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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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geführt hatten. Es waren damals schon einige Jahre
seit der Rückkehr der Mistreß Trotzendorff in den
Vogelsang hingegangen, und Miß Ellen hatte, auch
mit unserer, Veltens und meiner Beihilfe doch all¬
gemach ganz gut Deutsch gelernt, hörte (wenn sie
Lust hatte) auch auf den Ruf: Helene! Lene! Lenchen
und -- wir waren alle drei in den echtesten und ge¬
rechtesten Flegeljahren.

Daß die Deutsch-Amerikanerin eine dumme, auf¬
geblasene, einfältige Gans sei, hatten wir zwei
Jungen längst heraus, und ebenso, daß sie doch ein
Gutes hatte, nämlich daß man mit ihr aufstellen
konnte, was man wollte, wenn man sie nur recht zu
nehmen wußte. Mein Vater hatte nichts gethan,
den Eindruck, den die Arme auf uns gemacht hatte,
zu verbessern. Meine Mutter war natürlich der
Meinung meines Vaters, wenn auch in einem etwas
mildern Grade. Und nur die Nachbarin Andres
war ganz und gar dabei geblieben, daß man Mitleid
mit ihr haben müsse und gab der Ansicht bei jeder
vorkommenden Gelegenheit nicht bloß Worte, sondern
fügte auch die That dazu. --

Ach, wie ich es mir jetzt überlege, kamen die
Gelegenheiten recht häufig! Viel häufiger als die
Briefe und Geldsendungen des Gatten und Vaters
Trotzendorff aus den Vereinigten Staaten von Nord¬

geführt hatten. Es waren damals ſchon einige Jahre
ſeit der Rückkehr der Miſtreß Trotzendorff in den
Vogelſang hingegangen, und Miß Ellen hatte, auch
mit unſerer, Veltens und meiner Beihilfe doch all¬
gemach ganz gut Deutſch gelernt, hörte (wenn ſie
Luſt hatte) auch auf den Ruf: Helene! Lene! Lenchen
und — wir waren alle drei in den echteſten und ge¬
rechteſten Flegeljahren.

Daß die Deutſch-Amerikanerin eine dumme, auf¬
geblaſene, einfältige Gans ſei, hatten wir zwei
Jungen längſt heraus, und ebenſo, daß ſie doch ein
Gutes hatte, nämlich daß man mit ihr aufſtellen
konnte, was man wollte, wenn man ſie nur recht zu
nehmen wußte. Mein Vater hatte nichts gethan,
den Eindruck, den die Arme auf uns gemacht hatte,
zu verbeſſern. Meine Mutter war natürlich der
Meinung meines Vaters, wenn auch in einem etwas
mildern Grade. Und nur die Nachbarin Andres
war ganz und gar dabei geblieben, daß man Mitleid
mit ihr haben müſſe und gab der Anſicht bei jeder
vorkommenden Gelegenheit nicht bloß Worte, ſondern
fügte auch die That dazu. —

Ach, wie ich es mir jetzt überlege, kamen die
Gelegenheiten recht häufig! Viel häufiger als die
Briefe und Geldſendungen des Gatten und Vaters
Trotzendorff aus den Vereinigten Staaten von Nord¬

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[34/0044] geführt hatten. Es waren damals ſchon einige Jahre ſeit der Rückkehr der Miſtreß Trotzendorff in den Vogelſang hingegangen, und Miß Ellen hatte, auch mit unſerer, Veltens und meiner Beihilfe doch all¬ gemach ganz gut Deutſch gelernt, hörte (wenn ſie Luſt hatte) auch auf den Ruf: Helene! Lene! Lenchen und — wir waren alle drei in den echteſten und ge¬ rechteſten Flegeljahren. Daß die Deutſch-Amerikanerin eine dumme, auf¬ geblaſene, einfältige Gans ſei, hatten wir zwei Jungen längſt heraus, und ebenſo, daß ſie doch ein Gutes hatte, nämlich daß man mit ihr aufſtellen konnte, was man wollte, wenn man ſie nur recht zu nehmen wußte. Mein Vater hatte nichts gethan, den Eindruck, den die Arme auf uns gemacht hatte, zu verbeſſern. Meine Mutter war natürlich der Meinung meines Vaters, wenn auch in einem etwas mildern Grade. Und nur die Nachbarin Andres war ganz und gar dabei geblieben, daß man Mitleid mit ihr haben müſſe und gab der Anſicht bei jeder vorkommenden Gelegenheit nicht bloß Worte, ſondern fügte auch die That dazu. — Ach, wie ich es mir jetzt überlege, kamen die Gelegenheiten recht häufig! Viel häufiger als die Briefe und Geldſendungen des Gatten und Vaters Trotzendorff aus den Vereinigten Staaten von Nord¬

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/44>, abgerufen am 29.03.2024.