Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Erste Klasse.
Silicate oder eigentliche Steine.

Die Verbindungen mit Kieselerde spielen unbedingt auf der Erdober-
fläche die erste Rolle, daher kann man mit keinem Minerale wohl passender
anfangen, als mit der Kieselerde selbst (Quarz). Auf zweiter Linie steht
die Thonerde Al, isomorph mit Fe, Mn, Cr. Im Feuer bildet diese gegen
Si immer die Base, wenn es aber an Kieselerde fehlt, so mag sie auch
wohl die Rolle der Säure übernehmen. Auf dritter Linie folgen: Ka,
Na, Li, Mg, Ca, Fe, Mn etc., die nur als Basen erscheinen. Alle diese
Stoffe verbinden sich mit der Kieselerde in so mannigfaltigen Verhält-
nissen, daß letztere darin alle anorganischen Säuren weit übertrifft (Ram-
melsberg Pogg. Ann. 72. 95), und da es bis jetzt von den wenigsten ge-
lungen ist, die Bedingungen ihrer Erzeugung künstlich herbeizuführen, so
entfernen sie sich von den gewöhnlichen Chemikalien am weitesten, und
mahnen uns mehr an organische Produkte, welche gleichfalls chemische
Kunst nicht wachsen lassen kann. Auch das haben sie mit dem organischen
Körper gemein, daß nur wenige Stoffe zur wunderbaren Mannigfaltigkeit
ihrer Krystalle beitrugen.

Die Kieselerde kennt man in zwei Modificationen: die eine ist im
Wasser und in Säuren unlöslich, nur Flußsäure wirkt kräftig darauf
ein. Diese findet sich in der Natur bei weitem am häufigsten; die
lösliche Modification läßt sich in Quellen, Flüssen und Meeren
nachweisen: die Geyserquelle auf Island hat , das Meer 3 Hundert-
tausendtel, der Rhein ein 4 Hunderttausendtel. Heißes Wasser löst
mehr als kaltes, und die Gegenwart von Säuren und Alkalien be-
fördert ihre Lösung. Die Zeolithe enthalten sie im festen Zustande. Merk-
würdiger Weise kann sie aber leicht durch Glühen in die unlösliche Modifi-
cation übergeführt werden. Da nun die Si auf nassem Wege nur die
Rolle einer schwachen Säure spielt, auf trockenem dagegen alle übrigen
Säuren austreibt, so hat man wohl Grund zu vermuthen, daß die Masse
der Silicate unserer Erdrinde dem Feuer ihren Ursprung verdanken, also
primär seien, während die secundären Erzeugnisse dagegen sehr zu-
rücktreten. So feuerbeständig aber auch die Kieselerde sein mag, so ver-
flüchtigt sie sich doch, ähnlich der Borsäure, mit heißen Wasserdämpfen,
das beweist der Versuch von Jeffreys deutlich: Derselbe ließ durch
einen Fayence-Ofen, dessen Glut die des schmelzenden Gußeisen über-
steigt, Wasserdämpfe in größerer Menge streichen, und wo diese

Erſte Klaſſe.
Silicate oder eigentliche Steine.

Die Verbindungen mit Kieſelerde ſpielen unbedingt auf der Erdober-
fläche die erſte Rolle, daher kann man mit keinem Minerale wohl paſſender
anfangen, als mit der Kieſelerde ſelbſt (Quarz). Auf zweiter Linie ſteht
die Thonerde A̶⃛l, iſomorph mit F̶⃛e, M̶⃛n, C̶⃛r. Im Feuer bildet dieſe gegen
S⃛i immer die Baſe, wenn es aber an Kieſelerde fehlt, ſo mag ſie auch
wohl die Rolle der Säure übernehmen. Auf dritter Linie folgen: K̇a,
Ṅa, L̇i, Ṁg, Ċa, Ḟe, Ṁn ꝛc., die nur als Baſen erſcheinen. Alle dieſe
Stoffe verbinden ſich mit der Kieſelerde in ſo mannigfaltigen Verhält-
niſſen, daß letztere darin alle anorganiſchen Säuren weit übertrifft (Ram-
melsberg Pogg. Ann. 72. 95), und da es bis jetzt von den wenigſten ge-
lungen iſt, die Bedingungen ihrer Erzeugung künſtlich herbeizuführen, ſo
entfernen ſie ſich von den gewöhnlichen Chemikalien am weiteſten, und
mahnen uns mehr an organiſche Produkte, welche gleichfalls chemiſche
Kunſt nicht wachſen laſſen kann. Auch das haben ſie mit dem organiſchen
Körper gemein, daß nur wenige Stoffe zur wunderbaren Mannigfaltigkeit
ihrer Kryſtalle beitrugen.

