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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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22. §.

Um sich bey den Zuhörern gefällig zu machen, giebt es einen großen Vortheil, wenn man die Gemüthsneigungen derselben kennet. Ein cholerischer Mensch kann mit prächtigen und ernsthaften Stücken, ein zur Traurigkeit geneigter mit tiefsinnigen, chromatischen und aus Molltönen gesetzeten Stücken, ein lustiger, aufgeweckter Mensch aber, mit lustigen und scherzhaften Stücken, befriediget werden. Beobachtet nun ein Musikus dieses nicht, woferne er kann; oder thut er wohl gar das Gegentheil: so wird er bey keinem Zuhörer von dieser Art seinen Entzweck vollkommen erreichen.

23. §.

Diese Regel der Klugheit wird gemeiniglich von denen, die man wirklich vor gelehrte und geschikte Tonkünstler erkennen muß, am allerwenigsten beobachtet. Anstatt daß sie sich zu erst, durch gefällige und begreifliche Stücke, bey ihren Zuhörern einschmeicheln sollten; schrecken sie dieselben vielmehr, aus Eigensinn, gleich Anfangs, mit ihrer Gelehrsamkeit, so nur für die Kenner gehöret, ab: womit sie doch öfters nichts mehr, als den Namen eines gelehrten Pedanten davon tragen. Wollten sie sich aber auf eine billige Art bequemen: so würde ihnen mehr Gerechtigkeit, als insgemein geschieht, wiederfahren.

24. §.

Wegen der Auszierungen im Adagio, muß sich der Flötenist, außer dem was oben gesaget worden, auch nach den Stücken, ob solche zwey- drey- oder mehrstimmig gesetzet sind, richten. Bey einem Trio lassen sich wenig Manieren anbringen. Der zweyten Stimme muß die Gelegenheit nicht benommen werden, das Ihrige gleichfalls zumachen. Die Manieren müssen von solcher Art seyn, daß sie sich sowohl zur Suche selbst schicken, als auch von dem Ausführer der andern Stimme können nachgemachet werden. Man muß sie nur bey solchen Gängen anbringen, die aus Nachahmungen bestehen, es sey in der Quinte höher, in der Quarte tiefer, oder aus eben demselben Tone. Haben beyde Stimmen, in Sexten oder Terzen, einerley Melodie gegen einander: so darf nichts zugesezet werden; es sey denn, daß man vorher mit einander abgeredet hatte, einerley Veränderungen zu machen. Mit dem Piano und Forte muß sich immer einer nach dem andern richten; damit das Ab- und Zunehmen des Tones zu gleicher Zeit geschehe. Hat aber einer von beyden dann und wann eine Mittelstimme, so daß die Noten hauptsächlich gesezet sind um

22. §.

Um sich bey den Zuhörern gefällig zu machen, giebt es einen großen Vortheil, wenn man die Gemüthsneigungen derselben kennet. Ein cholerischer Mensch kann mit prächtigen und ernsthaften Stücken, ein zur Traurigkeit geneigter mit tiefsinnigen, chromatischen und aus Molltönen gesetzeten Stücken, ein lustiger, aufgeweckter Mensch aber, mit lustigen und scherzhaften Stücken, befriediget werden. Beobachtet nun ein Musikus dieses nicht, woferne er kann; oder thut er wohl gar das Gegentheil: so wird er bey keinem Zuhörer von dieser Art seinen Entzweck vollkommen erreichen.

23. §.

Diese Regel der Klugheit wird gemeiniglich von denen, die man wirklich vor gelehrte und geschikte Tonkünstler erkennen muß, am allerwenigsten beobachtet. Anstatt daß sie sich zu erst, durch gefällige und begreifliche Stücke, bey ihren Zuhörern einschmeicheln sollten; schrecken sie dieselben vielmehr, aus Eigensinn, gleich Anfangs, mit ihrer Gelehrsamkeit, so nur für die Kenner gehöret, ab: womit sie doch öfters nichts mehr, als den Namen eines gelehrten Pedanten davon tragen. Wollten sie sich aber auf eine billige Art bequemen: so würde ihnen mehr Gerechtigkeit, als insgemein geschieht, wiederfahren.

