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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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giebt. Ja die! Wer doch von Gottes und Rechts
wegen in Thränen schwimmen sollte, das müßte die
Frau Nachbarin Amalie sein; denn der dumme Junge
muß arge Schmerzen haben. Aber thut sie es?
Bewahre! Lieber sterben als dem zum Richtigen
redenden Nachbar und Familienfreund seine Verant¬
wortlichkeit durch Zustimmung zu erleichtern. Natür¬
lich beißt auch die Frau Doktor nur die Zähne zu¬
sammen, sagt nur von Zeit zu Zeit: ,Aber Velten,
das war doch zu dumm!' und läßt mich gewohnter¬
maßen in den Wind und ins Blaue reden."

"Die arme Amalie!" seufzte meine Mutter.

"Du bedauerst sie wohl gar noch?" fuhr mein
Vater fast gröblich sie an. "Das kannst Du Dir
dreist für andere und bessere Gelegenheiten sparen."

Und mit einem Blick auf mich fuhr er fort:
"Na, reden wir nicht weiter hierüber. Übrigens,
um den neuen Skandal (der Dich, mein Sohn, bei¬
läufig auch mit vor die Polizeibehörde bringen wird)
völlig auszukosten, war ich denn auch drüben bei der
dritten von euch drei lieben Jugendfreundinnen,
Adolfine -- bei der berühmten (ich will kein anderes
Wort gebrauchen) bei der berühmten Frau Agathe --
unserer theuren Mistreß Trotzendorff. Nu, was ich
da zu hören bekam, das hätte ich mir vorher schon
selber sagen können. Saß die Person wieder sofort

giebt. Ja die! Wer doch von Gottes und Rechts
wegen in Thränen ſchwimmen ſollte, das müßte die
Frau Nachbarin Amalie ſein; denn der dumme Junge
muß arge Schmerzen haben. Aber thut ſie es?
Bewahre! Lieber ſterben als dem zum Richtigen
redenden Nachbar und Familienfreund ſeine Verant¬
wortlichkeit durch Zuſtimmung zu erleichtern. Natür¬
lich beißt auch die Frau Doktor nur die Zähne zu¬
ſammen, ſagt nur von Zeit zu Zeit: ‚Aber Velten,
das war doch zu dumm!’ und läßt mich gewohnter¬
maßen in den Wind und ins Blaue reden.“

„Die arme Amalie!“ ſeufzte meine Mutter.

„Du bedauerſt ſie wohl gar noch?“ fuhr mein
Vater faſt gröblich ſie an. „Das kannſt Du Dir
dreiſt für andere und beſſere Gelegenheiten ſparen.“

Und mit einem Blick auf mich fuhr er fort:
„Na, reden wir nicht weiter hierüber. Übrigens,
um den neuen Skandal (der Dich, mein Sohn, bei¬
läufig auch mit vor die Polizeibehörde bringen wird)
völlig auszukoſten, war ich denn auch drüben bei der
dritten von euch drei lieben Jugendfreundinnen,
Adolfine — bei der berühmten (ich will kein anderes
Wort gebrauchen) bei der berühmten Frau Agathe —
unſerer theuren Miſtreß Trotzendorff. Nu, was ich
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[20/0030] giebt. Ja die! Wer doch von Gottes und Rechts wegen in Thränen ſchwimmen ſollte, das müßte die Frau Nachbarin Amalie ſein; denn der dumme Junge muß arge Schmerzen haben. Aber thut ſie es? Bewahre! Lieber ſterben als dem zum Richtigen redenden Nachbar und Familienfreund ſeine Verant¬ wortlichkeit durch Zuſtimmung zu erleichtern. Natür¬ lich beißt auch die Frau Doktor nur die Zähne zu¬ ſammen, ſagt nur von Zeit zu Zeit: ‚Aber Velten, das war doch zu dumm!’ und läßt mich gewohnter¬ maßen in den Wind und ins Blaue reden.“ „Die arme Amalie!“ ſeufzte meine Mutter. „Du bedauerſt ſie wohl gar noch?“ fuhr mein Vater faſt gröblich ſie an. „Das kannſt Du Dir dreiſt für andere und beſſere Gelegenheiten ſparen.“ Und mit einem Blick auf mich fuhr er fort: „Na, reden wir nicht weiter hierüber. Übrigens, um den neuen Skandal (der Dich, mein Sohn, bei¬ läufig auch mit vor die Polizeibehörde bringen wird) völlig auszukoſten, war ich denn auch drüben bei der dritten von euch drei lieben Jugendfreundinnen, Adolfine — bei der berühmten (ich will kein anderes Wort gebrauchen) bei der berühmten Frau Agathe — unſerer theuren Miſtreß Trotzendorff. Nu, was ich da zu hören bekam, das hätte ich mir vorher ſchon ſelber ſagen können. Saß die Perſon wieder ſofort

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/30>, abgerufen am 25.04.2024.