimmer zur Nachtruhe erhielt.



Schon früh am Morgen weckte mich das eintönige
Geplätscher eines sanften Landregens, so daß ich noch
immer (es ist bereits Mittag) lesend beim Frühstück
sitze. Ein gutes Buch ist doch eine wahre Elektrisir-
maschine! die eignen Gedanken sprühen dabei auch
manchmal wie ein Feuerwerk; sie verlöschen aber ge-
wöhnlich eben so schnell, denn wollte man die Funken
gleich mit Feder und Tinte fixiren, so hörte der Ge-
nuß auf, und, wie beim Traume, wäre es nachher
der Mühe doch vielleicht nicht werth. Das Buch, von
dem ich mich heute magnetisiren ließ, ist eine sehr in-
genieuse, und admirabel zum Selbstunterricht einge-
richtete, fortlaufende Verbindung von Geschichte,
Geographie und Astronomie, in ihren Grundzügen.
Diese kleinen Encyclopädieen sind eine große Be-
quemlichkeit unsrer Zeit. Freilich kömmt wahrer

vernahm, daß ſie eine Putzmacherin ſey, und zur
Chriſtmaß ſich bei ihren Aeltern etwas über die Zeit
verſpätet, aber gleich auf die Durchfahrt der Mail
gerechnet habe. Die Unterhaltung war jedenfalls an-
genehmer als neulich mit der ſiebenzigjährigen Pu-
ritanerin, ſo daß ich die Zeit ſehr kurz vergangen
fand, als wir um Mitternacht die Stadt erreichten,
wo ich ein gutes Soupé, dann aber nur ein rauchen-
des und kaltes Schlafzimmer zur Nachtruhe erhielt.



Schon früh am Morgen weckte mich das eintönige
Geplätſcher eines ſanften Landregens, ſo daß ich noch
immer (es iſt bereits Mittag) leſend beim Frühſtück
ſitze. Ein gutes Buch iſt doch eine wahre Elektriſir-
maſchine! die eignen Gedanken ſprühen dabei auch
manchmal wie ein Feuerwerk; ſie verlöſchen aber ge-
wöhnlich eben ſo ſchnell, denn wollte man die Funken
gleich mit Feder und Tinte fixiren, ſo hörte der Ge-
nuß auf, und, wie beim Traume, wäre es nachher
der Mühe doch vielleicht nicht werth. Das Buch, von
dem ich mich heute magnetiſiren ließ, iſt eine ſehr in-
genieuſe, und admirabel zum Selbſtunterricht einge-
richtete, fortlaufende Verbindung von Geſchichte,
Geographie und Aſtronomie, in ihren Grundzügen.
Dieſe kleinen Encyclopädieen ſind eine große Be-
quemlichkeit unſrer Zeit. Freilich kömmt wahrer

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[288/0310] vernahm, daß ſie eine Putzmacherin ſey, und zur Chriſtmaß ſich bei ihren Aeltern etwas über die Zeit verſpätet, aber gleich auf die Durchfahrt der Mail gerechnet habe. Die Unterhaltung war jedenfalls an- genehmer als neulich mit der ſiebenzigjährigen Pu- ritanerin, ſo daß ich die Zeit ſehr kurz vergangen fand, als wir um Mitternacht die Stadt erreichten, wo ich ein gutes Soupé, dann aber nur ein rauchen- des und kaltes Schlafzimmer zur Nachtruhe erhielt. Den 28ſten. Schon früh am Morgen weckte mich das eintönige Geplätſcher eines ſanften Landregens, ſo daß ich noch immer (es iſt bereits Mittag) leſend beim Frühſtück ſitze. Ein gutes Buch iſt doch eine wahre Elektriſir- maſchine! die eignen Gedanken ſprühen dabei auch manchmal wie ein Feuerwerk; ſie verlöſchen aber ge- wöhnlich eben ſo ſchnell, denn wollte man die Funken gleich mit Feder und Tinte fixiren, ſo hörte der Ge- nuß auf, und, wie beim Traume, wäre es nachher der Mühe doch vielleicht nicht werth. Das Buch, von dem ich mich heute magnetiſiren ließ, iſt eine ſehr in- genieuſe, und admirabel zum Selbſtunterricht einge- richtete, fortlaufende Verbindung von Geſchichte, Geographie und Aſtronomie, in ihren Grundzügen. Dieſe kleinen Encyclopädieen ſind eine große Be- quemlichkeit unſrer Zeit. Freilich kömmt wahrer

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/310>, abgerufen am 24.04.2024.