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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Canning ist todt! Ein Mann in der Fülle der
geistigen Kraft, seit wenigen Wochen erst am Ziel
seines thätigen Lebens angelangt, endlich der Regie-
rer Englands und dadurch ohne Zweifel der einfluß-
reichste Mann in Europa, mit einem Feuergeiste be-
gabt, der diese Zügel mit mächtiger Hand zu führen
wußte, und einer Seele, die das Wohl der Mensch-
heit von einem noch höhern Standpunkte zu umfas-
sen fähig war. -- Ein Schlag hat dieses stolze Ge-
bäude vieler Jahre zertrümmert, und enden mußte
der kühne Mann, wie ein Verbrecher -- plötzlich,
tragisch, unter den fürchterlichsten Leiden, das Opfer
einer unbarmherzigen Natur, die mit eisernem Fuße
fort und fort niedertritt, was in ihren Weg kömmt,
unbekümmert, ob sie die junge Saat, die schwellende
Blüthe, den königlichen Baum, oder die schon hin-
sterbende Pflanze zerknickt.

Was werden die Folgen dieses Todes seyn? In
Jahren werden sie erst klar werden, und vielleicht
eine Auflösung beschleunigen, die uns in vielen Din-
gen droht, und der nur ein großartiger, aufgeklär-
ter Staatsmann, wie Canning es war, Einheit und
günstige Richtung zu geben im Stande seyn möchte.
Vielleicht wird grade die Parthei, die jetzt so unan-
ständig und gefühllos über seinen frühen Tod trium-
phirt, durch diesen Tod die erste ernstlich gefährdete
werden, denn nicht mit Unrecht hat Lord Chester-
field vor langer Zeit mit prophetischem Sinne ge-
sagt: Je prevois que dans cent ans d'ici les me-


Canning iſt todt! Ein Mann in der Fülle der
geiſtigen Kraft, ſeit wenigen Wochen erſt am Ziel
ſeines thätigen Lebens angelangt, endlich der Regie-
rer Englands und dadurch ohne Zweifel der einfluß-
reichſte Mann in Europa, mit einem Feuergeiſte be-
gabt, der dieſe Zügel mit mächtiger Hand zu führen
wußte, und einer Seele, die das Wohl der Menſch-
heit von einem noch höhern Standpunkte zu umfaſ-
ſen fähig war. — Ein Schlag hat dieſes ſtolze Ge-
bäude vieler Jahre zertrümmert, und enden mußte
der kühne Mann, wie ein Verbrecher — plötzlich,
tragiſch, unter den fürchterlichſten Leiden, das Opfer
einer unbarmherzigen Natur, die mit eiſernem Fuße
fort und fort niedertritt, was in ihren Weg kömmt,
unbekümmert, ob ſie die junge Saat, die ſchwellende
Blüthe, den königlichen Baum, oder die ſchon hin-
ſterbende Pflanze zerknickt.

Was werden die Folgen dieſes Todes ſeyn? In
Jahren werden ſie erſt klar werden, und vielleicht
eine Auflöſung beſchleunigen, die uns in vielen Din-
gen droht, und der nur ein großartiger, aufgeklär-
ter Staatsmann, wie Canning es war, Einheit und
günſtige Richtung zu geben im Stande ſeyn möchte.
Vielleicht wird grade die Parthei, die jetzt ſo unan-
ſtändig und gefühllos über ſeinen frühen Tod trium-
phirt, durch dieſen Tod die erſte ernſtlich gefährdete
werden, denn nicht mit Unrecht hat Lord Cheſter-
field vor langer Zeit mit prophetiſchem Sinne ge-
ſagt: Je prevois que dans cent ans d’ici les me-

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[127/0143] Den 8ten. Canning iſt todt! Ein Mann in der Fülle der geiſtigen Kraft, ſeit wenigen Wochen erſt am Ziel ſeines thätigen Lebens angelangt, endlich der Regie- rer Englands und dadurch ohne Zweifel der einfluß- reichſte Mann in Europa, mit einem Feuergeiſte be- gabt, der dieſe Zügel mit mächtiger Hand zu führen wußte, und einer Seele, die das Wohl der Menſch- heit von einem noch höhern Standpunkte zu umfaſ- ſen fähig war. — Ein Schlag hat dieſes ſtolze Ge- bäude vieler Jahre zertrümmert, und enden mußte der kühne Mann, wie ein Verbrecher — plötzlich, tragiſch, unter den fürchterlichſten Leiden, das Opfer einer unbarmherzigen Natur, die mit eiſernem Fuße fort und fort niedertritt, was in ihren Weg kömmt, unbekümmert, ob ſie die junge Saat, die ſchwellende Blüthe, den königlichen Baum, oder die ſchon hin- ſterbende Pflanze zerknickt. Was werden die Folgen dieſes Todes ſeyn? In Jahren werden ſie erſt klar werden, und vielleicht eine Auflöſung beſchleunigen, die uns in vielen Din- gen droht, und der nur ein großartiger, aufgeklär- ter Staatsmann, wie Canning es war, Einheit und günſtige Richtung zu geben im Stande ſeyn möchte. Vielleicht wird grade die Parthei, die jetzt ſo unan- ſtändig und gefühllos über ſeinen frühen Tod trium- phirt, durch dieſen Tod die erſte ernſtlich gefährdete werden, denn nicht mit Unrecht hat Lord Cheſter- field vor langer Zeit mit prophetiſchem Sinne ge- ſagt: Je prevois que dans cent ans d’ici les me-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/143>, abgerufen am 19.04.2024.