Die Kieſelerde kennt man in zwei Modificationen: die eine iſt im
Waſſer und in Säuren unlöslich, nur Flußſäure wirkt kräftig darauf
ein. Dieſe findet ſich in der Natur bei weitem am häufigſten; die
lösliche Modification läßt ſich in Quellen, Flüſſen und Meeren
nachweiſen: die Geyſerquelle auf Island hat , das Meer 3 Hundert-
tauſendtel, der Rhein ein 4 Hunderttauſendtel. Heißes Waſſer löst
mehr als kaltes, und die Gegenwart von Säuren und Alkalien be-
fördert ihre Löſung. Die Zeolithe enthalten ſie im feſten Zuſtande. Merk-
würdiger Weiſe kann ſie aber leicht durch Glühen in die unlösliche Modifi-
cation übergeführt werden. Da nun die S⃛i auf naſſem Wege nur die
Rolle einer ſchwachen Säure ſpielt, auf trockenem dagegen alle übrigen
Säuren austreibt, ſo hat man wohl Grund zu vermuthen, daß die Maſſe
der Silicate unſerer Erdrinde dem Feuer ihren Urſprung verdanken, alſo
primär ſeien, während die ſecundären Erzeugniſſe dagegen ſehr zu-
rücktreten. So feuerbeſtändig aber auch die Kieſelerde ſein mag, ſo ver-
flüchtigt ſie ſich doch, ähnlich der Borſäure, mit heißen Waſſerdämpfen,
das beweist der Verſuch von Jeffreys deutlich: Derſelbe ließ durch
einen Fayence-Ofen, deſſen Glut die des ſchmelzenden Gußeiſen über-
ſteigt, Waſſerdämpfe in größerer Menge ſtreichen, und wo dieſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0171" n="[159]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Kla&#x017F;&#x017F;e</hi>.<lb/>
Silicate oder eigentliche Steine.</hi> </head><lb/>
        <p>Die Verbindungen mit Kie&#x017F;elerde &#x017F;pielen unbedingt auf der Erdober-<lb/>
fläche die er&#x017F;te Rolle, daher kann man mit keinem Minerale wohl pa&#x017F;&#x017F;ender<lb/>
anfangen, als mit der Kie&#x017F;elerde &#x017F;elb&#x017F;t (Quarz). Auf zweiter Linie &#x017F;teht<lb/>
die Thonerde <hi rendition="#aq">A&#x0336;&#x20DB;l</hi>, i&#x017F;omorph mit <hi rendition="#aq">F&#x0336;&#x20DB;e</hi>, <hi rendition="#aq">M&#x0336;&#x20DB;n</hi>, <hi rendition="#aq">C&#x0336;&#x20DB;r.</hi> Im Feuer bildet die&#x017F;e gegen<lb/><hi rendition="#aq">S&#x20DB;i</hi> immer die Ba&#x017F;e, wenn es aber an Kie&#x017F;elerde fehlt, &#x017F;o mag &#x017F;ie auch<lb/>
wohl die Rolle der Säure übernehmen. Auf dritter Linie folgen: <hi rendition="#aq">K&#x0307;a</hi>,<lb/><hi rendition="#aq">N&#x0307;a</hi>, <hi rendition="#aq">L&#x0307;i</hi>, <hi rendition="#aq">M&#x0307;g</hi>, <hi rendition="#aq">C&#x0307;a</hi>, <hi rendition="#aq">F&#x0307;e</hi>, <hi rendition="#aq">M&#x0307;n</hi> &#xA75B;c., die nur als Ba&#x017F;en er&#x017F;cheinen. Alle die&#x017F;e<lb/>
Stoffe verbinden &#x017F;ich mit der Kie&#x017F;elerde in &#x017F;o mannigfaltigen Verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en, daß letztere darin alle anorgani&#x017F;chen Säuren weit übertrifft (Ram-<lb/>
