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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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III. Geologische Verhältnisse.
Mitte eines bewaldeten Bergrückens, einsam und schön gelegen, die
alten Gebäude des Bades Goshiki-(Goziochiki?) no-yu. Das warme
Wasser daselbst wird Kin-yu (Goldwasser) genannt, weil es die
Wirkung des Emser Kinderbrunnens haben soll. Nach den Angaben
der Umwohner zu schliessen, ist es eine Stahltherme, welche im
Sommer von Frauen viel benutzt wird.

Fast alle vorerwähnten warmen Quellen gehören vulkanischem
Terrain an; von den mir persönlich bekannten warmen, indifferenten
Quellen, welche in alten Schiefern auftreten, nenne ich Shika-no-yu
bei Yumoto am Aidzukaido in Shimotsuke mit 43°C., Takeo in Hizen
mit 46°C. und Shimotsuke Fukei auf Amakusa mit 42°C. Alle
diese Thermen erinnern an Schlangenbad.

3. Erdbeben.

Die Erdbeben gehören zu den unheimlichsten und beängstigendsten
Erscheinungen. Es sind Vorgänge, gegen die der Mensch sich in
keiner Weise rüsten und vorbereiten kann, die ihn jeden Augenblick
überraschen und verderben können. Mit einem Ruck weckt ein hef-
tiges Erdbeben sämmtliche Bewohner einer volkreichen Stadt aus
tiefem Schlafe und bereitet im Handumdrehen Tausenden derselben
ihr Grab. Eine bange Vorahnung der nahenden Gefahr, wie sie
Humboldt und mehrere andere Reisende in Südamerika gefunden
haben wollen, kennt man in Japan nicht; eine solche ist in ihren
Ursachen nicht erklärbar und beruht meines Erachtens auf Täuschung.
In Japan sind Erdbeben häufig, von der leichten Vibration, die der
thätige Mensch kaum wahrnimmt, bis zu jenen gewaltigen Stössen,
die ihn emporheben und niederwerfen, Felsen spalten und Wohnstätten
in Trümmer legen. Solche heftige Erschütterungen mit auffallend
zerstörenden Wirkungen treten glücklicherweise nur selten auf, und
zwar nach früheren Annahmen und Erfahrungen etwa je einmal nach
zwanzig Jahren. Nun fand aber das letzte verderbliche Erdbeben in
Japan im Herbst 1855 statt, so dass bereits 25 Jahre ohne ein solches
verflossen sind und die alte Regel scheinbar nicht mehr stichhält*).

*) Noch vor Beginn des Druckes kommt uns aus Tokio folgende Nachricht:
"Wir hatten am 22. Februar dieses Jahres (1880) Nachts 1 Uhr das heftigste Erd-
beben, welches ich während meines 15jährigen Aufenthaltes in diesem Lande kennen
gelernt habe. Ich schlief im oberen Stock meines japanischen Hauses. Plötzlich
erwacht, glaubte ich auf einem Schiffe zur Zeit eines Sturmes zu sein, so schaukelte
das Haus mit mir hin und her. Auch das Gefühl der Seekrankheit blieb nicht aus.
Kaum konnte ich mich auf den Füssen halten, und mein Bestreben, die Treppe zu
den unteren Räumen zu gewinnen, gelang erst, als die Haupterschütterung vorüber

III. Geologische Verhältnisse.
Mitte eines bewaldeten Bergrückens, einsam und schön gelegen, die
alten Gebäude des Bades Goshiki-(Goziochiki?) no-yu. Das warme
Wasser daselbst wird Kin-yu (Goldwasser) genannt, weil es die
Wirkung des Emser Kinderbrunnens haben soll. Nach den Angaben
der Umwohner zu schliessen, ist es eine Stahltherme, welche im
Sommer von Frauen viel benutzt wird.

Fast alle vorerwähnten warmen Quellen gehören vulkanischem
Terrain an; von den mir persönlich bekannten warmen, indifferenten
Quellen, welche in alten Schiefern auftreten, nenne ich Shika-no-yu
bei Yumoto am Aidzukaidô in Shimotsuke mit 43°C., Takeo in Hizen
mit 46°C. und Shimotsuke Fukei auf Amakusa mit 42°C. Alle
diese Thermen erinnern an Schlangenbad.

