Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

"Von Helene Trotzendorff?"

"Von der Wittwe Mungo."

Die Pfeife war mir längst ausgegangen; ich stand
auf, um sie mechanisch wieder anzuzünden, und ging
nun in meiner Arbeitsstube auf und ab, während
Anna an meinem Schreibtische, in meinem Arbeits¬
stuhl Platz nahm und zwischen den freilich berghohen,
ihr so ärgerlichen Aktenhaufen das liebe Gesicht über
den unheimlich wunderlichen Brief aus Berlin beugte,
um es sofort, jetzt doch im höchsten Grade erschreckt,
wieder zu erheben und mir zuzuwenden.

"Velten todt? Unser -- Dein Freund Andres!
-- Und sie -- Helene -- die Wittwe Mungo, allein
bei ihm!"

Das Blatt zitterte in ihren Händen, als sie
weiter las; aber sie machte weiter keine Bemerkungen,
bis sie fertig war, das Schreiben niederlegte, mit
der Hand darüber strich, wie um es zu glätten.

"Aber das ist ja ein entsetzlicher Brief! In
seiner Unverständlichkeit doch gar nicht so, wie ich sie
mir nach Deinen -- euren Reden und Erzählungen
vorgestellt habe, daß Unsereine trotz ihres Erschreckens
und Mitgefühls wieder einmal nicht weiß, was sie
dazu sagen soll. Velten Andres todt, und die ameri¬
kanische Thalermillionärin jetzt als seine Todtenwache,
wie es scheint in seiner leeren Dachstube. Was will

„Von Helene Trotzendorff?“

„Von der Wittwe Mungo.“

Die Pfeife war mir längſt ausgegangen; ich ſtand
auf, um ſie mechaniſch wieder anzuzünden, und ging
nun in meiner Arbeitsſtube auf und ab, während
Anna an meinem Schreibtiſche, in meinem Arbeits¬
ſtuhl Platz nahm und zwiſchen den freilich berghohen,
ihr ſo ärgerlichen Aktenhaufen das liebe Geſicht über
den unheimlich wunderlichen Brief aus Berlin beugte,
um es ſofort, jetzt doch im höchſten Grade erſchreckt,
wieder zu erheben und mir zuzuwenden.

„Velten todt? Unſer — Dein Freund Andres!
— Und ſie — Helene — die Wittwe Mungo, allein
bei ihm!“

Das Blatt zitterte in ihren Händen, als ſie
weiter las; aber ſie machte weiter keine Bemerkungen,
bis ſie fertig war, das Schreiben niederlegte, mit
der Hand darüber ſtrich, wie um es zu glätten.

„Aber das iſt ja ein entſetzlicher Brief! In
ſeiner Unverſtändlichkeit doch gar nicht ſo, wie ich ſie
mir nach Deinen — euren Reden und Erzählungen
vorgeſtellt habe, daß Unſereine trotz ihres Erſchreckens
und Mitgefühls wieder einmal nicht weiß, was ſie
dazu ſagen ſoll. Velten Andres todt, und die ameri¬
kaniſche Thalermillionärin jetzt als ſeine Todtenwache,
wie es ſcheint in ſeiner leeren Dachſtube. Was will

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0015" n="5"/>
      <p>&#x201E;Von Helene Trotzendorff?&#x201C;</p><lb/>
      <p>&#x201E;Von der Wittwe Mungo.&#x201C;</p><lb/>
      <p>Die Pfeife war mir läng&#x017F;t ausgegangen; ich &#x017F;tand<lb/>
auf, um &#x017F;ie mechani&#x017F;ch wieder anzuzünden, und ging<lb/>
nun in meiner Arbeits&#x017F;tube auf und ab, während<lb/>
Anna an meinem Schreibti&#x017F;che, in meinem Arbeits¬<lb/>
&#x017F;tuhl Platz nahm und zwi&#x017F;chen den freilich berghohen,<lb/>
ihr &#x017F;o ärgerlichen Aktenhaufen das liebe Ge&#x017F;icht über<lb/>
den unheimlich wunderlichen Brief aus Berlin beugte,<lb/>
um es &#x017F;ofort, jetzt doch im höch&#x017F;ten Grade er&#x017F;chreckt,<lb/>
wieder zu erheben und mir zuzuwenden.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Velten todt? Un&#x017F;er &#x2014; Dein Freund Andres!<lb/>
&#x2014; Und &#x017F;ie &#x2014; Helene &#x2014; die Wittwe Mungo, allein<lb/>
bei ihm!&#x201C;</p><lb/>
      <p>Das Blatt zitterte in ihren Händen, als &#x017F;ie<lb/>
weiter las; aber &#x017F;ie machte weiter keine Bemerkungen,<lb/>
bis &#x017F;ie fertig war, das Schreiben niederlegte, mit<lb/>
der Hand darüber &#x017F;trich, wie um es zu glätten.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Aber das i&#x017F;t ja ein ent&#x017F;etzlicher Brief! In<lb/>
&#x017F;einer Unver&#x017F;tändlichkeit doch gar nicht &#x017F;o, wie ich &#x017F;ie<lb/>
mir nach Deinen &#x2014; euren Reden und Erzählungen<lb/>
vorge&#x017F;tellt habe, daß Un&#x017F;ereine trotz ihres Er&#x017F;chreckens<lb/>
und Mitgefühls wieder einmal nicht weiß, was &#x017F;ie<lb/>
dazu &#x017F;agen &#x017F;oll. Velten Andres todt, und die ameri¬<lb/>
kani&#x017F;che Thalermillionärin jetzt als &#x017F;eine Todtenwache,<lb/>
wie es &#x017F;cheint in &#x017F;einer leeren Dach&#x017F;tube. Was will<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0015] „Von Helene Trotzendorff?“ „Von der Wittwe Mungo.“ Die Pfeife war mir längſt ausgegangen; ich ſtand auf, um ſie mechaniſch wieder anzuzünden, und ging nun in meiner Arbeitsſtube auf und ab, während Anna an meinem Schreibtiſche, in meinem Arbeits¬ ſtuhl Platz nahm und zwiſchen den freilich berghohen, ihr ſo ärgerlichen Aktenhaufen das liebe Geſicht über den unheimlich wunderlichen Brief aus Berlin beugte, um es ſofort, jetzt doch im höchſten Grade erſchreckt, wieder zu erheben und mir zuzuwenden. „Velten todt? Unſer — Dein Freund Andres! — Und ſie — Helene — die Wittwe Mungo, allein bei ihm!“ Das Blatt zitterte in ihren Händen, als ſie weiter las; aber ſie machte weiter keine Bemerkungen, bis ſie fertig war, das Schreiben niederlegte, mit der Hand darüber ſtrich, wie um es zu glätten. „Aber das iſt ja ein entſetzlicher Brief! In ſeiner Unverſtändlichkeit doch gar nicht ſo, wie ich ſie mir nach Deinen — euren Reden und Erzählungen vorgeſtellt habe, daß Unſereine trotz ihres Erſchreckens und Mitgefühls wieder einmal nicht weiß, was ſie dazu ſagen ſoll. Velten Andres todt, und die ameri¬ kaniſche Thalermillionärin jetzt als ſeine Todtenwache, wie es ſcheint in ſeiner leeren Dachſtube. Was will

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/15
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/15>, abgerufen am 19.04.2024.