24. §.

Wegen der Auszierungen im Adagio, muß sich der Flötenist, außer dem was oben gesaget worden, auch nach den Stücken, ob solche zwey- drey- oder mehrstimmig gesetzet sind, richten. Bey einem Trio lassen sich wenig Manieren anbringen. Der zweyten Stimme muß die Gelegenheit nicht benommen werden, das Ihrige gleichfalls zumachen. Die Manieren müssen von solcher Art seyn, daß sie sich sowohl zur Suche selbst schicken, als auch von dem Ausführer der andern Stimme können nachgemachet werden. Man muß sie nur bey solchen Gängen anbringen, die aus Nachahmungen bestehen, es sey in der Quinte höher, in der Quarte tiefer, oder aus eben demselben Tone. Haben beyde Stimmen, in Sexten oder Terzen, einerley Melodie gegen einander: so darf nichts zugesezet werden; es sey denn, daß man vorher mit einander abgeredet hatte, einerley Veränderungen zu machen. Mit dem Piano und Forte muß sich immer einer nach dem andern richten; damit das Ab- und Zunehmen des Tones zu gleicher Zeit geschehe. Hat aber einer von beyden dann und wann eine Mittelstimme, so daß die Noten hauptsächlich gesezet sind um

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[171/0185] 22. §. Um sich bey den Zuhörern gefällig zu machen, giebt es einen großen Vortheil, wenn man die Gemüthsneigungen derselben kennet. Ein cholerischer Mensch kann mit prächtigen und ernsthaften Stücken, ein zur Traurigkeit geneigter mit tiefsinnigen, chromatischen und aus Molltönen gesetzeten Stücken, ein lustiger, aufgeweckter Mensch aber, mit lustigen und scherzhaften Stücken, befriediget werden. Beobachtet nun ein Musikus dieses nicht, woferne er kann; oder thut er wohl gar das Gegentheil: so wird er bey keinem Zuhörer von dieser Art seinen Entzweck vollkommen erreichen. 23. §. Diese Regel der Klugheit wird gemeiniglich von denen, die man wirklich vor gelehrte und geschikte Tonkünstler erkennen muß, am allerwenigsten beobachtet. Anstatt daß sie sich zu erst, durch gefällige und begreifliche Stücke, bey ihren Zuhörern einschmeicheln sollten; schrecken sie dieselben vielmehr, aus Eigensinn, gleich Anfangs, mit ihrer Gelehrsamkeit, so nur für die Kenner gehöret, ab: womit sie doch öfters nichts mehr, als den Namen eines gelehrten Pedanten davon tragen. Wollten sie sich aber auf eine billige Art bequemen: so würde ihnen mehr Gerechtigkeit, als insgemein geschieht, wiederfahren. 24. §. Wegen der Auszierungen im Adagio, muß sich der Flötenist, außer dem was oben gesaget worden, auch nach den Stücken, ob solche zwey- drey- oder mehrstimmig gesetzet sind, richten. Bey einem Trio lassen sich wenig Manieren anbringen. Der zweyten Stimme muß die Gelegenheit nicht benommen werden, das Ihrige gleichfalls zumachen. Die Manieren müssen von solcher Art seyn, daß sie sich sowohl zur Suche selbst schicken, als auch von dem Ausführer der andern Stimme können nachgemachet werden. Man muß sie nur bey solchen Gängen anbringen, die aus Nachahmungen bestehen, es sey in der Quinte höher, in der Quarte tiefer, oder aus eben demselben Tone. Haben beyde Stimmen, in Sexten oder Terzen, einerley Melodie gegen einander: so darf nichts zugesezet werden; es sey denn, daß man vorher mit einander abgeredet hatte, einerley Veränderungen zu machen. Mit dem Piano und Forte muß sich immer einer nach dem andern richten; damit das Ab- und Zunehmen des Tones zu gleicher Zeit geschehe. Hat aber einer von beyden dann und wann eine Mittelstimme, so daß die Noten hauptsächlich gesezet sind um

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/185>, abgerufen am 29.03.2024.