3. Erdbeben.

Die Erdbeben gehören zu den unheimlichsten und beängstigendsten
Erscheinungen. Es sind Vorgänge, gegen die der Mensch sich in
keiner Weise rüsten und vorbereiten kann, die ihn jeden Augenblick
überraschen und verderben können. Mit einem Ruck weckt ein hef-
tiges Erdbeben sämmtliche Bewohner einer volkreichen Stadt aus
tiefem Schlafe und bereitet im Handumdrehen Tausenden derselben
ihr Grab. Eine bange Vorahnung der nahenden Gefahr, wie sie
Humboldt und mehrere andere Reisende in Südamerika gefunden
haben wollen, kennt man in Japan nicht; eine solche ist in ihren
Ursachen nicht erklärbar und beruht meines Erachtens auf Täuschung.
In Japan sind Erdbeben häufig, von der leichten Vibration, die der
thätige Mensch kaum wahrnimmt, bis zu jenen gewaltigen Stössen,
die ihn emporheben und niederwerfen, Felsen spalten und Wohnstätten
in Trümmer legen. Solche heftige Erschütterungen mit auffallend
zerstörenden Wirkungen treten glücklicherweise nur selten auf, und
zwar nach früheren Annahmen und Erfahrungen etwa je einmal nach
zwanzig Jahren. Nun fand aber das letzte verderbliche Erdbeben in
Japan im Herbst 1855 statt, so dass bereits 25 Jahre ohne ein solches
verflossen sind und die alte Regel scheinbar nicht mehr stichhält*).

*) Noch vor Beginn des Druckes kommt uns aus Tôkio folgende Nachricht:
»Wir hatten am 22. Februar dieses Jahres (1880) Nachts 1 Uhr das heftigste Erd-
beben, welches ich während meines 15jährigen Aufenthaltes in diesem Lande kennen
gelernt habe. Ich schlief im oberen Stock meines japanischen Hauses. Plötzlich
erwacht, glaubte ich auf einem Schiffe zur Zeit eines Sturmes zu sein, so schaukelte
das Haus mit mir hin und her. Auch das Gefühl der Seekrankheit blieb nicht aus.
Kaum konnte ich mich auf den Füssen halten, und mein Bestreben, die Treppe zu
den unteren Räumen zu gewinnen, gelang erst, als die Haupterschütterung vorüber
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[58/0078] III. Geologische Verhältnisse. Mitte eines bewaldeten Bergrückens, einsam und schön gelegen, die alten Gebäude des Bades Goshiki-(Goziochiki?) no-yu. Das warme Wasser daselbst wird Kin-yu (Goldwasser) genannt, weil es die Wirkung des Emser Kinderbrunnens haben soll. Nach den Angaben der Umwohner zu schliessen, ist es eine Stahltherme, welche im Sommer von Frauen viel benutzt wird. Fast alle vorerwähnten warmen Quellen gehören vulkanischem Terrain an; von den mir persönlich bekannten warmen, indifferenten Quellen, welche in alten Schiefern auftreten, nenne ich Shika-no-yu bei Yumoto am Aidzukaidô in Shimotsuke mit 43°C., Takeo in Hizen mit 46°C. und Shimotsuke Fukei auf Amakusa mit 42°C. Alle diese Thermen erinnern an Schlangenbad. 3. Erdbeben. Die Erdbeben gehören zu den unheimlichsten und beängstigendsten Erscheinungen. Es sind Vorgänge, gegen die der Mensch sich in keiner Weise rüsten und vorbereiten kann, die ihn jeden Augenblick überraschen und verderben können. Mit einem Ruck weckt ein hef- tiges Erdbeben sämmtliche Bewohner einer volkreichen Stadt aus tiefem Schlafe und bereitet im Handumdrehen Tausenden derselben ihr Grab. Eine bange Vorahnung der nahenden Gefahr, wie sie Humboldt und mehrere andere Reisende in Südamerika gefunden haben wollen, kennt man in Japan nicht; eine solche ist in ihren Ursachen nicht erklärbar und beruht meines Erachtens auf Täuschung. In Japan sind Erdbeben häufig, von der leichten Vibration, die der thätige Mensch kaum wahrnimmt, bis zu jenen gewaltigen Stössen, die ihn emporheben und niederwerfen, Felsen spalten und Wohnstätten in Trümmer legen. Solche heftige Erschütterungen mit auffallend zerstörenden Wirkungen treten glücklicherweise nur selten auf, und zwar nach früheren Annahmen und Erfahrungen etwa je einmal nach zwanzig Jahren. Nun fand aber das letzte verderbliche Erdbeben in Japan im Herbst 1855 statt, so dass bereits 25 Jahre ohne ein solches verflossen sind und die alte Regel scheinbar nicht mehr stichhält *). *) Noch vor Beginn des Druckes kommt uns aus Tôkio folgende Nachricht: »Wir hatten am 22. Februar dieses Jahres (1880) Nachts 1 Uhr das heftigste Erd- beben, welches ich während meines 15jährigen Aufenthaltes in diesem Lande kennen gelernt habe. Ich schlief im oberen Stock meines japanischen Hauses. Plötzlich erwacht, glaubte ich auf einem Schiffe zur Zeit eines Sturmes zu sein, so schaukelte das Haus mit mir hin und her. Auch das Gefühl der Seekrankheit blieb nicht aus. Kaum konnte ich mich auf den Füssen halten, und mein Bestreben, die Treppe zu den unteren Räumen zu gewinnen, gelang erst, als die Haupterschütterung vorüber

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/78>, abgerufen am 19.03.2024.