melsberg Pogg. Ann. 72. <hi rendition="#sub">95</hi>), und da es bis jetzt von den wenig&#x017F;ten ge-<lb/>
lungen i&#x017F;t, die Bedingungen ihrer Erzeugung kün&#x017F;tlich herbeizuführen, &#x017F;o<lb/>
entfernen &#x017F;ie &#x017F;ich von den gewöhnlichen Chemikalien am weite&#x017F;ten, und<lb/>
mahnen uns mehr an organi&#x017F;che Produkte, welche gleichfalls chemi&#x017F;che<lb/>
Kun&#x017F;t nicht wach&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en kann. Auch das haben &#x017F;ie mit dem organi&#x017F;chen<lb/>
Körper gemein, daß nur wenige Stoffe zur wunderbaren Mannigfaltigkeit<lb/>
ihrer Kry&#x017F;talle beitrugen.</p><lb/>
        <p>Die Kie&#x017F;elerde kennt man in zwei Modificationen: die eine i&#x017F;t im<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er und in Säuren <hi rendition="#g">unlöslich</hi>, nur Fluß&#x017F;äure wirkt kräftig darauf<lb/>
ein. Die&#x017F;e findet &#x017F;ich in der Natur bei weitem am häufig&#x017F;ten; die<lb/><hi rendition="#g">lösliche</hi> Modification läßt &#x017F;ich in Quellen, Flü&#x017F;&#x017F;en und Meeren<lb/>
nachwei&#x017F;en: die Gey&#x017F;erquelle auf Island hat <formula notation="TeX">\frac{1}{1850}</formula>, das Meer 3 Hundert-<lb/>
tau&#x017F;endtel, der Rhein ein 4 Hunderttau&#x017F;endtel. Heißes Wa&#x017F;&#x017F;er löst<lb/>
mehr als kaltes, und die Gegenwart von Säuren und Alkalien be-<lb/>
fördert ihre Lö&#x017F;ung. Die Zeolithe enthalten &#x017F;ie im fe&#x017F;ten Zu&#x017F;tande. Merk-<lb/>
würdiger Wei&#x017F;e kann &#x017F;ie aber leicht durch Glühen in die unlösliche Modifi-<lb/>
cation übergeführt werden. Da nun die <hi rendition="#aq">S&#x20DB;i</hi> auf na&#x017F;&#x017F;em Wege nur die<lb/>
Rolle einer &#x017F;chwachen Säure &#x017F;pielt, auf trockenem dagegen alle übrigen<lb/>
Säuren austreibt, &#x017F;o hat man wohl Grund zu vermuthen, daß die Ma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
der Silicate un&#x017F;erer Erdrinde dem Feuer ihren Ur&#x017F;prung verdanken, al&#x017F;o<lb/><hi rendition="#g">primär</hi> &#x017F;eien, während die <hi rendition="#g">&#x017F;ecundären</hi> Erzeugni&#x017F;&#x017F;e dagegen &#x017F;ehr zu-<lb/>
rücktreten. So feuerbe&#x017F;tändig aber auch die Kie&#x017F;elerde &#x017F;ein mag, &#x017F;o ver-<lb/>
flüchtigt &#x017F;ie &#x017F;ich doch, ähnlich der Bor&#x017F;äure, mit heißen Wa&#x017F;&#x017F;erdämpfen,<lb/>
das beweist der Ver&#x017F;uch von Jeffreys deutlich: Der&#x017F;elbe ließ durch<lb/>
einen Fayence-Ofen, de&#x017F;&#x017F;en Glut die des &#x017F;chmelzenden Gußei&#x017F;en über-<lb/>
&#x017F;teigt, Wa&#x017F;&#x017F;erdämpfe in größerer Menge &#x017F;treichen, und wo die&#x017F;e<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[159]/0171] Erſte Klaſſe. Silicate oder eigentliche Steine. Die Verbindungen mit Kieſelerde ſpielen unbedingt auf der Erdober- fläche die erſte Rolle, daher kann man mit keinem Minerale wohl paſſender anfangen, als mit der Kieſelerde ſelbſt (Quarz). Auf zweiter Linie ſteht die Thonerde A̶⃛l, iſomorph mit F̶⃛e, M̶⃛n, C̶⃛r. Im Feuer bildet dieſe gegen S⃛i immer die Baſe, wenn es aber an Kieſelerde fehlt, ſo mag ſie auch wohl die Rolle der Säure übernehmen. Auf dritter Linie folgen: K̇a, Ṅa, L̇i, Ṁg, Ċa, Ḟe, Ṁn ꝛc., die nur als Baſen erſcheinen. Alle dieſe Stoffe verbinden ſich mit der Kieſelerde in ſo mannigfaltigen Verhält- niſſen, daß letztere darin alle anorganiſchen Säuren weit übertrifft (Ram- melsberg Pogg. Ann. 72. 95), und da es bis jetzt von den wenigſten ge- lungen iſt, die Bedingungen ihrer Erzeugung künſtlich herbeizuführen, ſo entfernen ſie ſich von den gewöhnlichen Chemikalien am weiteſten, und mahnen uns mehr an organiſche Produkte, welche gleichfalls chemiſche Kunſt nicht wachſen laſſen kann. Auch das haben ſie mit dem organiſchen Körper gemein, daß nur wenige Stoffe zur wunderbaren Mannigfaltigkeit ihrer Kryſtalle beitrugen. Die Kieſelerde kennt man in zwei Modificationen: die eine iſt im Waſſer und in Säuren unlöslich, nur Flußſäure wirkt kräftig darauf ein. Dieſe findet ſich in der Natur bei weitem am häufigſten; die lösliche Modification läßt ſich in Quellen, Flüſſen und Meeren nachweiſen: die Geyſerquelle auf Island hat [FORMEL], das Meer 3 Hundert- tauſendtel, der Rhein ein 4 Hunderttauſendtel. Heißes Waſſer löst mehr als kaltes, und die Gegenwart von Säuren und Alkalien be- fördert ihre Löſung. Die Zeolithe enthalten ſie im feſten Zuſtande. Merk- würdiger Weiſe kann ſie aber leicht durch Glühen in die unlösliche Modifi- cation übergeführt werden. Da nun die S⃛i auf naſſem Wege nur die Rolle einer ſchwachen Säure ſpielt, auf trockenem dagegen alle übrigen Säuren austreibt, ſo hat man wohl Grund zu vermuthen, daß die Maſſe der Silicate unſerer Erdrinde dem Feuer ihren Urſprung verdanken, alſo primär ſeien, während die ſecundären Erzeugniſſe dagegen ſehr zu- rücktreten. So feuerbeſtändig aber auch die Kieſelerde ſein mag, ſo ver- flüchtigt ſie ſich doch, ähnlich der Borſäure, mit heißen Waſſerdämpfen, das beweist der Verſuch von Jeffreys deutlich: Derſelbe ließ durch einen Fayence-Ofen, deſſen Glut die des ſchmelzenden Gußeiſen über- ſteigt, Waſſerdämpfe in größerer Menge ſtreichen, und wo dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/quenstedt_mineralogie_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/quenstedt_mineralogie_1854/171
Zitationshilfe: Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855, S. [159]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quenstedt_mineralogie_1854/171>, abgerufen am 19.04.2024.